Grippe: Riskanter Plan mit neuem Impfstoff
Schüttelfrost, 39,5 Grad Fieber: Von der einen auf die andere Stunde war Jörg Heinsohn plötzlich richtig krank - Grippe! Für ihn doppelt ärgerlich, weil er sich eigentlich im Herbst impfen lassen wollte, so wie jedes Jahr. Denn mit einer chronische Bronchitis gilt er als Risikopatient. Doch dieses Mal war das nicht möglich, denn es gab es bei seinem Hausarzt einfach keinen Impfstoff - so wie in vielen Praxen in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Heinsohn war nicht der einzige Impfwillige, den sein Hausarzt abweisen musste. Der Grund: Die gesetzlichen Krankenkassen hatten unter Federführung der AOK Nordwest einen Rabattvertrag exklusiv mit dem Hersteller Novartis abgeschlossen. Der konnte den Impfstoff Begripal jedoch nicht pünktlich liefern. Dann flockte auch noch Impfstoff aus, wurde wegen möglicher Nebenwirkungen zurückgezogen. Andere Hersteller sollten einspringen, hatten aber diese Menge an Impfstoff nicht vorrätig.
150.000 ungeimpfte Patienten
Insgesamt waren es nach Schätzungen des Apothekervereins Schleswig-Holstein rund 150.000 Menschen in Hamburg und Schleswig-Holstein, die im letzten Herbst keine Grippevorsorge treffen konnten. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Lieferengpass und der Zahl der Erkrankten ist zwar wissenschaftlich nicht nachweisbar, dennoch: Der Ärger über das Impfstoff-Debakel wirkt nach. Umso überraschender ist für viele Experten, Ärzte und Patienten, dass die gesetzlichen Krankenkassen den Impfstoff für die kommende Impfsaison 2013 wieder nur bei einem einzigen Pharma-Hersteller bestellen wollen.
Die AOK Nordwest teilte mit, dass man diesmal eine exklusive Vereinbarung mit dem Hersteller Sanofi Pasteur MSD getroffen habe. Er soll in der kommenden Grippesaison rund 800.000 Impfstoffdosen nach Hamburg und Schleswig-Holstein liefern. Mit Sanofi, so schreibt die AOK Nordwest weiter, habe man einen "renommierten Partner gefunden, der sich bereits in der Vergangenheit als zuverlässiger Vertragspartner für die gesetzlichen Krankenkassen erwiesen hat." Die Versorgungssicherheit bei der Belieferung mit Grippe-Impfstoff stehe für die Krankenkassen nach wie vor im Mittelpunkt. Daher sei der Vertrag so abgeändert worden, "dass künftig Probleme bei der Auslieferung durch die Pharmaindustrie ausgeschlossen werden können."
Sichert der neue Rabattvertrag tatsächlich die Versorgung?
Der Rabattvertrag liegt der NDR 1 Welle Nord und Panorama 3 exklusiv vor. Neu definiert ist darin, dass der Hersteller über jede Unzulänglichkeit im Produktionsprozess unverzüglich berichten muss. Liefersicherheit soll vor allem durch genau definierte Vertragsstrafen gewährleistet werden: "Sofern (...) bis zum 15.10.2013 nicht mehr als 75% des voraussichtlichen Saisonbedarfs (...) ausgeliefert sind, sind die Auftraggeber berechtigt, (...) andere pharmazeutische Unternehmer mit der Belieferung zu beauftragen. Die damit verbundenen Mehraufwendungen hat der Auftraggeber zu tragen."
Falls Sanofi also im Oktober nicht liefern kann, sollen andere Unternehmen einspringen. Alle Risiken somit ausgeschlossen? Der Bremer Gesundheitsökonom Prof. Gerd Glaeske ist skeptisch, ob das funktioniert: "Es ist naiv zu glauben, dass die anderen Hersteller darauf warten, dass der eine Ausgewählte ausfällt. Die anderen Hersteller werden sich nicht vorbereiten, jedenfalls nicht in dieser Menge."
Konkurrenz kann nicht einspringen
Nach Recherchen von Panorama 3 ist die Konkurrenz in der Tat nicht in der Lage einzuspringen und bei einem Ausfall im Herbst kurzfristig Impfstoff zu produzieren. So teilt Novartis mit, "dass bei einer Anfrage einer Krankenkasse im Oktober frühestens im Februar Impfstoffdosen (...) geliefert werden können." Und Glaxo Smith Kline schreibt sogar: "Um sehr prägnant auf Ihre konkrete Frage zu antworten: Es wäre GSK technisch nicht möglich, im Oktober noch zusätzliche Impfstoffe für den deutschen Markt zu produzieren, so sehr wir im Interesse der Versorgung daran interessiert wären."
Denn der Grippeimpfstoff wird in Hühnereiern gezüchtet, ein aufwändiger biologischer Produktionsprozess, der drei bis vier Monate dauert. Zudem kann man nicht einfach Unmengen Impfstoff produzieren, denn er hat nur eine begrenzte Haltbarkeit. Gesundheitsökonom Glaeske ist deshalb sicher, dass auch dieser Vertrag nicht verhindern kann, dass ein Chaos wie im vergangenen Herbst entstehen könnte. "Die anderen Hersteller werden sich nicht bevorraten. Das kann bedeuten, dass man doch in Lieferprobleme hineinlaufen kann." Für ihn wie für andere Kritiker ist klar: Grippe-Impfstoff ist für Exklusivverträge mit nur einem Hersteller ungeeignet.