"Die DAVA ist personell und inhaltlich sehr nah an der AKP"
Mitte Januar hat die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (kurz: DAVA) bekannt gegeben, an der Europawahl am 9. Juni 2024 teilnehmen zu wollen. Kritiker sehen in der DAVA einen Ableger der türkischen Regierungspartei AKP.
Die politische Vereinigung will nach eigenen Angaben auch bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr antreten. Wofür steht die Neugründung? Welche Erfolgschancen hat die DAVA? Darüber hat der NDR mit der Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim vom GIGA-Institut in Hamburg gesprochen, dem Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien.
Frau Jasim, wie nah steht die DAVA dem türkischen Präsidenten Erdoğan?
Dastan Jasim: So wie es jetzt gerade aussieht, insbesondere was die Führungskader angeht, sind das alles Menschen mit einem engen Bezug zu Erdoğan. Später wird es interessant sein, sich die Partei-Finanzierung anzuschauen. Aber schon jetzt ist klar: Inhaltlich ist die DAVA sehr nah an dem, für das auch die AKP steht. Es ist sehr viel die Rede davon, dass man Muslime verteidigt, dass man sich in einem Kulturkampf mit dem Westen befindet, in dem man sich für alle Muslime einsetzen möchte. Man versucht, von der Situation zu profitieren, die wir in Europa gerade haben, nämlich von einem erheblichen Rechtsruck.
Würden Sie sagen, dass die DAVA ein verlängerter Arm Erdoğans nach Europa ist?
Jasim: Das kommt darauf an, wie man "verlängerter Arm" definiert. Aber wenn man sich die Führungskader und auch das Programm anguckt, ist die DAVA personell und inhaltlich sehr, sehr nah an der AKP.
Welche Erfolgschancen sehen Sie für die DAVA in Deutschland?
Jasim: Man darf jetzt nicht allein darüber diskutieren, wie viel Prozent die DAVA bei der Europawahl im Sommer bekommen kann. Das Ganze geht auch über die türkische Community hinaus. Es ist nämlich so, dass seit Jahren eine Kampagne gefahren wird, in der der existierende Rassismus in Deutschland zu einem religiösen Kulturkampf erklärt wird. Und in diese Kerbe schlägt genau die DAVA. Es ist eine gefährliche Entwicklung. Und wenn wir in das Programm der DAVA schauen, geht es da um den Kampf für die traditionelle Familie, um den Kampf gegen die Gender-Ideologie. Wir sehen da eine AfD auf eine migrantische Art und Weise.
Warum sehen Sie in der DAVA eine Art AfD für Migranten und Migrantinnen?
Jasim: Aus Sicht der AfD sind Migranten ja ein Problem, weil sie als Fremde gesehen werden, selbst wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Da spielt der völkische Blut-und-Boden-Begriff eine Rolle. Aber wenn es darum geht, konservative Werte zu vertreten und beispielsweise ein Problem zu haben mit feministischen und progressiven, queeren Inhalten, dann ist die AfD kein Einzelfall. Diese Art von rechter Ideologie, rechtem Konservatismus und Rechtspopulismus gibt es genauso im Mittleren Osten und in vielen anderen Kulturen.
Wird die DAVA viele Wähler und Wählerinnen anziehen?
Jasim: Ich glaube schon, dass das Programm Menschen anziehen kann. Gerade in dieser besonderen weltpolitischen Situation mit dem Krieg im Gazastreifen. Auffällig ist, dass die DAVA in ihrem Programm zwar kaum konkrete außenpolitische Ziele nennt. Aber der Konflikt Israel-Palästina wird explizit erwähnt. Damit versucht man ganz klar, über die türkische Community hinaus in der muslimischen Community Leute zu sammeln. Ich glaube, für die kommenden Wahlen ist da noch nicht so viel Potenzial drin. Aber ich denke, für die Zukunft sollte man die DAVA nicht unterschätzen.
Gilt die Mehrheit der türkeistämmigen Wähler als konservativ?
Jasim: Die Parteien müssen verstehen: So wie es bei Deutschen politisch ein Links und Rechts gibt, so gibt es das auch bei Menschen mit einem Migrationshintergrund. Und je länger Menschen in einem anderen Land leben, desto mehr kommt es darauf an, was man wirklich für eine inhaltliche politische Ausrichtung hat und nicht ob man eine Migrationsgeschichte hat. Es gibt viele Menschen, die konservativ eingestellt sind und sich in einem globalen islamischen Kontext sehen. Und es könnte sein, dass sie bei einer Wahl lieber für die DAVA stimmen als zum Beispiel für die CDU.
Die DAVA will sich für den Schutz des Islam starkmachen. Was hat es damit auf sich?
Jasim: Wir sehen ja schon seit Jahren, dass AKP-nahe Institutionen mit dem Begriff der Islamophobie versuchen, Politik zu machen. Wenn man sich auch die Publikationen zu diesem Thema anguckt, ist das sehr häufig geleitet von Menschen aus diesem politisch-wissenschaftlichen Netzwerk. Es steht ja auch sehr deutlich im Programm der DAVA, dass man das Image des Islam verbessern wolle. Das ist aber nicht die Aufgabe einer Partei! Da muss man sich in Deutschland auch generell die Frage stellen, ob das wirklich etwas ist, was im Sinne einer Trennung von Staat und Religion überhaupt so tragbar und haltbar ist.
Gründungsmitglied Mustafa Yoldas aus Hamburg sagt: Die DAVA will Menschen ansprechen, die bislang von der Politik ignoriert worden sind. Was denken Sie darüber?
Jasim: Ich denke, das ist politische Lobbyarbeit im Mantel des Kampfes für Marginalisierte. Türkeistämmige Menschen - gerade diejenigen, die schon seit einigen Generationen hier in Deutschland leben - sind ziemlich gut aufgehoben. Für kaum eine migrantische Gruppe macht die deutsche politische Elite so viel Lobbyarbeit wie für sie. Wenn wir uns die Moschee-Gemeinden, den Religions- und Sprachunterricht anschauen, ist die türkische Community ganz vorne mit dabei. Also reden wir da wirklich von den Abgehängten? Da gibt es Gruppen, die wesentlich mehr ausgegrenzt sind.
Bietet die Gründung der DAVA ein Einfallstor für politische Einflussnahme aus der Türkei?
Jasim: Es gibt diesen politischen Einfluss aus der Türkei schon jetzt sehr deutlich. Das bekommen all die migrantischen Gruppen mit, die im Fadenkreuz von Erdoğan sind und in Deutschland leben. Das sind Oppositionelle oder auch Menschen, die zu ethnischen Minderheiten wie Kurden und Armeniern gehören. Wichtig ist auch: Bei der Frage nach politischem Einfluss sollten wir nicht nur an die europäische Ebene oder Bundesebene denken. Das kann in Stadträten, in Kommunen genauso passieren. Dort wird ja auch viel über Bildungspolitik und auch religionsbezogene Politik entschieden.
DAVA-Gründungsmitglied Mustafa Yoldas hat im NDR Interview gesagt, er werde in zwanzig Jahren Erster Bürgermeister von Hamburg sein. Wie realistisch ist das?
Jasim: Es könnte eines Tages sein, dass eine Gruppe wie die DAVA in der Hamburgischen Bürgerschaft vertreten ist. Aber dass sie den Hamburger Bürgermeister stellt, das sehe ich nicht. Vor allem weil Hamburg eine Stadt ist, die ein sehr etabliertes Parteien-System hat. Aber in Nordrhein-Westfalen beispielsweise können in mittelgroßen Städten solche Sachen durchaus passieren, wo wir einfach eine ganz andere Mehrheiten-Struktur von Leuten mit Migrationshintergrund und gerade mit türkischem Hintergrund oder türkeibezogenem Hintergrund haben.
Das Gespräch führte Christian Becker.