Praxistest für Krankenhausreform - "Weit weg von der Realität"
Der Bundesrat hat den Weg für die umstrittene Krankenhausreform freigemacht. Was bedeutet das für die Kliniken? Ein Besuch im Agaplesion-Krankenhaus in Hamburg zeigt, dass in den Kliniken vor allem Skepsis herrscht - und sie auf Ausnahmeregelungen hoffen.
Visite im Agaplesion-Krankenhaus in Hamburg. In der Klinik für Diabetologie wartet an diesem Morgen eine Patientin mit einer tiefen Wunde am linken Fuß auf Chefarzt Jürgen Wernecke. Seine Abteilung ist auf das Diabetische Fußsyndrom spezialisiert, eine weit verbreitete Nerven- und Durchblutungsstörung, die zu schlecht heilenden Verletzungen an den Füßen führen kann. Hier ist alles, was für die Therapie benötigt wird, in einem Haus versammelt: Diabetologie, Gefäßchirurgie, Fußchirurgie, hochspezialisiertes Labor. Wernecke und sein Team aus der Diabetologie arbeiten eng mit anderen Abteilungen zusammen.
"Wir bringen sie erst mal runter, um sie zu untersuchen, vielleicht müssen wir andere Kollegen hinzuziehen von der Gefäßchirurgie", sagt der Chefarzt. Zunächst macht er einen Ultraschall an der Halsschlagader der Patientin. Eine erste Untersuchung hatte bereits gezeigt, dass die Durchblutung nicht ganz in Ordnung ist. Am Knöchel schlägt der Ultraschall an. "Da hören Sie schon am Rauschen, das klingt jetzt doch deutlich anders. Haben Sie das mitbekommen?", fragt Wernecke die Patientin. Sie nickt. "Das ist ein Hinweis, dass man oberhalb eine kleine Verengung hat."
Würde der Fuß nicht behandelt, könnte der Patientin sogar eine Amputation drohen. Es muss nun schnell gehen, zuerst mit Antibiotika, um die Wunde zu versorgen. Für die weitere Behandlung wird Wernecke die anderen spezialisierten Abteilungen hinzuziehen.
Endokrinologie müsste neu aufgebaut werden
Wird die Reform exakt so umgesetzt wie geplant, könnte die interdisziplinäre Therapie so wohl nicht mehr stattfinden, befürchtet der Chefarzt. Denn sie sieht vor, Krankenhäuser zu Kompetenzzentren zu machen. Und damit das gelingt, müssen laut Gesetz bestimmte Leistungen angeboten werden, die fest vorgegeben sind. Damit die Diabetologie weiter so arbeiten kann - und genauso viel Geld wie bisher bekommt -, müsste das Agaplesion eine zusätzliche Abteilung aufbauen.
"Wir müssten eine Endokrinologie ins Haus bringen, die bislang hier überhaupt gar nicht nötig wäre. Und dann auch die entsprechenden Patienten bekommen", sagt Wernecke. Warum die Reform das so vorsieht? Weil die Diabetologie in der Facharztausbildung zum Oberthema Endokrinologie gehört. Solche Abteilungen seien bislang aber eher in der medizinischen Nische.
Therapiezentrum Diabetischer Fuß einzigartig in Norddeutschland
Würde es dem Agaplesion nicht gelingen, eine Endokrinologie aufzubauen und auch keine Ausnahmeregelung zu bekommen, könnte das weitreichende Folgen für die Klinik haben. "Das würde bedeuten, dass diese Einheit, die wirklich einmalig ist in Norddeutschland, wegfällt", sagt Wernecke. "Und Patienten müssten sich vielleicht in Süddeutschland ein Zentrum suchen."
Klinik-Chef hofft auf Ausnahmeregelungen
Auch Klinik-Chef Jörn Wessel sieht die Reform kritisch. Er führt in diesen Tagen viele Personalgespräche. Die Unsicherheit bei den Mitarbeitenden ist groß. "Das ist natürlich sehr schwierig, weil man gefragt wird: Wie ist es denn? Im nächsten Jahr wird es diese Abteilung doch noch geben? Und ich kann es derzeit nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Ich kann nur hoffen, dass die Politik ein Einsehen hat und den Ländern auch Ausnahmemöglichkeiten einräumt", sagt er.
Wessel: "Die Instrumente sind längst da"
Der Geschäftsführer hatte gehofft, dass der Bundesrat gegen die Reform stimmt. Das Gesetz hätte aus seiner Sicht "radikal" geändert werden müssen. "Denn eins ist klar: Deutschland braucht eine Krankenhausreform. Wir müssen auch die Zahl der Krankenhäuser reduzieren", sagt er. "Dafür braucht es aber keine Revolution. Die Instrumente sind längst da."
Es gebe bereits Zertifizierungen, die Qualitätsstandards sichern, dafür müsse man keine Kompetenzzentren errichten, sagt Wessel. Die Reform sei weit weg von der Realität in den Krankenhäusern. Wie sie nun in der Praxis ausgestaltet wird, darauf sind sie nicht nur im Agaplesion-Krankenhaus gespannt.