Kükentöten: Was hat das Verbot gebracht?
Weil sie keine Eier legen, wurden männliche Küken bei der Legehennenproduktion jahrelang aussortiert und getötet - rund 45 Millionen pro Jahr. Seit gut zwei Jahren ist das verboten. Aber: Im Ausland gilt die Regelung nicht. Geflügelzüchter beklagen Wettbewerbsnachteile, auch Bioverbände kritisieren das Gesetz.
Bis zu 7.000 Eier rollen pro Stunde über ein Fließband in der Brüterei Lohmann in Dorum im Landkreis Cuxhaven an der niedersächsischen Nordseeküste. Eine Maschine scannt jedes einzelne Ei - um zu prüfen, ob sich darin ein weibliches oder ein männliches Küken entwickelt. Das passiert mit MRT-Technik, "wie im Krankenhaus", erklärt Geschäftsführer Tobias Ferling.
Lange Zeit wurden männliche Eintagsküken direkt nach dem Schlüpfen getötet - sie galten als nicht wirtschaftlich, weil sie keine Eier legen. Sie setzen auch nicht so viel Fleisch an wie ein extra dafür gezüchtetes Masthähnchen. 2022 trat ein Verbot des Tötens männlicher Eintagsküken in Kraft. Brütereien mussten sich umstellen. Mit der Geschlechtsbestimmung im Ei werden die männlichen Tiere schon vor dem Schlüpfen aussortiert, als Embryonen.
Ferlings Kunden sind Junghennen-Produzenten, die Legehennen aufziehen. Sie bestellen oft 40.000 bis 50.000 weibliche Küken auf einmal, um ihren Aufzuchtstall neu zu bestücken. In der Brüterei schlüpfen sie nach dem 21. Bruttag als Hennenküken, alle anderen Eier werden zuvor zu Haustier- und Fischfutter verarbeitet.
Bruderhahn-Aufzucht: Fleisch schwer vermarktbar
Neben der Geschlechtsbestimmung im Ei gibt es noch eine weitere Methode, um das Kükentötungsverbot einzuhalten: die Bruderhahn-Aufzucht. Männliche Küken werden nach dem Schlüpfen großgezogen und später zu Fleisch verarbeitet. Auch Lohmann bietet die Bruderhahn-Aufzucht an. Geschäftsführer Ferling hält das aber weder für wirtschaftlich sinnvoll noch für nachhaltig. Die Bruderhahn-Mast ist teuer und dauert deutlich länger als bei den klassischen Masthähnchen - bis zu 13 Wochen.
Heizen, Lüften, Futter für die Tiere - das kostet. Am Ende rechne sich das für die Brütereien nicht: Man habe einen "Schlachtkörper, den keiner haben will", so Ferling - wenig Fleisch und schlechte Struktur. Viele der Tiere werden nach Angaben des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft zur Aufzucht vor allem nach Osteuropa exportiert, das Fleisch der Tiere dann in Drittstaaten vermarktet, zum Beispiel auf Märkten in Afrika.
Verband: Verbot war ein Fehler
Mit den Verfahren der Geschlechtsbestimmung im Ei und der Bruderhahnaufzucht entstehen Mehrkosten von rund 1,5 bis 3,5 Cent pro Ei, wie der Verband dem NDR mitteilt. Die Mehrheit der Legehennenbetriebe in Deutschland habe inzwischen geschlossen, nur noch 8 von 22 Verbandsbetrieben hätten überlebt. Das liegt nicht nur an den höheren Kosten, sondern auch an einem geschrumpften Markt für deutsche Betriebe. Der Verband kritisiert einen deutschen Alleingang: "Eine vergleichbar strenge Regelung gilt in keinem anderen EU-Land." Dort könnten Eier und Legehennen deshalb nach wie vor billiger produziert werden. Und: Legehennen, deren Brüder getötet wurden, dürften zudem weiterhin legal nach Deutschland importiert werden. Die Einführung des Verbots des Kükentötens sei ein Fehler, der im Brütereibereich Existenzen gekostet habe.
Vorschlag der EU-Kommission liegt noch nicht vor
Brüterei-Geschäftsführer Ferling fordert ein EU-weit einheitliches Vorgehen. Eine entsprechende Initiative gab es bereits, sie wurde bislang aber nicht umgesetzt. Laut Ferling wurde das Thema wegen des Krieges in der Ukraine und der gestiegenen Inflation nicht weiter verfolgt. Denn Eier sollten weiterhin günstig bleiben. Ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums teilte auf NDR Anfrage mit, Deutschland und Frankreich hätten ein EU-weites Verbot initiiert und die EU-Kommission habe einen Vorschlag angekündigt. Der liegt aber noch nicht vor. Das Ministerium will sich nach eigenen Angaben weiterhin für eine europäische Lösung starkmachen.
"Ohne Kükentöten": Ein irreführender Slogan?
Auch die Ökologische Tierzucht (ÖTZ), eine Gesellschaft, getragen unter anderem von Bioverbänden, fordert eine europäische Lösung. Das Verbot des Kükentötens habe "große Unruhe" gebracht, teilte die ÖTZ dem NDR mit. Für Kritik sorgt hier vor allem die Methode der Geschlechtsbestimmung im Ei. Damit werde das Ganze für Verbraucherinnen und Verbraucher sehr intransparent, heißt es. Zwar würden die männlichen Küken nicht mehr direkt nach dem Schlüpfen aussortiert, dafür vorher schon als Embryo im Ei. Auf vielen Eierverpackungen im Supermarkt stehe aber die Aufschrift "ohne Kükentöten". Dieser Slogan führe in die Irre.
Die ÖTZ plädiert dafür, die "ganze Wertschöpfungskette" mitzudenken: Konkret müssten die Hähne in Deutschland aufgezogen, geschlachtet und vermarktet werden. Einige Bioverbände in Deutschland haben sich darauf verständigt, die Geschlechtsbestimmung im Ei zu verbieten und die Bruderhähne aufzuziehen, bis auch sie am Ende geschlachtet und zu Fleisch verarbeitet werden. Um die Aufzucht zu finanzieren, kosten die Eier der Legehennen ein paar Cent mehr im Supermarkt.
Alternative Zweinutzungshuhn: Legt Eier, setzt Fleisch an
Neben der Geschlechtsbestimmung der Eier und der Bruderhahn-Aufzucht gilt das sogenannte Zweinutzungshuhn als Alternative. Dabei kommen Hühnerrassen zum Einsatz, die für beides geeignet sind: Eier legen und Fleisch ansetzen. Die Nachfrage ist nach ÖTZ-Angaben stabil, aber auf geringem Niveau. Vor allem Direktvermarkter und kleinere Betriebe würden die Tiere aufziehen, die dann zwar weniger Eier produzieren als reine Legehennen und weniger Fleisch ansetzen als reine Masthähnchen. Dafür sind sie robuster und nicht auf Hochleistung gezüchtet.
Mehrkosten von 10 bis 20 Cent pro Ei
Dafür müssen Verbraucherinnen und Verbraucher tiefer in die Tasche greifen: Das Ei von einem Zweinutzungshuhn kostet 10 bis 20 Cent mehr als von einer Bio-Legehenne. Das wirft einmal mehr die Frage nach bezahlbaren Lebensmitteln auf. Zugleich spricht sich eine Mehrheit der Verbraucher in Umfragen für ein Verbot des Kükentötens aus. Für eine Lösung für mehr Tierschutz sind aber nicht nur Verbraucher, sondern auch der Handel, die Geflügelwirtschaft, aber auch die Politik mit entsprechenden Gesetzen gefragt.