Rechtsextreme "Artgemeinschaft" verboten - Razzien im Norden
Die Polizei hat nach Informationen von WDR und NDR am Mittwoch in zwölf Bundesländern bei 39 Mitgliedern des rassistisch-völkischen Vereins "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" Wohnungen und Grundstücke durchsucht. Dabei beschlagnahmten die Beamten das Vereinsvermögen und sicherten Beweise. Es seien bundesweit unter anderem Schusswaffen, ABC-Schutzanzüge, Gold, Bargeld und extremistische Schriften sichergestellt worden, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Laut Bundesinnenministerium richtet sich die Gruppe "gegen den Gedanken der Völkerverständigung" und "gegen die verfassungsmäßige Ordnung". Deshalb hat Faeser den Verein verboten. Sie nannte den Verein eine "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung".
Razzien in norddeutschen Flächenländern
In Norddeutschland durchsuchte die Polizei etwa in der Gemeinde Lütow auf Usedom Wohnungen von Mitgliedern des rassistisch-völkischen Vereins. Der Sprecherin von Minister Christian Pegel (SPD) zufolge wurde hier Vereinsvermögen beschlagnahmt, außerdem seien verschiedene Devotionalien mit Vereins- und NS-Bezug sowie Speichermedien sichergestellt worden. Rund 30 Polizisten waren demnach auf Usedom im Einsatz.
Aber auch die anderen Flächenländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind betroffen. Laut schleswig-holsteinischem Landeskriminalamt waren die Beamten in Lübeck und im Kreis Stormarn im Einsatz. Konkreter wollte es ein Sprecher des LKA noch nicht sagen, wie NDR 1 Welle Nord berichtete. In einem Fall sei eine Verbotsverfügung übergeben worden, im anderen sei eine Durchsuchung erfolgt.
Lange Tradition in Niedersachsen
In Niedersachsen sei eine Person von einer Razzia betroffen gewesen, teilte ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover mit. Weitere Details dazu nannte das Ministerium nicht. Die Zahl der Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung in Niedersachsen sei ausgesprochen überschaubar und klein, sagte der Sprecher. Die "Artgemeinschaft" sei aber extrem gut mit anderen rechtsextremen Gruppierungen vernetzt.
"In Niedersachsen gibt es eine lange Tradition der 'Artgemeinschaft'", sagt auch NDR Journalist Julian Feldmann, der sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene befasst. In der Lüneburger Heide habe es in den 1990er-Jahren ein Tagungszentrum gegeben, wo regelmäßig größere Treffen der Neonazi-Szene stattgefunden hätten. Dort im "Heideheim" sei auch die "Artgemeinschaft" aktiv gewesen.
Neonazi-Anwalt Rieger führte "Artgemeinschaft" 20 Jahre lang
Von 1989 bis zu seinem Tod 2009 führte der bekannte Neonazi und Hamburger Anwalt Jürgen Rieger die "Artgemeinschaft" und habe sie geprägt, so Feldmann. "Er war dem NS-Rassengedanken sehr verschrieben und hat das in die 'Artgemeinschaft' getragen." Die "Artgemeinschaft" sei eine der ältesten und radikalsten Organisationen der Neonazi-Szene, sagt Feldmann.
"Rückgrat der Neonazi-Szene"
Die Gruppe, die 1951 gegründet wurde, sei eher im Hintergrund tätig gewesen, habe aber das "Rückgrat der Neonazi-Szene" gebildet. Sie sei bundesweit aktiv gewesen und untergliedert in regionale Gruppen. Bei "Gemeinschaftstagen" in Thüringen seien bis zu 300 Personen zusammengekommen.
Nach außen hin werde vermeintlich Brauchtum gelebt und etwa Sonnenwendfeiern veranstaltet. "Tatsächlich steckt dahinter aber eine knallharte NS-Rassenideologie", so Feldmann. Zwischen 150 bis 300 Menschen werden der "Artgemeinschaft" bundesweit zugerechnet, zumeist sind das laut Feldmann Familienverbünde. "Darin liegt auch die Gefahr, dass der Nachwuchs in dieser Szene aufwächst und Kontakt zu knallharten Neonazis hat und mit der Ideologie in Berührung kommt."
Was bringt ein Verbot?
Das Verbot zerschlage zunächst einmal die Strukturen des Vereins, Logo und Name dürften nicht mehr verwendet werden, so Feldmann. Zudem wurde das Vereinskonto beschlagnahmt. "Im ersten Schritt hemmt das die Aktivität, weil man nicht mehr so agieren kann wie bisher in den 70 Jahren seit Gründung."
Die Leute seien jedoch nicht weg. "Das sind rechtsextreme Kader, die teilweise seit Jahrzehnten in der Szene sind. Die haben ein gefestigt rechtsextremes Weltbild", sagt Feldmann. Da sei es unwahrscheinlich, dass sich viele von diesem Verbot sehr beeindrucken lassen werden.
Ein Jahr Vorbereitungen für Schlag gegen Verein
Das Vereinsverbot wurde laut Innenministerium seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich gewesen seien dabei insbesondere Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Landesämter für Verfassungsschutz. Vom Vereinsverbot seien auch alle Teilorganisationen der "Artgemeinschaft" betroffen. Zu den Teilorganisationen gehörten sogenannte Gefährtschaften, Gilden, Freundeskreise und der Verein "Familienwerk".
Vor einer Woche bereits "Hammerskins" verboten
Erst in der vergangenen Woche war die Neonazigruppe "Hammerskins" verboten worden. Zuvor hatte es ebenfalls eine groß angelegte bundesweite Razzia gegeben. In Mecklenburg-Vorpommern waren 135 Beamte im Einsatz. Dabei wurden auf Usedom, in Anklam und Jamel im Kreis Nordwestmecklenburg Objekte durchsucht und Waffen beschlagnahmt.