Fielmann - zwischen Discount und Qualität
Modische Brillen auf Rezept: Mit diesem Konzept eröffnet der Hamburger Optikermeister Günther Fielmann 1972 sein erstes Fachgeschäft in Cuxhaven. Bis dahin war die Kassenbrille mit ihrem uniformen Design ein untrüglicher Nachweis der Zugehörigkeit zur unteren Einkommensgruppe. Fielmann hingegen produziert Design zum Kassenpreis. Innerhalb von zwei Jahren eröffnet er bundesweit sieben Niederlassungen - Ende der 1970er-Jahre gibt es schon 44 Filialen.
Die Zentrale der Optikerkette sitzt von Beginn an in Hamburg. Ab 1977 gibt Fielmann zunächst eine Zwei-Jahres-, fünf Jahre später eine Drei-Jahres-Garantie auf die Qualität seiner Brillen - die Branche staunt. Über einen Sondervertrag mit der AOK werden 1981 aus den bis dato acht Kassengestellen 90 individuell designte Brillen, die in 640 Varianten auf Rezept verkauft werden. "Die Diskriminierung per Sozialprothese ist abgeschafft", heißt es dazu in der Firmenchronik.
Die deutsche Einheit als Startschuss zu Expansion und Börsengang
1990 verhandelt Fielmann erneut direkt mit einer Sozialversicherung - diesmal in der damaligen DDR. Mehr als 30.000 Brillen setzt der Konzern daraufhin binnen weniger Wochen ab. Zwei Jahre später ist Fielmann Marktführer in den neuen Bundesländern. Gleichzeitig errichtet das Unternehmen im brandenburgischen Rathenow eine Brillenproduktion. Ein Jahr später beginnt in Osterburg in Sachsen-Anhalt die Fertigung von Brillengestellen aus Kunststoff, während im weißrussischen Minsk eine Brillenglasschleiferei den Betrieb aufnimmt. Das Rathenowsche Werk hat Fielmann mittlerweile zum Produktions- und Logistikzentrum ausgebaut.
1994 wird Fielmann zur Aktiengesellschaft. Wer beim Börsengang eines der Wertpapiere zum Preis von fünf Mark erhält, kann sich freuen: Die Aktien starten bei 44,50 Mark, heute notiert das MDAX-Unternehmen bei etwa 65 Euro. Günther Fielmann, Sohn Marc, Familienstiftung und Fielmann Interoptik halten zusammen mehr als 70 Prozent der Aktien, der Rest befindet sich im Streubesitz. Auch von den heute etwa 19.000 Beschäftigten sind viele an der Firma beteiligt.
1995 beginnt Fielmann in der Schweiz seine europäische Expansion. Vier Jahre darauf eröffnen in Österreich und Polen die ersten Filialen. 2000 kauft der Hamburger Brillenkönig die beiden größten niederländischen Konkurrenten auf. Anschließend kommen Filialen in Luxemburg, Norditalien oder Österreich hinzu. Zuletzt hat Fielmann eine Optikerkette in Slowenien übernommen.
Aus für das kostenfreie Kassengestell
Kurz nach dem Gang an die Börse kommt jedoch eine erste Zäsur in der Firmengeschichte: Mit der zweiten Gesundheitsreform wird 1996 das kostenfreie Kassengestell aus dem Leistungskatalog der Pflichtversicherer gestrichen. Die Brille zum Nulltarif bleibt dennoch erhalten. Fielmann bringt eine sogenannte paraindustriell gefertigte Komplettbrille in die Läden, deren Preis sich mit den Erstattungssätzen der Krankenkassen deckt. Die Firma muss allerdings 1997 zunächst Gewinneinbußen von mehr als 50 Prozent hinnehmen. Langfristig schadet die Gesundheitsreform dem Unternehmen jedoch nicht. Umsatz und Gewinn erholen sich binnen Jahresfrist.
Brillenboom vor der Gesundheitsreform
2002 eröffnet Fielmann ein neues Brillenwerk in Rathenow, in das 32 Millionen Euro investiert wurden. 2011 stellt das Unternehmen dort in der Flächenschleiferei mehr als 3 Millionen Brillengläser her und liefert 6,7 Millionen Brillenfassungen aus.
Die Politik sorgt mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 erneut für Wirbel in der Branche: Seither bezuschussen die gesetzlichen Krankenkassen Sehhilfen nur noch für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre und für schwer Sehbehinderte. Ende 2003 führt der bevorstehende Wegfall der Kassenleistung für volle Wartezimmer bei den Augenärzten und einen Boom bei den Augenoptikern. Danach geht die Nachfrage spürbar zurück. Doch Günther Fielmann behält mit seinem Optimismus Recht: Sein Unternehmen gewinnt wie bei den Reformen 1989 und 1997 auch diesmal Marktanteile hinzu.
Engagement zwischen Aufforstung und Biokost
Seine Mitarbeiter bildet Fielmann bevorzugt selbst aus. Seit 2006 erlernen Augenoptiker auf Schloss Plön in der Holsteinischen Schweiz ihr Handwerk. Nach eigenen Angaben bildet das Unternehmen mehr als 40 Prozent des augenoptischen Nachwuchses in Deutschland aus.
Gern unterstreicht der Chef den familiären Charakter der Firma. So lässt Günther Fielmann jährlich einen Baum für jeden seiner Beschäftigten pflanzen. 2009 pflanzt Fielmann mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (beide CDU) den eimillionsten Baum - in Büdelsdorf bei Rendsburg. Der Firmengründer hat sich im vergangenen Jahr aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, Sohn Marc ist inzwischen gleichberechtigter Vorstandschef.
Ökologisches Engagement auf Hof Lütjensee
Bekannt geworden ist der Brillenkönig auch mit seinem Engagement für ökologische Landwirtschaft. Auf Hof Lütjensee versucht er unter Einhaltung ökologischer Standards preiswert zu produzieren, auf Hof Ritzerau bei Mölln wird die Umstellung auf Öko-Landbau wissenschaftlich erforscht. Zudem finden sich auf Fielmanns Gut Schierensee bei Kiel eine ganze Reihe von Haustierrassen, die vom Aussterben bedroht sind - darunter selbstverständlich auch Brillenschafe.
Jede zweite Brille von Fielmann
Zurzeit unterhält Fielmann 743 Niederlassungen in Deutschland und Europa. Etwa jede zweite neue Brille in Deutschland stammt von Fielmann, mehr als 24 Millionen Menschen tragen eine Brille des Konzerns. 2018 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 1,65 Milliarden Euro. Fielmann beschäftigt (Stand 31.12.2018) 19.379 Mitarbeiter, darunter 3.853 Auszubildende.