Coronavirus-Update Sonderfolge: Kinderimpfung
In der Sonderfolge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update erläutern die Kinderärzte Georg Hillebrand und Robin Kobbe die Empfehlung und Sicherheit des Biontech Impfstoffs U12.
Wie halten wir es mit den Jüngsten in der Pandemie? Rund fünf Millionen Kinder zwischen fünf und elf Jahren gibt es in Deutschland. Die Stiko empfiehlt nun auch sie gegen Covid-19 zu impfen, wenn sie Vorerkrankungen haben oder in ihrem Umfeld Menschen mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf sind. Aber bei individuellem Wunsch können auch Kinder ohne Vorerkrankung geimpft werden. So heißt es wörtlich in einer ersten Mitteilung der Stiko zu dieser Impfempfehlung. In unserer Coronavirus-Update Sonderfolge soll es um die Kinderimpfung gehen und im Zusammenhang dazu um die Fragen, welches Risiko ein Infektion nach aktuellem Stand mit sich bringt. Dazu spricht Wissenschaftsredakteurin Korinna Henning mit Georg Hillebrand, einem Kinderarzt aus dem Klinikum Itzehoe und Robin Kobbe, einem Kinderarzt aus dem Uniklinikum Hamburg-Eppendorf.
Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen
Stiko-Empfehlung zu Kinderimpfung U12
Daten zur Krankheitslast unter Kindern
Bedeutung von PIMS (Multisystemisches Entzündungssyndrom)
Erkenntnisstand zu Long-Covid bei Kindern
Bislang unbekannte Langzeitfolgen der Virusinfektion?
Sicherheit des Biointech-Impfstoffs für Kinder
Studie zur Immunantwort von Kindern auf das Virus
Booster für Kinder und Jugendliche?
Abstand zwischen den beiden Impfdosen
Parallelen zur Einführung anderer Impfstoffe: Windpocken
Herdenschutz als Argument für Impfempfehlungen
Bilanz der Masern-Impfpflicht in Deutschland
Fremdschutz als Aspekt der Rotaviren-Impfung
Praxis der Off-Label-Impfung und Ratschläge rund um die Impfung
Stiko-Empfehlung zu Kinderimpfung U12
Korinna Hennig: Es soll heute um die Kinder gehen und in dem Zusammenhang natürlich auch um die Frage, welches Risiko eine Infektion nach aktuellem Stand für Kinder mit sich bringt. Die Stiko hat sich nun positioniert. Sie hat keine allgemeine Impfempfehlung für Kinder unter zwölf Jahre ausgesprochen. Aber, anders als bei der ersten Empfehlung für über Zwölfjährige sozusagen eine Tür offen gelassen: Für Familien, die selbst entscheiden wollen. Wie gehen Sie mit dieser Empfehlung jetzt um? Fangen wir bei Ihnen mal an, Herr Kobbe. Raten Sie Familien jetzt dazu, ihre Kinder impfen zu lassen, auch wenn sie keine Vorerkrankungen haben?
Robin Kobbe: Wir freuen uns erst mal, dass die Stiko zeitnah zur Auslieferung des Kinderimpfstoffs eine Empfehlung ausgesprochen hat. Und sie hat ja sogar zwei Türen offen gelassen, was ich persönlich sehr schön finde. Also auch alle, die Kontakt mit Risikopersonen haben und das haben ja doch sehr viele, sprich Opa, Oma und andere mit Immunsuppression oder gefährdete Personen.
Und auch die Empfehlung, dass es den Eltern offen gestellt wird, quasi auch ihre gesunden Kinder zu impfen, ist ja sehr schön. Ich empfehle das sehr großzügig und finde auch, dass es natürlich Sinn macht, erst die vorerkrankten vorzuziehen, zu priorisieren. Das sind ja auch nicht wenige. Und insofern ist das erst mal ein gutes Statement.
Hennig: Jetzt ist "Kinder haben" ja ein bisschen so was wie die Achillesferse der Rationalität. Eltern kennen das, dass sie bei den eigenen Kindern manchmal Ängste entwickeln, über die sie in anderen Zusammenhängen nur den Kopf schütteln würden. Ich habe gelesen, Herr Kobbe, Sie haben selbst Kinder, eins davon unter zwölf Jahren, die Sie haben impfen lassen. Können Sie persönlich trotzdem die Vorsicht nachvollziehen, die manche Eltern haben? Musste sich Ihre Haltung dazu auch erst entwickeln im Laufe der Pandemie?
Kobbe: Ja, selbstverständlich. Also das ist jetzt auch noch nicht so lange her. Und er ist auch nicht so jung, mein Jüngster sozusagen. Aber es war natürlich beruhigend, dann die Daten der Fünf- bis Zwölfjährigen wirklich vor sich zu haben, dass sie öffentlich einsehbar waren, dass dort gezeigt wurde, dass es gut verträglich war, dass es halt auch eine gute Immunantwort mit einem Drittel der Dosis gibt. Das hat natürlich ein bisschen gedauert, aber für mich war ganz klar: Ich werde das mit ihm besprechen und habe das mit ihm besprochen. Und zusammen haben wir uns entschieden, ihn zu impfen. Und ich bin da auch sehr froh drüber.
Hennig: Nicht mehr so ganz jung, das heißt Ihr Sohn ist zehn?
Kobbe: Genau, zehn.
Hennig: Herr Hillebrand, zumindest die meisten Kinderärzte haben sich bei den über Zwölfjährigen ziemlich strikt an der Stiko-Empfehlung orientiert. Also ohne explizite Empfehlung haben die meisten nicht geimpft, obwohl ja eine ausbleibende Empfehlung umgekehrt auch kein Verbot bedeutet. Welche Bedeutung hat denn so eine Stiko-Empfehlung generell in der Praxis? Wie schätzen Sie das jetzt ein, was die Kolleginnen und Kollegen angeht?
Georg Hillebrand: Also ich glaube, für die hat es schon eine sehr große Bedeutung, denn die haben sich ja, gerade auch vertreten durch ihren Berufsverband, sehr stark positioniert und eindeutig gesagt, sie würden diese Empfehlung abwarten wollen, bevor sie im größeren Stil in der Gruppe fünf bis elf Jahre Impfungen anbieten. So wie ich das beobachten kann, haben sich fast alle niedergelassenen Kollegen daran gehalten.
Das hat zu einem Problem geführt, das ich hier in der Klinik sehr bemerkt habe. Mit dem Bekanntwerden der Zulassung des Impfstoffs in der Altersklasse fünf bis elf stieg die Nachfrage nach solchen Impfungen erheblich an, und zwar zunächst beginnend mit Kolleginnen und Kollegen, die fragten, ob sie ihre Kinder jetzt bald mal impfen könnten.
Kinderimpfung in den USA
Die Amerikaner würden doch jetzt auch anfangen. Und das ging dann über Mund-zu-Mund-Propaganda weiter. In der ganzen Region und dann irgendwann auch überregional und, Sie sagten eben, dass Eltern häufig irrational agieren und vielleicht besondere Sorge um ihre Kinder haben bezüglich der Anwendung einer Impfung. Ich habe eher das Gegenteil erlebt.
Ich habe Eltern erlebt, die verzweifelt nach Möglichkeiten suchten, ihre Fünf- bis Elfjährigen impfen lassen zu können und keinen gefunden haben, der sie impfen wollte. Und das wurde speziell in meiner Wahrnehmung immer schwieriger, nachdem die Amerikaner losgelegt hatten, eben auch mit einer sehr aktiven Impfkampagne in dieser Altersgruppe. Insofern freue ich mich auch sehr, dass wir jetzt diese Empfehlung der Stiko haben, die für alle Kinder offen ist.
Hennig: Zu allem, was wir rund um die Kinderimpfung jetzt tatsächlich aus der Datenlage wissen, kommen wir gleich natürlich noch.
Daten zur Krankheitslast unter Kindern
Ich möchte zunächst mal mit der Impfindikation anfangen, also der Frage: Was spricht tatsächlich für eine Impfung? Wie verhält es sich eigentlich nach allem, was wir wissen, mit dem Risiko, dass von dem Virus für Kinder ausgeht? Wir haben aktuell ja sehr hohe Inzidenzen, so hoch wie noch nie in der Pandemie. Ich habe eben noch mal geguckt in der Altersgruppe ab fünf Jahre liegen die bundesweit so im 900er Bereich, ab zehn Jahre im tausender Bereich. Das sind nun aber bloße Infiziertenzahlen und wir wissen, dass Kinder in aller Regel nicht schwer erkranken. Wie würden Sie die Krankheitslast durch das Virus unter Kindern mit der Datenlage von heute einschätzen?
Hillebrand: Ja, ich kann auch gleich mal anfangen. Also das ist eine Frage, die auch die Eltern im Rahmen der Impfberatung immer wieder stellen. Ich habe eine Studie, eine europäische Arbeit, die noch als Preprint erschienen ist. Die hat mal Daten aus zehn europäischen Ländern erfasst, beginnend im August 2020 bis zum Oktober 2021, also relativ aktuell.
Hennig: Deutschland ist auch dabei.
Hillebrand: Das sind Daten, die im sogenannten European Surveillance System, TESSy, erfasst werden. Und so wie ich das verstehe, sind das aus Deutschland vorwiegend die RKI-Daten. Die haben insgesamt tausend symptomatische Fälle unter Kindern unter 18 Jahren gefunden und von diesen 820.000 in dem beschriebenen Zeitraum waren 9.600 hospitalisiert.
Anzahl der Kinder auf Intensivstation
Das entspricht 1,2 Prozent und 640 von denen brauchten eine Intensivstation. Das sind also, absolut gesehen, immer noch überschaubare Zahlen. Aber wenn man sagt, ein Prozent der Kinder, die symptomatisch infiziert sind, müssen ins Krankenhaus, dann ist das schon eine merkbare Zahl in der Kinderheilkunde. Ich habe mal im DIVI-Register von heute Morgen geguckt, also es wird immer mittags um zwölf aktualisiert. Da findet sich jetzt heute eine Zahl von 32 Kindern, die auf Intensivstationen in Deutschland behandelt werden. Das ist die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie.
Es wird seit April diesen Jahres für Kinder auch erfasst. Und das heißt, da haben wir also 32 Kinder auf Intensivstationen. Das ist natürlich auch immer noch verschwindend gering gegenüber der Zahl der Erwachsenen. Aber es ist für die Kinderheilkunde auch ein merk- und messbarer Anteil. Und insofern sage ich den Eltern: Das ist eine Krankheit, die, Gott sei Dank, von den Kindern meistens mild erlebt wird, häufig wie ein grippaler Infekt. Aber es ist auch keine Krankheit, die absolut null Risiko hat, es gibt auch mal einen schwierigen Verlauf.
Wir kommen ja vielleicht noch später auf das sogenannte PIM-Syndrom zu sprechen, dieses multisystemische Inflammationssyndrom der Kinder. Und da sind im DGPI-Register nun inzwischen, Stand gestern, 480 Fälle seit Beginn der Pandemie beschrieben. Das sind schon sehr schwer kranke Kinder. Also auch das ist für mich eine relevante Zahl, über die man reden sollte.
Hennig: DGPI noch mal kurz: Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Es gibt aber auch Studien, die ein anderes Bild zeichnen, sogar was diese Zahlen angeht. Es gibt eine deutsche Studie, auch ein Preprint, die ein bisschen beruhigender klingt.
Hillebrand: Ja, das ist richtig. Das ist eine Studie, die vermutlich auch von der Stiko genutzt werden wird in der Frage der Begründung der jetzigen Empfehlung. Auch eine gut gemachte Studie, die im Grunde versucht, aus drei verschiedenen Datenquellen Aussagen zur Krankheitsschwere bei Kindern zu treffen, unter anderem zur Hospitalisierungsrate. Das ist ein bisschen schwierig zu erklären.
Also zum einen werden die offiziellen Meldedaten von Kindern benutzt. Das wird dann kombiniert und ergänzt um Daten einer nationalen Seroprävalenz-Studie, die zum Zeitpunkt Mai dieses Jahres geschätzt hat, wie viel Kinder denn überhaupt schon Kontakt mit dem Virus hatten. Immerhin 10,8 Prozent in dieser Seroprävalenz-Studie hatten einen positiven Antikörpernachweis als Zeichen, dass sie schon mal Kontakt hatten. Und dann wird das noch mal kombiniert mit Daten aus dem besprochenen oder erwähnten DGPI-Register.
Korrekturfaktoren
Und die Autoren versuchen dann sozusagen über Korrekturfaktoren herauszufinden, wie denn nun eigentlich die Krankheitslast ist und die kommen dann auf eine, die haben ein bisschen andere Bezugsgrößen, also die sagen insgesamt waren 36 bis 35,9 Kinder pro 10.000 hospitalisiert. Und wenn man dann aber genau guckt, die Kinder, die wirklich wegen einer behandlungsbedürftigen Covid-19 Erkrankungen hospitalisiert waren und nicht nur die, bei denen das zufällig gefunden wurde, während sie mit einer anderen Erkrankung im Krankenhaus waren, dann reduziert sich diese Größe. Und zwar sagen sie, dann waren es noch 6,5 pro 10.000 Kinder.
Und dann gibt es noch ein Korrekturfaktor: Das sind die Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen ohne Vorerkrankungen. Und da wird es dann verschwindend gering. Da sagen die Autoren, dass die praktisch fast gar nicht von Hospitalisierung betroffen waren. Das sind in der Tat etwas niedrigere Zahlen als die aus dem europäischen Register. Beide Studien sind noch im Preprint. Man wird abwarten müssen, wie sich das dann in der endgültigen Veröffentlichung entwickelt. Ich glaube, die letztgenannte Studie hat vielleicht in der Einschätzung der Zahlen für die Fünf- bis Elfjährigen ohne Vorerkrankungen einen sehr niedrigen Wert. Da muss man sicherlich noch abwarten, wie diese Korrekturfaktoren da wirklich reinspielen.
Aber man kann schon sagen, dass die Hospitalisierung insgesamt sowohl in der europäischen als auch in der deutschen Studie eher gering ist und auf jeden Fall viel geringer als bei Erwachsenen. Anders sieht es aus mit diesem PIMS. Das wird auch in der deutschen Arbeit als relevanter Faktor anerkannt. Die sagen, wir hätten etwa eins auf 4.000 infizierte Kinder in diesem Fall, die eben das PIM-Syndrom entwickeln. Und das ist für pädiatrische Verhältnisse schon auch eine wirklich bemerkenswerte Zahl.
Bedeutung von PIMS (Multisystemisches Entzündungssyndrom)
Hennig: Da wir das jetzt schon zwei Mal angesprochen haben, bleiben wir doch kurz noch mal bei PIMS. Wenn die Inzidenzen jetzt steigen und ja auch schon gestiegen sind und eventuell auch im Speziellen mit einem Blick auf die Unwägbarkeiten, die die Omikron-Variante mit sich bringt, rechnen Sie damit, dass diese Zahl noch weiter hochgehen?
Kobbe: Also PIMS-Fälle sind ja erstaunlicherweise zuletzt eher rückläufig geworden. Da ist es so, dass dort verschiedene Theorien aufgebracht wurden.
Delta und PIMS
Die erste, dass das jetzt vielleicht wirklich an dem Delta-Virus liegen könnte, was vielleicht weniger PIMS macht. Es ist natürlich auch möglich, dass es Saisoneffekte hat. Es gibt ja das verwandte Kawasaki-Syndrom, was auch eher im Frühjahr auftritt. Und dann in der letzten Welle waren deutlich, relativ gesehen, mehr PIMS-Fälle, so dass da auch andere Faktoren, die wir noch nicht gut verstehen, einwirken könnten und im Frühjahr dann wieder mehr PIMS-Fälle auftreten könnten. Also das muss man sicherlich noch ein bisschen mit Vorsicht genießen.
Sicher ist, dass Delta auch PIMS macht. Wir sehen diese Fälle und wie Herr Hillebrand schon sagte, sind die doch sehr schwer krank. Die sind so, dass sie dann oft auf die Intensivstation aufgenommen werden müssen. Die brauchen dann intravenöse Immunglobuline in hohen Dosen, Steroide, auch manchmal Kreislaufunterstützung. Und damit haben wir es in Deutschland zumindest so hingekriegt auf den Intensivstationen, dass kein Kind bisher gestorben ist. In anderen Ländern ist da die Mortalität eher so mit ein, zwei Prozent bezeichnet und es ist sicherlich auch nur eine Frage der Zeit, bis wir da auch jemanden an der Erkrankung verlieren.
Hennig: Noch einmal zur Erklärung: PIMS tritt ja Wochen nach einer Infektion mit dem Coronavirus auf, und zwar auch wenn sie unbemerkt verläuft. Es muss nicht zwingend so sein, dass man schon ein fieberndes Kind im Bett gehabt hat und ein paar Wochen später dann erst dieses Syndrom auftritt. Sie haben jetzt eben die Behandlungsoptionen genannt, wenn die Kinder dann im Krankenhaus landen. Wie gut ist denn die Versorgungslage, was das angeht, Immunglobuline zum Beispiel müssen intravenös gegeben werden und dafür braucht man Spenderblut.
Kobbe: Genau. Also da ist es so: Sie spielen darauf an, dass es in Zukunft einen Versorgungsmangel geben könnte. Ich habe mich noch mal in Vorbereitung auf den Podcast in unserer Apotheke informiert. Es ist so, dass durch bestimmte Umstände, also zum einen durch die Covidpandemie selbst, aber auch durch Schließungen großer Plasmasammelzentren, das kommt ja von Spendern, diese Immunglobuline an der Grenze zu USA und Mexiko, wohl ein wirklicher Mangel am Markt herrscht und wir zumindest in Deutschland jetzt für die nächsten Monate erst mal safe sind.
Versorgung ein weltweites Problem
Aber weltweit ist das sicherlich ein Problem. Und außerdem ist es ja nicht mal leicht gemacht "ein paar Immunglobuline" geben, sondern das ist schon oft ein Intensivbett, was dort belegt wird und die Patienten sind schwer krank. Und es ist ja auch so, dass es bei Entlassung doch noch deutliche Residuen gibt, bei dieser Erkrankung. Bei sechs Prozent dieser Fälle wurde ja quasi noch ein Zustand festgestellt, der noch besorgniserregend ist, auch wenn erste andere Daten jetzt darauf hinweisen, dass sich das dann in den nächsten Wochen und Monaten in den allermeisten Fällen alles wieder gibt.
Hennig: Was die Unwägbarkeiten unmittelbar mit der Infektion angeht: Wir haben ja eben schon drüber gesprochen. Also an Covid-19 erkranken die Kinder in aller Regel nicht so schwer. Kann man das denn tatsächlich eingrenzen in diesen Fällen im Krankenhaus, über die wir vorhin gerade gesprochen haben, auf Kinder mit Vorerkrankungen? Herr Kobbe, Sie haben da ja auch gravierende Fälle gehabt im UKE in Hamburg, über die Sie auch veröffentlicht haben.
Kobbe: Genau. Es kann ja sein, dass wir da besonders stark betroffen waren. Aber man muss sagen, dass unsere Fälle hier, die wirklich auch eine ECMO-Therapie benötigten, die wirklich ein schweres Atemnotsyndrom mit massiver Intensivtherapie brauchen und die es auch in zwei Fällen nicht geschafft haben, also die verstorben sind. Da war zumindest in einem Fall keinerlei Vorerkrankungen bekannt. Im zweiten Fall solche, die jetzt nicht so gravierend waren, also noch nicht mal jetzt unter die Stiko-Empfehlung gefallen wären.
Aber ich will auch keine Panik machen. Das waren sicher Ausnahmefälle, aber die nehme ich natürlich genauso wahr wie andere, die keinen schweren Fall sehen. Und ich glaube, nur weil man in seiner Praxis keinen schweren Fall sieht, muss man nicht davon ausgehen, dass es eine milde Erkrankung ist und das wissen auch die meisten.
Imfpung über niedergelassene Ärzte
Und die niedergelassenen Ärzte machen eine sehr, sehr gute Arbeit. Die allermeisten beteiligen sich sehr gut an der Impfung und deshalb ist es so, dass ich das auch so sehe wie Herr Hillebrand, dass es eine relevante Anzahl von schweren Erkrankungen gibt. Das ist nicht vergleichbar mit den Erwachsenen, aber die sollten wir durch eine Impfung verhindern.
Die Rolle von Vorerkrankungen
Hillebrand: Ich kann vielleicht noch mal ergänzen, wieder aus dieser europäischen Arbeit. Die haben genau diese Frage auch mit untersucht: Welche Rolle spielen Vorerkrankungen, insbesondere haben sie nach Kindern mit Krebserkrankungen geguckt, mit Diabetes Typ I oder mit vorbestehender Herz- oder Lungenerkrankung. Und sie finden schon für alle diese Erkrankungsbilder, dass diese Erkrankung das Risiko für eine Hospitalisierung deutlich steigern im Falle einer Covid-Infektion.
Das aber auf der anderen Seite 83,7 Prozent der Kinder, die mit Covid-19 ins Krankenhaus mussten, eben keine berichtete Vorerkrankungen hatten. Das heißt, der Großteil derer, die im Krankenhaus enden, zumindest in dieser großen europäischen Analyse, hat keine Vorerkrankungen. Zumindest in dieser Aussage, dass nur die Vorerkrankten besonders stark gefährdet sind, muss man, glaube ich, schon auch mit den Entwicklungen der nächsten Wochen noch mal genau angucken.
Hennig: Also nach wie vor ist die Forschungslage ein bisschen disparat, auch je nachdem, worauf man den Fokus hat. Es mögen auch Unterschiede in der Krankheitslast, je nach Berichtsgebiet dazugehören. Genau wie bei den Vorerkrankungen vervollständigt sich das Bild hier also erst nach und nach. Gerade kürzlich ist zum Beispiel auch eine Studie aus Edinburgh erschienen, die ausdrücklich auch Kinder mit Asthma als Risikofaktor noch mal mit in den Blick nimmt.
Kobbe: Sicher, das unterstreiche ich noch mal, ein Großteil hat Vorerkrankungen von denen, die auf Intensiv kommen. Aber halt nicht alle.
Hennig: Haben wir Risikofaktoren genug im Blick, die Eltern vielleicht gar nicht als richtige Vorerkrankung wahrnehmen? Also Übergewicht zum Beispiel.
Kobbe: Die Stiko hat das ja im Blick. Die wird ja auch eine Empfehlung für Impfungen aussprechen bei Übergewicht. Da ist es natürlich dann noch mal eine Frage: Wo beginnt dieses Übergewicht? Muss man nur die extremst Übergewichtigen mit einbeziehen? Also auch aus meiner persönlichen Erfahrung waren doch die Erkrankten hier nicht massiv übergewichtig, so dass ich das schon als generellen Risikofaktor werten würde.
Und auch in den Studien ist nicht immer klar gewogen und die Größe genommen und dann der Body-Mass-Index wirklich aufgezählt, sondern Adipositas vom Arzt eingeschätzt ist immer so die zweite Variante, die da oft in den Studien genommen wird. Insofern würde ich großzügig dazu raten, adipösen Kindern auch die Impfung priorisiert zu geben.
Erkenntnisstand zu Long-Covid bei Kindern
Hennig: Wir haben mit PIMS jetzt schon einen der beiden Schatten angeguckt, die das Virus auch bei leichten Verläufen werfen kann, und es gibt noch einen zweiten, der nicht nur speziell für Kinder gilt. Auch das ist schon breit in der Öffentlichkeit angekommen: Long-Covid ist bei Kindern aber eher schwer zu erforschen. Ist der Erkenntnisstand nach wie vor unklar, wie häufig das unter Kindern vorkommt?
Hillebrand: Das ist eine schwierige Frage, weil es so viele verschiedene Aussagen in der aktuellen Literatur dazu gibt. Es gibt Arbeiten, die sagen, bis zu 16, 17 Prozent aller, die Covid im Kindesalter durchgemacht haben, entwickeln Long-Covid. Das scheint sehr hoch geschätzt. Und dann gibt es andere, die sagen, es ist deutlich unter einem Prozent. Wenn ich das so ein bisschen rekapituliere, dann glaube ich, dass sich das im Moment so einpendelt bei ungefähr ein Prozent aller Kinder, die Covid durchgemacht haben.
Definition Long-Covid
Dann ist die zweite Frage: Wie definiert man Long-Covid? Ich weiß, dass es im Moment eine Arbeitsgruppe gibt von deutschen Fachgesellschaften, Kinderheilkunde und Sozialpädiatrie und anderen, die eine Konsensus-Leitlinie entwickeln zu diesem Krankheitsbild. Und das ist sicherlich sinnvoll, denn da gibt es noch viele, viele Unklarheiten und viel Unschärfe in der Definition. Manche sagen, dass das schon einige Wochen nach der Infektion Husten, also Atemwegssymptome insgesamt als Long-Covid gewertet werden können.
Das ist sicherlich ein eher leichter Faktor, aber es gibt eben dann auch diese eindrucksvollen Einzelfallberichte von Kindern, die erleben, was so als dieser Brainfog um das Gehirn herum bezeichnet wird. Also eine wirklich ausgeprägte Leistungsschwäche, auch eine Langsamkeit im Denken, die Monate nach der Infektion noch anhalten kann. Und genauso gibt es Einzelfallberichte von Kindern, die eben eine eindrucksvolle körperliche Leistungsschwäche über Monate haben, also Atemnot bei kleinster Belastung, ähnlich wie das bei Erwachsenen auch berichtet wird.
Gott sei Dank, es scheint so, dass viele von den Dingen, die man schon als signifikantes Long-Covid bezeichnen könnte, sich doch auch über die Monate bessern. Das ist eine gute Prognose über den Langfristverlauf. Aber letztendlich ist doch vieles noch unklar bei diesem Bild.
Hennig: Was wir aber auch noch nicht sagen können ist, ob die Impfung denn eigentlich auf PIMS und Long-Covid eine Auswirkung bei Kindern hat, oder? Weil eben auch asymptomatische Verläufe betroffen sein können.
Kobbe: Es ist so, dass durch Impfungen Covid-19 verhindert wird oder im ungünstigsten Fall abgemildert werden. Aber es gibt doch einen deutlichen Zusammenhang, dass Fälle durch die Impfung verhindert werden können. Es gibt auch den Zusammenhang, dass Long-Covid Fälle ein höheres Risiko haben bei einer erschwerten Erkrankung, die man durchgemacht hat. Das ist ein Risikofaktor dafür, dass man Long-Covid entwickelt. Genauso wie das weibliche Geschlecht.
Aber ich denke, natürlich ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewiesen, dass die Impfung auch PIMS verhindert oder Long-Covid verhindert. Umgekehrt ist mir kein Fall bekannt, der das nach einer Impfung entwickelt hat. Und das werden natürlich die Daten in Zukunft zeigen. Aber zum Beispiel die Berechnung der sozusagen amerikanischen Stiko, die gehen auch fest davon aus, dass man durch Impfung PIMS-Fälle eher verhindern kann.
Bislang unbekannte Langzeitfolgen der Virusinfektion?
Hennig: Jetzt sind PIMS und Long-Covid lange Schatten, die das Virus werfen kann. Der Begriff Langzeitfolgen, der klebt in der öffentlichen Wahrnehmung immer so ein bisschen als Bedenken an der Impfung dran. Zumindest ist das mein Eindruck. Allerdings, wie wir jetzt gerade schon gemerkt haben, kann man den durchaus auch mit Fug und Recht beim Virus ins Gespräch bringen.
Abgesehen von dem, was bekannt ist, also über PIMS, über Long-Covid, weiß man ja noch nicht, ob es richtige Langzeitfolgen gibt, weil so alt ist die Pandemie dann auch doch wieder nicht. Herr Kobbe, es gibt ja bei anderen Viren durchaus solche Beobachtungen, also Herpesviren, die im Körper bleiben, die da persistieren. Bei Pfeifferschen Drüsenfieber kennt man das. Eine Masern-Infektion kann noch Jahre später eine Gehirnentzündung machen. Gibt es Anhaltspunkte, dass das beim Coronavirus auch denkbar ist? Oder verhalten sich Coronaviren so grundsätzlich anders, dass sie da eher theoretisch sagen, ich halte das für Spekulation?
Kobbe: Also die Viren, die Sie genannt haben, Herpesviren haben ja typischerweise einfach das Charakteristikum, dass sie im Körper persistieren, sich zurückziehen in bestimmte Gegenden, die Nervenzellen und dann teilweise wieder hervorkommen bei Reaktivierung. Das ist jetzt für Coronaviren nicht beschrieben. Insofern ist es nicht vorstellbar, dass man über Jahre irgendwie dieses Virus in sich trägt und dann dadurch immer wieder aufkehrende Probleme hat.
Das ist bei schwer immunsuppressiven Menschen beschrieben, dass das über Monate der Fall sein kann, dass man halt auch sehr, sehr lange positiv bleibt, was die Ausscheidung angeht. Das sind Fälle, die da beschrieben sind. Aber grundsätzlich ist es so, dass das kindliche Immunsystem sehr, sehr gut funktioniert und auch das Virus entsprechend schnell eliminiert.
Hillebrand: Vielleicht noch ergänzend: Man hat doch in einigen Studien gesehen, dass das Coronavirus in Darmzellen insbesondere noch längere Zeit nachgewiesen werden kann. Vor allem bei immunsupprimierten Patienten und das vielleicht auch ein Mit-Mechanismus ist für Long-Covid. Das ist aber sicherlich auch noch eher spekulativ.
Kobbe: Genau in der Long-Covid Diskussion ist das ein möglicher Mechanismus, der beschrieben wird, wie es zu diesen bisher noch unverstandenen pathophysiologischen Symptomen kommen kann. Deshalb muss man ja auch in der Differenzialdiagnostik andere Erkrankungen ausschließen, die ähnliche Symptome machen können. Aber das ist, glaube ich, eher die Ausnahme und eher bei Immunsuppression, dass das passiert.
Wenn Sie jetzt Impfschäden, Langzeitschäden ansprechen, dann ist es ja so, dass diese sogenannten Langzeitschäden eigentlich in zeitlicher Nähe zur Impfung auftreten und dass die dann lange andauern. Deshalb heißen sie dann Langzeitschäden. Das jetzt irgendwann nach langer Zeit noch mal ein Schaden auftritt, weil man vor Monaten oder Jahren geimpft wurde, das ist nicht zu erwarten und würde ich jetzt auch nicht herbeireden. Da gibt es keinerlei Hinweise dafür.
Sicherheit des Biointech-Impfstoffs für Kinder
Hennig: Lassen Sie uns mal zur Impfung selbst kommen, zur Covid-19-Impfung. So eine Impfentscheidung ist ja immer eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Das ist auch das, was die Stiko macht. Das heißt, Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Infektion werden möglichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Impfung gegenübergestellt. In der anderen Schale der Waage, was diese Risiko-Nutzen-Abwägung angeht, liegt also die Wirksamkeit und die Sicherheit des Impfstoffs.
Jetzt waren in der Zulassungsstudie von Biontech ja nicht so viele Kinder in der Kinderzulassungsstudie. Das waren so 1.500 Kinder die den Impfstoff bekommen haben und sie wurden zwei, drei Monate nachbeobachtet. Aber mittlerweile gibt es Erkenntnisse aus den USA, wo schon seit Wochen auch Kinder unter fünf Jahren geimpft werden. Wie viel Sicherheit kann uns das geben?
Hillebrand: Also ich glaube, dass man sich bei dem Impfstoff wirklich sehr sicher fühlen kann. Die Daten aus Amerika, die jetzt gerade, ich glaube Anfang der Woche noch mal von der Direktorin des CDC in einem Pressestatement bekanntgegeben wurden, sind wirklich gut. Und zwar hat sie nochmal explizit Stellung genommen zu dieser Frage der Myokarditis, Perikarditis. Also der Entzündung der Halsmuskelzellen oder des Herzbeutels, die ja in der Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, insbesondere der jungen Männer heftig diskutiert worden ist.
Obwohl man sich da, glaub ich, auch noch mal die Zahlen genau vor Augen führen muss. Jedenfalls ist das Gute, das in der Gruppe der Kinder zwischen fünf und elf bisher wirklich kein Fall von Myokarditis in dem Postmarketing, also in den Analysen, die die Kollegen in Amerika machen, nachdem sie eben diese riesige Impfkampagne angefahren haben und inzwischen fünf Millionen geimpft haben, davon ungefähr zwei Millionen auch schon zweifach geimpft. Die haben noch keinen Fall von Myokarditis in dieser Gruppe gefunden.
Myokarditis und Testosteron
Das passt ja auch ganz gut zu den Hypothesen, die es um die Myokarditis überhaupt gibt, nämlich diese Häufung von Fällen bei jungen Männern, älteren männlichen Jugendlichen und jungen Männern. Die scheint ja, so ist zumindest eine gut begründete Hypothese, mit dem Hormonspiegel, insbesondere mit Testosteron zusammenzuhängen. Dieses Hormon scheint also die Herzmuskelzellen in bestimmten Phasen etwas empfindlicher für infektiöse Prozesse zu machen.
Und das würde ja dann gut passen, weil der Testosteronspiegel bei Kindern in dem Alter ist noch nicht hoch und entsprechend scheint es eben auch mit der Grund dafür zu sein, dass es eigentlich keine Myokarditis gibt. Insofern kann man sagen, wirklich eine sehr sichere Impfung, gerade auch in Bezug auf diese gefürchtete Nebenwirkung.
Hennig: Spielt da auch die Dosis eine Rolle, weil ja nun die unter Zwölfjährigen nur ein Drittel der Dosis bekommen?
Hillebrand: Ja, also ich glaube, das kann man schon spekulieren. Es war ja auch so, dass in der Gruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen und dann auch wieder der jungen Männer diejenigen, die mit Moderna geimpft worden waren, was ja als Impfstoff in einer bisschen höhere Dosierung gegeben wird als Biontech, dass da auch die Rate der Myokarditiden ein bisschen höher war. Und insofern könnte man sagen, wenn man jetzt reduziert hat, beim Kind eben nur ein Drittel der erwachsenen Dosis von Biontech gibt ohnehin schon eine niedrigere Dosis, dann wird das sicherlich auch nochmal eine Rolle spielen.
Hennig: Herr Kobbe, ich würde Sie um eine grundsätzliche Erklärung an der Stelle bitten, weil das für Eltern nicht immer ganz leicht zu verstehen ist, warum man eigentlich aus medizinischer Sicht diese Altersgrenzen zwei bis fünf Jahre, fünf bis zwölf Jahre macht und unten eben null bis zwei Jahre und dann über zwölf Jahre. Gibt es da wesentliche Unterschiede im Immunsystem? Denn es geht ja nicht um Größe oder Schwere der Kinder. Das wäre ja ein bisschen zu heikel mit den Altersgrenzen, weil eben auch manche Kinder sehr groß oder sehr, sehr leicht sind.
Kobbe: Genau das ist ja eine unserer am liebsten zitierten Sätze, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind. Dennoch tastet man sich natürlich nach den Zulassungsdaten und Erfahrungen der Erwachsenen langsam runter. Man nimmt dann traditionell die Jugendlichen ab 16 mit zu den Erwachsenen und dann den Schritt runter zu zwölf. Aber es sind auch viele Dinge noch unverstanden. In einigen Fällen, sei es jetzt Medikamentenstudien spielt natürlich das Gewicht und die Körperzusammensetzung, die bei Kindern unterschiedlich ist, eine Rolle, um dann die richtige Dosis zu finden, die Verteilungskurven dieser Medikamente.
Bei Impfungen ist das doch recht unterschiedlich. Wir kennen Impfstoffe, da benötigen Kinder, auch gerade die kleinen Kinder, durchaus höhere Dosen und bei anderen Impfstoffen verhält es sich umgekehrt, da muss man dann eine niedrigere Dosis auswählen. Und insofern ist das hier schon sehr interessant, dass natürlich ein Drittel der Dosis bei Fünf- bis Elfjährigen die gleiche Wirksamkeit und eine bessere Verträglichkeit hat als bei jungen Erwachsenen. Und das ist ja schon mal sehr erfolgreich, dass man da halt weniger einsetzen muss und entsprechend auch weniger Reaktionen an der Einstichstelle hat und auch systemische Reaktion.
Studie zur Immunantwort von Kindern auf das Virus
Hennig: Kann man da Parallelen ziehen zu den Erkenntnissen, die es gibt, zur Krankheitsschwere? Es ist ja eine ganz interessante deutsche Arbeit erschienen, unter anderem aus Berlin, München und Heidelberg, glaube ich. Die erklärt, warum Kinder eigentlich viel seltener an Covid-19 erkranken, vereinfacht gesagt, weil das Immunsystem direkt auf den Schleimhäuten schneller anspringt, Herr Hillebrand?
Hillebrand: Ja, ganz spannende Arbeit von Loske, glaube ich. Und anderem. Die große Arbeit, die versucht haben, Mechanismen auf zellulärer Ebene zu finden, die erklären könnten, warum Kinder weniger krank werden. Ob die Erkenntnis aus der Arbeit auch auf den Impferfolg zu übertragen sind, weiß ich nicht genau. Aber ich glaube, die Arbeit ist an sich sehr spannend zu lesen. Die Kollegen haben im Grunde, wie Sie sagen, eine transcriptional landscape auf Einzelzellen-Ebene gemessen. Bei Kindern, die an Covid-19 erkrankt waren.
Sie haben im Grunde also Aspiraten von Zellen in ein Analysesystem gebracht und untersucht, welche Entzündungsfaktoren, Mediatoren, Regulationseiweiße und so weiter und so fort, hoch reguliert oder runter reguliert werden und die Antwort des Immunsystems ausmachen auf dem Virus. Was sie gefunden haben war, dass eben anscheinend gerade junge Kinder eben in besonders guter Weise auf die Abwehr von Sars-CoV-2 eingestellt sind, in dem sie auf ihren Schleimhautoberflächen sehr schnell eine Reaktion hervorrufen können, die das Virus bekämpft und eliminiert, und zwar deutlich schneller und effizienter als Erwachsene.
Also eine Hauptrolle wird immer dem Interferon zugeschrieben, so einem Botenstoff der frühen Entzündung. Kindern gelingt es anscheinend eine sehr frühe und schnelle und hohe Interferonantwort zu erzeugen auf die erste Virusinfektion im oberen Rachen. Und diese Interferonantwort steuert das nachgelagerte, nachfolgende Immunsystem dann so effizient, dass es in vielen Fällen den Kindern gelingt, das Virus da oben zu halten und sozusagen die Ausbreitung in tiefere Organe zu vermeiden.
Interferonantwort bei Erwachsenen
Bei Erwachsenen scheint diese Interferonantwort später und nicht ganz so stark zu kommen und dadurch hat das Virus eben eine Chance sich auszubreiten. Und das Ganze, also das ist nur ein Aspekt, es gibt eben viele andere. Auch auf zellulärer Ebene zeigt die Arbeit viele Messungen, die besonderen Schwerpunkt auf die CD8-Zellen, also bestimmte Lymphozyten, Abwehrzellen, die hoch reguliert werden und auch besonders effizient in der Steuerung der nachfolgenden Immunreaktion scheinen.
Insofern gibt es da in dieser Arbeit und sicherlich auch in vielen anderen Arbeiten, erste gute Erklärungsansätze, warum Kinder eben nicht in der Mehrzahl der Fälle so schwer erkranken. Interessanterweise die, die dann eben mit PIM-Syndrom zur Aufnahme kommen, die scheinen eher nicht ganz so gute Interferonantworten zu haben. Es würde also die Hypothese auch noch mal stärken.
Hennig: Also da hat etwas einfach nur nicht so gut funktioniert. Was in der Regel bei Kindern gut funktioniert, kann man aber sagen.
Kobbe: Wenn ich da noch mal einhaken darf, ist auch die Antikörperantwort bei Kindern ja wirklich äußerst gut. Nach natürlicher Infektion zeigen Kinder, das haben Studien aus USA, aber auch hier aus Tübingen von Hanna Renk gezeigt, dass es eine anhaltende robuste Antikörperantwort gibt, die auch länger anhält und später abfällt in der Höhe, im Vergleich zu Erwachsenen. Und das ist ja erst mal beruhigend. Und das scheint ja auch, wenn man sich die Studien jetzt so anguckt, auch wenn wir noch nicht viele Daten haben, nach Impfung genauso zu sein, dass sie eine wirklich sehr gute Antwort produzieren.
Booster für Kinder und Jugendliche?
Hennig: Andererseits, Stichwort "Wie lange hält das an?" Da sind wir ja mitten in der Booster-Diskussion, die für Erwachsene an Fahrt aufgenommen hat. Auch wie bald man eigentlich boostern muss und dass so ein Impfschema eigentlich erst nach drei Dosen vollständig ist. Was heißt das denn für Kinder? Aber wir haben geimpfte Kinder auch nicht schon zehn Monate beobachten können. Gehen Sie eher davon aus, dass der Booster bei Kindern und Jugendlichen nicht nötig ist?
Hillebrand: Ich kann vielleicht ganz kurz noch aus der Praxis berichten, dass das in der Tat ein drängendes Problem ist. Aber noch nicht für die Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen, sondern für die Gruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen, die sich ja zum großen Teil im Spätsommer, jedenfalls wenn sie es wollten, die Impfung geholt haben. Zwei Dosen im Abstand von drei bis vier Wochen. Und die kommen jetzt eben auch in die Phase, wo sie dann vier bis fünf Monate nach der zweiten Dosis sind und bekommen eben die Diskussion mit und fragen jetzt gehäuft an, ob sie nicht auch einen Booster kriegen könnten.
CDC-Empfehlung für Booster für Jugendliche
Die CDC hat es ja, glaube ich, jetzt ab dem Alter von 16 Jahren empfohlen. Da scheint es also auch die Überlegungen zu geben, dass man eben gerade die Jugendlichen auch schützen sollte durch die dritte Gabe. Ich glaube, die Daten für fünf bis elf sind einfach noch zu jung und die Beobachtungszeit noch zu kurz, um das zu entscheiden. Aber vorstellbar wäre es natürlich schon und ich denke, dann muss man auch noch mal gucken, wie jetzt die nächsten Wochen verlaufen. Mit der Ausbreitung der neuen Variante und der Frage, wie stark die sich bei Kindern auch zeigt und wie gut die Immunität dann noch ist.
Abstand zwischen den beiden Impfdosen
Kobbe: Also am Wochenende ist eine Arbeit von Adoleszenten aus England erschienen, die gezeigt hat, dass die Effektivität der ersten Impfung mit einem mRNA-Impfstoff deutlich höher war als bei den älteren Erwachsenen. Also, dass die vaccine effectiveness gegen symptomatische Erkrankungen 80 Prozent nach der ersten Impfung waren, die dann aber doch leider auch relativ schnell abgefallen ist. Also nach acht Wochen war das nur noch 40 Prozent.
Diese Strategie in England, dass man die zweite Dosis hinauszögert oder vielleicht auch sogar nur einmal impft, da wird man die Zwölfjährigen jetzt wahrscheinlich auch verlassen und dort zweifach Impfung und ein Booster letztendlich kommen wird, nehme ich an. Aber vorerst geht es natürlich darum, dass wir möglichst vielen diese zwei Dosen im Abstand von drei bis sechs Wochen geben, um dann quasi damit einen Grundschutz vor schwerer Erkrankung zu erreichen und auch unter Kindern gibt es ja nicht wenige, die eben immunsupprimiert sind.
Kinder mit rheumatischen Erkrankungen, die Immunsuppressiva einnehmen oder andere. Und auch hier ist im Prinzip in den Studien, die schon laufen, eine dritte Dosis fest integriert, so dass man davon ausgehen kann. Man schaut natürlich auf die Daten der Erwachsenen. Die Daten liegen noch nicht vor, so dass man drei Impfungen als Grundimmunisierung annimmt bei Kindern, die immunsupprimiert sind.
Hennig: Sie haben jetzt schon drei bis sechs Wochen Impfabstand gesagt. Bei den unter Zwölfjährigen ist in der Zulassungsstudie ein Impfabstand von drei Wochen festgelegt worden. Macht es Sinn, diesen Abstand vielleicht auszudehnen, um eine länger anhaltende Immunantwort zu bekommen? Das war ja bei den Erwachsenen so eine Erkenntnis, die man hatte. Andererseits drängt die Zeit?
Kobbe: Genau, Sie sprechen es an.
Hillebrand: Ja, das ist genau die Diskussion, die ich auch mit Eltern führe, insbesondere mit solchen, die eben gut eingelesen sind in das Thema und die genau die Diskussion damals vor einem Jahr bei den Erwachsenen mitbekommen haben. Vor nicht ganz einem Jahr. Ich glaube eben, es ist nur logisch. Auch nach dem, was wir in diesem Podcast schon viel gehört haben, ist es wahrscheinlich sinnvoll, ein bisschen länger zu warten. Also länger als drei Wochen, eher vielleicht an das höhere Ende, sozusagen Richtung vier bis sechs Wochen Abstand zwischen den beiden Impfungen zu gehen.
Auf der anderen Seite sind jetzt die Inzidenzen so hoch und fast alle Eltern, die hier zum Impfen her kommen, berichten, dass just in den letzten Tagen eben die Einschläge viel, viel näher gekommen sind und dass jetzt die ersten Fälle in der Klasse sind und so weiter und so fort. Und ich sag dann auch, ich denke auch die Studie hat ja mit den drei Wochen Abstand eine sehr gute Antikörperantwort gezeigt. Und jetzt sind die Inzidenzen hoch, die Welle ist da. Und dann kommt wahrscheinlich auch noch Omikron. Insofern sollte man, glaube ich, jetzt pragmatisch handeln und die Impfung durchführen und sehen, dass schnell viele die zweite Impfung bekommen.
Hennig: Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die Einschläge näher kommen. Herr Hillebrand, weil Sie ja schon länger impfen, auch jüngere Kinder und Sie sagen, die Termine sind immer ganz schnell weg. So viele Eltern haben dringend auf die Impfung gewartet. Haben die eigentlich trotzdem noch viele Fragen, wenn sie zu Ihnen kommen? Also eben das Stichwort Langzeitfolgen der Impfung mit all seinen eigentlich begrifflichen Komplikationen, weil es eben nicht der korrekte Begriff ist. Aber so die Sorge, zum Beispiel das Spikeprotein, das der Körper ja nach der Impfung selbst bildet, könnte langfristig irgendwas triggern, Autoimmunerkrankung oder so was?
Hillebrand: Die, die jetzt im Moment kommen, überhaupt nicht. Die sind einfach nur unglaublich erleichtert. Ich habe so was auch noch nicht erlebt, auch in der normalen Sprechstunde, wo man ja auch viel mit Kinderimpfung, also speziell vor allem den Impfungen im ersten und zweiten Lebensjahr zu tun hat. Da ist natürlich häufig Beratungsbedarf und manche Eltern möchten es dann doch sehr genau wissen, möchten Details wissen, sind sich nicht ganz sicher, ob sie jede Impfung wollen, die von der Stiko empfohlen ist.
Aber das erlebe ich jetzt im Moment bei der Klientel, die jetzt kommt, überhaupt nicht. Die sind einfach nur unglaublich erleichtert, dass sie jetzt endlich die Impfung für ihre Kinder kriegen, die sie sich schon so lange gewünscht haben. Insofern sind die Beratungsgespräche meistens ziemlich kurz. Speziell die Angst vor Autoimmunerkrankungen, die möglicherweise durch Spike getriggert werden könnten, da habe ich auch noch nicht viel gehört. Es ist auch so, die Eltern, die jetzt kommen, die sind eben meistens gut eingelesen, denen ist auch klar, dass, wenn sie jetzt sich gegen die Impfung entscheiden würden, für weiteres Abwarten, meinetwegen bis man mehr Daten hat, dass dann die Wahrscheinlichkeit für das Durchmachen der Infektion sehr, sehr groß wird.
Und ich denke, auch wenn man über Langzeitfolgen in Form von Triggerung von Autoimmunprozessen spricht, dann muss man sich ja immer klar machen, dass im Grunde das Virus eine sehr, sehr viel stärkere und ungeregeltere Produktion von Spike in viel mehr Körperzellen macht, als wir das mit der Impfung induzieren. Insofern finde ich das Argument, wenn es denn käme, könnte man das glaube ich gut besprechen. Ich glaube auf der anderen Seite natürlich, wenn wir über eine richtige Impfkampagne sprechen würden, so wie die Amerikaner das machen, dann werden wir auch in vielen Schichten der Bevölkerung Skepsis haben gegenüber der Kinderimpfung.
Viele Eltern scheinen kritisch
Es gibt ja so eine Umfrage aus Israel aus dem dortigen Krankenhausmelderegister. Die haben bei Eltern gefragt in der Gruppe fünf bis elf, ob sie dann ihre Kinder impfen würden, wenn die Zulassung, die Empfehlung der dortigen Behörden da wäre. Und da hat sich, glaube ich, gerade mal etwas mehr als ein Drittel dafür ausgesprochen, dass sie das sofort tun würden.
Und etwa zwei Drittel waren eher noch zurückhaltend, skeptisch. Es mag sich jetzt natürlich auch wieder ändern, wenn man sieht, dass es in anderen Ländern gut läuft. Aber ich glaube, da müssen wir natürlich, wenn wir denn wollen, dass wir es richtig mit einer hohen Impfrate anstreben, dann müssten wir sicherlich auch noch viel Überzeugungsarbeit leisten, in den Gruppen der Bevölkerung, die kritisch sind.
Hennig: Auch in den USA, die letzte Zahl, die ich gelesen habe, war: Trotz Impfkampagne eins von fünf Kindern unter zwölf Jahren ist dort erst geimpft.
Hillebrand: Also das ist noch weit weg von einer hohen Vakzinierungsrate, das kann man sicherlich sagen.
Hennig: Sie haben eben schon gesagt, es gibt Eltern, die auch trotzdem nicht alle Impfungen haben wollen in anderen Zeiten, wenn es nicht um Corona geht, die die Stiko empfiehlt. Vielleicht können wir zum Vergleich mal auf ein paar andere Impfungen blicken, auch weil wir jetzt plötzlich so auf einen Impfstoff starren, ganz viele Fragen dazu haben.
Und ehrlicherweise alle, die nicht impfskeptisch sind, die gehen zum Kinderarzt, der Ärztin, nehmen die Impfung und fragen natürlich nicht: Was genau ist das für ein Impfstoff? Wie ist er hergestellt? Wie genau wirkt er? Sondern wir nehmen einfach, was wir kriegen können. So war das zumindest bisher. Und wir haben Totimpfstoffe, die brauchen aber wiederum einen Wirkverstärker, ein Adjuvans. Wir haben Lebendimpfstoffe, wo das Virus zwar abgeschwächt ist, aber trotzdem ein lebendes, kein künstlich hergestelltes Virus.
Parallelen zur Einführung anderer Impfstoffe: Windpocken
Was kann man denn im Vergleich mit anderen Impfungen sagen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten, sage ich mal, eingeführt wurden? Zum Beispiel 2004 wurde erst die Windpocken-Impfung eingeführt, also die Varizellenimpfung. Und das ist jetzt nicht gerade eine Krankheit, muss ich mal so laienhaft sagen, die aus Eltern-Perspektive auf der Liste der besonders bedrohlichen Krankheiten steht. Erst mal kennen das Eltern, die es selber als Kind durchgemacht haben, dass das unangenehm war. Aber welches Risiko-Nutzen-Profil stand denn da hinter diese Entscheidung?
Hillebrand: Ja, in der Tat. Man hat damals die Daten aus 2003, da hatten wir etwa 700.000 Fälle Windpocken-Erkrankungen pro Jahr und davon etwa die Hälfte, 320.000 waren in der Altersgruppe sechs bis zwölf Jahren. Das kann man ganz gut im epidemiologischen Bulletin des RKI nachlesen aus dem Jahr 2004. Da wird es alles mal schön zusammengefasst und man hat also eine endemische Situation gehabt mit dem Windpocken-Virus bei einem meist allerdings milden Verlauf: Drei bis fünf Tage Fieber, dann gab es diese typische Bläschenbildung, aber die heilten ja ohne Narbenbildung ab und die meisten Kinder haben das sehr gut überstanden.
Und die Komplikationen, die man im Grunde damals sah, waren eben zum einen, dass sich diese Bläschen mal superinfizieren konnten, also dann bakterielle Infektionen passieren konnte, insbesondere bei Kindern, die vielleicht so eine Art atopische Dermatitis hatten. Die hatten also manchmal schwere Verläufe mit der Haut. Das war ein häufiger Grund für eine Krankenhauseinweisung. Dann hat man gesehen, deutlich schwerwiegend verlaufende Fälle bei Kindern, die an einer Immunsuppression gelitten haben, sei es angeboren oder durch Medikamente, wenn sie zum Beispiel wegen einer Leukämie behandelt werden mussten. Und dann hat man schwere Erkrankungsfälle gesehen bei neugeborenen Kindern, die also um die Geburt herum zum ersten Mal mit Windpocken infiziert wurden, ohne dass die Mutter ihnen ausreichenden Schutz mitgegeben hätte und letztendlich aber auch eine geringe Hospitalisierungsrate.
Also vor Einführung der Impfung sagte man, es waren etwa 2,5 bis sieben Kinder pro 100.000 pro Jahr, die ins Krankenhaus mussten wegen Windpocken und einer, Gott sei Dank, auch sehr, sehr niedrigen Mortalität, vier bis zehn Fälle pro Jahr zwischen 96 bis 2001. Da hat man noch geschätzt, dass es vielleicht ein bisschen untererfasst war, aber dann mit so ein bisschen Korrekturfaktor kam man auf vielleicht 25 Todesfälle an Windpocken pro Jahr, was immer noch dramatisch ist, aber eine insgesamt gesehen niedrige Zahl und das Ziel, das formuliert wurde, war, man wollte die Morbidität reduzieren, die Krankheitslast in der Bevölkerung und wollte die Rate der Komplikationen und der Hospitalisierung reduzieren. Obwohl sie, wie wir gerade gehört haben, jetzt gar nicht so hoch waren.
Ökonomische Belastung durch Windpocken
Und man hat damals auch, was ich sehr interessant finde, gesagt, es könnte auch gelingen, die ökonomische Belastung zu reduzieren. Und damit war gemeint, sowohl die Belastung der Familien, die dann also durch Betreuung zu Hause bleiben mussten, als auch die Belastung der Arbeitgeber. Wenn dann die Eltern durch die Betreuung der erkrankten Kinder zu Hause bleiben mussten. Dieses Argument war damals übrigens ziemlich umstritten. Aber die Stiko, das kann man auch nachlesen, hat die mit als einen Faktor mit einberechnet und hat auch geschrieben, das könnte sich letztendlich um eine kosteneffektive Intervention handeln.
Und natürlich war auch angestrebt, eine Herdenimmunität zu erlangen für die Windpocken. Und all das hat sich dann auch, muss man sagen, bestätigt. Man hatte Vorerfahrungen aus den USA, die hatten ein paar Jahre vorher eine Impfempfehlung eingeführt und hatten damit sehr gute Erfahrungen gesammelt. Und auch in Deutschland hat das gut geklappt. Da gibt es ja diese Studie aus dem Münchner Umland. Die haben über die Jahre 2006 bis 2011 bei ihren Kindern geguckt, wie sich die Impfung ausgewirkt hat. Und sie haben also insgesamt eine Impfrate von an die 60 Prozent in diesem Zeitraum erreicht, nach Einführung der Empfehlung und haben eine deutliche Reduktion der Fälle gesehen, und zwar um etwa 67 Prozent Fallzahlreduktion.
Und dann haben Sie eine Reduktion der Hospitalisierungsrate auch so um die knapp 50 Prozent gesehen. Also von 7,6 pro 100.000 im Jahr 2005 auf 4,3 pro 100.000 Kinder im Jahr 2009. Also alles das, was vorausgesagt war, ist im Grunde mit der Impfung erzielt worden. Wenn man die Fallzahlen von damals vergleicht, mit den Fallzahlen, die wir jetzt für Covid-19 im Kindesalter haben, also bezogen auf Hospitalisierung, bezogen auf Komplikationen wie PIMS, dann sind die nicht so weit weg voneinander, muss man sagen.
Kobbe: Es hat nur leider auch ein bisschen länger gedauert, bis man diese über 60 Prozent erreicht hat. Die Zeit haben wir jetzt halt nicht, aber ich sehe auch die Parallelen, dass man durch den Schutz vor schweren Verläufen zusätzlich auch noch irgendwie einen Gewinn an sozialer Teilhabe und den Nutzen für die psychische Gesundheit des Kindes gewinnt.
Hennig: Es kommt einem alles bekannt vor. Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich aber, das hat, glaube ich, Mark Twain gesagt. Ein bisschen ist das hier so. Da haben Sie gerade schon das Argument des Herdenschutzes angesprochen. Herr Kobbe, welche Rolle spielt das generell bei anderen Impfstoffen, wenn man mal so drauf guckt, was da in der letzten Zeit auch noch zugelassen wurde?
Gegen Rotaviren gibt es ja auch noch eine Impfung, die wurde, glaube ich, vor acht Jahren eingeführt. Die HPV-Impfung zur Verhinderung von bestimmten Krebsarten zum Beispiel ist noch ein bisschen jünger. Ist das ein Argument, das normalerweise ein ziemliches Gewicht in der Argumentation für die Einführung von Impfungen hat?
Herdenschutz als Argument für Impfempfehlungen
Kobbe: Also bei den beiden Impfungen, die Sie angesprochen haben, meines Erachtens nicht so sehr. Da würde man zum Beispiel die Masern eher als Beispiel nehmen. Da hat man ja quasi ab einer Impfrate von 90 Prozent wirklich eine messbare Herdenimmunität. Das führt auch dazu, dass wir halt selten und wenn dann eher kleinere Ausbrüche in Communitys haben, die dann eine höhere Rate von nicht geimpften Personen haben. Das ist, glaube ich, ein sehr gutes Beispiel, das mit einer hohen Durchimpfungsrate, Masernfälle und Ausbrüche doch deutlich verhindert werden können.
Bei der Einführung der Rotavirus-Impfung ging es vor allem in Deutschland eher darum, die Hospitalisierungsraten runter zu bringen. Damit auch, aus meiner Sicht, nicht nur ein individueller Impfschutz, der hier auch abgewogen wurde, sondern auch ein ökonomischer Gesichtspunkt. Und welche Impfungen sagten Sie noch? Die HPV-Impfung. Da ist es ja so, dass man die Auswirkungen erst nach einer gewissen Zeit hat, also wirklich die Verhinderung von zervikalem Krebs bei Frauen. Es geht nicht mit Herdenimmunität oder so einher. Da müsste man schon eine sehr, sehr gute Impfrate bekommen, von der wir leider sehr weit entfernt sind.
Grundimmunisierung nicht vergessen
Also das ist eine sehr wichtige Impfung. Und ich kann auch hier nur dazu aufrufen, dass man bei all dem Covid-19-Impfgerede nicht vergisst, die Grundimmunisierung entsprechend anzuwenden. Sprich: Es ist extrem wichtig sich an die normale Grundimmunisierung zu halten, auch an die vorgegebenen Zeiten von der Stiko. Also weltweit haben wir ein riesiges Problem dadurch, dass durch die Covid-Pandemie Grundimmunisierungen nicht durchgeführt werden und sehen jetzt wieder große Masernausbrüche in Pakistan und in anderen Ländern.
Also Millionen von Kindern haben ihre Grundimmunisierung zu spät bekommen und das ist ein großer Nebenschaden der Pandemie. Die deutschen Kinderärzte haben das sehr gut hingekriegt, die nicht stattgehabten Impfungen dann nach dem Lockdown nachzuholen. Also da sind wir in Deutschland nicht im Verzug. Das sieht aber in anderen Ländern anders aus.
Bilanz der Masern-Impfpflicht in Deutschland
Hennig: Nun war die Masernimpfung gerade vor Corona eine, die groß in der Diskussion war, wegen dieser Impfpflicht. Tatsächlich ein ganz anderer und doch wieder sehr ähnlicher Fall. Was würden Sie denn da für eine Bilanz ziehen? Wie gut stehen wir in Deutschland da, was diese Masernimpfung angeht in Bezug auf den Herdenschutz?
Kobbe: Also das ist so nebenher passiert, dass ich den Impfausweis meiner Kinder mal eben an der Schule vorzeigen musste. Das wurde auch in der Presse wenig diskutiert, was ja doch sehr erstaunlich ist. Auch der Nachweis der Masernimpfung hier im Krankenhaus beim Betriebsarzt, das muss ja jetzt dieses Jahr alles geschehen sein und passiert auch. Und es ist sicherlich auch sehr gut. Ich weiß, dass es sehr hohe Impfraten in Deutschland gibt und auch in Europa waren die zuletzt relativ gut über die letzten Jahre.
Und trotzdem hatten wir 2018 eine starke Zunahme der Fälle und 2019 noch vor der Pandemie die höchsten Fallzahlen denn je. Auch in Europa. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass wir zwar eine Impfrate von 95 Prozent oder über 90 Prozent haben, aber sich halt in bestimmten Regionen dort dann Communitys sammeln, die halt deutlich geringere Impfraten haben und sich dort dann durch Import von Masernviren Epidemien ausbreiten können. Im kleineren Stil, sage ich mal.
Hennig: Ich würde gern noch einmal kurz auf den Faktor Schutz anderer zu sprechen kommen. Auch wenn die HPV-Impfung die Impfung gegen das humane Papillomvirus, das Gebärmutterhalskrebs vor allem ja auslösen kann, keinen Herdenschutz erzeugen kann, so ist ja doch ein wesentliches Argument, dass sich Jungs impfen lassen sollen. Auch zum Eigenschutz, aber im Vordergrund steht doch nach wie vor auch, um Mädchen und Frauen vor Übertragung zu schützen.
Hillebrand: Genau.
Annahme HPV-Impfung von Jungs
Hennig: Wie gut wird denn diese Impfung angenommen? Was sind da ihre Erfahrungen auch aus der Praxis, gerade von Jungs und deren Eltern?
Hillebrand: Ich muss zugeben, ich bin ja hier Krankenhausarzt und mein Hauptgebiet ist eben die Tätigkeit im Krankenhaus und nicht so sehr die Sprechstundentätigkeit. Ich habe allerdings auch eine kleine Sprechstunde, da muss ich die Jungs in dem Alter aktiv auf die Sache ansprechen und auch manchmal so ein bisschen argumentativ mit denen diskutieren, ob sie das wollen oder nicht. Aber die meisten sind dann auch einverstanden. Das höre ich aber auch von Kollegen aus der Niederlassung, dass das schon eine Impfung ist, die zu einem Alter kommt, wo man die Kinder sowieso nicht mehr so regelmäßig sieht.
In den ersten Lebensjahren werden die Kinder ja sehr häufig in der Kinderarztpraxis vorgestellt. Das ist mit ein Grund, warum so viele Impfungen auch zu Anfang durchgeführt werden, weil man einfach eine hohe Ansprechquote hat. Also man sieht die Kinder und deren Eltern einfach oft, während man eben Jugendliche im Alter so über 13, 14 das ist schon deutlich seltener, dass man die noch in der Sprechstunde sieht. Das versuchen die ja eigentlich zu meiden, wenn es ihnen nicht wirklich richtig schlecht geht.
Und auch die Akzeptanz dieser jugendlichen Vorsorgeuntersuchung ist lange nicht so hoch wie die der Vorsorgeuntersuchung bei den kleineren Kindern. Insofern ist da sicherlich auch noch eine große und schwierige Aufgabe, wenn man für die HPV-Jungs-Impfung eine richtig gute Quote erzielen will. Ich vermute, dass wir da im Moment weit unter 20 Prozent des Jahrgangs sind.
Kobbe: Aber schon wenige Impfungen machen da viel aus. Eine niedrige Impfquote hat nach Modellrechnungen gezeigt, dass ein Großteil von Gebärmutterhalskrebs verhindert werden kann. Und Sie sprachen es ja auch an, die Sinnhaftigkeit der Tatsache, Jungs zu impfen ist halt: Das sind sozusagen die Überträger. Sie erkranken nur selten an Anal- und Peniskrebs. Aber sie sind halt auch mit die Verbreiter. Und das ist ja auch interessant, wenn man hier einen sekundären Gewinn durch die Impfung einer anderen Gruppe hat. Darauf zielt ja Ihre Frage ein bisschen hin.
Fremdschutz als Aspekt der Rotaviren-Impfung
Hennig: Genau das ist ja auch bei der Corona-Impfung ein sekundärer Gewinn, der auch bei der Stiko-Entscheidung zur Kinderimpfung ja schon auch eine Rolle spielt. Nicht die vorrangige, aber doch die Frage: Können Kinder insgesamt auch einen Effekt auf die Bevölkerung haben? Es gab ja Modellierungen, die davon ausgehen, dass die Impfung der Kinder auf das gesamte Infektionsgeschehen, nur einen Effekt im einstelligen Prozentbereich hat.
Wenn man das Argument des Fremdschutzes mit einbeziehen will. Andererseits, ein Rechenbeispiel: Nur fünf Prozent Reduktion könnte die täglichen Fallzahlen zum Beispiel um 2.500 senken oder auf Todeszahlen umgerechnet 25 weniger Todesfälle pro Tag.
Hillebrand: Also auch die Rotavirus-Impfung hat gezeigt, dass es auch einen Schutz gibt für ältere Kinder. Geschwisterkinder zum Beispiel. Als man anfing die Rotavirus-Impfung auszurollen, hat man eben gesehen, dass in den Jahrgängen, die dann schon ein bisschen älter waren, also die drei-, vierjährigen Geschwisterkinder zu Hause, die hatten dann auch, nachdem die ganz Kleinen gegen das Rotavirus geimpft waren, hatten sie weniger infektiöse Gastroenteritis-Erkrankungen.
Also insofern, auch da und genauso bei Windpocken: Da hat man ja eben den Schutzeffekt, vor allem auch für die immunsupprimierten Patienten, zum Beispiel Kinder, die wegen Leukämie behandelt werden. Für die ist es schon wichtig, dass in ihrer Umgebung eben möglichst keine Windpocken zirkulieren. Und insofern ist dieser Gedanke Fremdschutz, der ja manchmal bei der Covid-19 Impfung fast schon verboten formuliert wurde, die dürfen auf gar keinen Fall zum Schutz immunisiert werden. Das ist ja bei vielen Impfungen ja gar nicht so weit ab, dass man eben die Impfung auch durchführt, um der Gesamtbevölkerung etwas Gutes zu tun.
Hennig: Klassischerweise Magen-Darm-Erkrankungen, also bei Rotaviren, das kennen viele Familien. Wenn es einer hat, rauscht es durch die ganze Familie durch. Jetzt war das aber auch ein Impfstoff, bei dem es Diskussion gab um seltene Komplikationen. Da wurden Darmeinstülpungen mit einem bestimmten Impfstoff beschrieben. Ist das eigentlich was, was jetzt so unter dem Radar immer mitgelaufen ist und eigentlich auch zu der Impfstoffentwicklung dazugehört? Dass man nach Markteinführung dann noch eine Weile beobachten muss und dass es eben immer mal wieder seltene Komplikationen geben kann?
Hillebrand: Ja, also auf jeden Fall. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel und in Frankreich hat das dazu geführt, dass man die Rotavirus-Impfung wieder aus der Empfehlung herausgenommen hat. Die haben also in ihrer Impfkommission entschieden, dass das Nutzen-Risiko nicht mehr so stark gegeben ist und empfehlen das dort nicht mehr. Das ist gut zu erklären.
Es ist ja auch eine Lebendimpfung, über ein abgeschwächtes Rotavirus, was sich im Darm vermehrt. Das macht Lymphknoten-Schwellung im Darm und so ein Lymphknoten, der kann dann eben mal von der Darmperistaltik, also von dieser pumpenden Vorwärtsbewegung mit erfasst werden und dann stülpt sich so eine Darmschlänge wie so ein Handschuhfinger so in sich rein. Also es ist sehr schmerzhaft und wenn es doof läuft, kann es bis hin zum Darmverschluss führen. Viele Fälle kann man durch eine einfache sogenannte Einlauftherapie steuern. Das muss man mit Ultraschall-Überwachung tun.
Aber manche Fälle müssen auch operiert werden. Also insofern auch bedenkenswert und ein gutes Beispiel dafür, dass es erst auffällt, wenn man wirklich große Mengen von Kindern impft. Das ist also auch so in den Zulassungsstudien. Ich glaube, beim Rotavirus gab es ein Vorpräparat. Ein paar Jahre vorher, da war das auch schon bekannt. Deshalb hat man da besonders drauf geachtet. Aber letztendlich fällt es eben auch nur auf, ich glaube, ich habe das mal rausgeschrieben:
Also da sind 1,7 Millionen Dosen Rotavirus-Impfung gegeben worden und man hat dann 343 potenzielle Fälle von InvaKination analysiert. Also das macht noch mal klar, welche Größenverhältnisse es da gibt. Und wenn man eben eine Impfstoffstudie mit 1.500 Probanden macht, dann wird man solche ganz seltenen Nebenwirkungen noch nicht rausfinden.
Viele Kinder bereits geimpft
Aber das ist ja das Gute bei der Covid-19-Impfung der Kinder, dass die Amerikaner uns ein paar Wochen voraus sind und jetzt schon diese großen Mengen von Kindern geimpft haben. Bei der InvaKination beim Rotavirus war es ja auch so, das war keine Langzeitfolge, die erst Monate nach der Impfung auffiel, sondern es fällt durchaus kurz nach der Impfung auf. Nur muss man eben eine ganz große Gruppe von Kindern betrachten, um solche seltenen Wirkungen überhaupt zu erfassen.
Hennig: Diese große Gruppe von Kindern haben wir bei der Covid-19-Impfung jetzt natürlich schon international gesehen. Sie hatten es angesprochen, fünf Millionen Kinder unter zwölf sind geimpft, allein in den USA. Man muss aber auch sagen: Aufbereitet liegen die Daten noch nicht vor, also in Form von Veröffentlichungen beim CDC, sondern wir haben hauptsächlich diese bloße Zahl und die Äußerung der CDC-Direktorin: "We have not seen anything". Also, wir haben nichts gesehen, also nichts Sicherheitsrelevantes.
Hillebrand: Das stimmt. Wobei die Quelle ist, glaube ich, schon seriös. Also das kann man doch schon ernst nehmen, was sie sagt. Aber natürlich für eine ganz korrekte Beurteilung muss man noch mehr Postmarketing-Daten betrachten.
Hennig: Herr Kobbe, wie nehmen Sie das wahr, dass wir jetzt bei der mRNA-Impfung so sehr auf mögliche Komplikationen starren? Ist das etwas, was unverhältnismäßig ist, wenn man das mit anderen Impfstoffen vergleicht, die immer mal wieder Komplikationen geben konnten?
Kobbe: Ich denke, es ist einfach ein neues Verfahren und das ist immer so, dass das erst mal mit großer Skepsis beäugt wird. Aber letztendlich haben wir durch diese wahnsinnig hohen Zahlen an Impfungen weltweit eine sehr gute Sicherheit, dass wir dieses Verfahren eigentlich lobpreisen müssen. Wo wären wir, wenn wir das nicht hätten? Und es ist halt auch eine innovative Technik und man kann unterschiedlich auf neue, innovative Dinge reagieren.
Letztendlich gibt es halt jetzt auch durch diese mRNA-Technologie Möglichkeiten der Anpassung des Impfstoffes, was bei anderen Impfstoff-Formen ja viel länger dauert, was sicherlich vielleicht auch noch mal relevant wird. Also aus meiner Sicht ist es wirklich eine sehr innovative neue Möglichkeit, der wir uns öffnen müssen, auch nicht nur zum Wohl von Kindern.
Hennig: Wie viel Sorge macht Ihnen die Omikron-Variante? Worauf Sie wahrscheinlich auch gerade angespielt haben, weil es da ja Berichte gibt über mehr Hospitalisierung, gerade sehr kleiner Kinder in Südafrika?
Kobbe: Ja, also ich glaube es ist zu früh, es jetzt wirklich gut beurteilen zu können. Heute Morgen kam ja noch aus UK über Twitter, das ist ja die Zeit der Pressemitteilungen und schnellen Datenübermittlung. Da ist es schon so, dass die Fallzahlen auch in England hoch gehen in diesen jungen Altersgruppen. Aber es ist eigentlich dort noch nicht von einem schweren Verlauf die Rede. Insgesamt wird in Südafrika ja bei erwachsenen Reinfizierten oder Neuinfizierten eher von milderen Verläufen gesprochen. Das kann ich jetzt noch nicht deuten.
Ich glaube, da brauchen wir einfach noch ein bisschen Zeit und Auswertung und auch diese Daten werden ja woanders generiert und wir müssen dann auf sie hören und jetzt auch schon, sagen wir mal, zumindest nicht ausschließen, dass sie für uns relevant werden. Ich glaube, der erste Schritt ist, sich jetzt nicht sehr viel Zeit zu lassen, sondern die Kinder natürlich nicht panisch schnell zu impfen, aber man sollte jetzt nicht noch möglichst lange zögern. Aus meiner Sicht.
Hennig: Und auch da, obwohl wir noch keinen angepassten Impfstoff haben, erst recht nicht für die Kinder. Würden Sie sagen, wenn die Antikörperantwort bei Kindern ebenso gut ist, dann kann das schon auch noch viel Virus erwischen, auch wenn ein Teil des Virus eine Immunflucht betreibt und der Impfung ausweicht?
Kobbe: Ich hoffe das. Die Daten gibt es halt noch nicht. Aber wenn man jetzt sagt, dass eine Booster-Impfung einfach durch die Anhebung der Antikörperspiegel, der neutralisieren Antikörper dann doch wirksam ist, dann ist doch die Hoffnung, dass die jetzt kürzlich stattgefundene Zweifach-Impfung bei Kindern eine entsprechend gute Impfantwort generiert, dann auch ausreicht. Aber diese Daten haben wir noch nicht und ich würde da aber empfehlen, nach diesem Denken vorzugehen.
Praxis der Off-Label-Impfung und Ratschläge rund um die Impfung
Hennig: Herr Hillebrand, ich würde zum Abschluss gerne noch einmal in die Niederungen der Praxis sozusagen zurückkehren. Oder in die Höhen der Praxis, kann man vielleicht auch sagen. Sie impfen in Itzehoe in der Klinik, wie gesagt, ja schon länger auch off-label. Also mit verdünnten Erwachsenen-Impfstoff, weil es da noch keine spezielle Kinderabfüllung gab. Da gibt es immer wieder auch Skepsis, weil man sagt: Na ja, das ist ja quasi ein selbst gestrickter Impfstoff. Warum haben Sie da so wenig Bedenken?
Hillebrand: Die mRNA, der wirksame Bestandteil des Impfstoffs ist ja in beiden Präparaten gleich. Das Problem ist eben: Die Zulassung war da. Die Nachfragen wurden immer mehr, immer drängender. Und ich finde als Kinderarzt und mit dem erfahrenen Team von Kinderkrankenschwester, Kinderkrankenpflegern, das sind alles Leute, die können 0,1 Milliliter aus einem Fläschchen sehr zuverlässig rausziehen. Das geht. Das ist nicht so schwer.
Wer mal im Labor mit einer Pipette gearbeitet hat, der kennt das. Da kann man wirklich sehr genau dosieren. Und man kann dann auch, wenn man das nicht zum ersten Mal macht, auch wenn es eine sehr geringe Menge ist, aber die kann man auch sicher verändern bei einem Kind.
Auch bei Hyposensibilisierung wird verdünnt
Wir machen das zum Beispiel in anderen Bereichen der pädiatrischen Therapie, zum Beispiel bei der sogenannte Hyposensibilisierung, wo also Kinder, die mit einer überschießenden allergischen Reaktion behandelt werden zum Teil noch kleinere Mengen unter die Haut gespritzt bekommen. Also insofern mit kleinen Mengen umgehen oder auf einer Neugeborenen-Intensivstation, da wird sehr viel mit ganz, ganz kleinen Volumina gearbeitet. Das ist also nicht so ein Problem im Alltag. Und insofern haben wir uns dazu entschlossen.
Wir haben den Eltern natürlich gesagt, dass wir das als off-label anbieten müssen. Aber ich kann auch sagen, heute kam unser Apotheker freudestrahlend mit einer großen Sackkarre mit Kartons und ganz oben drauf war eben die Lieferung des Kinderimpfstoffs. Und da waren wir alle sehr froh und haben laut in die Hände geklatscht und haben also jetzt auch die ausreichende Menge von Dosen bekommen, um mit Kinderimpfstoff impfen zu können.
Henning: Der hat dann allerdings auch eine andere Pufferlösung und ist darum ein bisschen haltbarer, kann also ein bisschen länger außerhalb der Ultratiefkühlung aufbewahrt werden.
Hillebrand: Richtig. Aber so wie ich das verstanden habe, soll sowieso die gesamte Impfstoffproduktion von Biontech-Pfizer demnächst auf diese neue Pufferlösung umgestellt werden. Also das ist nicht nur ein Spezifikum des Kinderimpfstoffs.
Hennig: Sie haben eben von den 0,1 Milliliter gesprochen. Da wird aber auch noch mal verdünnt, damit man sicherstellen kann, dass kein Rest in der Spritze bleibt, der den Kindern dann nicht zugute kommt.
Hillebrand: Also man kann entweder mit sogenannten totraumreduzierten Spritzen, da kann man auch 0,1 komplett impfen oder was Kollegen auch machen ist, dass sie dann in der Spritze noch mal vorlegen. So ein ganz kleines Volumen von Kochsalzlösung und dann von oben den Impfstoff auf dieses Volumen draufgeben, so dass sich also in der Spritze dann 0,2 Milliliter befinden, aber eben nur 10 Mikrogramm der Impfstofflösung. Das entspricht dann auch wieder der Zulassungsstudie und das entspricht dem, was im Kinderimpfstoff dann sowieso auch geliefert wird.
Hennig: Bekommen Sie auch Fragen von Eltern, die unter fünfjährige Kinder haben und sagen: Können wir nicht auch irgendwann so eine off-label Impfung nutzen? Weil bekannt ist ja schon, was Biontech da für eine Dosis vorgesehen hat, nämlich ein Zehntel der erwachsenen Dosis.
Hillebrand: Ja genau, nur drei Mikrogramm. Ja, das muss ich schon sagen, dass auch sehr viele Eltern mit genau den gleichen Argumenten wie eben die der Kinder fünf bis elf fragen, wann denn jetzt auch für ihre Kinder eine Impfung vorgesehen werden kann. Da sind wir noch sehr zurückhaltend, weil da muss man sagen, da gibt es noch keine abgeschlossene Zulassungsstudie, keine Daten, die man irgendwie einsehen könnte. Und insofern finde ich das eine sehr schwierige Frage, die man nur im Einzelgespräch klären kann in Anbetracht der jeweiligen Risikosituation des Kindes.
Hennig: Zwei praktische Fragen: Empfehlen Sie eine Sportpause nach der Impfung, wie das manche Kinderärzte zu tun?
Hillebrand: Ich glaube, dass das ein bisschen überbewertet wurde. Also dieses zwei Wochen Sportverbot, das hat sich, glaube ich, so ein bisschen eingeschlichen, ohne dass es richtig evidenzbasiert war. Wir empfehlen, dass sich die Kinder zwei, drei Tage schon sollen, danach die erste Woche ganz starke Belastung vermeiden sollen.
Ein Fußballturnier oder sowas, das wäre, glaube ich, da nicht so optimal. Aber es gibt, soweit ich das übersehe, keine Daten, die sagen, dass man durch ein striktes Sportverbot irgendwas anders machen würde an der Verträglichkeit der Impfung.
Hennig: Und was den Abstand zu anderen Impfungen angeht, gelten da die gleichen Regelungen wie für Erwachsene, also beispielsweise Grippeschutzimpfung, die ja viele in diesem Jahr ihren Kindern tatsächlich zugutekommen lassen?
Hillebrand: Genau, stimmt. Also ich meine, das RKI hat ja beim Booster sogar gesagt, man kann Grippeimpfung und Booster bei Erwachsenen und Jugendlichen an einem Tag machen. Wir sehen das entsprechend bei Kindern auch nicht so eng. Ich meine, im ersten Lebensjahr, den Säuglingen geben wir teilweise sieben Impfstoffe an einem Tag.
Insofern, wenn es also mit der Grippeimpfung jetzt Überlappung von wenigen Tagen gibt und die vorangehende Impfung aber gut vertragen wurde, dann würde ich auch unter Anbetracht der Tatsache, dass eben jetzt die Welle da ist und die Inzidenzen so hoch sind und man nicht noch weitere Tage verschwenden möchte, würde ich dann, wenn das Kind da ist und will und die Eltern wollen dann auch impfen.
Hennig: Es gibt ja auch Eltern, die trotz allem, was Sie an Impfaufklärung leisten und die Kollegen und Kolleginnen, immer noch zögerlich sind, weil ihnen der mRNA-Impfstoff ganz aus dem Bauch raus nicht geheuer ist. Und die sagen, ich setze auf den proteinbasierten Impfstoff von Novavax, der dann vielleicht mal kommt oder auf den klassischen Totimpfstoff, der ja auch in der Entwicklung ist und vielleicht bald zugelassen werden könnte. Ist das aus Ihrer Sicht eine Alternative?
Kobbe: Also für die aktuelle Situation nicht. Es sind ja mehrere proteinbasierte Impfstoffe gerade da, die Anträge gestellt haben zur Zulassung in der EU. Und man munkelt, dass die Entscheidung für Novavax jeden Moment kommen kann. Aber das sind ja erst mal Impfungen für Erwachsene und die entsprechenden Studien sind bei Kindern geplant oder teilweise in der frühen Phase. Und es wird Monate dauern, bis hier für Kinder Daten vorliegen. Insofern ist das im Moment kein Argument, auf diesen Impfstoff zu warten.
Link-Sammlung aller erwähnten Studien in der Sonderfolge zur Kinderimpfung