Der Umwelt zuliebe: Bioplastik aus Lignin
Wie nachhaltig Biokunststoffe sind, ist bisher fragwürdig. Noch handelt es sich eher um Nischenprodukte. Die Wissenschaft macht auf der Suche nach Plastik-Alternativen aber große Fortschritte - so auch in Hamburg. Drei Frauen und ein Mann entwickeln hier neuartige Biokunststoffe.
Die Versuchshalle der Technischen Universität Hamburg: viele Leitungen, Druckkessel, Ventile und ein süßlich-muffiger Geruch. "Hier haben wir viele verschiedene Biomassen ausgetestet und auch einen Teil unserer Produkte entwickelt", erzählt die Wissenschaftlerin Wienke Reynolds. "Das hier ist die Ideenschmiede." Der Stoff, auf den es Reynolds und ihre drei Kollegen vom Projekt LignoPure abgesehen haben, ist Lignin. Lignin ist neben Zellulose einer der Hauptinhaltsstoffe von Holz. Es lässt sich aber auch aus Chinaschilf oder Stroh gewinnen.
Lignin-Gewinnung funktioniert ähnlich wie Kaffeekochen
Hier läuft das über eine Anlage, die so groß wie eine Einbauküche ist, und funktioniert in etwa wie eine Espressomaschine. "Wir haben unseren Siebträger, aber keinen Kaffee, sondern Stroh. Wir legen Wasser vor, das wird auf Druck gebracht, 40 Bar, dann aufgeheizt auf 200 Grad", erklärt Reynolds. "Es wird durch die Biomasse gedrückt wie beim Kaffeekochen und das Lignin ist dann im Kaffeesatz drin."
Abfallprodukt bei der Papierherstellung
Das Lignin fällt auch in riesigen Mengen als Abfallprodukt bei der Papierherstellung an. Bisher dient es vor allem als Brennstoff. Dabei lässt sich Lignin auch ganz anders und vor allem vielseitig einsetzen. Das zeigen die verschiedenen Materialproben. Auf einem Tisch im Konferenzraum liegen die Ergebnisse der jahrelangen Forschungsarbeit.
Biobasierte und bioabbaubare Prototypen
Der Inhalt eines Glases gleicht auf den ersten Blick Kakaopulver. "Das ist unser Lignin. Das ist nicht besonders hübsch, kein attraktives Produkt", räumt die Wissenschaftlerin ein. Aber daraus entwickelte das Team jede Menge Prototypen, wie beispielsweise braunes, flexibles, leder- oder gummiartiges Material. Das sei komplett biobasiert und bioabbaubar. Man könne es sich im industriellen Bereich aber auch im Modebereich vorstellen. Dieses Lignin-Material sieht aus wie dicke, braune Folie. Auch die anderen Prototypen sind eher dunkel, wie zum Beispiel ein kleiner Reifen oder Isolierschäume.
Ligninperlen statt Mikroplastik in Kosmetika
Die Projektmitbegründerin Joana Gil zeigt ein mit Wasser gefülltes Probenglas. Darin schwimmen kleine braune Perlen. "Wir können das in verschiedenen Größen herstellen für die Kosmetikindustrie. Die sind aus Lignin und aus einem anderen biobasiertem Material. Das möchten wir zum Beispiel für Body-Scrubs oder Duschgel herstellen." Diese Mikroperlen könnten aus ihrer Sicht Mikroplastik in Peelings oder Zahnpasta ersetzen. In der Kläranlage würden sie - anders als Mikroplastik - komplett abgebaut werden.
CO2-Emission ist schwer zu bilanzieren
Andere Lignin-Verbindungen sind weniger umweltfreundlich. Durch die Kombination mit anderen Stoffen sind sie nicht abbaubar. Diese Mischungen lassen sich aber auch nicht recyceln. Ein Nachteil gegenüber Kunststoff aus Erdöl. Anders sieht es aus Sicht von Wissenschaftlerin Reynolds bei der CO2-Bilanz aus: "Es ist in manchen Punkten natürlich schwer: Wenn wir Lignin abnehmen aus den Papiermühlen, inwieweit müssen wir die CO2-Emission der Papierhersteller mit einbeziehen? Die ist natürlich nicht ganz gering." Das Lignin sei aber als Reststoff verfügbar. Und wenn man vom Lignin an sich starte, dann seien die weiteren Veredelungsprozesse bei Weitem nicht mehr so energieintensiv wie beispielsweise die, um Erdöl aufzutrennen und dann aus den Bestandteilen wieder Kunststoffe herzustellen.
Vom Forschungsprojekt zum Unternehmen
Das Forschungsteam von LignoPure gründet derzeit ein Unternehmen. Dann will es Lignin im großen Stil einkaufen, Kunststofflösungen für seine Kunden entwickeln oder vielleicht sogar selbst produzieren. Das Interesse ist da. Ein großer Klebebandhersteller ist bereits Projektpartner. Die Materialien aus Lignin könnten teilweise eine sinnvolle Alternative zu Plastik werden. Teilweise sind sie schlicht das kleinere Übel: "Dämmstoffe sind so ziemlich das Fieseste, was die Erdölchemie zu bieten hat, was die Herstellprozesse, aber auch die Giftigkeit angeht. Und wenn wir da allein schon einen Teil des Materials zum Beispiel durch Lignin ersetzen können, haben wir schon viel geschafft."