VIDEO: Experte Feldmann: "Zutiefst rassistische Gruppierung" (2 Min)

Rechtsextreme "Artgemeinschaft" verboten - Razzien im Norden

Stand: 27.09.2023 20:22 Uhr

Nach dem Verbot der rechtsextremen "Artgemeinschaft" durch Bundesinnenministerin Faeser gab es auch in norddeutschen Bundesländern Razzien bei Vereinsmitgliedern. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden Wohnungen und Grundstücke durchsucht.

Die Polizei hat nach Informationen von WDR und NDR am Mittwoch in zwölf Bundesländern bei 39 Mitgliedern des rassistisch-völkischen Vereins "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" Wohnungen und Grundstücke durchsucht. Dabei beschlagnahmten die Beamten das Vereinsvermögen und sicherten Beweise. Es seien bundesweit unter anderem Schusswaffen, ABC-Schutzanzüge, Gold, Bargeld und extremistische Schriften sichergestellt worden, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Laut Bundesinnenministerium richtet sich die Gruppe "gegen den Gedanken der Völkerverständigung" und "gegen die verfassungsmäßige Ordnung". Deshalb hat Faeser den Verein verboten. Sie nannte den Verein eine "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung".

Julian Feldmann © NDR Foto: Leonie Ahmadi
AUDIO: Feldmann: "'Artgemeinschaft' bildet Rückgrat der Neonazi-Szene (5 Min)

Razzien in norddeutschen Flächenländern

In Norddeutschland durchsuchte die Polizei etwa in der Gemeinde Lütow auf Usedom Wohnungen von Mitgliedern des rassistisch-völkischen Vereins. Der Sprecherin von Minister Christian Pegel (SPD) zufolge wurde hier Vereinsvermögen beschlagnahmt, außerdem seien verschiedene Devotionalien mit Vereins- und NS-Bezug sowie Speichermedien sichergestellt worden. Rund 30 Polizisten waren demnach auf Usedom im Einsatz.

Weitere Informationen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD. © Screenshot
2 Min

Razzia gegen rechtsextreme "Artgemeinschaft" in Lütow

Der Verein war zuvor als verboten erklärt worden. Er gilt als rassistisch, völkisch und antisemitisch. 2 Min

Aber auch die anderen Flächenländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind betroffen. Laut schleswig-holsteinischem Landeskriminalamt waren die Beamten in Lübeck und im Kreis Stormarn im Einsatz. Konkreter wollte es ein Sprecher des LKA noch nicht sagen, wie NDR 1 Welle Nord berichtete. In einem Fall sei eine Verbotsverfügung übergeben worden, im anderen sei eine Durchsuchung erfolgt.

Lange Tradition in Niedersachsen

In Niedersachsen sei eine Person von einer Razzia betroffen gewesen, teilte ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover mit. Weitere Details dazu nannte das Ministerium nicht. Die Zahl der Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung in Niedersachsen sei ausgesprochen überschaubar und klein, sagte der Sprecher. Die "Artgemeinschaft" sei aber extrem gut mit anderen rechtsextremen Gruppierungen vernetzt.

Julian Feldmann © NDR Foto: Leonie Ahmadi
Laut Rechtsextremismus-Experte Julian Feldmann war die "Artgemeinschaft" das Rückgrat der rechten Szene.

"In Niedersachsen gibt es eine lange Tradition der 'Artgemeinschaft'", sagt auch NDR Journalist Julian Feldmann, der sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene befasst. In der Lüneburger Heide habe es in den 1990er-Jahren ein Tagungszentrum gegeben, wo regelmäßig größere Treffen der Neonazi-Szene stattgefunden hätten. Dort im "Heideheim" sei auch die "Artgemeinschaft" aktiv gewesen.

Neonazi-Anwalt Rieger führte "Artgemeinschaft" 20 Jahre lang

Von 1989 bis zu seinem Tod 2009 führte der bekannte Neonazi und Hamburger Anwalt Jürgen Rieger die "Artgemeinschaft" und habe sie geprägt, so Feldmann. "Er war dem NS-Rassengedanken sehr verschrieben und hat das in die 'Artgemeinschaft' getragen." Die "Artgemeinschaft" sei eine der ältesten und radikalsten Organisationen der Neonazi-Szene, sagt Feldmann.

"Rückgrat der Neonazi-Szene"

Die Gruppe, die 1951 gegründet wurde, sei eher im Hintergrund tätig gewesen, habe aber das "Rückgrat der Neonazi-Szene" gebildet. Sie sei bundesweit aktiv gewesen und untergliedert in regionale Gruppen. Bei "Gemeinschaftstagen" in Thüringen seien bis zu 300 Personen zusammengekommen.

Nach außen hin werde vermeintlich Brauchtum gelebt und etwa Sonnenwendfeiern veranstaltet. "Tatsächlich steckt dahinter aber eine knallharte NS-Rassenideologie", so Feldmann. Zwischen 150 bis 300 Menschen werden der "Artgemeinschaft" bundesweit zugerechnet, zumeist sind das laut Feldmann Familienverbünde. "Darin liegt auch die Gefahr, dass der Nachwuchs in dieser Szene aufwächst und Kontakt zu knallharten Neonazis hat und mit der Ideologie in Berührung kommt."

Weitere Informationen
Bernd Wagner, Mitbegründer von Exit Deutschland, im November 2016. © picture alliance Foto: Michael Sohn
6 Min

Exit: "Kampf gegen 'Artgemeinschaft' bleibt schwierig"

Bernd Wagner hilft mit Exit Deutschland Menschen dabei, die rechte Szene zu verlassen. Weil in der "Artgemeinschaft" vor allem Familien organisiert sind, ist der Ausstieg besonders schwierig. 6 Min

Was bringt ein Verbot?

Das Verbot zerschlage zunächst einmal die Strukturen des Vereins, Logo und Name dürften nicht mehr verwendet werden, so Feldmann. Zudem wurde das Vereinskonto beschlagnahmt. "Im ersten Schritt hemmt das die Aktivität, weil man nicht mehr so agieren kann wie bisher in den 70 Jahren seit Gründung."

Die Leute seien jedoch nicht weg. "Das sind rechtsextreme Kader, die teilweise seit Jahrzehnten in der Szene sind. Die haben ein gefestigt rechtsextremes Weltbild", sagt Feldmann. Da sei es unwahrscheinlich, dass sich viele von diesem Verbot sehr beeindrucken lassen werden.

Ein Jahr Vorbereitungen für Schlag gegen Verein

Das Vereinsverbot wurde laut Innenministerium seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Maßgeblich gewesen seien dabei insbesondere Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie der Landesämter für Verfassungsschutz. Vom Vereinsverbot seien auch alle Teilorganisationen der "Artgemeinschaft" betroffen. Zu den Teilorganisationen gehörten sogenannte Gefährtschaften, Gilden, Freundeskreise und der Verein "Familienwerk".

Weitere Informationen
Expertin für Rechtsextremismus Andrea Röpke ist ins Sendestudio von Schleswig-Holstein Magazin zugeschaltet. © NDR
3 Min

Rechtsextremismus-Expertin zur rechtsextremen "Artgemeinschaft"

Andrea Röpke, Expertin für Rechtsextremismus, äußert sich zum Verbot der rechtsextremen "Artgemeinschaft". 3 Min

Vor einer Woche bereits "Hammerskins" verboten

Erst in der vergangenen Woche war die Neonazigruppe "Hammerskins" verboten worden. Zuvor hatte es ebenfalls eine groß angelegte bundesweite Razzia gegeben. In Mecklenburg-Vorpommern waren 135 Beamte im Einsatz. Dabei wurden auf Usedom, in Anklam und Jamel im Kreis Nordwestmecklenburg Objekte durchsucht und Waffen beschlagnahmt.

Weitere Informationen
Polizeibeamte stehen vor Absperrband. © Screenshot
4 Min

Razzia bei rechtsextremer Organisation "Artgemeinschaft"

Erst vor Kurzem wurde die Neonazi-Organisation verboten. Ein Zugriff erfolgte auch in Niedersachsen. 4 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 27.09.2023 | 16:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rechtsextremismus

Eine junge Frau hält ein Tablett-PC auf dem man den NDR-Info Newsletter sieht. © NDR Foto: Christian Spielmann

Abonnieren Sie den NDR Newsletter - die Nord-News kompakt

Mit dem NDR Newsletter sind Sie immer gut informiert über die Ereignisse im Norden. Das Wichtigste aus Politik, Sport, Kultur, dazu nützliche Verbraucher-Tipps. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch. © picture alliance / Bildagentur-online/Ohde Foto: Bildagentur-online/Ohde

Missbrauch: Landeskirche Hannovers korrigiert Fallzahlen nach oben

Betroffene hatten die Daten angezweifelt. Sie fordern eine unabhängige Aufarbeitung und den Rücktritt des Bischofs. mehr