Janine Falke fegt in ihrem Friseursalon abgeschnittnes Haar zusammen. © Anne Juka Foto: Anne Juka
Janine Falke fegt in ihrem Friseursalon abgeschnittnes Haar zusammen. © Anne Juka Foto: Anne Juka
Janine Falke fegt in ihrem Friseursalon abgeschnittnes Haar zusammen. © Anne Juka Foto: Anne Juka
AUDIO: Idee aus Kiel: Sauberes Wasser mithilfe von abgeschnittenen Haaren (5 Min)

Idee aus Kiel: Sauberes Wasser mithilfe von abgeschnittenen Haaren

Stand: 30.11.2023 05:00 Uhr

Haare können Fett aufnehmen. Diese - auf dem Kopf eher lästige - Eigenschaft nutzt eine Friseurmeisterin aus Kiel für ein neues Produkt zum Meeresschutz und zur Reinigung von verschmutzten Gewässern.

von Andrea Ring und Merle von Kuczkowski

Bei einigen Umweltkatastrophen, bei denen Öl aus havarierten Schiffen Meere und Flüsse verschmutzte, wurden Haare schon eingesetzt, um das Wasser vom Fettfilm zu befreien oder dessen Ausbreitung zu stoppen. Zum Beispiel bei einem Frachterunglück vor Mauritius im Jahr 2020, bei dem mehr als 1.000 Tonnen Schweröl ins Meer flossen. Die Insulaner füllten vor Ort Strumpfhosen mit Haaren und setzten diese erfolgreich als Ölsperren ein. Als Friseurmeisterin Janine Falke aus Kiel davon erfuhr, beschloss sie, die Idee aufzunehmen und lokal aufzubauen.

Friseure aus Kiel sammeln Haare für sauberes Wasser

Janine Falke schneidet Haare. Die Friseurmeisterin produziert daraus Vlies, dass Öl aus verunreinigtem Wasser filtern kann. © NDR Foto: NDR
Janine Falke bei der Arbeit. Für ihr Recycling-Unternehmen sucht sie weitere Haar-Lieferanten.

"30 Kollegen und Kolleginnen in Kiel und Umgebung waren sofort dabei", erzählt sie. "Mein Mann hat die Haare dann mehr als zwei Jahre lang monatlich mit unserem Lastenrad abgeholt." Strumpfhosen bekamen sie von lokalen Sanitätshäusern und schließlich direkt vom Hersteller. Neuwertige Ware, deren Verfallsdatum abgelaufen war und die andernfalls im Müll gelandet wäre. Mit Haaren befüllt wurde daraus der erste Prototyp.

"In einem Aquarium mit Wasser und Motoröl haben wir getestet, wie gut das Öl aufgenommen wird. Es funktionierte, aber die Strümpfe schwammen nicht gut, deshalb haben wir sie noch mit Korken befüllt", berichtet die Friseurmeisterin von den Anfängen.

FettFressHair: Aus gestopften Strümpfen wurde gewebtes Vlies

Janine Falke und ihr Mann reichten ihr Projekt bei einem Ideenwettbewerb der Uni Kiel ein. Organisator Christoph Corves: "Wir haben gesehen, dass diese Idee in einem sehr großen Umfang bereits in Frankreich realisiert wurde, so dass es guten Grund zur Annahme gab, dass es in Deutschland auch funktionieren kann. Insbesondere, wenn ein so fittes Team, wie wir das in diesem Fall hier hatten, dahintersteckt."

Mit dem gewonnenen Fördermitteln gründete das Ehepaar Falke die Firma "FettFressHair" und entwickelte die Idee nachhaltig weiter. "Uns war schnell klar, dass wir keine synthetische Ummantelung mehr haben wollten", so die Unternehmerin.

Das aus Haarresten gewebte Vlies. © Anne Juka Foto: Anne Juka
Das aus Haarresten gewebte Vlies kann Wasserverschmutzungen aufnehmen und deren Ausbreitung stoppen.

Deshalb werden die Haare nun zu Matten verwebt, sodass die Strümpfe nicht mehr gebraucht werden und gar kein Müll mehr entsteht. Janine Falke konnte einen Nadelhersteller in Baden-Württemberg für die maschinelle Verarbeitung des haarigen Rohstoffs gewinnen. "Wir geben oben in die Maschine loses Schnitthaar aus Friseursalons rein und hinten kommt FettFressHair-Vlies raus, ein Quadratmeter pro Minute."

Kiel setzt Vlies aus Haaren bereits erfolgreich ein

Vlies in Form länglicher Rollen, sogenannter Schlängel, in einem Bach. © Anne Juka Foto: Anne Juka
Vlies in Form länglicher Rollen, sogenannter Schlängel, in einem Bach.

Verpustet, kardiert und vernadelt wird aus vielen verschiedenfarbigen Haaren so ein graubrauner Stoff mit gleichmäßiger Struktur. Die Unternehmerin: "Dieses Vlies machen wir aktuell mit Kork und Seil schwimmbar und setzen es zum Beispiel in Regenrückhaltebecken ein, um dort ölige Verunreinigungen aufzunehmen." Mit dem Verzicht auf eine synthetische Ummantelung setzte sich das Start-up in puncto Nachhaltigkeit von Mitbewerbern wie "Hair help the Oceans" aus Bückeburg ab. Die Niedersachsen haben sich vor zwei Jahren dem französischen Verein "Coiffeure Justes" angeschlossen, der als erster im großen Maßstab Haare zu Öl-Filtern verarbeitete und die Bevölkerung bei dem Frachterunglück vor Mauritius unterstütze.

Die Stadt Kiel hat das Vlies von Janine Falke bereits erfolgreich eingesetzt, in Form länglicher Rollen und als einfache Matten. Im November 2022 wurde Janine Falke dafür vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz als Kultur- und Kreativpilotin ausgezeichnet. Nun steht die Entwicklung des dritten und - wie sie hofft - endgültigen Prototyps an: "Wir möchten FettFressHair am Stück in Seilform produzieren lassen. Am laufenden Band."

Schon jetzt kann das Vlies präventiv in Häfen eingesetzt werden, um kleine Ölaustritte von Booten aufzunehmen. Auch der Einsatz in Badeseen, um Sonnencremereste zu adsorbieren, wäre möglich. Mit der größeren Produktion könnte "FettFressHair" auch bei der Feuerwehr, dem THW oder an Hafentankstellen zu Einsatz kommen.

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