Ein mobiles Test-Team bereitet sich auf eine Probenentnahme für PCR-Tests vor. © picture alliance/dpa Foto:  Sina Schuldt

(109) Coronavirus-Update: Omikron-Subtyp BA.2 mit mehr PS

Stand: 01.02.2022 17:00 Uhr

In der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update spricht der Virologe Christian Drosten darüber, unter welchen Umständen der Subtyp BA.2 die Omikron-Welle verlängern könnte.

Dänemark schafft die Pandemie-Beschränkungen ab, weil die hohe Impfquote das erlaubt. Die deutsche Bundesregierung hingegen hat ihr selbst gestecktes Impfziel in den vergangenen Wochen verpasst. Wo also geht die Reise hin? Erst gut die Hälfte der Gesamtbevölkerung ist geboostert und bei den über 60-Jährigen liegt die Quote der zumindest doppelt Geimpften immer noch unter 90 Prozent. Dabei schlägt die Omikron-Welle mittlerweile hoch aus. Doch es gibt auch mutmachende Nachrichten, zum Beispiel bei den derzeitigen Patientenzahlen in den Intensivstationen. Allerdings gewinnt der Omikron-Subtyp BA.2 in Europa an Boden. Darüber spricht Wissenschaftsredakteurin Korinna Henning in Folge 109 des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update mit dem Virologen Christian Drosten, ebenso über neue Erkenntnisse zu Long Covid nach Impfungen und warum das großflächige PCR-Testen mittelfristig beendet werden sollte.

Die zentralen Themen der Folge im Überblick - per Klick direkt zur Textstelle springen

Allgemeine Einschätzung der Lage

Einordnung des Variantentyps Omikron BA.2

Erhöhte Übertragbarkeit durch BA.2 laut Haushaltsstudie

Immunschutz durch Omikron-Infektion nach Impfung

Wann ist die Pandemie zu Ende?

Definition anderer Serotyp

Wie sinnvoll ist ein Omikron-Booster?

Diskussion um Genesenenstatus

Erkenntnisse zum Effekt der Impfung auf Long Covid

Impfquote bei Kindern

Inzidenzen und PCR-Test-Knappheit

Allgemeine Einschätzung der Lage

Korinna Hennig: Ich würde zu Beginn, wie so oft, kurz einmal gern generell auf das Pandemie-Geschehen gucken. Die Debatte um Lockerungen nimmt auch in Deutschland wieder Fahrt auf, vor allem mit Blick auf Dänemark, wo ja jetzt sämtliche Maßnahmen fallen gelassen werden. Wie sieht es mit Ihrer Einschätzung aus? Hat sich da was verändert, was den Weg in einen endemischen Zustand angeht, in dem das Gesundheitssystem wieder in ein etwas alltäglicheres Fahrwasser kommt? Aber auch die Einschätzung, wo wir da auf diesem Weg genau stehen?

Christian Drosten: Na ja, es gibt eine Sache, die sich erst mal nicht verändert hat, das ist die Impflücke in Deutschland. Da kommen wir irgendwie nicht so richtig vorwärts. Die Impfzahlen, die im Moment pro Tag geleistet werden, sind sogar noch mal gesunken. Ansonsten, ja, ich hatte in letzter Zeit mehrmals in größeren Interviews so eine Gesamtlage-Einschätzung gegeben und die ist dann tatsächlich in den Medien auch immer wieder irgendwie verzerrt worden. Also einige schrieben: "Drosten entwarnt und das ist jetzt eine große Chance". Das war in einem Interview, das ich mal im "Berliner Tagesspiegel" gegeben habe. Da war der Satz abgeschnitten in der Sekundärberichterstattung.

Ich hatte in Wirklichkeit gesagt, das wäre eine große Chance, eine ausreichende Immunisierung oder Impfquote - ich weiß gar nicht mehr, welches Wort ich benutzt habe - vorausgesetzt. Das sind immer so die bizarren Dinge, die so in der Medienlandschaft passieren. Oder im Deutschlandfunk hatte ich auch mal irgendetwas gesagt, das so sehr stark Richtung "Vorsicht vor dem nächsten Winter" ging. Also da hatte ich dann gesagt, das Virus ist durchaus noch wandlungsfähig und es könnte sein, dass Omikron auch noch mal wieder gefährlicher wird. Und dann hieß es gleich: "Drosten warnt vor der neuen gefährlichen Omikron-Variante". Also das ist immer eine große Verwirrung, die sich da im Moment auch in den Medien vor allem einstellt, während das Fahrwasser eigentlich immer bekannter wird.

BA.2-Variante

Also wir haben dieses Omikron-Virus. Und wir müssen vielleicht gleich noch mal kurz über die BA.2-Variante reden, weil da kommt jetzt wieder neue Verunsicherung auf. Aber im Prinzip haben wir dieses Omikron-Virus erkannt als einen neuen Serotypen. Das heißt, wir haben eine Situation wie auch sonst bei Influenza beispielsweise, wenn der Impfstoff angepasst werden muss, weil der alte Impfstoff nicht mehr so gut passt gegen das zirkulierende alte Virus. Das alte Virus wäre jetzt eben Delta und alle anderen Viren, die vorher zirkuliert haben, erster Serotyp. Und jetzt haben wir mit Omikron einen zweiten Serotypen.

Und im Moment gibt es so allerhand Studien, die sich ein bisschen damit beschäftigen, zu schauen, wie unterschiedlich die eigentlich sind, also wie eigentlich eine Überinfektion mit dem Omikron-Virus denjenigen nützt, die schon einen Grundschutz gegen den anderen Serotypen, also gegen Delta haben. Und das scheint was zu nützen. Während sich auch zeigt, dass eine alleinige Omikron-Infektion ohne vorherige Impfung oder ohne vorherige Infektion mit dem anderen alten Serotypen relativ wenig nützt für den Aufbau eines Immunschutzes. Das ist natürlich dann eine Situation, die man übertragen muss auf eine Projektion fürs kommende Jahr.

Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

(109) BA.2 mit mehr PS

Sendung: Das Coronavirus-Update von NDR Info | 01.02.2022 | 17:01 Uhr | von Hennig, Korinna
95 Min

Was ist bekannt über Omikron-Subtyp BA.2? Und: Die Impflücke kann nicht durch Infektionen geschlossen werden.

00:02:30 Allgemeine Einschätzung der Lage
00:13:33 Einordnung des Variantentyps Omikron BA.2
00:21:30 Erhöhte Übertragbarkeit durch BA.2 laut Haushaltsstudie
00:32:40 Immunschutz durch Omikron-Infektion nach Impfung
00:41:50 Wann ist die Pandemie zu Ende?
00:45:40 Definition anderer Serotyp
00:49:00 Wie sinnvoll ist ein Omikron-Booster?
00:56:20 Diskussion um Genesenenstatus
01:02:28 Erkenntnisse zum Effekt der Impfung auf Long Covid
01:18:40 Inzidenzen und PCR-Test-Knappheit

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Kein Tag vergeht ohne neue Nachrichten zum Coronavirus Sars-CoV-2. Längst haben wir uns an Maßnahmen wie Mundschutz, Abstand und Hygieneregeln gewöhnt. Und noch immer ist kein Ende der Pandemie in Sicht. In unserem Podcast wollen wir verlässlich über neue Erkenntnisse der Forschung informieren. Wie steht es um einen Impfstoff? Wie entwickelt sich die Test-Strategie? Besteht Hoffnung auf ein Medikament? Die NDR Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig und Beke Schulmann aus der Wissenschaftsredaktion sprechen dazu im Wechsel mit Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité, und mit Sandra Ciesek, Leiterin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Dabei soll es nicht um Panikmache gehen - sondern ganz im Gegenteil: Der Podcast "Coronavirus-Update" will informieren, einordnen und Hintergründe liefern.

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Und da gibt es diesen Spruch von Karl Lauterbach, den ich sehr gut finde, der ist schon ein paar Wochen alt. Der hat ja gesagt: "Omikron ist eben keine schmutzige Impfung, das ist kein Ersatz für die Impfung." Das stimmt. Das ist tatsächlich so, dass die Daten das eben suggerieren, dass es nichts nützt, wenn man sich jetzt als nicht Geimpfter mit Omikron infiziert und sich dann sagt: "Na ja, jetzt habe ich es ja hinter mir, jetzt muss ich mich ja nicht mehr impfen lassen." Das stimmt nicht. Und zwar deswegen, weil wir uns einfach nicht drauf verlassen können, im einfachsten Fall gedacht, dass bis zum nächsten Sommer und Herbst das Delta-Virus ganz verschwunden ist, also der alte Serotyp ganz verschwunden ist.

Das kann jeder andere, jedes andere Mitglied dieser alten Virengruppe sein, die dann im Winter wiederkommen könnte, und dann stünden wir immer noch mit der gleichen Immunitätslücke da. Die jetzt Ungeimpften, einige von denen werden wahrscheinlich bis Ostern noch Omikron kriegen, aber das werden nicht alle sein. Und selbst die haben davon wenig Nutzen bis zum nächsten Winter. Und deswegen ist eben keine Entwarnung für Deutschland zu geben, wie das in Dänemark vielleicht möglich ist mit dieser enorm hohen Impfquote. Das ist weiter unser Problem. Wir haben diese Impflücke, gerade bei den erwachsenen Älteren, bei den über 60-Jährigen sind noch elf Prozent Ungeimpfte. Das ist das deutsche Problem und daran wird sich der nächste Winter bestimmen. Da liegt auch der Druck auf der Politik, einfach jetzt bei der Impfquote weiter vorwärtszukommen.

Planungshorizont Ostern

Ansonsten ist die Einschätzung eine allgemeine Einschätzung über die Epidemietätigkeit und die lautet einfach so: Wir haben dieses Jahr Mitte April Ostern. Das ist sicherlich ein guter Anhaltswert, ab dem dann auch die Temperatur wieder viel günstiger wird. Das heißt, man kann es vielleicht so überlegen, dass man das Ganze jetzt bis Ostern noch durchhalten muss. Dass die Maßnahmen, die jetzt in Deutschland immer noch in Kraft sind, übrigens wegen der Impflücke und wegen unserer schlechten Erfahrung mit der auslaufenden Delta-Welle, also vor Weihnachten, dass wir bis dahin eben noch gewisse Maßnahmen halten müssen, die sich subsumieren lassen unter 2G-Regel beispielsweise.

Die auch in Deutschland dazu führen, dass die Anstiegsgeschwindigkeit von Omikron langsamer ausgefallen ist. Und dann werden wir nach Ostern zwei Dinge haben: Das eine ist, wir werden dann einen aufgefrischten Impfstoff haben, eine Update-Vakzine gegen Omikron, die viele impfbereite Personen annehmen werden. Und das wird die Immunität in der Bevölkerung ein weiteres Mal verbessern. Dann wird ein sehr entspannter Sommer kommen, und dann gehen wir wieder in den Herbst rein. Und was dann zählt ist, was man in der Zwischenzeit geschafft hat in Form von nachgeholten Impfungen bei den jetzt Ungeimpften.

Hennig: Sie haben jetzt sehr schön schon fast alles angerissen, über das wir reden wollen und zusammengefasst, eigentlich wie ein Abstract. Ich könnte jetzt auch sagen: Danke für das Gespräch. Aber wir wollen das natürlich im Detail noch so ein bisschen auffächern. Trotzdem noch einmal kurz bei der aktuellen Lage geblieben, auf den Intensivstationen. Sie haben jetzt den Blick auf den Herbst und den Winter geworfen, aber auch jetzt herrscht noch Winter. Auf den Intensivstationen sieht die Lage im Moment beherrschbar aus, aber es könnten sich ja die Inzidenzen noch weiter vorfressen in die Altersgruppe der über 60-Jährigen. Rechnen Sie damit, dass es jetzt auch noch mal schwieriger wird und nicht erst im Herbst?

Drosten: Ja, damit muss man rechnen. Es ist tatsächlich so, dass es im Moment bei den über 70-Jährigen fast schon eine Inzidenz-Lücke gibt. Das liegt eben daran, wie sich dieses Virus verteilt hat. Das hat man in anderen Ländern ganz schnell gesehen. In Deutschland hat sich das etwas langsamer eingestellt, ist aber dasselbe. Das Omikron-Virus ist ja eher mit Reisenden eingeschleppt worden. Sehr gleichzeitige Eintragungsereignisse in der Zeit vor Weihnachten. Und das ist ja eine typische Altersgruppe, da sind ja eigentlich wenig Kinder dabei. Also einen Monat vor Weihnachten machen Kinder keinen Urlaub in Südafrika, sondern die gehen zur Schule, und das ist eben die reisefähige erwachsene Bevölkerung.

Von dort hat es sich offenbar über die Weihnachtsfeiertage zu den Kindern verbreitet. Und wir haben es jetzt in den Schulen. Also ich kann hier auch nur so allgemein darauf hinweisen, wer sich da detailliert interessiert, der letzte Wochenbericht vom Donnerstag vom RKI ist da sehr schön, sehr detailliert. Da gibt es eine sehr gute Datenerfassung. Aber jetzt nur mal grob gesagt, die Kinder, gerade im schulpflichtigen Alter, da ist das Virus jetzt voll angekommen. Und wir sehen auch in Deutschland und in anderen Ländern sehr deutlich, dass es jetzt in die dazugehörigen Eltern-Jahrgänge geht.

Das sind also die Jahrgänge, die Erwachsenen-Jahrgänge, vielleicht irgendwo zwischen 30 und 50, 55. Und es ist bei den noch Älteren bisher gar nicht angekommen. Und das wird noch passieren. Wir sehen beispielsweise in den USA, wo auch die Impfquoten ähnlich schlecht sind wie in Deutschland in vielen Gebieten, diesen Effekt schon vorweggenommen gegenüber Deutschland, weil sich dort die Infektion stärker verbreitet hat, weil dort weniger Kontrollmaßnahmen waren.

Anstieg der Sterbezahlen in den USA

Da geht es jetzt in diese gefährdeten Altersgruppen, wo auch dort zum Teil eine hohe Impflücke vorliegt. Und da sieht man genau das: Man hat jetzt Intensivaufnahmen im hohen Maße und man sieht auch schon ein Ansteigen der Sterbezahlen. Also das, was man erwartet, tritt ein. Natürlich alles unter dem Vorsatz: Dieses Virus ist tatsächlich klinisch milder. Das ist auch bei diesen Älteren klinisch milder. Nur wenn sich ganz viele infizieren mit einem klinisch etwas milderen Virus, ist am Ende wieder die gleiche Krankheitslast in der Bevölkerung oder sogar eine höhere Krankheitslast.

Das ist im Prinzip ein triviales Problem. Und es gibt keinen Grund, warum sich das in Deutschland nicht auch so einstellen sollte. Nur, es wird eben etwas langsamer sein. Wir haben aber, das ist das Dumme daran, jetzt doch noch ein, anderthalb, vielleicht sogar zwei Monate Winterwetter vor uns. Und deshalb hat das Virus leider auch die Zeit, sich in diese Altersgruppen vorzuarbeiten. Das wird es tun.

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(109) BA.2 mit mehr PS

Was ist bekannt über Omikron-Subtyp BA.2? Und: Die Impflücke kann nicht durch Infektionen geschlossen werden. Download (291 KB)

Hennig: Das heißt, wenn es jetzt immer schwieriger wird, Menschen zu vermitteln, dass sie auch als Geboosterte, als Geimpfte idealerweise noch versuchen sollten, möglichst jede Infektion zu verhindern, dann ist das eigentlich trotzdem der Weg, den man jetzt für die nächsten Wochen noch aufzeigen muss. Auch wenn eben diese Erfahrung, es ist milder, mancher hat vielleicht wirklich einen milden Verlauf, von vielen gemacht wird.

Drosten: Na ja, also die Leute, die dreifach geimpft sind, die sind schon sehr gut geschützt gegen die Krankenhausaufnahme, also den schwereren Verlauf, und erst recht gegen den tödlichen Verlauf. Was wir eben haben, ist eine Rücksichtnahme auf diejenigen, die sich nicht impfen lassen haben. Das ist das, was gesellschaftlich gerade in Deutschland passiert. Wir nehmen darauf Rücksicht. Und da sieht man eben die Unterschiede.

Beispielsweise in einem Land wie Dänemark, wo nicht nur bei den Älteren, sondern in der Gesamtbevölkerung sehr gut geimpft, sehr gut geboostert wurde. Diese Statements, die dort von der Politik kommen, dass man es sich jetzt eben wegen der guten Impfadhärenz leisten kann, die sind auch von der dortigen Wissenschaft schon unterstützt. Und das sicher aus einem guten Grund. Da sind wir in Deutschland nicht und da kommen wir einfach nur hin über das Schließen dieser Immunitätslücke in der Bevölkerung.

Hennig: Dänemark ist das Stichwort für unsere Überleitung zu dem vielleicht zentralsten Thema in diesem Podcast, zu BA.2. Wir sehen übrigens in Dänemark, nur noch als Randbemerkung, ja auch, dass es offenbar, was die Krankenhausbelastung angeht, mit einer hohen Impfquote möglich ist, zu öffnen. Aber krankheitsbedingte Ausfälle werden dort auch sehr viel berichtet, also bei Personal in Kitas und Schulen zum Beispiel.

Drosten: Ja, das ist ganz klar. Wir haben jetzt hier über schwere Krankheit, über Pandemiekontrolle und so weiter gesprochen. Das heißt natürlich nicht, dass deswegen die Leute nicht krank werden am Arbeitsplatz. Das heißt auch nicht, dass es deswegen kein Long Covid gibt zum Beispiel. Aber auch darüber kann man inzwischen ein bisschen was sagen. Also es gibt Daten, die können wir vielleicht noch mal besprechen, dass Long Covid auch gut abgehalten wird durch die Impfung und auch da ist Dänemark eben wieder stark im Vorteil.

Einordnung der Omikron-Untervariante BA.2

Hennig: Viele werden das schon gelesen haben, dass sich der Subtyp BA.2 in Dänemark durchgesetzt hat, dominant geworden ist zumindest. Es gibt ja verschiedene Subtypen von Omikron. BA.1 ist der, über den wir bisher hauptsächlich in Deutschland geredet haben. Aber in Dänemark gibt es auch ein bisschen mehr Daten dazu, wie sich denn BA.1 und BA.2 unterscheiden. Da gibt es zum Beispiel eine schöne Studie zu Übertragungen im Haushalt, die aufschlussreich sein könnte. Vielleicht klären wir erst mal grundsätzlich: Was müssen wir wissen über BA.2 im Unterschied zu BA.1? Und was weiß man überhaupt schon? Das ist keine Untervariante, sondern quasi parallel, kann man das so sagen? Die Geschwister einer Familie?

Drosten: Ja, genau, das ist sicherlich so ein Nebenstrang. Wobei der Begriff Familie, also irgendwo auf Social Media ist dieser Begriff "Omikron-Familie" aufgetaucht, der ist komplett falsch. Den sollte man auf keinen Fall benutzen. In der Virus-Taxonomie wissen wir, was eine Familie ist. Und dieses Omikron-Virus ist eine Virusvariante innerhalb einer Virus-Spezies. Also da sind wir weit, weit unter dem Familienlevel. Das ist einfach eine Variante. Und wir können auch von Entwicklungslinien sprechen oder von Viruskladen, also genetischen Zusammenhäufungen oder Verwandtschaftskreisen, so kann man es vielleicht auch nennen.

Und jetzt ist es so: Omikron ist eben ein Verwandtschaftskreis von Viren. Die sind alle sehr nah miteinander verwandt. Es gibt aber eine relativ frühe Abzweigung, die ist vielleicht schon ein Jahr alt ungefähr oder etwas weniger, ein Dreivierteljahr. Da haben sich diese Linien, diese Entwicklungslinien schon getrennt zwischen BA.2 und BA.1. Die stammen aber dennoch aus dem gleichen Ursprung. Das sind alles Omikron-Linien. Also der gemeinsame Vorfahr war auch schon ein Omikron-Virus. Und der ist jetzt noch nicht so alt.

Hennig: Nehmen wir vielleicht einen Autovergleich. Verschiedene Ausführungen eines Fahrzeugtypen, aber mit deutlichen Unterschieden.

Drosten: Ja, genau. Also der eine Mercedes sieht ganz spießig aus und der andere Mercedes hat irgendwie so Spoiler dran. Also so vielleicht, aber es ist immer noch ein Mercedes.

Hennig: Aber was ist unter der Motorhaube? Das ist ja die entscheidende Frage.

Drosten: Also es ist immer noch ein Mercedes und auch immer noch das gleiche Modell, so ungefähr. Was ist unter der Motorhaube, richtig. Und wie breit sind die Reifen? Das hatten wir ja auch schon mal, das Beispiel. Da kommen wir eigentlich hin. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht, mit so einem Beispiel zu reden. Also das ist eine Linie, die unterscheidbar ist. Da gibt es auch bestimmte genetische Merkmale, die unterscheidbar sind. Beispielsweise diese ominöse N-Terminal-Deletion im Spike-Protein, die ist in der BA.2-Linie nicht drin. Aber wir wissen gar nicht genau, was das jetzt für eine Bewandtnis speziell auf die Immunität hat.

Hennig: Also das war das, was den Signalausfall im PCR-Test gemacht hat, wodurch man ohne Sequenzierung BA.1 gut erkennen konnte. Wie auch Alpha schon.

Drosten: Ja, genau. Das ist aber in Deutschland eh nicht so wichtig, weil nicht so viele Labore in Deutschland mit diesen Tests arbeiten. Mit diesen speziellen PCR-Tests eines Herstellers, bei dem das eben der Fall ist. Was man eben jetzt versuchen kann, ist, wieder mal zu unterscheiden: Ist es die Fitness, die unterschiedlich ist, oder ist es ein Immunescape? Denn die zugrunde liegende Beobachtung ist, in Dänemark ist dieses BA.2-Virus gleich ganz am Anfang der Omikron-Entwicklung sehr stark eingetragen worden ins Land. Das waren einfach Zufälle.

Gründer-Effekt

Es ist ein Gründer-Effekt. Und wurde dann offenbar in mehreren großen Ausbruchereignissen sehr stark vermehrt. Und von da ging dann die dänische Epidemie los und die war von Anfang an schon, glaube ich, so, dass BA.2 einen guten Startvorteil hatte. Und jetzt zeigt sich aber, dass BA.2 sehr stark überhandgenommen hat und dass es auch gegenüber den anderen Omikron-Viren, also vor allem BA.1, anwächst. Dann muss man immer sagen: "Gut, das ist ein Land, es sind vielleicht Zufallsbedingungen."

Aber jetzt rezent hat man in England ähnliche Beobachtungen gemacht, dass in mehreren Gebieten in England übereinstimmend dieses BA.2-Virus zuwächst. Man hat sogar schon, ich kann das mal nachblättern, einzelne Auswertungen gemacht, erste Auswertungen. Man sieht beispielsweise, wenn man es mit allen anderen Omikron-Viren vergleicht, dann scheint es so, als wäre in der letzten Sieben-Tage-Frist, also in dem letzten Siebe-Tage-Fenster, das ausgewertet wurde, sogar ein Plus von 126 Prozent in der wöchentlichen Wachstumsrate zu sehen.

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Das könnte man also so übersetzen: Normalisiert, also innerhalb von Omikron, verdoppelt sich dieses BA.2-Virus alle 5,5 Tage, wenn man sich das umrechnet, was diese Wachstumsquote bedeutet. Das ist schon erheblich. Ein erheblicher Wachstumsvorteil gegenüber den anderen Omikron-Viren. Aber das ist nur das letzte wöchentliche Auswertungsfenster. Das ist sehr vorläufig und es ist erfahrungsgemäß so, dass gerade am Anfang solcher Auswertungen der Wachstumsvorteil überbetont ist.

Deswegen muss man da noch mal konservativ draufschauen und jetzt nicht übertreiben. Aber es gibt einen objektivierten Wachstumsvorteil, das muss man eben sagen. Und die Frage ist jetzt natürlich: Wie relevant ist der? Eine Sache vorweggesagt: Der ist in Dänemark und in England so beobachtet worden, dieser Wachstumsvorteil, und der ist schon erheblich. Aber das sind eben auch zwei Länder, in denen praktisch keine Maßnahmen mehr in Kraft sind.

Maßnahmen in Deutschland

Und hier können wir auch wieder erwarten, dass sich das in Deutschland nicht so gravierend zeigen wird, weil wir eben noch Maßnahmen haben. Aber wenn wir das also anerkennen, dass BA.2 ein stärkeres Wachstum hat, dann müssen wir wieder fragen: Ist das Immunescape? Also kann dieses Virus noch mal besser die Immunität überlisten, die in der Bevölkerung besteht, oder ist das ein Fitness-Vorteil? Da gibt es einen Befund aus dem dänischen Public-Health-Institut, wo gesagt wurde: Vorsicht, wir haben gesehen, Leute, die vor Kurzem mit BA.1. infiziert waren, die können sich nach kurzer Zeit schon wieder mit BA.2 infizieren.

Da ist allerdings auch dazuzusagen, das würde ich jetzt im Moment nicht ganz so schwerwiegend bewerten, denn hier ist es so, man kann diese Viren gut voneinander unterscheiden und da fällt das auf. Wir wissen aber eigentlich in einem Ausbruch mit so hohen Infektionsraten, wie das jetzt zuletzt in Dänemark war, das ist auch normal, dass Leute sich mit demselben Virus in kurzer Zeit noch ein zweites Mal infizieren. Und auch in Dänemark, gerade bei den jüngeren Leuten, wo jetzt über die Weihnachtstage viel Feierveranstaltungen und so weiter waren, und wo jetzt vor allem diese Ausbrüche stattgefunden haben, da waren eben auch noch komplett Ungeimpfte dabei.

Die haben sich erst mal eine Omikron-Infektion geholt und dann die zweite Omikron-Infektion, wahrscheinlich beide oberflächlich und mild. Und dann kann man die unterscheiden. Und man sieht, die zweite war BA.2. Das ist aber der Zuwachs in der Bevölkerung, der gerade stattfindet von BA.2. Das hat für mich jetzt keine ominöse Wirkung.

Unterschiede im Genom: BA.1. und BA.2

Hennig: Die unterscheiden sich aber schon im Genom ganz deutlich, oder? BA.1 und BA.2.

Drosten: Ja, da gibt es einige Unterschiede, sogar auch im Spike-Protein, wo man vermuten könnte, dass da ein Immunescape auch mit im Spiel ist. Und es gibt eine interessante erste Studie aus Dänemark zu diesem Thema und es gibt auch von der UK Health-Security-Agency, also vom englischen Robert Koch-Institut, wenn man so will, Auswertungen, über die wir vielleicht kurz sprechen sollten, um das einzuordnen.

Erhöhte Übertragbarkeit durch BA.2 laut Haushaltsstudie

Wir fangen vielleicht mit der dänischen Haushaltsstudie an. Also hier haben wir ja im letzten Podcast, den ich aufgenommen habe, schon eine Haushaltsstudie besprochen aus Dänemark, wo man sehr schön vergleichen konnte zwischen Omikron und Delta, was die Secondary Attack Rate angeht. Secondary Attack Rate, um das noch mal zu sagen, ist ja die Zahl der Leute, die sich infiziert haben nach Kontakt mit einem Indexfall.

Hennig: Also im Haushalt zum Beispiel.

Drosten: Genau, das ist im Haushalt dann gemacht worden. Und hier hat man sich in einer weiteren Studie aus derselben Gruppe mit demselben Studien-Setting angeschaut, was es für Unterschiede zwischen BA.1 und BA.2 gibt. Und analysiert wurden 8.541 Primärfälle. Davon waren 2.122 BA.2-Infizierte. Und da kann man jetzt sagen, die sekundäre Attack-Rate, so ungefähr eine Woche nach Exposition, wer ist da positiv geworden, das waren bei BA.1-Kontakten 29 Prozent der Exponierten und bei BA.2-Kontakten 39 Prozent der Exponierten.

Hennig: Ein deutlicher Unterschied.

Drosten: Ein klarer Unterschied, genau. Und jetzt kann man wieder relative Risiken angeben oder auswerten für die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, wenn man Empfänger ist mit bestimmtem Impfstatus. Und dann kommt man natürlich so ein bisschen auf die Spur, ob das alles nur eine Immunitätssache ist oder ob das Virus selber eine erhöhte Fitness hat.

Und hier kann man jetzt sagen, wenn der Empfänger gar nicht oder zweimal oder dreimal geimpft ist, dann ist das relative Risiko einer Infektion BA.2 geteilt durch BA.1, also das ist die Odds-Ratio, also noch mal, ungeimpft, zweifach geimpft, dreifach geimpft, ist 2,19 und 2,45, 2,33. Das heißt, da ist eine Andeutung eines Immunescapes, aber die ist viel geringer als zwischen Delta und Omikron. Das ist ein wirklich geringes Level an möglichem Immunescape. Gleichzeitig kann man auch sagen, wenn die Donoren, die Infizierten, die Indexfälle …

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Virensymbole fliegen um die Silhouette einer Person. (Bildmontage) © picture alliance Foto: lamianuovasupermail, stevanovicigor

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In unserem Podcast mit Christian Drosten und Sandra Ciesek beantworten wir Ihre Fragen zum Coronavirus. In dieser Übersicht sehen Sie, in welchen Folgen Sie die Antworten zu den häufigsten Hörerfragen finden. mehr

Hennig: ... die Erstfälle.

Drosten: Ja. Wenn die ungeimpft sind, dann ist das relative Risiko einer Weiterübertragung BA.2 verglichen mit BA.1 2,62. Das ist erheblich mehr. Das heißt, das deutet für mich an, als wäre hier der Fitness-Vorteil überwiegend gegenüber dem Immunescape.

Hennig: Also tatsächlich eine höhere Übertragbarkeit.

Drosten: Richtig. Das würde jetzt bedeuten, diese zwei Autos, die wir hier vergleichen, die Reifen, die sind nicht bei dem einen deutlich breiter, sodass es über den Sandweg besser drüberfahren kann, also Immunescape, also die Immunität als hindernde Maßnahme, als Schlamm auf dem Sandweg. Und das Immunescape, das in Form von breiten Reifen ausgedrückt wird, sodass man über den Schlamm besser drüber fahren kann, obwohl man den gleich schwachen Motor hat, und dann auch mit schwachem Motor besser vorankommt, das wäre Immunescape.

Während aus dieser Studie für mich eher der Eindruck erwächst, das ist nicht unbedingt so stark Immunescape, sondern mehr Fitness. Das heißt, das Auto hat fast gleich breite Reifen, aber der Motor hat schon ein paar PS mehr.

Hennig: Bei BA.1. waren Sie ja zuletzt zu der Interpretation gekommen im Vergleich zu Delta, dass es offensichtlich keinen großen Fitness-Vorteil gibt, sondern dass alles über Immunescape läuft. Also dass BA.1 nicht per se aus sich heraus unter Ungeimpften zum Beispiel ansteckender ist, sondern vor allen Dingen, weil es dem Impfschutz ausweicht. Und hier scheint es fast andersherum zu sein.

Drosten: Genau. Das wäre so meine Interpretation. Und es gibt einen anderen Datensatz aus dem Vaccine-Effectiveness-Bericht von U.K. HSA, also der Public-Health-Behörde in England, wo man geschaut hat, wie die Vakzine-Effektivität ist, nach zwei oder nach drei Dosen, je nachdem, ob man mit BA.1 oder BA.2 infiziert ist. Und das ist interessant. Hier haben wir eine Vakzine-Effektivität. Und das sind natürlich Surrogate-Rechnungen, die hier gemacht werden, da müssen wir nicht drauf eingehen. Mir geht es jetzt nur kurz um den Zahlenvergleich.

Vaccine-Effectiveness bei BA.1 und BA.2

Nach zwei Dosen BA.1 neun Prozent und BA.2 13 Prozent Schutz gegen symptomatischen Verlauf. Und nach drei Dosen BA.1-Infektion 63 Prozent und BA.2-Infektion 70 Prozent Schutz gegen symptomatischen Verlauf. Man könnte jetzt fast sogar sagen: BA.2 hat weniger Immunescape, aber das ist natürlich Quatsch. Die Zahlen sind immer noch sehr ähnlich. Ich würde das eher so ausdrücken: Wir können aus diesen Daten nicht ableiten, dass der Immunescape bei BA.2 stärker ausfällt als bei BA.1. Und das bestätigen noch mal diese dänischen Daten.

Und darum ist das im Moment meine Auffassung der Situation, dass also BA.2 eine Fitnessvariante ist, eine gesteigerte Übertragungsfähigkeit, die nicht an der Immunität liegt. Wir können uns das vielleicht so vorstellen wie letztes Jahr um diese Zeit, als die Alpha-Variante kam, die auch eigentlich keinen Immunescape zeigte, aber dennoch eine Fitnesssteigerung mit sich brachte und ja dann zu dieser etwas verspäteten Winterwelle führte, die letztes Jahr noch mal wieder hochkam in den späten Wintermonaten, also im Februar und dann bis in den März hinein, bis vor Ostern das Geschehen noch mal angefacht hat. Erst die Osterferien haben das dann durchbrochen.

So etwas könnten wir gerade in diesen wenig kontrollierenden Ländern wie Dänemark und England jetzt auch noch mal beobachten. Also da befürchtet man das auch: Nachdem man jetzt sieht, die Winterwelle war sehr kurz. Gerade in England ist es sehr schön zu sehen mit Omikron, die ging dann rapide wieder runter und die hat sich dann auf so ein mittleres Niveau aber leider eingependelt, die ist auch nicht richtig runtergegangen. Das liegt jetzt noch nicht an BA.2, auf keinen Fall, weil BA.2 noch viel zu sehr im Hintergrund ist.

Was wir jetzt eben sehen, ist das, was wir schon im letzten Podcast befürchtet haben, dass dieser kurze Winter-Peak daher kam, dass bestimmte Sozialnetzwerke kurzzeitig mit Infektionen gesättigt waren und das Virus sich erst umverteilen muss, bevor es sich wieder weiterverbreiten kann in der Bevölkerung. Diese Umverteilung haben wir auch vorhin schon beschrieben. Es ist jetzt in die Schulen gegangen und streut von dort jetzt ziemlich regelmäßig in die Elterngeneration. Das ist also jetzt dieses Halten auf dem hohen Plateau. Wir hatten einen ganz hohen Berggipfel und dann ist es leider nicht ganz runtergegangen, sondern ist auf so ein Plateau gekommen.

Mögliche Nachwelle

Auf dieser Hochebene sind wir jetzt. Und die Befürchtung besteht, dass eben zum Februar, März hin das Ansteigen von BA.2 als Fitnessvariante noch mal dazu führt, dass vor Ostern dort die Inzidenzen hochgehen. Und ja, so eine Nachwelle verursachen. Was ist die Konsequenz in Dänemark? Erst mal keine. Und das vielleicht auch berechtigt, indem man sieht: Na ja, bei der hohen Impfquote in Dänemark hat das nicht sehr viel angerichtet, was die schweren Verläufe und die Intensivbehandlungen angeht.

Und wenn es jetzt noch mal hochgehen wird, während wir wissen, wahrscheinlich ist die Krankheitsschwere nicht stark erhöht, dafür gibt es im Moment keine Anzeichen, wird man auch das tolerieren können. Das ist, glaube ich, im Moment die Rationale in Dänemark. Und hier noch mal wieder gesagt: Für uns gelten andere Kautelen (Vorsichtsmaßregeln/d. Red.). Zum Guten, bei uns wird sich das BA.2-Virus langsamer erhöhen, weil wir grundlegende Kontrollmaßnahmen haben.

Zum Schlechten, wir haben unsere Impflücke, mit der wir im Moment leben müssen beziehungsweise mit der wir nicht leben können, sondern wir müssen Rücksicht auf diese Personen nehmen, die sich noch nicht impfen lassen haben. Und das zumindest jetzt mal auf kurze Sicht, bis Ostern wird man das in Betracht ziehen müssen und wird aufpassen müssen, dass die Inzidenz nicht sich so umverteilt, dass wir dann wieder ganz volle Intensivstationen kriegen. Das ist einfach leider die Gefahr in Deutschland.

BA.1 in Deutschland

Übrigens, nur für diejenigen, die es interessiert: Ich habe es gerade hier mal aufgeblättert, das RKI berichtet, BA.1 haben wir im Moment in der Kalenderwoche zwei 82,3 Prozent, BA.2 haben wir 2,3 Prozent, also wirklich wenig. Delta ist immer noch übrig, da gibt es Restbestände 14,7 Prozent in Deutschland. Auch da sieht man eben, das Geschehen in Deutschland ist wegen der Maßnahmen insgesamt langsamer. Man kann sagen, nur noch in Mecklenburg-Vorpommern ist Delta dominant. Auch in Sachsen-Anhalt ist das jetzt inzwischen nicht mehr so, wie man mal in der Öffentlichkeit gedacht hat, dass man dort ja alleine mit Delta arbeiten muss. Das ist seit geraumer Zeit schon nicht mehr der Fall. Auch dort ist Omikron schon deutlich dominant. Also in ganz Deutschland ist das so, außer in Mecklenburg-Vorpommern

Hennig: Aber um noch einmal auf BA.1 und BA.2 zu sprechen zu kommen: BA.2 könnte also in Deutschland auch die Welle verlängern oder verstärken, wenn es sich durchsetzt?

Drosten: Na klar, das hat offenbar einen eigenen intrinsischen Fitnessvorteil, der bei Geimpften und Ungeimpften gleichermaßen gilt. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass das auch in Deutschland zuwachsen wird. Ich glaube nicht, dass das in Deutschland anders laufen wird, aber das wird langsamer gehen, das Ganze, länger dauern. Und es läuft ja dem entgegen, dass sich die Temperatur wieder erhöht und dass die Osterferien Übertragungsnetzwerke durchbrechen werden. Also wir haben ganz eindeutig den Befund in Deutschland, dass die Übertragungsnetzwerke im Moment aus dem Schulbetrieb gespeist werden.

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Grafische Darstellung eines Coronavirus © COLOURBOX Foto: Volodymyr Horbovyy

Das Glossar zum Corona-Podcast

Was ist ein Aerosol? Was ist eine Zellkultur? Unser Glossar erklärt die wichtigsten Fachbegriffe aus unserem Podcast mit den Virologen Christian Drosten und Sandra Ciesek. mehr

Und da werden spätestens die Osterferien dann den Riegel vorschieben. Und nach Ostern wird es wärmer sein und dann wird wahrscheinlich die Inzidenz auch nicht mehr so stark Fahrt aufnehmen. Das heißt, da sehe ich schon tatsächlich eine zeitliche Schwelle, einen Planungshorizont. Und ob bis dahin BA.2 komplett das Feld übernommen hat, das kann ich im Moment schwer voraussagen, weil die Zahlenprojektionen sind da noch nicht präzise genug, was wir da haben. Nur um es mal zu sagen: Es gibt auch Länder, in denen BA.2 sehr deutlich vorhanden ist, aber nicht stark zunimmt. Da gibt es immer noch regionale Unterschiede, obwohl inzwischen der Gesamteindruck so ist, dass das wohl stimmt, also dass BA.2 wohl diesen Vorteil hat.

Hennig: Das mit dem Eintragen aus den Schulen kann ich zumindest anekdotisch für mich selber bestätigen. Bei uns in der Familie hat Omikron auch Einzug gehalten. Wir konnten ganz klar die Infektionskette nachvollziehen. Unser jüngster Sohn hat sich in der Schule offenbar angesteckt und hat dann die Familie trotz Boosterung und Impfung angesteckt. Jetzt würde ich mich deshalb gerne mal als Beispiel nehmen: Sie haben vorhin schon über Reinfektionen BA.1, BA.2 gesprochen im Zusammenhang mit Dänemark. Was heißt das möglicherweise für Geimpfte, insbesondere auch für Geboosterte?

Immunschutz durch Omikron-Infektion nach Impfung?

Also wenn ich jetzt mit Omikron infiziert war, sehr wahrscheinlich BA.1, und dann auf den Omikron-Typ BA.2 treffe, können Sie das schon einschätzen, ob da eine Reinfektion sehr wahrscheinlich ist, vor allem auch eine symptomatische für Geimpfte?

Drosten: Das ist nicht so pauschal zu sagen, weil das immer daran liegt, wie intensiv die erste Infektion gewesen ist und wie stark auch vorher schon Immunschutz bestanden hat durch eine Impfung. Sie sind jetzt geboostert gewesen. Das ist schon mal eine gute Grundvoraussetzung. Wenn Sie dann auch noch einen symptomatischen Verlauf hatten, also deutlich krank waren, dann haben Sie jetzt nach kürzester Zeit einen sehr hohen Immunschutz entwickelt, der jetzt auch Omikron mit einbezieht.

Da gibt es eine sehr schöne Studie aus Kalifornien zu dem Thema, die das zeigt. Und dieser Immunschutz wird schon eine ganze Zeit tragen. Es ist interessant, der anstoßende Effekt für die Immunität ist noch stärker zum alten Wildtyp und stärker zu Delta als zu Omikron selbst. Das ist aber auch erwartbar. Das ist ganz normal, in diesen kurzen ausgewerteten Immunitätsstudien, das wird sich mit der Zeit noch anders balancieren. Also wenn die Immunität noch weiterreift.

Sie sind jetzt eine mittelalte erwachsene Frau, die noch ein gutes Repertoire an naiven T-Zellen hat. Das heißt, da ist noch gut was drin im Entwickeln von Immunität über ein paar Wochen. Nach ein paar Wochen wird also die Immunität auch gegen Omikron dann sehr hoch sein. Und da ist natürlich eine Überinfektion relativ unwahrscheinlich, auch wenn es das BA.2-Virus mit etwas mehr Fitness ist.

Ungeimpfte und BA.2

Bei jemandem, hypothetische Person, die ungeimpft ist im selben Alter, auch erwachsen, und eine Omikron-Erstinfektion hat: Diese Omikron-Erstinfektionen sind ja generell milder als zum Beispiel Delta-Infektionen. Das geht auch damit einher, das kann man aus einer rezenten Studie, das ist eben diese Studie, die ich gerade meinte, aus Kalifornien auch ableiten, dass die Intensität der Infektion, die man mit Omikron schon durchgemacht hat, mitbestimmt, wie gut dann die nachhaltige Immunität ist.

Und dass Infektionen, die nicht so deutlich verlaufen, auch nicht so eine deutliche, lang anhaltende Immunität vermitteln. Und diese Personen haben dann sicherlich ein ganz ordentliches Risiko, sich noch mal mit Omikron zu infizieren, sei es mit BA.1 oder mit BA.2. Wahrscheinlich ist das Risiko bei BA.2 noch höher, aber man muss BA.2 erst mal treffen. Im Moment würde man eher BA.1 treffen, aber auch damit kann man sich dann eine Zweitinfektion holen.

Schleimhautimmunität

Das muss ich vielleicht auch noch mal sagen, auch wenn ich seit langen Monaten immer wieder sage, die ideale Immunisierung ist, dass man eine vollständige Impfimmunisierung hat mit drei Dosen und auf dem Boden dieser Immunisierung sich dann erstmalig und auch zweit- und drittmalig infiziert mit dem wirklichen Virus und dadurch eine Schleimhautimmunität entwickelt, ohne dabei schwere Verläufe in Kauf nehmen zu müssen. Und wer das durchgemacht hat, der ist dann irgendwann wirklich über Jahre belastbar immun und wird sich nicht wieder reinfizieren. Und das haben Bevölkerungen insgesamt im Moment noch nicht erreicht.

Vielleicht nur von der Vorstellung, es gibt aus England eine Schätzung, dass im Moment - und die englische Bevölkerung ist schon viel stärker durchimmunisiert, sowohl was Impfungen, aber dann auch Infektionen und auch vor allem Infektionen auf dem Boden einer Impfung angeht, da sind die Engländer weiter - und dennoch schätzt man auch dort im Moment die Reinfektionsquote bei knapp zehn Prozent ein. Also knapp zehn Prozent aller Infektionen sind Zweit- und sogar Drittinfektionen. Das macht man sich häufig gar nicht so klar, aber das wird bei uns auch so sein.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb eben diese Rechnung der "schmutzigen Omikron-Impfung" oder der Omikron-Infektion als Impfung durch die Hintertür, dass diese Rechnung einfach nicht aufgeht, weil man es nach einer Infektion nun mal nicht hinter sich hat. Man braucht mehrere Infektionen. Und wenn die nicht auf dem Boden einer ordentlichen Impfimmunität stattfinden, dann hat man auch bei der zweiten Infektion noch mal ein relativ hohes Krankheitsrisiko, weil die Immunität noch nicht sehr belastbar ist nach der ersten Infektion.

Ausblick: Nächster Winter

Hennig: Aber auf der Grundlage einer dreifachen Impfung eben ganz gut, auch wenn Delta zurückkommen sollte, auch wenn das ein anderer Serotyp ist und man mit Omikron infiziert war, auf der Grundlage einer Dreifachimpfung?

Drosten: Also auf der Grundlage einer Dreifachimpfung wird man auch im nächsten Winter gegen den ersten alten Serotypen noch eine sehr gute Immunität haben. Die Booster-Impfung, die dritte Dosis, die vermittelt eine lange anhaltende Immunität, aber die ist auch nicht absolut. Das heißt, man wird sich im nächsten Winter durchaus dann, wenn dieser alte Serotyp wieder zirkuliert, damit infizieren, auch wieder Symptome kriegen. Aber die werden kurz sein, diese Symptome. Man wird dann nach sehr kurzer Zeit keine schwere Krankheit mehr haben oder überhaupt keine Symptome mehr haben.

Und bei Omikron gehen wir jetzt für den nächsten Winter davon aus, diejenigen, die sich so wie Sie jetzt auf dem Boden einer Impfimmunität mit Omikron infiziert haben, die sind im selben Vorteil bis dahin. Also die werden auch jetzt noch mal eine nachgereifte Immunität entwickeln gegen Omikron, die sehr gut ist, wenn das keine sehr alten Leute oder sonst immunsupprimierte Leute sind. Dann werden die also im nächsten Winter schon wegen dieser einen Omikron-Infektion relativ gut dastehen. Die können sich über den Sommer durchaus auch noch mal eine zweite holen.

Die wird auch wieder relativ mild verlaufen wahrscheinlich, aber die stehen so gesehen auch für den nächsten Winter gut gerüstet da. Und dann gibt es einen anderen großen Anteil in der Bevölkerung, die sich dann über den Sommer nachimpfen lassen werden mit einer Omikron-Impfung. Und das werden Sie möglicherweise auch tun, zur Sicherheit. Selbst wenn Sie jetzt noch mal Omikron gehabt haben, doch über das Sommerhalbjahr noch mal die Gelegenheit nutzen, die Update-Vakzine zu nehmen. Und dann ist der Immunschutz zum nächsten Winter auch gut. Da kann man, glaube ich, optimistisch sein. Ich will damit jetzt nicht sagen, dass man im nächsten Winter keine Maske mehr tragen muss. Das kann schon sein, wenn der Infektionsdruck steigt, dass man das wieder machen muss.

Und dann ist wieder die Frage: Wie viele von den bis jetzt Ungeimpften - ob sie sich jetzt einmal mit Omikron infiziert haben oder nicht, tut nichts zur Sache - wie viele lassen sich dann noch impfen mit einem Impfstoff, das kann der alte Impfstoff, das kann auch der neue Impfstoff sein? Wichtig ist: Man braucht drei Dosen. Wenn das viele Leute jetzt doch noch machen, das kann man nur hoffen, dass die Politik das hinbekommt und die Gesellschaft, die Medien, die da auch mithelfen müssen, dann könnte der nächste Winter ganz glimpflich laufen.

Virusevolution

Und dann gibt es natürlich noch das große Fragezeichen: Was macht das Virus? Also gibt es einen dritten Serotypen bis dahin zum Beispiel. Evolution kann man nur bedingt vorhersagen. Ich würde das im Moment nicht erwarten, denn auch das ist so eine Faustregel, die ich jetzt in den letzten Monaten immer wiederholt habe. Darum wiederhole ich es jetzt auch noch mal: Das Virus, das mäandert rum. Also die Evolution, die unterliegt auch gewissen Zufallsprozessen. Und da gibt es immer wieder Überraschungen. Das bewegt sich also in die Richtung zum Milderen, aber vielleicht auch wieder zum Schwereren. Das kann man im Moment einfach nicht ausschließen.

Aber die Bevölkerungsimmunität, die bewegt sich in eine Richtung, die wird immer besser. Auch wenn wir jetzt Befunde haben, die zeigen, dass nach ein paar Monaten beispielsweise die Antikörper schwinden, aber das ist ja nicht alles, was ich jetzt mit Bevölkerungsimmunität meine. Das ist die Grundimmunisierung. Also die Grundimmunisierung, drei Dosen einer Vakzine, ja, die wird irgendwann geringer werden, aber auf diesem Boden der Grundimmunisierung, also der Aufbau der Immunität, kommt dann ja das Halten der Immunität auf der Bevölkerungsebene.

Und dieses Halten der Immunität, das wird natürlich durch Virusinfektionen geleistet. Wir können nicht auf Dauer die gesamte Bevölkerung immer wieder nachimpfen. Das können wir nur jetzt in dieser Anfangsphase des beginnenden endemischen Zustands machen. In der Übergangsphase in die Endemie, da müssen wir mit der Impfung immer auch noch mal nachhelfen.

Immunität durch Zirkulation des Virus

Aber auf lange Sicht ist das Erhalten der Immunität einfach das Zirkulieren des Virus. Und das muss man da jetzt mit einberechnen. Das beginnt für die Bevölkerungsanteile, die vollständig grundimmunisiert sind, nun auch schon. Omikron ist der erste Schritt in diese Richtung für diese Leute. Und damit werden wir wahrscheinlich hoffentlich im Herbst schon in ein besseres Fahrwasser kommen.

Wann ist die Pandemie zu Ende?

Hennig: Sie haben aber eben schon gesagt, was das Virus von der Evolution her macht, das kann man schwer vorhersagen. Und wir haben jetzt offensichtlich schon einen anderen Serotyp, also ein großes Ausmaß an Immunescape. Was bedeutet es denn dann für die Frage, wann ist die Pandemie zu Ende, wenn man das nicht absehen kann, ob da vielleicht noch mal ein anderer Serotyp um die Ecke kommt?

Drosten: Also, die Pandemie ist dann zu Ende, wenn wir es zusätzlich zu dem Krankheitsschutz auch geschafft haben, einen Übertragungsschutz in der Bevölkerung aufzubauen. So kann man das, glaube ich, ganz allgemein beantworten. Das, was die Pandemie ja ausmacht, wir haben ja gelernt, es gibt schwere Verläufe, die müssen wir erst mal unterbinden durch den Individualschutz. Dann haben wir aber immer noch Long Covid. Da wissen wir noch immer nicht genau Bescheid. Und das gibt es. Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Diese ganzen Unsicherheiten.

Und dann haben wir auch die vielen Arbeitsausfälle, also kritische Infrastruktur und anderes Arbeitspersonal im Arbeitsbereich. Auch da finden wir ja dann wieder Argumente, warum wir eben doch nicht damit auskommen, dass wir die schweren Krankheiten unterbinden durch Impfung und die Intensivstationen freihalten. Und warum ist das so? Ganz einfach, weil die andere Eigenschaft der Pandemie, nämlich die schnelle Übertragung, noch nicht kontrolliert ist.

Kontrolle durch Immunität

Und die müssen wir auch kontrollieren durch Immunität. Also sprich, dieses Freidrehen des Virus, dass das Virus einfach exponentiell nach oben schießt, wenn man nichts macht, das muss auch aufhören. Wir müssen praktisch spontan in der Bevölkerung einen R-Wert unter eins haben über einen Übertragungsschutz. Und wie kriegen wir den? Indem wir eine Schleimhautimmunität aufbauen bei der Mehrzahl aller Leute. Und wie tun wir das? Ganz einfach, indem wir es uns auf dem Boden einer vollständigen robusten Impfimmunität leisten können, dann das Virus als normale Infektion zu haben. Das haut uns nicht mehr total um.

Das macht aber nach einer kurzen, symptomatischen, milden oder auch vielleicht mal nicht ganz so milden Erkrankung, wie eben in einer Grippewelle beispielsweise, macht das dann aber einen nachhaltigen Schleimhautübertragungsschutz. Und dieser Schleimhautimmunschutz, der wird sich bei einigen Leuten auch nicht nach der ersten, sondern erst nach der zweiten oder sogar dritten natürlichen Infektion einstellen, die als Erkältung oder Grippekrankheit wahrgenommen wird. Das muss man eben hier auch in aller Konsequenz so sagen. Aber wenn das eben nicht mehr so viele Fälle pro Zeiteinheit sind, wenn sich das nicht als Welle auftürmt, dann kann man das als Gesellschaft über mehrere Jahre verkraften und moderieren. Und das müssen wir auch.

Hennig: Und das ist auch denkbar, wenn zum Beispiel noch ein anderer Serotyp entsteht?

Drosten: Ja, die Serotypen, sagen wir mal, der alte Serotyp kommt wieder, oder es kommt noch ein dritter Serotyp dazu, das moduliert eigentlich nur diese Situation. Also das führt dann dazu, dass man vielleicht doch, obwohl man das nicht dachte, noch mal nachhelfen muss durch eine Update-Vakzine, die man für große oder auch kleinere Bevölkerungsanteile noch mal geben muss. Da kann man im Moment keine Garantie drauf geben, wie das am Ende weitergeht. Es kann sein, dass wir im nächsten Herbst schon so weit sind, dass große Teile einen Schleimhautschutz haben, so stark, dass das gar nicht mehr im Winter stark übertragen wird.

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Jemand macht eine Strichliste neben der Abbildung von Viren. © picture alliance, panthermedia Foto: Image Broker

Podcast mit Drosten und Ciesek: Links zu Corona-Studien

Im Podcast Coronavirus-Update mit Christian Drosten und Sandra Ciesek werden viele Studien erwähnt. Hier finden Sie eine Linksammlung. mehr

Es kann sein, dass man moderieren muss, beispielsweise durch Maske tragen in Innenräumen. Das würde ich im Moment noch erwarten, dass das schon noch sein muss. Es kann aber auch eben schlecht laufen, dass eine Variante kommt, die ein starkes Immunescape hat und dass man da dann noch mal wieder nachboostern müsste. Also da kann ich im Moment keine Garantie drauf geben. Das Problem ist aber im Moment für Deutschland, dass wir im Gegensatz zu anderen Ländern gar nicht dahin kommen, diese Dinge so zu moderieren, weil wir immer noch Rücksicht nehmen müssen auf diesen erheblichen Anteil der Ungeimpften, die es in anderen Ländern schon nicht mehr so gibt, beispielsweise in Dänemark.

Definition anderer Serotyp

Hennig: Ich möchte noch mal kurz auf diesen Begriff "anderer Serotyp" zurückkommen. Wie genau verläuft da eigentlich die Definition? Also ist das einfach das Ausmaß des Immunescape, ab dem man dann sagt: Hier ist ein anderer Serotyp entstanden?

Drosten: Ja, genau. Das ist gar nicht so leicht zu definieren. Man könnte das definieren durch ein Surrogatkriterium im Labor, dass man also sagt: Ab einem gewissen Unterschied im Neutralisationstiter gilt das. Man kann das eigentlich sehr gut machen durch Kreuzvergleiche, also durch die Frage: Wenn wir jemanden haben, der gar keine Immunerfahrung hat, der noch nie infiziert oder geimpft war, und der infiziert sich mit dem einen Serotypen, hat der dann auch einen Schutz gegen den anderen Serotypen?

Oder gegen das andere Virus, das wir jetzt noch nicht Serotyp nennen, sondern wir sagen einfach, das ist ein anderes Virus, eine andere Variante. Und da kann man doch im Rückblick immer sagen: Bisher, bis zu Delta war das so. Die Viren haben alle gegenseitig gegeneinander einen Kreuzschutz hervorgerufen. Und jetzt bei Omikron sieht man erstmalig, dass das nicht mehr so ist.

Immunität und Omikron

Also, wenn man Leute anschaut, die sich komplett naiv, also nicht geimpft und nicht vorinfiziert mit Omikron infizieren, dann sieht man bei denen einfach, dass kaum eine Immunität gegen Delta entsteht und gegen die alten Serotypen. Und dass diese Immunität eigentlich nur bei denjenigen Omikron-Infizierten entsteht, die vorher schon geimpft waren. Und die können dann auch durchaus ihren Impfschutz im Labor praktisch wieder verloren haben, dass man praktisch gar nichts mehr messen kann.

Aber, wenn die sich dann mit Omikron infizieren, dann kommt die alte Impfimmunität wieder hoch. Aber das tut sie eben nur dann, wenn vorher schon eine Impfung oder eine Infektion mit Delta stattgefunden hat. Und das ist eben die Unterscheidung. Also zieht das eine Virus die Immunität gegen das andere mit hoch oder tut es das nicht? Und Omikron tut das erstmalig nicht. Und dann gibt es bestimmte Herangehensweisen in der, es ist fast schon eher Experimentalimmunologie, Experimentalvirologie, die man so zusammenfassen kann unter dem Begriff "Antigenic Cartography", das wird gerade entwickelt für SARS-2, das ist für Influenza entwickelt.

Und da arbeitet man eben über bestimmte Vergleiche der Immunreaktivität in experimentell-infizierten Tieren, weil die einfach sicher immun naiv sind. Labortiere, die man verwenden kann, wo man weiß, die sind nie infiziert gewesen. Das wird ja in der menschlichen Bevölkerung zunehmend schwieriger, je länger das Virus schon zirkuliert. Und da macht man so eine Art Kreuzvergleich der relativen Immunität. Und da kann man dann sehr zuverlässig sehen, ab wann sich ein Virus plötzlich verändert hat. Also es gibt da so einen schleichenden Veränderungsprozess über die Zeit. Das ist die fortlaufende Evolution. Und dann sieht man Evolutionssprünge in diesen Auswertungen. Und so einen Sprung hat offenbar bei Omikron jetzt stattgefunden erstmalig.

Wie sinnvoll ist ein Omikron-Booster?

Hennig: Jetzt haben Sie vorhin schon kurz angedeutet, was man weiß über die Booster-Wirkung im Vergleich BA.1 und BA.2. Und tatsächlich auch gegen Omikron. Das ist ja der unangepasste Booster. Wie viel Sinn ergeben da diese angepassten Booster? Anders herum gefragt: Wenn im Herbst möglicherweise noch eine neue Variante kommt, ergibt es dann überhaupt Sinn, den Omikron-Booster, an dem Biontech und Moderna jetzt zum Beispiel schon mit klinischen Studien arbeiten, wirklich vorerst mal über den Sommer für alle zu geben?

Drosten: Ja, das ergibt insofern Sinn, als eben die Influenza-Erfahrung zeigt, dass diese Bevölkerungsimmunität, auch wenn sie sich manchmal in Sprüngen entwickelt, sich doch kontinuierlich in einem gewissen Immunitätsraum fortentwickelt. Das heißt, diese Immunitäten, die bauen schon aufeinander auf. Also das Virus würde sich jetzt sehr schnell entwickeln zu einem dritten Serotypen, dann hätte jemand, der sich in der Zwischenzeit gegen Omikron weder impfen lassen würde noch sich infizieren würde, eine Brücke verpasst in dem Aufbau der Immunität. Also wir können schon davon ausgehen, dass die Omikron-Impfung einfach die Entwicklung des Virus verfolgt und nachhält in eine bestimmte Richtung.

Immunitäts-Sprünge

Also es gibt Sprünge, aber diese Sprünge laufen in eine Richtung. Und diese Richtung ist nicht zufällig, sondern da gibt es eine Direktionalität. Deswegen ist es eben sinnvoll, das nachzuhalten, was das Virus macht, durch Impfungen. Aber wie gesagt, um es noch mal zu sagen, ich erwarte eigentlich längerfristig, über die nächsten vielleicht zwei, drei Jahre, könnte man jetzt im Moment annehmen, dass dieses Bedürfnis nach einem Nachpflegen der Impfung auch geringer wird. Also entweder werden die Zeitabstände viel länger. Dann sind die Zeitabstände vielleicht fünf, sechs, sieben Jahre, wo man dann solche Nachpflegungen braucht.

Oder man braucht sie auch gar nicht mehr, weil das Virus nicht so starke Sprünge macht, sondern sich stärker kontinuierlich entwickelt und dann die Bevölkerung das praktisch gar nicht merkt, weil sich dann Anteile der Bevölkerung in jedem Winter mit dem Virus infizieren. Sie kriegen eine grippeartige Erkrankung, überstehen die aber auch wieder und sind dann upgedatet durch das Virus. So könnte es auch kommen. Und ich erwarte das einfach deswegen für ein Coronavirus so, weil das bei den anderen Coronaviren auch so ist, dass die relativ stabil sind gegenüber Influenza.

Also Influenza macht diese antigenetischen Sprünge alle fünf, sechs, sieben Jahre. Das sehen wir eigentlich in der Form bei Coronaviren, bei den Erkältungs-Coronaviren nicht. Und das ist für mich der Anhalt, zu vermuten, dass sich das bei SARS-2 auch so entwickeln könnte, dass sich das eher stabilisiert.

Hennig: Israel hat jetzt allerdings auch gerade Daten vorgelegt für die vierte Impfung mit dem ganz normalen bisherigen Booster, also einen zweiten Booster. Und hat da 400.000 Viertimpfungen ausgewertet. Also am Anfang hat man Risikogruppen vor allen Dingen ein viertes Mal geimpft und Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten. Und das Ergebnis ist: Die Schutzwirkung gegen bloße Infektion hat sich verdoppelt, aber tatsächlich hat sich auch die gegen schweren Verlauf multipliziert, also bis zu dreifach gegenüber Menschen, die nur einmal geboostert wurden. Aber wie kann das sein? Die Booster-Wirkung gegen den schweren Verlauf war doch eigentlich ohnehin schon so hoch, weil auch die zelluläre Immunantwort entscheidend ist. Das haben wir ja gelernt.

Drosten: Ja, aber das sind eben jetzt Vakzine-Effektivitätsdaten. Und die wurden bei Leuten erhoben, also der Vergleich war zu dreimal Geimpften, bei denen die dritte Dosis schon über vier Monate her ist und die über 60 Jahre alt sind. Das ist also schon ein Bevölkerungsabschnitt, der nun mal die Immunität nach drei, vier Monaten stark verliert. Da gibt es auch Daten, die können wir vielleicht noch mal nennen aus England. Die habe ich jetzt hier zufällig. Moment, jetzt blättere ich hier mal. Da müssen wir jetzt auf die Omikron-Zahlen schauen.

Und da ist es so, dass in der Gesamtbevölkerung, das sind jetzt nicht nur die über 60-Jährigen, nach drei Monaten der Schutz gegen die symptomatische Erkrankung durch Omikron bei Geboosterten auf 40 bis 50 Prozent gesunken ist und gegen die Krankenhausaufnahme auf 75 bis 85 Prozent gesunken ist. Größer drei Monate. Das geht hier jetzt sicherlich nicht nur um Krankenhausaufnahmen, sondern um eine gewisse Falldefinition. Und da ist das eben möglich, dass so eine vierte Dosis dann auch die Vakzine-Effizienz noch mal verdoppelt bei diesen Personen, über 60 und über vier Monate her mit der dritten Dosis.

Und da muss man sagen, in Israel war der Abstand zwischen den ersten beiden Dosen geringer als in vielen anderen Ländern. Das hat sicherlich auch dazu geführt, dass die Vakzine-Effizienz nach der dritten Impfung vielleicht in Israel etwas geringer war als in anderen Ländern, bei denen der Abstand zwischen Dosis eins und zwei länger gewählt wurde.

Kreuzimpfungen

Hennig: Das heißt für viele ältere Menschen in Deutschland, die vielleicht sogar mit AstraZeneca geimpft wurden und dann als zweite Impfung mit einem großen Abstand Biontech bekommen haben, könnte das ein bisschen besser aussehen?

Drosten: Könnte man denken. Wobei da auch die Outcomes in den verschiedenen Studien, die sind sehr differenziert, sehr unterschiedlich. Es gibt auch Studien, die sagen, dass zweimal Biontech besser ist als Astra plus Biontech. Da gibt es zum Teil etwas widersprüchliche Untersuchungen. Aber hierfür, sagen wir mal für eine breitere Öffentlichkeit, kann man sagen, beides ist eine gute Grundimmunisierung, wenn dann auch noch eine dritte Dosis dazukommt.

Aber man muss eben auch sagen, die dritte Dosis zieht nicht nur die Antikörper wieder ein bisschen hoch in ihrer Wirksamkeit, sondern die moduliert auch qualitativ die Immunreaktion noch mal. Also die macht einfach die Immunreaktion besser, spezieller und nachhaltiger. Es ist eine andere Qualität. Es ist nicht nur eine andere Menge von Antikörpern oder von Reaktivitäten, sondern es ist wirklich noch mal ein Tuning, was wir alle brauchen, um wirklich eine gute neutralisierende Antwort zu machen.

Diskussion um Genesenenstatus

Hennig: Jetzt sind wir schon ziemlich viel unterwegs in diesen Fragen - geimpft und dann darauf aufbauend eine Infektion in verschiedenen Kombinationen. Ich würde gerne einmal in den Alltag zurückkehren.

Es gibt zurzeit eine Diskussion und relativ viel Unmut um die Neuregelung des Genesenenstatus, der ist offiziell politisch verkürzt worden. Er gilt nur noch 90 Tage und auch erst, wenn eine Infektion 28 Tage zurückliegt. Für Geimpfte, die sich dann infizieren, heißt das aber, wer sich nach einer doppelten Impfung infiziert hat und quasi den natürlichen Booster auf die Impfung bekommen hat, der braucht in einigen Bundesländern weiter Tests, wo 2G-Zugang ist oder kommt womöglich gar nicht rein.

Andersrum, also wenn man sich vor längerer Zeit infiziert hat und anschließend zweimal geimpft wurde, gilt das dann aber eigentlich als nicht nötig. Das ist eine politische Frage, für die es ja aber auch eine wissenschaftliche Grundlage geben muss. Ist es immunologisch denn nicht egal, in welcher Reihenfolge man sich infiziert und zweimal geimpft wurde?

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Viele Fragezeichen um einen Kopf. © picture alliance Foto: Sergey Nivens

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Drosten: Ja, es ist beides nicht schlecht. Man kann schon sagen, es ist besser, wenn man zuerst infiziert war und dann drüber impft. Aber das wollen wir jetzt epidemiologisch gar nicht haben, weil das setzt ja die Leute ins Risiko. Wir müssen einfach unsere Strategie darauf aufbauen, die Leute sollen zuerst geimpft sein, damit geschützt sein gegen schweren Verlauf und dann erst Kontakt mit dem Virus bekommen. Und da muss man auch sagen, die Unterschiede sind nicht sehr groß.

Also auch der Viruskontakt nach Impfung ist sehr gut. Zu diesen ganzen Regularien, ehrlich gesagt, ich kann da gar nicht viel zu sagen, weil mir die gar nicht geläufig sind im Einzelnen. Ich muss auch in Alltagssituationen immer wieder überlegen, was muss man jetzt eigentlich machen und was gilt eigentlich jetzt hier bei uns in diesem Bundesland? Und was passiert eigentlich, wenn ich anderswo hinfahre? Also, das will ich jetzt gar nicht weiter kommentieren. Das ist tatsächlich eine Angelegenheit der Politik und der Regulation und der Ausführungsebene.

Aber wo Sie nach der wissenschaftlichen Grundlage fragen, ja, da ist das RKI ja jetzt auch letzte Woche wieder mal in den Medien angeschossen worden. Ich finde, es gibt da ja relativ einfache Erklärungen, die das RKI ja auch geliefert hat. Also statt auf das RKI zu schießen, hätte man einfach mal auf die RKI-Homepage gehen können. Da findet man das ja begründet und dokumentiert. Das RKI nennt gleich mehrere Referenzen dazu. Die kommen fast alle aus England. Und die wichtigste ist sicherlich das "Technical Briefing 34" über die Varianten.

Darin gibt es mehrere Begründungen und eine ganz wichtige Begründung ist die Auswertung der SIREN-Studie. Das ist ja diese große Studie in England, wo geschaut wird, was eigentlich diejenigen, die infiziert waren, für einen Schutz im Moment haben. Dieser Schutz wird also praktisch so ausgedrückt wie eine Vakzine-Effektivität. Und da ist es nun mal so, schon nach 90 Tagen nach einer Vorinfektion liegt bei Omikron diese Effektivität der Vorinfektion, also das Pendant einer Vakzine-Effektivität, dann schon nur noch bei 44 Prozent. Und damit würde einfach jeder Impfstoff durch die Zulassung fallen. Punkt. Ganz einfach. Also das reicht einfach nicht und das ist glasklar. Und darum ist es auch glasklar, dass das RKI jetzt für Omikron das Ganze auf 90 Tage verkürzt hat.

Hennig: Es bezieht sich aber auf vorher Ungeimpfte, diese Parallele zur Vakzine-Effektivität. Also möglicherweise gibt es da ein Missverständnis, dass man diese Daten nicht einfach auf doppelt Geimpfte übertragen kann.

Drosten: Ja, das ist aber auch nicht der einzige Datensatz. Es gibt noch andere, auch wieder aus England stammende Daten, zum Schutz gegen die Omikron-Infektion nach Booster-Impfung. Und da muss man eben jetzt schon die Booster-Impfung dann irgendwann auch mal gleichsetzen mit einer Überinfektion über eine bestehende Doppel-Vakzinierung. Das ist jetzt, glaube ich, was Sie meinen. Da muss man einfach irgendwann mal pragmatisch sagen: Das muss man gleichsetzen, weil es gibt auch zunehmend Studien, die zeigen, dass man das gleichsetzen kann, dass das so praktisch die gleiche Wirkung hat.

Und ja, da ist das RKI sicherlich auch an diesen Daten vorgegangen. Und ich blättere jetzt gerade mal danach. Hier zum Beispiel: Schutz gegen symptomatische Erkrankung, das hatte ich vorhin schon mal erwähnt, ist bei Delta bei Leuten, die unter drei Monaten Zeit vergehen ließen nach der Booster-Impfung, da liegt das bei 90 bis 99 Prozent Schutz gegen symptomatische Erkrankung, unter drei Monaten nach der dritten Dosis. Bei Omikron liegt das bei 50 bis 75 Prozent. Das ist also gerade noch, da würde man sagen: Doch, das ist noch in Ordnung.

Aber über drei Monate, da liegt es bei Delta weiterhin auf dem Bereich 90 bis 95 Prozent, praktisch gar nicht gesunken. Aber bei Omikron liegen wir jetzt bei unter 50 Prozent, also 40 bis 50 Prozent steht hier. Und da muss man einfach sagen: Das reicht nicht. Das würde auch wieder für eine Vakzine-Zulassungssituation gar nicht reichen. Und da muss man einfach irgendwann auch im regulativen Bereich nachregulieren, dass die Leute sich dann zumindest noch mal wieder auffrischen lassen. Also, ich finde das schon sinnvoll. Vielleicht wurde es in der Öffentlichkeit nicht ganz breit begründet, sondern eben nur schriftlich begründet.

Und da liegen manchmal auch diese Probleme. Das RKI macht das dann sehr, sehr sauber im Schriftlichen, aber es fehlt vielleicht die ganz erklärende, breite Ansprache an die Öffentlichkeit, bevor man so eine Regel ändert. Aber ehrlich gesagt, ich glaube, die ganze Aufregung kommt vor allem eher aus der sekundären Berichterstattung in den Medien.

Altersdifferenzen bei Schutzwirkung

Hennig: Vielleicht muss man auch noch mal differenzieren nach Altersgruppen. Wenn sich ein 18-Jähriger nach Zweifachimpfung infiziert, ist es natürlich immer noch mal anders, als wenn sich ein über 60-Jähriger nach Zweifachimpfung infiziert, in der Länge der Schutzwirkung.

Drosten: Das muss man sicherlich auch immer machen. Nur, man kann ja diese Bestimmungen nicht beliebig verkomplizieren. Man muss ja auch Dinge formulieren, die einfach für jeden Erwachsenen gelten. Und da ist das Augenmerk dann auf dem Schutz der Älteren.

Erkenntnisse zum Effekt der Impfung auf Long Covid

Hennig: Sie haben vorhin schon kurz angedeutet, dass es auch zum Thema Long Covid noch ein paar neuere Erkenntnisse gibt. Das ist ja die große Sorge vieler, sowohl gesamtgesellschaftlich berechtigterweise als auch individuell, die Sorge vor langanhaltenden Symptomen, also Post Covid oder auch Long Covid. Man weiß ja auch, dass so was auch vorkommen kann nach schwächeren Infektionen, also nicht ausschließlich nach schwerem Verlauf.

Es gab so ein bisschen Aufregung in den sozialen Medien, auch nach der letzten Podcast-Folge mit Ihnen, weil sie den Übergang zum endemischen Zustand ausführlich skizziert haben und nicht den Aspekt Long Covid angesprochen haben. Es gibt die Hoffnung, dass die Impfung auch gegen Long Covid helfen könnte. Da gibt es ein paar vereinzelte Studien zu, aber noch nicht so wahnsinnig viel. Jetzt gibt es neue Daten aus Israel. Können wir da ein bisschen mehr draus ablesen, dass die Impfung tatsächlich gegen Long Covid viel ausrichten kann, dass man jetzt schon als zweifach Geimpfter ein sehr geringes Risiko hat?

Drosten: Ja, das ist so. Vielleicht sollte ich erst mal sagen, einigen Leuten ist aufgefallen, dass ich wenig zu Long Covid sage oder es nicht für ihren Geschmack ausreichend betone. Ich kann immer nur sagen: Es gibt es. Das ist auf keinen Fall etwas, das irreal ist, sondern das ist eine reale Komplikation. Und das ist natürlich nach den schweren Verläufen und Intensivbelegungen und Todesfällen die nächste große Sorge, zusätzlich zu natürlich gesamtgesellschaftlicher Belastung durch Arbeitsausfälle und so weiter.

Nur bin ich kein Rheumatologe, kein Neurologe, und in diese Fächer gehört eigentlich Long Covid rein. Und es gibt so viele Experten, die sich inzwischen zum Glück auch öffentlich äußern, dass ich mich hier nicht als Universalgelehrten darstellen möchte. Ich kenne mich damit einfach nicht gut genug aus. Und ich habe ja immer gesagt, wo meine Grenzen liegen und wo ich auch nicht drüber will.

Ich möchte mich jetzt nicht, nur weil ich mich öffentlich äußere, in Bereiche einarbeiten, in denen ich eigentlich keine Berufserfahrung habe, keine eigene. Weil ich weiß, es gibt andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die da ihre Fachexpertise haben und die äußern sich ja auch. Ich gehe in dieses Long-Covid-Gebiet kommentierend einfach nur so weit rein, wie ich mich gerade noch auskenne. Nämlich, ich habe so ein bisschen Berufserfahrung in der Infektionsepidemiologie zusätzlich zur Virologie. Und da verstehe ich Studien und kann das kommentieren.

Israelische Studie

Und so eine Studie, die ist jetzt erschienen aus Israel. Die ist interessant. Die hat nicht nur Stärken, die hat auch Schwächen. Eine Schwäche ist, es wurden da 80.000 Leute eingeladen teilzunehmen und nur 4,5 Prozent davon haben sich für die Teilnahme entschlossen. Immer, wenn sich so wenige Leute für die Teilnahme entschließen bei Fragebogenstudien, denn es war eine elektronische Befragungsstudie per Mobilfunk-App, da ist natürlich immer die Frage, ob so eine kleine Auswahl repräsentativ ist oder ob das nur die Spezialinteressierten sind, also die sich ganz besonders jetzt für Long Covid interessieren oder die das vielleicht sogar selber haben und deswegen auf die Umfrage reagieren. Und die anderen interessieren sich nicht dafür.

Hennig: Und auch noch ein spezieller Zugang über die App, das so zu machen. Aber immerhin in vier Sprachen.

Drosten: Genau. Es ist schon, davon abgesehen, sorgfältig gemacht. Und die Zahlen, die dabei zusammenkamen, waren jetzt auch nicht total klein. Das waren 951 Infizierte und 2.437 Uninfizierte, die hier befragt wurden. Die Uninfizierten sind eine Kontrollgruppe, die gleich noch zum Tragen kommt in der Erzählung. Und jetzt haben wir bei den Infizierten eine Differenzierung im Impfstatus. Da sind 340 dabei, die haben nur eine Dosis. Die sind hier jetzt eigentlich zu vernachlässigen, weil das in Israel fast alles Fälle waren, die sich zuerst natürlich infiziert haben und dann noch eine Dosis bekommen haben. So eine Regelung hatten wir ja auch mal hier in Deutschland, sodass die relevanten Patienten eigentlich diejenigen sind, mit mehr oder gleich zwei Dosen von der Impfung.

Also zweifach oder dreifach geimpft. Und das sind 294 Personen, die geimpft waren. Und jetzt kann man die erst mal vergleichen. Man kann sagen, von denjenigen, die sich infiziert haben, und wir halten gleich auseinander, ob die vorher geimpft waren oder nicht, also von denen, die sich infiziert haben, sind insgesamt 35 Prozent aller Infizierten so, dass sie nach vier bis acht Monaten noch mehr oder gleich ein Symptom hatten, das blieb. Das würde man als Long Covid beschreiben. Und die gehen hier vor nach einer Liste von Long-Covid-Symptomen, die das Isaac Consortium aufgestellt hat, das ist wohl das bekannteste internationale klinische Studienkonsortium für Infektionskrankheiten. Also eine Liste von über 40 Symptomen, die insgesamt Long Covid typisch sind. Und nach dieser Liste sind sie vorgegangen.

Die häufigsten Long-Covid-Symptome

Die Liste ist lang. Der Trend, der sich zeigt, ist überall derselbe, aber in der Studie werden besonders die häufigsten Symptome hervorgehoben: Müdigkeit, Kopfschmerz, Schwächegefühl, persistierender Muskelschmerz. Da haben wir Prozentigkeiten von 22, 20 und 13 und zehn Prozent bei den Infizierten, die das berichten nach einer Zeit von vier bis acht Monaten. Das ist eben wirklich Long Covid, die kommen nicht mehr auf dem Damm. Und jetzt ist interessant, dass bei den Geimpften diese Zahlen reduziert werden um erhebliche Prozente.

Ich lese es auch wieder vor: Müdigkeit, Kopfschmerz, Schwäche, persistierender Muskelschmerz um 64, 54, 57 und 68 Prozent. Damit kann man jetzt so erst mal nicht viel anfangen. Viel mehr kann man damit anfangen, dass diese Symptome nun bei den über zweimal Geimpften, die sich infiziert haben, nicht mehr häufiger sind als bei den komplett Uninfizierten. Also die Vergleichsgruppe, die 2.437 Uninfizierten, die man auch gefragt hat, egal, ob die geimpft waren oder nicht, man hat die im Rahmen von einer Befragung angeschaut, die meisten von denen waren sicherlich geimpft.

Aber die berichten diese Symptome genauso häufig wie Leute, die sich mit Covid infiziert haben, aber geimpft waren. Und das ist interessant, denn das sind ja sehr allgemeine Symptome. Das ist alles schwer fassbar. Jeder hat mal Kopfschmerzen und Schwächegefühl, jeder hat längere Zeiten von Müdigkeit. Das können andere Erkrankungen sein. Jeder hat auch mal, also nicht jeder, aber manche Leute haben persistierenden Muskelschmerz wegen anderer Dinge. Und da ist es eben jetzt nicht mehr zu unterscheiden zu Ungeimpften bei Leuten, die sich auf dem Boden einer anständigen Impfung dann mit Covid infiziert haben.

Also sprich, bei diesen Patienten gibt es kein belegbares Long Covid mehr. Das ist für mich eine sehr, sehr gute Nachricht, eben auch für die Strategie, die wir fahren. Eine impfbasierte Strategie, die Grundstrategie, die auch in der Öffentlichkeit zu Recht immer wieder auch hinterfragt und kritisiert wird. Meine Überzeugung ist, dass wir eben mit dieser Pandemie in unserer Bevölkerung so umgehen müssen, dass wir auf dem Boden einer Impfimmunität dann Infektionen auch zulassen. Da kann man also jetzt auf der Basis dieser Studie zumindest mal entgegnen: Es sieht so aus, dass dann auch dieses Long-Covid-Thema kaum mehr nachzuweisen ist, zumindest statistisch. Ich will jetzt nicht sagen, dass das der Weisheit letzter Schluss ist, aber es ist eine sehr gute Botschaft.

Hennig: Aber was Kurzatmigkeit und Husten angeht und auch neurologische Ausfälle, ist das Bild nicht ganz so klar in der Studie, oder?

Drosten: Wir haben immer bestimmte Symptome, die bei wenigen Patienten als Langzeitfolgen bestehen bleiben. Und es wird klinische Studien geben müssen, die sich dann speziell mit diesen Symptomen beschäftigen. Das muss man leider auch sagen, ja.

Hennig: Aber unter dem Strich ist es trotzdem eine gute Botschaft, das sagten Sie schon. Man muss aber noch einmal dazu sagen: Hier wurden Infektionen mit Delta untersucht, es war kein Omikron dabei.

Long Covid und Omikron

Würden Sie trotzdem darauf schließen, dass sich dieser Effekt bei Omikron wahrscheinlich genauso zeigen würde? Weil die Pathogenität, also die krankmachende Wirkung, von Omikron ja offenbar ohnehin geringer ist?

Drosten: Ich würde das so vermuten. Wir haben ja Hinweise, dass unter Omikron-Infektion sogar diese Symptome, die so ein bisschen in Richtung neurologische Affektion deuten, also Geruchs- und Geschmacksausfall, deutlich geringer ausfallen. Als Eigenschaft der Omikron-Infektion wird beschrieben, dass das geringer ausfällt. Und das deutet für mich schon auch in die Richtung, dass Long Covid seltener sein könnte. Aber wirklich, an der Stelle muss ich sagen, da ist meine Fachgrenze. Das ist nicht mehr mein Metier. Und da gibt es ja eben auch Leute, die sich damit viel besser auskennen. Experten, die sich inzwischen auch in der Öffentlichkeit äußern. Und darum tue ich das auch nicht mehr.

Hennig: Omikron ist noch nicht so lange in der Welt, dass man da überhaupt Beobachtungsdaten hätte. Da müssen wir, abgesehen davon, wahrscheinlich auch noch ein bisschen Geduld mitbringen.

Drosten: Na ja, das ist genau das, was Expertenstatus eben ausmacht. Am Anfang der Pandemie konnte ich über die Virologie aus einem informierten berufserfahrenen Bauchgefühl her ganz viele Sachen sagen, obwohl es keine Daten gab oder nur ganz dünne Daten gab. Und ich habe damit über Monate oder vielleicht inzwischen sogar über ein Jahr Recht behalten, weil ich eben diese Berufserfahrung habe.

Und das kann man als Virologe und Infektionsepidemiologe vielleicht, ich würde mich so noch nicht mal bezeichnen, aber ich habe da auch meine Berufserfahrung, kann man das machen. Das kann man eben nicht machen, wenn man sich das nur angelesen hat. Genau deswegen möchte ich mir jetzt auch die Long-Covid-Problematik nicht irgendwie anlesen, sondern auf Kolleginnen und Kollegen verweisen, die das professionell betreiben. Denn solche Symptome, solche Erscheinungen, die gibt es ja nicht nur bei Coronavirus-Infektionen, die gab es ja vorher schon.

Und wir haben in der Neurologie und in der Rheumatologie, Immunologie, klinischen Immunologie einfach Expertinnen und Experten, die da genau das gleiche machen können wie ich bei den Viren, die Berufserfahrung mit einfließen lassen und daraus ein informiertes Bauchgefühl entwickeln.

Hennig: Ein Grund mehr, warum wir hier auch das Thema Long Covid bei Kindern nicht ausführlicher besprechen wollen. Es gibt, als kleine Fußnote, zurzeit auch gerade eine Studie aus Dänemark zum Vorkommen von Long Covid bei Kindern. Da geht es ja vor allem um ungeimpfte Kinder. Die geht ein bisschen durch die sozialen Medien, ist aber auch von Fachleuten, auch von Kinderärzten schon differenziert betrachtet und kritisiert worden, weil schon das Studiendesign die Aussagekraft sehr einschränkt. Wie gesagt, darauf wollen wir deshalb hier nicht eingehen.

Impfquote bei Kindern

Aber die Impfquote unter Kindern ist vielleicht noch ein Wort wert. Ich habe mal nachgeguckt, Status jetzt ist nur jedes zehnte Kind unter zwölf Jahren doppelt geimpft, einmal geimpft lag die Quote zuletzt bei 17 Prozent. Das ist schon noch ziemlich gering. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass eigentlich jeder, der das möchte, eine Impfung bekommen kann. Zumindest für Kinder ab fünf Jahren, oder?

Drosten: Ja, also für Kinder ab fünf Jahren. Und was man natürlich immer auch dazusagen muss für Kinder, die ein denkbares Risiko haben, auch unter fünf Jahren, auch hier können wir off-label impfen. Das können Impfärzte, Kinderärzte machen. Das wiederhole ich auch immer wieder. Und auch hier, in der gesamten Problematik zu der Erkrankung bei Kindern, ich kann dazu nur sagen, meine infektionsepidemiologische Auffassung, die ich schon sehr früh kommuniziert habe und zu denen wir auch sehr früh Daten geliefert haben, die hat sich bis heute bewahrheitet.

Die ist ganz einfach: In der Pandemie sind erst mal alle gleich naiv. Das Virus ist in allen Altersgruppen ungefähr gleich. Und wenn wir dann anfangen, die Älteren selektiv zu impfen, dann werden wir das sehen, was wir im Moment sehen, nämlich eine Dominanz der Infektionen bei den Kindern und natürlich dann auch langsam aber sicher ein Antreiben der Infektionen, der Pandemie aus den Kinderjahrgängen heraus. Das ist nun mal so. Auch wenn es da Sprachregelungen in der Öffentlichkeit, in der medialen und politischen Öffentlichkeit gegeben hat, Treiber oder nicht Treiber, die komplett irreführend sind.

Das Bild ändert sich entsprechend des Aufbaus des Bevölkerungsschutzes. Und der ist jetzt nun mal: Die Bevölkerungsimmunität ist bei den Erwachsenen betont und darum sind die Kinder jetzt überbetont in der Inzidenz. Wie man damit umgeht, Schulbetrieb und all diese Dinge, wird durch viele andere Fachdisziplinen informiert und in der Politik beraten. Die Situation im Schulbetrieb, da haben natürlich die kinderärztlichen, pädiatrischen Fachgruppen, Fachverbände, Fachgesellschaften über lange Zeit wirklich ihren Einfluss stark geltend gemacht.

Und das, was wir jetzt haben, sowohl dass die Impfquote so ist, wie sie ist und nicht höher ist, als auch, dass der Schulbetrieb relativ uneingeschränkt mit hohen Infektionszahlen und bei vielen Eltern mit großen Sorgen läuft, ist darauf zurückzuführen. Es ist interdisziplinär, das Problem, es ist politisch, dieses Problem. Und ich kann dazu einfach nur die Infektionsepidemiologie kommentieren. Die Kinderärzte kommentieren ihre Sicht der Dinge zum Teil auf die Infektionsepidemiologie, aber insbesondere auch auf die Krankheitsschwere und sagen: Wir sehen einfach keine schwerkranken Kinder. Und wir sehen die nur sehr selten. Und die Krankheitsschwere bei anderen übertragbaren Erkrankungen bei Kindern, wie zum Beispiel RSV und anderen ist höher.

Endemie RSV

Das ist richtig, da sage ich als Infektionsepidemiologe dann nur noch eine Sache dagegen, nämlich: RSV ist keine Pandemie. Also wir haben dort nicht diese extremen, exponentiell steigenden Infektionszahlen, die darf man nicht vergessen. Aber ich möchte mir auch hier nicht das Urteil anmaßen über die Krankheitsschwere bei Kindern, das ist tatsächlich Sache der Pädiater. Ich kann nur an die Pädiater auch die Bitte richten, sich sehr sorgfältig mit den epidemiologischen Voraussetzungen zu befassen und nicht zu vergessen, dass die Vergleichskrankheiten keine Pandemien sind, sondern lange etablierte endemische Erkrankungen.

Hennig: Es gibt mittlerweile viele Kinderärzte, die sich wirklich offensiv für eine Impfung aussprechen, zumindest auf jeden Fall von Kindern ab fünf Jahren, auch, weil sie Sorge haben, dass die absoluten hohen Zahlen - ich habe mal geguckt, die Sieben-Tage-Inzidenz bei Fünf- bis 14-Jährigen liegt im 3.000er-Bereich -, dass die auch zu hohen Zahlen zum Beispiel von dieser Folgeerkrankung, diesem multisystemischen Entzündungssyndrom PIMS führen kann. Da gibt es schon noch mal eine relativ klare Empfehlung, auch aus vielen Bereichen der Kindermedizin.

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Der Virologe Prof. Christian Drosten und die Virologin Prof. Sandra Ciesek (Montage) © picture alliance/dpa, Universitätsklinikum Frankfurt Foto: Christophe Gateau,

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Drosten: Na ja, Empfehlung ist eben so eine Sache. Ich kann das Ganze auch nur noch mit einiger Entfernung betrachten und ich bekomme doch den Eindruck, dass sich innerhalb der Pädiatrie da auch zunehmend unterschiedliche Meinungen ausbilden und dass die Empfehlungsschriften, die man hier und da liest von bestimmten Fachverbänden oder Fachgesellschaften, nicht immer unbedingt das gesamte Meinungsfeld reflektieren.

Inzidenzen und PCR-Test-Knappheit

Hennig: Ich würde gerne zum Abschluss noch mal zurückkommen auf die Einschätzung des Gesamtgeschehens und vor allem auf die Zahlen. Wir haben jetzt diese hohe Zahl bei Kindern gerade genannt. Bei Kindern ist das natürlich besonders sichtbar. Allerdings auch, weil in den Schulen regelmäßig getestet wird. In den mittleren Altersgruppen kann es gut sein, dass vieles gar nicht so richtig entdeckt wird, was da an Infektionen passiert. Die Arbeitsgemeinschaft der Labore hat in der vergangenen Woche eine Auslastung von 95 Prozent angegeben. Und ungefähr ein Drittel der ausgewerteten Tests waren positiv. Und das, wo die Inzidenz so um 50 Prozent pro Woche wächst. PCR-Tests werden knapp, auch das haben viele jetzt schon öfter gehört.

Das RKI hat deshalb angekündigt, die Inzidenz bald nur noch zu schätzen, sage ich es jetzt mal ganz grob vereinfacht. Dafür gibt es allerdings erprobte Instrumentarien, zum Beispiel von der Influenza-Überwachung kennt man das. Wie aussagekräftig sind solche Daten denn tatsächlich?

Drosten: Na ja, auch da: Es gibt in diesem Bereich viel politisch-mediale Empörung. Das beginnt mit zugespitzten, verkürzten, kontrastierenden Darstellungen in Sekundärberichterstattung über Interviews. Das geht aber auch bis in die Parteipolitik hinein. Und es ist einfach durchgehend unfair. Die Labore haben natürlich eine Kapazität, die linear zu steigern ist. Es ist ein Riesenkraftakt, 50 Prozent auf die Testkapazität draufzusetzen. Und die Labore können das nicht ohne Weiteres machen, weil sie natürlich danach dann ihre Investitionen vielleicht gar nicht amortisieren können. Die müssen dafür ja neue Maschinen kaufen und Personal einstellen.

Aber wir haben ja hier nur einen kurzen Inzidenz-Peak, der vielleicht zwei Monate breit ist und in die Höhe schießt. Dann ist das ganze Spiel wieder vorbei. Und der geht exponentiell, da können Sie nicht linear die Kapazität dagegen ansteigern. Das ist einfach nicht real. Es ist unvernünftig. Deswegen muss man dann andere Umgangsweisen finden. Und die gibt es ja seit langer Zeit. Also bei Influenza hat dieses Problem ja immer genauso bestanden, dass man gar nicht jede Erkrankung testen will und muss. Und dann benutzt man eben Surrogat-Systeme.

In Deutschland gibt es da Grippe Web oder AG-Influenza oder dann für die schweren Krankheitsfälle die ICOSARI-Daten (Syndromische Krankenhaus-Surveillance/d. Red.), die das RKI zusammenfasst. Und daraus kann man natürlich auch schätzen, wie viel Krankheitslast in welchen Altersgruppen in der Bevölkerung ist, auch in welchen Schweregraden. Also Community, Arztpraxen und dann letztendlich die schweren Krankenhausverläufe. Das macht das RKI auch. Und in anderen Ländern gibt es natürlich dann noch mal bessere Datenkonstrukte.

Britische Zahlen

Zum Beispiel das Office for National Statistics in England hält das ja immer nach, ohne jede Beeinflussung. Man sieht dort sehr schön, dass sich diese Erkrankung so verteilt, wie man das jetzt erwartet, wie ich das vorhin auch beschrieben habe. Darauf basieren auch meine Informationen. Ich denke mir das ja nicht aus. Es ist jetzt eben dazu gekommen, zu dieser Umverteilung, und wir haben jetzt alleine in den Kinderaltersgruppen noch ein Ansteigen der Infektionstätigkeit. In den erwachsenen Altersgruppen sinkt es wieder.

Und dieses hohe Plateau, das in England beispielsweise erreicht wurde, das sind eingestreute Infektionen aus den Kinderjahrgängen. Und da muss man eben sagen: Ja, natürlich aus dem Schulbetrieb, wo denn sonst her? Und das RKI liefert auch Daten, und das stimmt, wie Sie das sagen, die sind natürlich durch Testintensität gefärbt, natürlich sieht man durch die Testung in den Schulen mehr Inzidenz, aber das ist auch nur ein Teil der Geschichte. Also man kann das in deutschen Daten auch sehen, was man eben in den ungefärbten englischen Daten sieht, dass wir bei den Jüngeren einfach im Moment den Fokus der Infektionstätigkeit haben.

Und man sieht das jetzt auch in den RKI-Zahlen, vielleicht in etwas gröberer Auflösung. Aber wir haben im Moment in der dritten Kalenderwoche geschätzte symptomatische Covid-Erkrankungen ungefähr bei 1,3 bis 2,3 Prozent der Null- bis 15-Jährigen und die Hälfte, also bei 0,6 bis 1,3 Prozent bei den über 50-Jährigen. Das sind eben Daten aus deutschen Surveillance-Systemen. Die sind robust gegen diese Testverzerrungen und gegen die Überlastung des Testsystems. Wir haben diese Daten, die sind schwarz auf weiß verfügbar, die werden aber von der Politik und in den Medien weniger kommuniziert.

Und stattdessen gibt es dann Überschriften: Die PCR ist überlastet. Was sagt Lothar Wieler dazu? Das ist absolut unfair. Das sind zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Es wäre gar nicht vernünftig, da jetzt der Inzidenz hinterherzusteigern. Und auch anderen Kriterien. Ich nehme das nur so aus Auszügen aus dem letzten RKI-Wochenbericht vom letzten Donnerstag: Arztbesuche wegen Covid steigen im Moment in allen Altersgruppen, außer eben noch nicht bei den über 60-Jährigen. Das ist genau, was ich vorhin sagte.

Man sieht das auch in den bloßen Meldeziffern, aber es lässt sich bestätigen und objektivieren anhand dieser Surveillance-Systeme, die bestehen. Es ist eben noch nicht bei den Alten angekommen, aber es wäre naiv zu glauben, dass es dort nicht ankommen wird. Es wird dort ankommen. Und dann, auch mit den Hospitalisierungen, zu sagen, die Situation hat sich geändert, Omikron ist doch ein mildes Virus. Ja, das ist natürlich etwas milder im Vergleich, aber wir sehen im Moment in den Surveillance-Daten des RKI, die Hospitalisierungen steigen bei den unter 35-Jährigen und sie sinken bei den über 35-Jährigen.

Und das ist doch wichtig und relevant. Also man kann an dieser Stelle sehen: Das Virus ist bei den Alten noch nicht angekommen. Es wird dort angekommen. Dann werden auch da die Hospitalisierungen wieder steigen. Wir können nur eine Sache im Moment hoffen, dass die Osterzeit, die Ferien und die wärmere Temperatur dann dem Ganzen erst mal fürs Erste einen Riegel vorschiebt. Und dass dann aber hoffentlich in der Sommerpause die Impflücke deutlich geschlossen wird, sodass wir dann in einem anderen Fahrwasser in den nächsten Winter gehen können.

Hennig: Es kommt mir so vor, als hätte ich das schon mal gehört im vergangenen Jahr, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Drosten: Ja, mir auch.

Hennig: Die Inzidenz an sich wird also womöglich, wenn sich die Entwicklung so weiter verstetigt, so konkret weniger relevant, weil wir das dann eben in den Krankenhausdaten, die ja auch Unwägbarkeiten haben, sehen können, was das Virus mit der Bevölkerung macht, wenn sie denn mehr geimpft ist. Aber heißt das, dass wir mit dem Testen irgendwann auch flächendeckend zumindest aufhören können sollten?

Drosten: Ja, das heißt das. Die Testerei muss aufhören auf mittelfristige Zeit. Wir können nicht jede Infektion nachtesten. Diese hohe Testintensität, die wurde deswegen gemacht, weil man Test and Trace machen wollte, also Testen und Kontaktverfolgen. Und wir haben damit schon immer ein Problem gehabt in Deutschland und in allen anderen Ländern auch. Wir hatten einfach wegen dieser sehr, sehr schnellen Ausbreitung der Erkrankung vielleicht nicht nur Test and Trace, sondern über lange Zeiten, als noch keine Impfmöglichkeit da war, Test and Lockdown.

Also wir haben gesehen, es steigt: "Okay, jetzt müssen wir irgendwas machen, jetzt brauchen wir allgemeine breite Maßnahmen, den Holzhammer." Das hat ja am Ende dann wirklich die Inzidenz kontrolliert und eben nicht das Nachverfolgen im Kleinteiligen durch die Gesundheitsämter. Die konnten das einfach nicht schaffen. Nicht nur wegen Arbeitsüberlastung, sondern auch wegen der Geschwindigkeit dieser Viruserkrankung, wie schnell sie sich ausbreitet. Also in dem Moment, wo ich eine Infektion nachweise, ist nicht schon die nächste, sondern sogar schon die übernächste Generation infiziert, ohne es zu wissen.

Dass alles rückwärts zu kontrollieren, ist einfach nicht gelungen und das konnte auch nicht gelingen. Also, da gibt es auch keine Schuldigen dafür. Aber man muss das irgendwann auch anerkennen und irgendwann sagen: Eigentlich, wenn wir uns das mal ganz ehrlich anschauen, benutzen wir doch den Riesentestaufwand eigentlich vor allem als Indikator für das, was in der Bevölkerung los ist. Wir wollen wissen, was eigentlich an Virus unterwegs ist. Aber das können wir auch einfacher haben.

Surveillance-Systeme

Dafür können wir die Surveillance-Systeme benutzen, die in Kraft sind. Also um zu wissen, wie viel Virus in der Allgemeinbevölkerung zirkuliert, können wir Haushaltsstudien oder Arztpraxisstudien machen, wo wir einfach Stichproben nehmen aus einer geografischen Fläche in ausreichender Zahl. Und das sind Größenordnungen weniger als im Moment der gesamte Testbetrieb.

Wir können das natürlich selektiv auch auf Krankenhausaufnahmen, Ambulanzen, auf Stationen und so weiter ausdehnen. Eben stellvertretende Untersuchungen, Stichprobenuntersuchungen, die uns dafür, also für das Verfolgen der Infektionstätigkeit in der Bevölkerung die gleiche Aussagekraft liefern, die natürlich nicht erlauben, einzelne Infektionsketten nachzuverfolgen und zu durchbrechen. Aber wenn wir uns eben eingestehen, gerade in der jetzigen noch höheren Inzidenz und mit einer milderen Virusvariante, dass wir das erstens gar nicht können und zweitens auch nicht immer unbedingt überall müssen.

Weil, schauen wir uns mal den Schulbetrieb an, wir testen da fleißig, aber das hat häufig relativ wenig Konsequenz. Eigentlich müsste man ja bei einem Fall in der Klasse bei so einem hochverbreitbaren Virus dann die Klasse nach Hause schicken. Aber das macht man dann auch wieder nicht. Und auch das ist politisch entschieden. Da muss man dann wirklich einfach auch politisch so konsequent sein und sagen: Wir holen uns die Informationen, die wir brauchen, aus Surveillance-Systemen. Und die Information, die wir nicht brauchen, die nur Arbeitsaufwand und Geld kostet, die brauchen wir dann eben nicht und die lassen wir dann auch. Das wird irgendwann zu entscheiden sein durch die Politik.

Hennig: Aber Sie sagten gerade irgendwann, noch sind wir an dem Punkt nicht angekommen.

Drosten: Ich denke, wir sind an diesem Punkt schon sehr nah dran und sollten uns jetzt auch sehr ernsthaft in diese Diskussion begeben.

Hennig: Das viel Wichtigere ist ja tatsächlich die Überwachung durch Screening, auch durch Schnelltests. Das andere ist, individuell spielt es für manche Leute, solange auch geboosterte Risikogruppen noch so ein gewisses Risiko für einen schweren Verlauf haben, spielt es ja schon noch eine Rolle, also solange der Omikron-Booster noch nicht da ist.

Ich habe vorhin meine eigene Erfahrung angesprochen, unser sechsjähriger Sohn, der ist wirklich nur aufgefallen als Infizierter, weil wir zu Hause ein Schnelltest gemacht haben. Der hatte praktisch keine Symptome und genau an dem Tag wollten meine Eltern zu Besuch kommen. Da war ich sehr froh, dass ich die nicht gefährdet habe.

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Drosten: Genau. Das ist richtig. Die Schnelltests, die sind ja auch noch mal anders zu betrachten. Wir sprechen ja hier die ganze Zeit von der PCR-Testung, PCR-Kapazität. Auch die haben natürlich im Moment aus regulativen Gründen immer noch eine Existenzberechtigung, zum Beispiel, um nachzuweisen, dass man zweifelsfrei genesen ist. Auch da könnte man anders vorgehen.

Man kann im Labor so was auch in Grenzen über Antikörper nachweisen. Man muss es auch gar nicht immer nachweisen, wenn die Bevölkerungsimmunität schon weiter fortgeschritten ist. Man kann dann auch einfach Regularien etwas lockern. Das ist auch wieder Politik und Regulation.

Übergangsphase

Wir sind da in einer Übergangsphase, aber die Schnelltests, das sagen Sie ja selber, Sie haben das selber entschieden. Sie haben selber den Schnelltest gemacht und entschieden: Aha, da ist eine Infektion. Jetzt kommen die Großeltern nicht zu Besuch. Das hat ja nicht das Gesundheitsamt gemacht. Und das ist genau der Punkt. Also im Kleinen, in der täglichen Entscheidungsfindung, in der Mikroorganisation dieser Pandemie durch jeden selbst, sind diese Schnelltest im Moment total relevant.

Warum? Weil Sie Großeltern haben, die ein Risiko haben. Aber das wird irgendwann demnächst auch gar nicht mehr so sein. Das wird ja auch weniger sein, weil das Virus mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit überhaupt in Ihrer Familie bei den Kindern ist, weil ja durch den Aufbau der Schleimhautimmunität in der Bevölkerung der Übertragungsschutz aufgebaut wird. Und dann wird es auch nicht mehr so stark in den Schulen sein, das Ganze. Und weil natürlich die Großeltern irgendwann in einer gewissen Zeit auch auf dem Boden ihrer Immunität, ihrer Impfung dann Kontakt mit dem Virus hatten und selber immer immuner werden und gar nicht mehr so doll dagegen geschützt werden müssen.

Sie hätten das ja früher auch bei der Influenza nicht gemacht. Sie hätten ja nicht, bevor die Großeltern zu Besuch kommen, von den Kindern erst mal allen einen Influenza-Test angedeihen lassen, obwohl es durchaus eine medizinische, individualmedizinische Begründung gegeben hätte. Influenza ist nicht harmlos, aber dennoch haben wir das nie gemacht. Und wir werden das auch nicht auf Dauer bei SARS-2 machen.

Ausblick

Hennig: Sie haben ja schon so ein bisschen einen Ausblick gegeben, eine Perspektive auch schon mehrmals hier im Podcast über das Jahr. Wenn wir uns jetzt aber diese Welle noch mal vornehmen, da gibt es ja Analysen und Modellrechnungen, wonach der Peak dieser Welle vielleicht schon in der ersten Februarhälfte oder nach der ersten Februarhälfte kommen könnte und sich das Wachstum dann verlangsamt. Wagen Sie sich da vor, zu sagen, ob Ihnen das plausibel erscheint oder ist das völlig offen?

Drosten: Ja, ich glaube, die Modellierungen basieren jetzt im Moment auf BA.1, also auf dem, was man damals als Omikron aufgefasst hat. Jetzt kommt eben BA.2 dazu. Ich gehe davon aus, dass BA.2 sich in Deutschland langsamer verbreiten wird als in einigen anderen Ländern. Darum bin ich mir nicht sicher, ob BA.2 wirklich so im März dann noch mal wieder einen zusätzlichen Anstieg hervorruft. Diese Möglichkeit gibt es. Ich will da jetzt weder "ja" noch "nein" dazu sagen.

Ich sage nur: Das kann noch mal passieren. Wenn das nicht noch mal passiert, dann denke ich, wird es zum März hin weniger werden. Und für mich ist aber wirklich so ein bisschen die gedankliche Schwelle eher die Osterferien wegen dieser starken Dominanz der Infektionen im Moment im Schul- und man muss auch sagen Kita-Betrieb.

Hennig: Und dann kommt vielleicht sogar noch der Omikron-Booster zumindest schon mal für die Risikogruppen.

Drosten: Richtig.

Link-Sammlung aller erwähnten Studien in Folge 109

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NDR Info | Das Coronavirus-Update von NDR Info | 01.02.2022 | 17:00 Uhr

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