Jutta Allmendinger - Über die Architektur zur Geschlechtergerechtigkeit
Zum Frauentag schauen wir auf besonders erfolgreiche Frauen in verschiedenen Bereichen. In der Wissenschaft sind noch besonders wenige Spitzenpositionen mit Frauen besetzt.
Die Soziologin Jutta Allmendinger hat es bis an die Spitze geschafft - die 68-Jährige leitete bis vergangenen Sommer das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Jetzt ist die viel beachtete Autorin Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen. Ihre Forschung hat sie dem Thema der Geschlechtergerechtigkeit, auch in der Wissenschaft, gewidmet.
Ursprünglich wollte Jutta Allmendinger einen ganz anderen Beruf einschlagen und Architektin werden - dem Vorbild ihres Vaters folgend. Über das Zusammenleben von Menschen in der Stadt kam sie schließlich zu ihrem Fach: Der Soziologie. Während mehrerer Forschungsaufenthalte in den USA, auch an der Eliteuniversität Harvard, lernte sie die damals in Deutschland noch weitgehend unbekannten "Gender Studies" kennen.
Persönliche Erfahrungen werden zum Forschungsobjekt
"Ich kam dann, als ich etwas unerwartet früh Professorin wurde, an der Universität München aus einer ganz, ganz anderen Perspektive auf die Frauenforschung, nämlich aus eigener Betroffenheit. Es gab nichts, was so häufig angesprochen wurde wie mein Geschlecht. Das lag daran, dass ich in meiner Fakultät die einzige Frau war und es auch an der gesamten Universität nur sehr wenige Frauen gab." Ihre persönlichen Erfahrungen gingen aber noch weiter.
"Es wurde dann besonders traumatisch, muss ich sagen, als ich die erste schwangere Professorin in München war und man selbst in meinem siebten Monat noch dachte, ich hätte in den Ferien zu viel gegessen - und Leute über meinen Fettbauch anstelle meines Schwangerschaftsbauchs streichelten. Das waren ungesunde Erfahrungen der Ausgrenzung, die ich machen musste."
Zudem hörte sie Bewertungen wie 'Kinderschänderin' und 'Rabenmutter'. Sie solle doch zu Hause bleiben. Denn Jutta Allmendinger brachte, wie sie es von ihren Kolleginnen und Kollegen in den USA kannte, ihren Säugling auch mit in die Vorlesung. In Deutschland traf sie damit auf Unverständnis.
Ihre eigenen Erfahrungen brachten Jutta Allmendinger dazu, auch in ihrer Forschung nachzufragen: Warum gibt es so wenige Frauen in Spitzenpositionen in der Wissenschaft? Denn nicht nur zu Beginn Allmendingers Karriere, auch heute noch gibt es zwar mehr Frauen, die ein Studium beginnen. Weniger als ein Drittel der Spitzenpositionen, also der Professuren, sind aber mit Frauen besetzt. Der Anteil wird nur langsam mehr.
"Ich dachte immer, in der Wirtschaft geht es langsamer voran als in der Wissenschaft"
"Dennoch kann ich sagen, dass Deutschland eines der wenigen Länder ist, wo wir mittlerweile mehr Frauen in DAX-Unternehmen haben als an Hochschulen. Weil diese 28 Prozent, die wir jetzt auf W3- und W2-Professuren haben, weniger sind als das, was wir über das 'Zweite Führungspositionen-Gesetz' erreicht haben in Führungspositionen in DAX-Unternehmen. Das finde ich absolut spannend als Vergleich. Das hätte ich nie gedacht. Ich hatte immer gedacht, in der Wirtschaft geht es viel langsamer voran als in der Wissenschaft."
Männer müssen mehr Care-Arbeit übernehmen
Jutta Allmendinger selbst hat es nicht nur auf eine Professur geschafft. Bis im vergangenen Jahr leitete sie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Jetzt ist sie Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen - eine Ausnahme-Einrichtung, für die sich die Soziologin viele Nachahmer wünscht. Denn nur in Niedersachsen gibt es eine wissenschaftliche Kommission. Diese möchte zwischen den großen, bundesweit agierenden Wissenschaftsräten und Institutionen und den Universitäten und Forschungsinstituten vor Ort vermitteln.
Damit ihre Karriere nicht die Ausnahme bleibt, sondern für Frauen zur Regel wird, setzt sich Allmendinger dafür ein, auch mehr Männer in die Care-Arbeit einzubinden. Beispielsweise bei der Kindererziehung. Denn das nützt nicht nur den Frauen. "Wenn wir ernst nehmen, was man in vielen ökonomischen Forschungen zeigen kann: Nämlich, dass gemischte Teams bessere, innovative und vielleicht etwas abwegige Produkte hervorbringen, dann muss man in den Arbeitsorganisationen die Hebel so legen, dass Männer wie Frauen ein paar Monate aussteigen können." Nicht nur in der Wissenschaft wären dabei also die Arbeitgeber und -geberinnen gefragt.
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