Stand: 28.03.2020 08:40 Uhr

Fragwürdige Werbung für Online-Glücksspiele

Automatenspiele, Pferdewetten oder Lotto - viele Menschen zocken gerne. Die Coronavirus-Pandemie schränkt das Angebot derzeit allerdings stark ein. Das nutzen illegale Online-Casinos. Sie werben gezielt um Spieler.

An den geschlossenen Türen einer Spielhalle hängen Hinweise-Schilder. © NDR Foto: Philipp Eckstein
Eine Folge der Corona-Maßnahmen: Auch Spielhallen müssen zurzeit geschlossen bleiben.

An der Tür einer Merkur-Spielhalle in Hamburg hängt ein ausgedruckter Zettel: "Aufgrund der aktuellen Lage muss diese Filiale geschlossen bleiben!" Ähnliche Botschaften finden sich an zahlreichen Spielhallen und Wettstuben, die wegen der Maßnahmen im Kampf gegen die Ausweitung des Coronavirus zurzeit nicht öffnen dürfen.

"Alle unsere 700 Spielbetriebe europaweit sind geschlossen", sagt Mario Hoffmeister, Sprecher der Firma Gauselmann, zu der auch die Merkur-Casinos gehören. "Damit generieren wir natürlich quasi null Einnahmen im Moment." Das sei eine "sehr große Herausforderung" für ein Unternehmen mit fast 14.000 Mitarbeitern, so Hoffmeister weiter.

Die Firma Gauselmann hat deshalb Kurzarbeit beantragt. Auch die Löwen-Glücksspielgruppe, die unter anderem die Admiral Spielhallen und Sportwettshops betreibt, kündigte an, Kurzarbeit für mehr als 4.000 Mitarbeiter beantragen zu wollen.

Unerwartete Chance zum Ausstieg für Spielsüchtige

Was Glücksspielfirmen und ihre Mitarbeiter aktuell vor große wirtschaftliche Probleme stellt, bietet Menschen, die spielsüchtig sind, eine unerwartete Möglichkeit zum Ausstieg. Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht, spricht von einer "traumhaften" Situation für viele Spieler. "Wir nehmen wahr, dass Menschen sagen, das ist für mich eine Chance und ich kann das nutzen.‘"

Einige verspüren "unendlichen Spieldruck"

Andere Spieler wiederum verspürten "unendlichen Spieldruck", so Füchtenschnieder. Einige davon seien bereits zu Online-Casinos gewechselt. Dabei sind diese Angebote in Deutschland - mit Ausnahme von Schleswig-Holstein - illegal. Dennoch werben viele Online-Casinos mit deutschsprachigen Homepages gezielt um Spieler - aktuell teilweise mit direktem Bezug auf die Corona-Krise.

Einer der Anbieter bewirbt auf seinen Social-Media-Kanälen den neuen Slogan: "Stay Safe - Bet at Home", ein anderer hat eine Werbe-E-Mail verschickt, in der er schreibt: "Wir bei Evobet wissen, dass diese Situation für Sie einsam ist. Aber Du bist nicht allein! Wir stecken da zusammen drin!" Das Team sorge trotz Corona für ein "ununterbrochenes Spielerlebnis".

Viele Werben mit der Krise

Konkrete Fragen des Norddeutschen Rundfunks zu diesem Sachverhalt lassen beide Firmen unbeantwortet. Die Firma Bet at Home verweist auf den Deutschen Sportwettenverband, der auf Anfrage mitteilt, dass der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb seiner Mitglieder aktuell drastisch eingeschränkt sei.

Das Phänomen, dass Glücksspiel-Firmen die aktuelle Situation nutzen, ist nicht auf Deutschland beschränkt. Réne Jansen, Vorsitzender der niederländischen Glücksspielaufsicht, sagte dem NDR: "Was wir sehen, ist, dass Online-Anbieter unsere Bürger gezielt ansprechen, mit Slogans wie 'Corona-freies Glücksspiel'." Dieses Vorgehen sei "absolut verwerflich".

Jansens Behörde hat deshalb bereits öffentlich angekündigt, hohe Geldstrafen gegen die Verantwortlichen zu verhängen, sollten sie denn gefasst werden. Schließlich werden fast alle illegalen Casinos vom Ausland aus betrieben.

Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein warnt

In Deutschland sind die Behörden bislang noch nicht öffentlich aktiv geworden. Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein hat allerdings jetzt zahlreiche Radiosender aufgefordert, keine Werbung für unerlaubtes Glücksspiel auszustrahlen.

In ihrem Schreiben wies die Behörde noch einmal darauf hin, dass "Werbung für unerlaubtes Glücksspiel (...) unzulässig (und) außerdem strafbar" sei. Hintergrund ist der Versuch eines illegalen Lotto-Anbieters, mit einer groß angelegten Radio-Werbekampagne auf sein Angebot aufmerksam zu machen.

Drogenbeauftrage fordert offene Suchthilfeeinrichtungen

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), beobachtet die Entwicklung aufmerksam. Sie ist auch für den Bereich Spielsucht zuständig. Dem NDR teilt sie auf Anfrage schriftlich mit: "Bisher nie dagewesene Einschnitte im Alltag, in ihrem Berufs- und Sozialleben machen viele Bürgerinnen und Bürger einsamer als sonst. Innerer Rückzug und Abtauchen ins Internet können die Folge sein."

Online-Glücksspiel sei dabei eine von vielen Suchtformen, die jetzt unbedingt im Blick gehalten werden müsse: "Ich fordere die Anbieter auf, keine Kasse zu Lasten der Spielsüchtigen zu machen!" Gerade in dieser Situation sei es wichtig, dass Suchthilfeeinrichtungen ihre Türen weiter offen hielten, so Ludwig.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Nachrichten | 28.03.2020 | 06:50 Uhr

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