Krankenhausreform: Nordländer wünschen sich mehr Zusammenarbeit
Das Bundeskabinett hat den Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach zur Krankenhausreform am Mittwoch zugestimmt. Mit ihnen soll die Milliarden-Finanzierung neu ausgerichtet werden. Daran gibt es auch Kritik aus dem Norden.
Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz: Es ist ein langes Wort, das am Ende eines langen Prozesses steht und das ein Gesetzesvorhaben bezeichnet, das die Kliniken in Deutschland neu ausrichten soll. Weniger wirtschaftlicher Druck, mehr Spezialisierung und einheitliche Qualitätsregeln sind die Ziele der sogenannten Krankenhausreform. Die erste Hürde hat das Gesetz heute genommen: Das Bundeskabinett stimmte zu.
Abkehr von Fallpauschalen und mehr Spezialisierung
Das Gesetz sieht zum einen eine Abkehr vom System der Fallpauschalen vor. Künftig soll es einen festen Sockel von 60 Prozent der Vergütung allein dafür geben, dass Kliniken eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen vorhalten - unabhängig von der Zahl der Fälle.
Zum anderen soll eine stärkere medizinische Spezialisierung der einzelnen Kliniken dazu beitragen, die Qualität zu erhöhen. Das heißt: Nicht mehr alle Krankenhäuser sollen alles anbieten, sondern die für eine Leistung notwendigen Mindeststrukturen an medizinischer Erfahrung, Personal und Technik sollen vorgewiesen werden müssen. Nur dann erhält eine Klinik auch eine entsprechende Leistungsgruppe zugewiesen und darf die Leistung abrechnen. Das dürfte die Zahl der Krankenhäuser verringern und für mehr große Kliniken sorgen. Kleinere Krankenhäuser auf dem Land wären dann nur noch für die Grundversorgung zuständig. Dafür sollen sie eine so genannte Vorhaltepauschale bekommen.
Lauterbach: Eine Revolution im Krankenhauswesen
Lauterbach nannte das Vorhaben am Mittwoch eine "Revolution im Krankenhauswesen". Mit der Krankenhausreform ziehe die Bundesregierung die Notbremse. "Ohne die Strukturen der stationären Versorgung zu ändern, drohen Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege." Das bisherige Fallpauschalen-Modell habe Fehlanreize gesetzt, sagte Lauterbach. Viele Krankenhäuser hätten bislang Eingriffe vollzogen, die medizinisch nicht notwendig gewesen seien - die allerdings für die Kliniken finanziell notwendig gewesen seien, "weil sie sonst ihr Budget nicht zusammenbekommen". Dies betreffe oftmals Knie-, Hüft- und Wirbelsäulenoperationen. Mit der Umsetzung der geplanten Reform "bestimmt der medizinische Bedarf die Behandlung, nicht die Ökonomie", sagte er.
Dahmen: Gesetz "notwendig, wirksam und überfällig"
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, bezeichnete das Maßnahmenpaket der geplanten Krankenhausreform am Mittwoch auf NDR Info als "notwendig, wirksam und überfällig".
Dies gelte insbesondere angesichts der existenziellen wirtschaftlichen Not, in der sich aktuell viele Kliniken befänden. "Es muss sichergestellt werden, dass sich die Menschen auch zukünftig darauf verlassen könnten, das richtige Krankenhaus zur richtigen Zeit am richtigen Ort überall in Deutschland zu haben", sagte Dahmen. Gleichwohl sieht der Politiker noch Verbesserungsmöglichkeiten an dem Gesetz. So müsse in der Ausgestaltung des Gesetzes darauf geachtet werden, "Kooperationen und Konzentrationen von Krankenhäusern, dort wo sie regional gewünscht und sinnvoll sind, noch leichter zu machen."
Von der Decken: Abkehr von der Zusammenarbeit
Gegen das Vorhaben gibt es jedoch auch anhaltende Kritik und Verbesserungswünsche aus den Ländern und der Klinikbranche. Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Ressortchefin Kerstin von der Decken (CDU), warf Lauterbach vor, sich über berechtigte Forderungen der Bundesländer hinweggesetzt zu haben. Die Nicht-Berücksichtigung der Länderforderungen "birgt die Gefahr einer erheblichen Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens, die der Bund zu verantworten hat", sagte von der Decken. Der Ministerin zufolge sei eine von allen 16 Bundesländern unterstützte Stellungnahme mit Forderungen zu dem Gesetzentwurf an den Bund übergeben worden, doch keine sei in Lauterbachs Gesetz aufgenommen worden. Dies sei ein "in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Vorgang", so von der Decken. Sie warf Lauterbach eine "einseitige Abkehr von der so wichtigen Zusammenarbeit in der Sache" vor.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP in Schleswig-Holstein Heiner Garg kritisierte Lauterbach ebenfalls für die seiner Ansicht nach nicht ausreichende Zusammenarbeit. "Er hätte die Länder von Anfang an mit ins Boot nehmen müssen", teilte Garg mit.
Philippi: Kleinere Kliniken wichtig für Grundversorgung
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) erklärte, dass eine Krankenhausreform flexibel sein und große Ballungszentren genauso wie Flächenländer mit einbeziehen müsse. "Daher haben wir noch den einen oder anderen Vorschlag für die Weiterentwicklung“, sagte Philippi auf NDR Info. Zudem forderte er eine stärkere Einbeziehung der Länder.
In der rund zweijährigen Planungsphase der Reform hatte Lauterbach zunächst darauf gesetzt, dass Bund und Länder gemeinsam das Gesetz ausarbeiten. Wegen anhaltender Differenzen legte er dem Bundeskabinett nun aber einen Gesetzentwurf vor, der seinen Worten zufolge so gestaltet ist, dass er nicht auf Zustimmung der Länder im Bundesrat angewiesen ist. Allerdings könnten die Länder die Umsetzung des Gesetzes durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzögern. Zudem erwägen mehrere Länder Verfassungsklage gegen das Gesetz.
Drese: Nachbesserung der Reform nötig
In Mecklenburg-Vorpommern erklärte Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD), dass sie sich eine Nachbesserung der Reform wünsche, damit vor allem die kleinen Krankenhäuser weiterhin die Aufgabe der Daseinsvorsorge erfüllen könnten. Länder wie Mecklenburg-Vorpommern sorgen sich um die Kliniken in der Fläche. Schon jetzt können Krankenhäuser in MV nicht wirtschaftlich arbeiten und werden deshalb mit extra Zuschüssen unterstützt. In der Region betrifft das immerhin zwei Dutzend Krankenhäuser.
Patientenschützer Brysch: System nicht auf dem Reißbrett verändern
Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, befürchtet eine Unterversorgung auf dem Land, wenn nicht mehr jede Klinik alle Leistungen anbieten darf. Der Ansatz, schwerwiegende Behandlungen in speziellen Zentren zu bündeln, sei richtig. Es brauche jedoch auch weiter eine gute Versorgung auf dem Land. "Wir müssen alles im Blick behalten. Es ist ja ein System, das gewachsen ist und das kann ich nicht auf dem Reißbrett verändern, sondern das muss ich mit einer politischen Strategie tun", sagte der Patientenvertreter am Mittwoch.
Marburger Bund spricht von "Etikettenschwindel"
Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte, bei näherer Betrachtung entpuppe sich die Reform als Etikettenschwindel: "Das ist nicht die Entlastung von ökonomischem Druck, die wir in den Krankenhäusern brauchen." Eine Reform, die bewusst darauf angelegt sei, die Zahl der Kliniken zu reduzieren, habe komplexe Folgen für die Patientenversorgung. Daher sei es "völlig inakzeptabel, dass ein solcher Großversuch ohne flächendeckendes Versorgungskonzept, ohne vorherige Bedarfsanalyse und ohne Folgenabschätzung auf den Weg gebracht werden soll".