Neugegründete DAVA: "Wir sind kein verlängerter Arm Erdoğans"
Die Gründung der politischen Vereinigung DAVA sorgt für Wirbel. Bei der Europawahl im Sommer will sie erstmals antreten. Ist sie ein verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Erdoğans in Deutschland? Nein, sagt Gründungsmitglied Mustafa Yoldas aus Hamburg. Er schildert dem NDR, was die DAVA vorhat.
Wenn Mustafa Yoldas in Hamburg-Altona durch die Fußgängerzone in der Großen Bergstraße spaziert, hält er oft und gerne für einen kleinen Plausch an. Mit dem türkischen Gemüsehändler, den er seit 20 Jahren kennt. Oder mit dem Friseur, zu dem er seit Langem geht. Häufig wird er auf der Straße auch von Patienten angesprochen. Denn Yoldas ist Arzt und hat gleich um die Ecke seine Praxisräume. "Jeder Dritte grüßt mich hier, umarmt mich oder lädt mich zum Tee ein", erzählt der 53-Jährige. "Dann fühle ich mich heimisch hier, Deutschland ist meine Wahlheimat."
"Wir sind vom Hype in den Medien überrascht"
Yoldas kam als zehnjähriger Junge nach Deutschland, seine Eltern arbeiteten da schon länger als "Gastarbeiter" in Bremen. Dort machte Yoldas schließlich sein Abitur, 1990 zog es ihn nach Hamburg. Er bezeichnet sich gerne als anatolischen Hanseaten. Er hat einen deutschen Pass, keinen türkischen. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Vater von drei Kindern ehrenamtlich in der Stadt.
Seit Neuestem hat Yoldas noch eine weitere Aufgabe: Er ist für die kommende Europawahl Kandidat der Demokratischen Allianz für Vielfalt und Aufbruch, kurz: DAVA. Mitte Januar trat die Gruppe erstmals an die Öffentlichkeit. Es folgten viele Medienberichte, auch Politiker meldeten sich zu Wort. Oft ging es um die Frage, ob die DAVA ein verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sei. "Wir waren überrascht von dem Hype in den Medien. Selbst wenn wir mehrere Millionen Euro für Marketing und Werbung ausgegeben hätten, so viel Resonanz hätten wir nicht erreichen können", sagt Yoldas im Gespräch mit dem NDR - und lächelt.
"Ich kann besser Deutsch als Edmund Stoiber"
Und was sagt er zu dem Vorwurf, die DAVA stehe der türkischen Regierungspartei AKP sehr nahe? "Wir sind kein verlängerter Arm und auch nicht die Marionette der türkischen Regierung", betont Yoldas. "Wir sind Menschen, die in Deutschland sozialisiert sind. Ich sage von mir, dass ich ein besseres Deutsch spreche als Edmund Stoiber und dass ich länger sozialisiert bin in Westdeutschland als Angela Merkel."
Die DAVA verneint eine Einflussnahme aus der Türkei. Aber eine gewisse Nähe zur AKP ist nicht zu leugnen. So sieht es auch die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim vom GIGA-Institut in Hamburg. "Wenn man sich die Führungskader und das Programm anguckt, ist die DAVA personell und inhaltlich sehr nah an der AKP", betont Jasim im Gespräch mit dem NDR. Mit Blick auf die konservativen Standpunkte der DAVA - wie den Einsatz für traditionelle Familienwerte und den Kampf gegen die "Gender-Ideologie" - macht Jasim zugleich eine inhaltliche Nähe zur AfD aus.
"Erdoğan hat viel für die moderne Türkei geleistet"
Aus seinen Sympathien für den türkischen Präsidenten macht Yoldas keinen Hehl. "Wenn man von uns einfordert, dass wir uns gegen die Türkei oder gegen den Islam oder gegen Erdoğan wenden, werden wir das nicht tun." Aber der türkischstämmige Arzt sagt auch: "Ich habe viel auszusetzen an Erdoğans Politik - in Bezug auf die Menschen hier in Europa oder diese unsägliche Auseinandersetzung mit Jan Böhmermann, die völlig überflüssig war. Aber ich habe auch durchaus anerkennende Worte für das, was Erdoğan für die moderne Türkei geleistet hat."
DAVA will nicht nur ein Sprachrohr für Türkeistämmige sein
Die DAVA hofft auf Wähler aus den Moschee-Gemeinden und aus dem konservativen Milieu der Migranten. Sie richtet sich in erster Linie an die türkische Gemeinschaft in Deutschland, will aber auch Sprachrohr für andere Minderheiten sein. "Wir berufen uns nicht nur auf die türkische Community, sondern auf viele, die ein ähnliches Empfinden haben wie wir: arabische, bosnische, albanische, afghanische Menschen, die aufgrund ihres Muslim-Daseins häufig Diskriminierungs-Erfahrungen haben." Gegen die empfundene Islamfeindlichkeit im Land vorzugehen, ist ein zentrales Anliegen der DAVA.
Bei der PKK hört die Offenheit auf
Aber auch für Nicht-Muslime stehe die DAVA offen, sagt Yoldas. "Alle, die demokratisch gesinnt sind und die für Vielfalt einstehen, sind hier willkommen. Natürlich sind auch demokratisch gesinnte Aleviten, afrikanische People of Colour, Jesiden oder Deutsche mit blonden Haaren und blauen Augen willkommen in dieser Partei." Aber eine Ausnahme macht Yoldas dann doch: "Womit wir nicht zurechtkommen, sind Leute, die sich nicht vom Terror der PKK distanzieren. Die haben in dieser Partei nichts verloren." Die DAVA sei eine Partei der Mitte. "Wir haben mit Extremismus nichts am Hut", sagt Yoldas.
Kein Unbekannter bei den Sicherheitsbehörden
Sein Wirken in der Vergangenheit lässt zumindest Zweifel aufkommen, wie es Yoldas tatsächlich mit dem Extremismus hält. Er ist den Sicherheitsbehörden durch sein Engagement für die vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestufte Bewegung Millî Görüş und ideologisch verwandte Gruppen bekannt. Außerdem stand der Arzt dem Verein Internationale Humanitäre Hilfsorganisation vor, der im Jahr 2010 vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Der Vorwurf: finanzielle Unterstützung von der Hamas nahestehenden Organisationen. Yoldas sagt, der Verein habe lediglich Geld für Waisenkinder im Gazastreifen gesammelt. Er bestreitet gegenüber dem NDR, jemals Kontakt zur Hamas gehabt zu haben.
Auch die Bundestagswahl im Blick
Bei der Europawahl am 9. Juni hoffen Yoldas und seine Mitstreiter auf einen Achtungserfolg. Was ihnen vorschwebt: drei Sitze im EU-Parlament oder drei bis vier Prozent der Stimmen in Deutschland. Politik-Experten trauen der DAVA ein bis zwei Sitze zu, da es keine Fünf-Prozent-Sperrklausel gibt. Bei der Europawahl im Jahr 2019 reichten bundesweit rund 190.000 Stimmen für einen Sitz. "Wir werden mit der Europawahl einen ersten Gradmesser haben", sagt Yoldas. "Wenn wir da erfolgreich abschneiden, dann werden wir uns bei Bundestagswahlen, Landtagswahlen und Kommunalwahlen engagieren." Noch ist die DAVA nur eine politische Vereinigung, die Parteigründung steht noch aus.
Familien-Strukturen spielen eine große Rolle
Vor allem in den Großstädten wie Hamburg, Berlin, München oder Köln hofft die DAVA auf Zuspruch. "Unsere Netzwerke funktionieren anders als die der etablierten Parteien. Wir haben in der Migranten-Community ganz andere Werte, da spielen Familien-Strukturen eine wichtige Rolle. Ich habe gerade einen 76 Jahre alten Patienten gehabt, der meinte: 'Ich habe 16 Familien-Angehörige mit deutscher Staatsbürgerschaft. Und denen habe ich gesagt: Ich werde euch im Jenseits nicht vergeben, wenn ihr jemanden anderen wählt als Herrn Yoldas'."
Doppelte Staatsbürgerschaft sei kein Gamechanger
Von der Neuregelung zur doppelten Staatsbürgerschaft erhofft sich die DAVA hingegen keinen großen Effekt. "Wir wünschen uns natürlich, dass dadurch Stimmenzuwachs in unsere Richtung kommt. Aber es ist kein Automatismus, dass diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, automatisch die DAVA wählen. Das ist Unsinn. Die türkische Community, die muslimische Community, ist heterogen. Der prozentuale Anteil dürfte sich auf die etablierten Parteien verteilen wie bisher auch."
Aktuell leben in der Bundesrepublik rund 1,5 Millionen Türken ohne deutschen Pass. Die Türkische Gemeinde in Deutschland rechnet damit, dass auf lange Sicht alle eine deutsche Staatsbürgerschaft beantragen werden. Für das Jahr 2024 wird die Zahl der Anträge auf 50.000 geschätzt.
Eine Tochter ist SPD-Mitglied
Mustafa Yoldas steht eine spannende Zeit bevor. Partei-Arbeit ist für ihn neu. Er sei in den 1990er-Jahren nur mal kurz Mitglied bei der Statt Partei in Hamburg gewesen. Für eine Mitgliedschaft bei einer der großen Parteien wie SPD, CDU oder Grüne habe er sich nicht entschließen können. Da ist seine 18 Jahre alte Tochter schon weiter. "Sie ist Mitglied in der SPD und will eines Tages Bildungssenatorin in Hamburg werden", erzählt Yoldas. Er selbst hat auch große Träume: "In zwanzig Jahren werde ich Bürgermeister von Hamburg sein."