Kliniken in Not: Die Krankenhaus-Reform stockt
Zwischen 2019 und 2023 haben Kommunen im Norden rund 1,3 Milliarden Euro ausgegeben, um ihren Krankenhäusern das Überleben zu sichern. Und doch kämpfen viele Kliniken um die Existenz. Was geht da schief?
Nirgendwo in Europa gibt es so viele Krankenhäuser wie in Deutschland. Dabei ist schon seit vielen Jahren klar, dass die Krankenhäuser hierzulande in einer Krise stecken. Ihnen fehlen Millionen Euro. Und das, obwohl - abgesehen von Österreich - kein Land in Europa pro Kopf mehr Geld für Krankenhäuser ausgibt als Deutschland. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat daher bereits im Sommer 2023 eine große Reform angekündigt. Doch bei der Umsetzung hakt es, denn Lauterbach und die Bundesländer, die für die Krankenhaus-Planung zuständig sind, können sich bislang nicht in allen Punkten einigen.
Währenddessen geht es den Krankenhäusern schlecht: "Wenn man den Zahlen Glauben schenken kann, die veröffentlicht werden, dann sagen 80 Prozent bis 95 Prozent der Krankenhäuser, dass sie derzeit ihre Betriebskosten nicht mehr decken können", erzählt Michael Moormann, Geschäftsführer des Städtischen Klinikums Lüneburg. An vielen Stellen reduzierten Krankenhäuser daher ihre Leistungen. Andere Krankenhäuser werden gleich ganz geschlossen, so wie beispielsweise das Krankenhaus in Holzminden vor einigen Monaten.
Ursache ist das System der Fallpauschalen
Ein Grund dafür ist, dass Patienten in Kliniken über sogenannte Fallpauschalen abgerechnet werden. Um möglichst profitabel zu wirtschaften, müssen Krankenhäuser daher möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit behandeln. Selbst Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) spricht von einem "Hamsterrad". Dieses funktioniere nur so lange, wie immer mehr Patienten behandelt und Fälle abgerechnet werden.
Doch das passiert seit einiger Zeit nicht mehr: Die Fallzahlen sind mit Corona eingebrochen. Und Experten sind sich einig, dass in Zukunft wahrscheinlich noch mehr ambulant behandelt wird, die Fallzahlen also weiter sinken werden. Gleichzeitig steigen die Kosten, während die Einnahmen - staatlich fixiert - weitgehend stagnieren. "Diese Schere geht schon seit Jahren auseinander. Aber in jüngster Zeit, insbesondere durch die Inflation, ist dieser Effekt dramatisch verstärkt worden", sagt Klinikchef Moormann, der gleichzeitig auch Ausschussvorsitzender des kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen ist.
Mehr als eine Milliarde Euro für Kliniken im Norden
Eine Recherche des NDR Magazins Panorama 3 hat nun ergeben, dass die Kommunen im Norden zwischen 2019 und 2023 rund 1,3 Milliarden Euro ausgegeben haben, um den kommunalen Krankenhäusern das Überleben zu sichern. Dabei handelt es sich um jährliche Defizitausgleiche und Liquiditätshilfen. Diese Summe dürfte in diesem und im nächsten Jahr noch deutlich steigen - und die Gelder, die die Länder ihren Uni-Kliniken zuschießen, sind noch nicht enthalten.
Vor allem die Zuschüsse für die kommunalen Krankenhäuser rufen bei den privaten, kirchlichen und freigemeinnützigen Trägern Kritik hervor, da sie davon nicht profitieren. Letztere stehen offenbar momentan finanziell besonders stark unter Druck.
Alle Seiten fordern vor diesem Hintergrund, den Krankenhaus-Sektor zu reformieren. Doch im Detail wird es kompliziert. Die aktuelle Reform verfolgt mehrere Ziele: So sollen zunächst durch sogenannte Vorhaltevergütungen Krankenhäuser einen Teil ihrer Einnahmen pauschal, also unabhängig von der Patientenzahl, erhalten, wenn sie bestimmte Leistungen, wie etwa eine Notaufnahme, anbieten. Das Geld dafür kommt aber nicht zusätzlich ins System, sondern stammt aus dem Topf der Fallpauschalen, moniert die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Eine "Entökonomisierung" der Krankenhäuser sei so nicht zu erreichen.
Es soll künftig weniger Kliniken geben
Kern der Krankenhaus-Reform aber ist es, die Zahl der Kliniken zu reduzieren und die Aufgaben unter den Häusern neu aufzuteilen. Das heißt, es sollen nicht mehr alle Krankenhäuser alles anbieten können. Stattdessen sollen bestimmte Behandlungen in bestimmten Häusern konzentriert werden - so soll auch die Qualität steigen.
In der Fachsprache wird hier von Leistungsgruppen gesprochen, die auf die Häuser verteilt werden sollen. Doch nicht jede Leistung bringt einem Krankenhaus gleich viel Geld. Daher dürfte deren Vergabe äußerst kompliziert werden. Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) hat für Niedersachsen bereits angekündigt, dass er, falls die Krankenhäuser sich untereinander nicht einigen, die Leistungsgruppen zuweisen wird.
Beispiel Kreis Diepholz: Zusammenlegung als Chance
Parallel zur Reform ist auch vielen Landkreisen klar, dass die Zahl der Krankenhäuser reduziert werden muss. Denn schon heute fehlen vielerorts Personal und Geld. In mehreren Kreisen im Norden werden Neubauten geplant, für die bestehende Krankenhäuser weichen sollen.
Im niedersächsischen Landkreis Diepholz beispielsweise werden in einigen Jahren drei Krankenhäuser auf einmal geschlossen. Dafür soll bis 2028 in Twistringen auf einem Acker ein Neubau entstehen. Proteste von Kommunalpolitikern und aus der Bevölkerung, die durch ähnliche Entscheidungen regelmäßig hervorgerufen werden, hielten sich hier zwar in Grenzen, sagt Landrat Cord Bockhop (CDU). Doch einfach sei es nicht gewesen: "Schwierig war, den Menschen zu zeigen, dass das eigene Krankenhaus vor der eigenen Haustür nicht die Lösung für die Menschen und für die Gesundheitsversorgung ist."
Die Alternative zur Zusammenlegung wäre gewesen, dass in den bestehenden Krankenhäusern nach und nach weitere Abteilungen geschlossen worden wären, sagt der Landrat. Bereits seit 2011 sind in den Klinken des Landkreises keine Geburten mehr möglich - mit dem Neubau soll sich das ändern.
Grafiken: Michael Hörz (NDR Data)