Unter einer Tierwohlabgabe oder Tierwohlprämie wird eine Art Steuer auf tierische Produkte wie Fleisch, Milch oder Butter verstanden, mit der landwirtschaftliche Betriebe beim Umbau der Tierhaltung unterstützt werden könnten.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat die Abgabe während der Bauernproteste jüngst wieder ins Spiel gebracht. Neu ist der Vorschlag allerdings nicht: Eine Tierwohlprämie wurde bereits 2020 vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung vorgeschlagen. Nach seinem Vorsitzenden, dem früheren Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU), wurde das 2019 noch unter der Großen Koalition gegründete Gremium auch "Borchert-Kommission" genannt. Die Expertenrunde löste sich im August 2023 auf. Das Gremium war der Ansicht, dass auch die Ampel-Regierung nicht die nötigen Anstrengungen für eine bessere Tierhaltung unternehme. Özdemir will sich nun grundsätzlich an den Empfehlungen der Borchert-Kommission orientieren.
Die Borchert-Kommission wollte die Tierhaltung schrittweise auf ein "deutlich über EU-Standard hinausgehendes Tierwohlniveau" bringen, unter anderem mit einer Reduzierung des Nutztierbestandes und einem Preisaufschlag auf tierische Lebensmittel. Das Expertengremium schätzte die Kosten für den kompletten Umbau der Tierhaltung auf drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Nach den Empfehlungen von 2020 sollten den Landwirten 80 bis 90 Prozent der anfallenden Mehrkosten erstattet werden. Über die Tierwohlprämie sollten nach damaligen Berechnungen Einnahmen von rund 3,6 Milliarden Euro pro Jahr generiert werden. Die Ampelregierung hat bisher eine Milliarde Euro für mehr Tierwohlmaßnahmen in Aussicht gestellt, die aber wohl nur bis 2026 reichen wird und nur für die Schweinehaltung vorgesehen ist.
Fleisch, Milch und Butter würden wahrscheinlich teurer. Denkbar wäre nach Experten-Empfehlungen zum Beispiel ein Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch, der auch an der Fleischtheke im Supermarkt zu Mehrkosten führen könnte. Ein bereits vier Jahre alter Vorschlag der sogenannten Borchert-Kommission nannte als "denkbare" Mehrkosten zudem zwei Cent pro Kilogramm Milch und Frischmilchprodukte sowie Eier und 15 Cent pro Kilogramm Käse, Butter und Milchpulver. Ob der Handel eine solche Abgabe komplett an Verbraucher weitergeben dürfte, ist allerdings offen.
Aufgrund der vorgeschlagenen Abgaben errechnete die Borchert-Kommission jährliche Einnahmen von rund 3,6 Milliarden Euro, die dann in Maßnahmen für mehr Tierwohl fließen sollten. Diese gelten als sehr teuer. Kosten zum Beispiel für den Umbau oder Neubau von Ställen mit mehr Auslauf und mit mehr Platz und Kontakt zum Außenklima könnten durch eine solche Abgabe kompensiert werden.
Die von der Borchert-Kommission genannte Summe von drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau der Ställe wird laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei Umsetzung seiner Vorschläge nicht auf einen Schlag benötigt. "Wir gehen schrittweise vor", sagte Özdemir am 18. Januar im ARD-Morgenmagazin, ein Umbau der Haltungsformen werde also nicht alle Nutztierrassen und Vertriebswege zugleich betreffen. Das geschehe auch, um europarechtlich auf sicherem Boden zu stehen, da eine Abgabe von der EU genehmigt werden müsse. "Wir fangen an bei den Schweinen", so Özdemir. Dafür sei eine Milliarde Euro im Bundeshaushalt bereitgestellt worden. "Das heißt, ich brauche gar nicht die Summen, die damals bei Borchert vorgesehen waren", sagte Özdemir. Deshalb werde eine mögliche Tierwohlabgabe für Verbraucher auch nicht so hoch liegen wie von der Borchert-Kommission vorgesehen, sondern deutlich weniger als etwa die 40 Cent pro Kilogramm Fleisch betragen.
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir argumentiert, eine Tierwohlabgabe würde der Branche neue Chancen und Planungssicherheit eröffnen. "Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur besser schützen können - so, wie es doch alle verlangen", sagte der Grünen-Politiker der "Süddeutschen Zeitung". Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) sagte der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", es herrsche Konsens, dass gesellschaftlich erwünschte Veränderungen in der Landwirtschaft nur durch Unterstützung der Allgemeinheit möglich seien.
Kritiker führen ins Feld, dass eine Tierwohlabgabe zu Lasten von Verbrauchern ginge, die eine weitere Teuerung - gerade bei Lebensmitteln - möglicherweise nicht mittragen würden. Von einem "Bauern-Soli" ist bereits die Rede, von einer "neuen Steuer auf Fleisch und Butter". Der führende Unionspolitiker Thorsten Frei sagte, eine solche Abgabe würde zu einer deutlichen Mehrbelastung und steigenden Preisen führen. Der Milchindustrie-Verband, der die Molkereien vertritt, wandte sich gegen den Vorschlag. Für die Molkereien würde dies eine große finanzielle Belastung bedeuten, "eine Abwälzung auf den Verbraucher wäre schwierig". Der Verwaltungsaufwand wäre zudem sehr hoch. Obst-, Getreide-, Gemüsebauern oder Winzer würden bei einer solchen Subvention zudem leer ausgehen. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Christoph Minhoff, sagte der "Bild"-Zeitung, eine solche Abgabe "würde zum Lackmustest, wie viel Tierwohl sich die Verbraucher leisten können".
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL) ist für eine Tierwohl-Abgabe - egal in welcher Form. "Für uns ist das konkrete Instrument nicht entscheidend, sondern, dass die Regierung jetzt eines der Instrumente auswählt und damit eine Tierwohl-Abgabe einführt", sagte Berit Thomsen, Tierhaltungsreferentin der AbL dem NDR. "Der Bundeshaushalt würde nicht belastet, es könnte die benötigte Summe für die Betriebe zur Verfügung gestellt werden, und mit langfristigen Verträgen hätten die Betriebe wirtschaftliche Planungssicherheit für die höheren Tierwohlkosten." Jörn Ehlers, Vizepräsident des Landesbauernverbandes Niedersachsen, ist skeptisch: "Es ist eine Mehrkostenerstattung, die den Tieren zugutekommt, wenn wir dort investieren", sagte er dem NDR. "Aber auf unsere Portemonnaies wird es sich nicht auswirken." Eine solche Abgabe könne nicht ersetzen, was den Bauern mit der Dieselbesteuerung genommen werde.
Das FDP-geführte Finanzministerium galt lange als Gegner einer Tierwohlabgabe. Vor dem Hintergrund von Bauernprotesten und Sparzwängen der Regierung scheint sich das zu ändern: "Wir sind offen für diese Idee", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese sagte dem "Spiegel", die Zukunftskommission Landwirtschaft oder die Borchert-Kommission hätten gute Vorschläge gemacht. "Diese sollten wir uns gemeinsam noch mal vornehmen." Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bezeichnete eine Tierwohlabgabe als "sinnvolles Vorhaben". Viele Verbraucher hätten "ihre Bereitschaft erklärt, für solche Produkte ein bisschen mehr zu bezahlen, vor allem dann, wenn dadurch die Lebensbedingungen vieler Nutztiere besser würden", sagte sie der Funke-Mediengruppe. Allerdings müsse darauf geachtet werden, "dass die Verbraucher nicht überfordert werden".
Eine Machbarkeitsstudie des Bundesagrarministeriums von Anfang 2021 sagt, eine Verbrauchssteuer für tierische Produkte wäre ähnlich der für Tabak, Kaffee oder Alkopops prinzipiell möglich - aber: zu berücksichtigen wäre das europarechtliche Benachteiligungsverbot. Die Einnahmen dürften nicht allein deutschen Landwirten zugutekommen, weil ja auch importierte Produkte mit der Steuer belegt würden. Rechtliche Machbarkeit bescheinigte die Studie der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs damals einer möglichen Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von ermäßigten 7 auf volle 19 Prozent für tierische Produkte oder für alle Lebensmittel. Auch eine Art Tierwohl-Soli nannten die Studienautoren als Option.