Strom aus dem Klo: Quartier Jenfelder Au macht aus Abwasser Energie
Im Neubauquartier Jenfelder Au im Hamburger Osten sorgt eine innovative Anlage dafür, dass große Mengen an Trinkwasser und CO2-Emissionen gespart werden. Das Konzept könnte auch anderswo funktionieren.
Jeder Mensch in Deutschland verbraucht im Schnitt etwa 120 Liter sauberes Trinkwasser pro Tag, ein Drittel davon allein fürs Spülen der Toilette. Nur leicht verunreinigtes Wasser wie das aus der Dusche, auch Grauwasser genannt, macht einen Großteil des Abwassers aus. Dennoch wird dieses ganze Abwasser zusammen mit Regenwasser in Kläranlagen gemischt und aufwendig behandelt, auch wenn das viel Energie kostet. Es ist ein System, an das wir uns alle gewöhnt haben – aber es könnte auch ganz anders funktionieren, wie das neuartige Abwasserkonzept Hamburg Water Cycle zeigt.
Ein Toilettengang fast ohne Wasser
Die Jenfelder Au ist ein wachsendes Wohnquartier im Süden des Bezirks Wandsbek. Rundherum liegen kleine und größere Wasserflächen. Naturnah soll man hier wohnen, gemeinschaftlich und nachhaltig. Für die Nachhaltigkeit sorgt das Konzept Hamburg Water Cycle, das 2019 am Rande des Wohngebiets in Betrieb genommen wurde. Ingenieur Christoph Ewert zeigt einen der wichtigsten Bausteine davon: eine Toilette. Auf den ersten Blick ist daran nichts Außergewöhnliches. Das Spülgeräusch erinnert allerdings an eine Zugtoilette. Das Abwassersystem bereitet Wasser ressourcenschonend auf und verringert den CO2- Ausstoß. Die Vakuumtechnologie, die hier zum Einsatz kommt, hilft dabei. Christoph Ewert erklärt die Toilette genauer: "Was sofort auffällt, ist der geringe Wasserverbrauch. Wir haben hier gerade etwa einen Liter wegspülen sehen. Bei normalen Toiletten werden meistens sechs bis neun Liter gebraucht." Insgesamt verbraucht der Transport unserer Hinterlassenschaften in die Kläranlage bis zu 30.000 Liter Trinkwasser pro Person im Jahr. Im Angesicht einer sich zuspitzenden Wasserknappheit, wird hier ein Umdenken immer dringender.
Ausscheidungen werden zu Biogas
Im Quartier sind etwa 800 Wohneinheiten mit den wassersparsamen WCs ausgestattet. Sie sammeln das nahezu unverdünnte Schwarzwasser, reich an organischen Stoffen. Mittels Unterdrucks wird es über ein Rohrsystem weiter zum Betriebshof geleitet. Dort landen Klopapier, Urin und Fäkalien zunächst in zwei großen blauen Behältern, vor denen Ewert steht. "Hier kommen die Stränge an und landen in unterschiedlichen Tanks. Dann geht es mit den Förderpumpen in Richtung Weiterverarbeitung." Angereichert mit Fettresten aus Restaurants wird das Schwarzwasser in einer Biogasanlage behandelt und anschließend in Energie umgewandelt. Die dient der Anlage und schafft einen Überschuss an Strom und Wärme, der in der Wohnsiedlung wieder zum Einsatz kommt.
Faulgase als Grundlage für Energiegewinnung
In Hamburg geschieht das schon an anderer Stelle. Beim Blick vom Altonaer Balkon sieht man zwei große, eiförmige Behälter auf der anderen Seite der Elbe, sogenannte Faultürme. Auch da wird aus Abwasser Energie produziert, mithilfe des Schlamms unter Luftabschluss. In diesen Behältern arbeiten Bakterien, die Faulgas produzieren, das dann in Strom und Wärme umgewandelt wird. Es wird aber auch aufbereitet und direkt ins städtische Gasnetz eingespeist. Nach diesem Prinzip funktioniert auch das System in der Jenfelder Au. Das hier produzierte Gas wird im Blockheizkraftwerk in Strom und Wärme umgewandelt, ins öffentliche Netz eingespeist und kommt dann wieder den Menschen im Quartier zugute. Dass der produzierte Strom direkt vor Ort genutzt wird, zahlt schließlich auch auf die Klimafreundlichkeit ein.
Noch ein Schritt weiter: Die Sanitärwende
Einige Vereine, Unternehmen und Forscher*innen sehen großes Potenzial im Trennen und Wiederaufbereiten menschlicher Ausscheidungen und fordern eine sogenannte Sanitärwende. Durch Trockentoiletten könnten sowohl Urin als auch Kot zu wertvollem Dünger weiterverarbeitet werden, ohne vorher aufwändig durch Klärsysteme geschickt zu werden. Die Firma Goldeimer aus Kiel setzt sich besonders für das Thema ein und versucht ein Bewusstsein für eine "kreislauforientierte Sanitärversorgung" zu schaffen. Durch die Einführung von Spültoiletten sei das Bewusstsein für die natürliche Verwendung unserer Hinterlassenschaften verloren gegangen, meint Gründer Enno Schröder. Goldeimer ist mittlerweile bekannt für seine Trockentoiletten, die auf Festivals aufgestellt werden. Im Jahr 2021 wurden schon 150 Tonnen Fäkalien daraus zu Humus verarbeitet, wobei durch ein professionelles Verfahren genau darauf geachtet wird, dass Krankheitserreger und andere Schadstoffe daraus eliminiert werden.
Nachhaltige Sanitärsysteme können viel verändern
Zusammen mit dem deutschlandweiten Netzwerk Netsan will Goldeimer dafür sorgen, dass Humus aus menschlichen Fäkalien jetzt in die Düngemittelverordnung aufgenommen werden. Dazu fehlen noch Langzeitstudien, aber in der Politik gibt es leises Interesse. Auch Autorin Annette Jensen setzt sich für das Thema ein. Spültoiletten seien nicht nur im Hinblick auf die zunehmende Trockenheit ein Problem. Unsere Ausscheidungen enthalten Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, die in der Landwirtschaft dringend benötigt würden. Man könne sie einfach auf diese Weise nutzen, statt sie aufwendig chemisch herzustellen, sagt sie. Und wen es beim Thema Trockentoiletten schaudert: Ein bekanntes Sanitärunternehmen hat bereits eine High-Tech Version entwickelt, die nichts mehr von der Variante mit Sägespänen hat.
Jenfelder Au hat Pioniercharakter
Agrarökologin Martina Winker sagt, das Projekt in der Jenfelder Au leiste schon Pionierarbeit: "So systematisch und konsequent, wie das jetzt in der Jenfelder Au gemacht wird, gibt’s das in Deutschland nicht noch mal." Winker ist Teil des Leitungsteams am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Abwasserreinigung mit Energiegewinnung zu kombinieren, das macht für sie das Projekt in der Jenfelder Au besonders innovativ. Einen weiteren Nutzen sieht sie in der Abwassertrennung. Das Schwarzwasser wird separat vom Grauwasser aus Küche und Bad gesammelt und aufbereitet: "Ich brauch wirklich kein Trinkwasser für eine Toilettenspülung. Warum denn nicht das Duschwasser für die Toilettenspülung aufbereiten und noch mal nehmen?"
Außerdem: Besonderer Schutz vor Starkregen
In der Jenfelder Au ist genau das geplant. Bisher wird das Grauwasser geklärt und soll zukünftig in die Natur abgeleitet werden. Doch bald soll auch ein neuer Gewerbepark in der Nachbarschaft es für die Toilettenspülung nutzen, wenn gerade kein Regenwasser zur Verfügung steht. Das wird in Rückhaltebecken aufgefangen, erklärt der Ingenieur von Hamburg Wasser Christoph Ewert: "Da ist dann auch extra Stauraum für Starkregenereignisse vorgesehen. Das heißt, dass wir hier im Quartier auch vor Hochwasser durch Starkregen besser geschützt sind." Das Regenwasser versickert im Boden und bewässert dadurch die Grünflächen.
Trotz Tücken: Abwasserkonzept mit Zukunftspotenzial
Über die bepflanzte Landschaft mit kühlenden Gewässern freuen sich auch die Bewohner der Jenfelder Au wie die Rentnerin Beatrix Freier. Vor sieben Jahren hat sie ihre Wohnung gekauft. Sie genießt an diesem Vormittag den Hundespaziergang am Teich vor ihrer Haustür. Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass ihre empfindliche Vakuumtoilette öfters mal defekt ist wie in der vergangenen Woche: "Irgendjemand hat Öl oder einen Lackverdünner in die Toilette gekippt und das hat sich dann im Abfluss verdickt." Etwa 24 Stunden mussten sieben Wohnungen eine Gemeinschaftstoilette in der Nachbarschaft nutzen, bis das Problem behoben werden konnte. Ansonsten funktioniere die Toilette aber gut, meint Beatrix Freier: "Das ist eine wirkliche Ersparnis fürs Portemonnaie, aber auch für die Umwelt. Also wir sind sehr zufrieden damit." Bisher bleibt das Modellprojekt der Jenfelder Au einzigartig. Doch das Abwasserkonzept hat Zukunftspotenzial, meint Christoph Ewert: "Überall dort, wo Ressourcen knapp sind und wo man Null anfängt, eine Siedlung zu bauen, da ist der Hamburg Water Cycle durchaus sinnvoll."