Antibiotika-Zahlen nicht zu gebrauchen?
Keime, gegen die kaum noch Antibiotika helfen, sind eine Gefahr. Diese sogenannten multiresistenten Keime breiten sich aus. Mitschuld daran hat nach Meinung vieler Experten der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der intensiven Tierhaltung. Bund und Länder haben deshalb im vergangenen Jahr eine Datenbank in Betrieb genommen. Mit ihrer Hilfe soll der Einsatz der Medikamente kontrolliert und reduziert werden. Doch nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung“ sind die zugrunde liegenden Zahlen nur bedingt zu gebrauchen.
Erfasste Zahlen unvollständig
Landwirte sollen in die Datenbank eintragen, wie häufig sie Antibiotika einsetzen. Meldepflichtig sind Höfe ab einer bestimmten Größe, die in ihren Ställen solche Medikamente verabreicht haben. Tausende Landwirte haben jedoch keine Angaben gemacht. In Schleswig-Holstein betrifft das beispielsweise etwa 40 Prozent der Betriebe. Sie wurden damit automatisch so gewertet, als hätten sie keine Antibiotika eingesetzt. Dass dies tatsächlich für so viele Betriebe zutrifft, halten Experten für unwahrscheinlich.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) äußerte sich am Mittwoch zu den fehlenden Daten:
"Wenn es tatsächlich gravierende Meldelücken und damit Vollzugsdefizite in den Bundesländern geben sollte, sind diese von den zuständigen Landes-Behörden abzustellen."
In Schleswig-Holstein kontrollieren die Behörden seit dem vergangenen Jahr, ob die betreffenden Landwirte ihre Meldepflicht einhalten. Bis heute seien schon etwa 250 Verfahren wegen möglicher Verstöße eingeleitet worden, teilte das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage von NDR, WDR und SZ mit. Insgesamt lägen aber keine Informationen darüber vor, zu welchem Prozentsatz der Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren in der Antibiotikadatenbank tatsächlich abgebildet sei.
Probleme auch in anderen Bundesländern
Auch in anderen Bundesländern offenbaren sich Probleme. In Nordrhein-Westfalen haben rund 2.300 Tierhalter - etwa ein Fünftel aller meldepflichtigen Betriebe - nichts in die Datenbank eingetragen. In Baden-Württemberg fehlen von mehr als der Hälfte der Betriebe Daten. Andere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt teilten mit, dass sie gar nicht wüssten, wie viele Landwirte Angaben zum Antibiotika-Einsatz machen müssen. Die Brandenburger Behörden können bislang keine "gesicherten Daten" liefern. In Bayern und Sachsen teilten die Landesministerien mit, sie hätten keinen Zugriff auf die Zahlen.
Ende März hat das Bundeslandwirtschaftsministerium auf Basis der bislang vorliegenden Zahlen sogenannten Kennzahlen veröffentlicht. Dabei handelt es sich um statistische Werte. Betriebe, die deutlich über dem Schnitt liegen, müssen Maßnahmen ergreifen, um weniger Antibiotika einzusetzen.
In Niedersachsen geht das Ministerium davon aus, dass wohl die meisten Betriebe ihre Angaben korrekt in die Datenbank eingetragen haben. Die Zahlen würden plausibel erscheinen. Allerdings laufen noch Prüfungen. Das dortige Ministerium hat jedoch bereits verkündet, wie viele Betriebe nun spezielle Maßnahmen zur Reduzierung der Antibiotika-Einsätze ergreifen müssen: etwa 6.000 Höfe, rund 28 Prozent aller meldepflichtigen Betriebe.
Wie zuverlässig sind die Daten?
Doch wie zuverlässig sind diese Daten, wenn offenbar viele Landwirte keine Angaben machen? "Mit diesen Zahlen können wir überhaupt nichts anfangen", sagt der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff. Er spricht von einem "Desaster" und fordert einen "schnellen Neustart". Ähnlich fällt die Bewertung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aus. Deren Agrar-Expertin Reinhild Benning betonte, ihre Organisation vertraue der Datenbank nicht.
Die Bundesregierung hält das Erfassungssystem dagegen für "belastbar". Bernhard Kühnle, Leiter der Abteilung Tiergesundheit beim Bundeslandwirtschaftsministerium, betonte zwar, einen fehlerfreien Start habe man nicht erwarten können, aber "wenn es jetzt richtig vollzogen wird, wird es auch unmittelbar zu einer Senkung des Arzneimitteleinsatzes führen, und das ist das Hauptziel".