Nach Amoklauf in Hamburg: Neue Vorwürfe gegen Sicherheitsbehörden

Stand: 29.09.2023 22:22 Uhr

Im März dieses Jahres hat ein Amoklauf im Gebetshaus der Zeugen Jehovas nicht nur den Norden erschüttert. Nach der Tat kündigte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) eine Reform der Sicherheitsbehörden an. Was ist daraus geworden?

von Caroline Schmidt

Damals erschoss der 35-jährige Philipp F. im Hamburger Stadtteil Alsterdorf sieben Menschen und sich selbst. Mit einer legalen, amtlich registrierten Waffe, denn er war Sportschütze und damit den Behörden bekannt. Sogar einen anonymen Hinweis gab es, dass Philipp F. gefährlich sei.

Nach der Tat kündigte Innensenator Grote eine große Reform der Sicherheitsbehörden an. Im Juni hat er das "Maßnahmenpaket" präsentiert. Darin schreibt er der Waffenbehörde unter anderem vor, dass sie in Zukunft Gefahrenhinweisen auf gefährliche Waffenbesitzer nicht mehr alleine nachgehen - sondern frühzeitig Expertinnen und Experten vom Landeskriminalamt (LKA) und Kriminalpsychologen einschalten soll. Aber werden die Reformpläne auch umgesetzt? Das wollte die Hamburger CDU wissen – und hat 35 Fragen an die Innenbehörde geschickt. Die Antworten liegen NDR Info nun exklusiv vor.

Polizeibeamte stehen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf. © dpa Foto: Markus Scholz
AUDIO: Reform der Waffenbehörde nach Amoklauf in HH: Bisher nur Ankündigungen (5 Min)

Reform der Sicherheitsbehörden: CDU enttäuscht

Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU, zeigte sich von den Antworten enttäuscht: Sie "zeigen sehr deutlich, dass die Ankündigungen des Innensenators bisher reine Ankündigungen sind. Nichts von dem, was gesagt wurde an Personalverstärkung, an Spezialisierung, ist bisher umgesetzt".

Geschaffen werden soll ein Kompetenzzentrum für Risikobewertung beim Landeskriminalamt. Es soll der Ansprechpartner für die Waffenbehörde sein, wenn ihr Gefahrenhinweise vorliegen. Dafür braucht es neue Planstellen, die bis heute nicht ausgeschrieben sind. Wann es dazu kommen wird, ist unklar. Im Papier steht lediglich "zeitnah".

Kritik: Angekündigte Reformen wenig konkret

Jan Reinecke, Hamburger Landeschef des Bundes der deutschen Kriminalbeamten (BDK). © NDR
Jan Reinecke vom BDK kritisiert das Vorgehen der Innenbehörde.

Was ebenfalls nicht aus der Antwort der Innenbehörde hervorgeht: Welche Kompetenzen das Zentrum konkret haben wird. Darf es zum Beispiel Gefahrenanalysen vornehmen, die zu einer schnellen Entwaffnung von gefährlichen Waffenbesitzenden führen könnten? "Es ist vollkommen unkonkret, was das Maßnahmenpaket an Neuem mit sich bringt, bis auf vielleicht ein paar mehr Tarifstellen. Ansonsten ist alles gleich geblieben", erklärte Jan Reinecke, Vorsitzender des Hamburger Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

BDK: Waffen nach Hinweisen vorläufig sicherstellen

Dabei braucht es aus Sicht des BDK dringend klare Handlungsanweisungen für alle, die mit gefährlichen Schützen umgehen müssen. Der Verband schlägt deshalb vor, nach glaubhaften Gefahrenhinweisen, auch wenn sie anonym sind, Waffen vorläufig sicherzustellen. Wenn sich dann herausstellt, dass der Verdacht unbegründet ist, bekomme der Schütze die Waffe wieder.

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Es würde auch nicht zu viel Aufwand bedeuten. "Wie viele derartige Hinweise hat denn die Polizei Hamburg in der Vergangenheit bekommen? Eine Handvoll. Wahrscheinlich rücken mehr Streifenwagen am Wochenende für Ruhestörungen aus als Waffen in Gewahrsam zu nehmen", sagte Reinecke. Aus seiner Sicht hätten die Sicherheitsbehörden den Amoktäter Philipp F. frühzeitig entwaffnen können. Mit einer legalen Waffe hätte er dann niemanden mehr erschießen können. Das Hinweisschreiben in diesem Fall sei sehr konkret gewesen. Aber auch weniger detaillierte Hinweise sollten in Zukunft dazu führen, dass die Waffe erst mal sichergestellt wird.

CDU: Innenbehörde nicht gut aufgestellt

Dennis Gladiator unterstützt diesen Vorschlag des BDK. Das Polizeigesetz erlaube ein solches Vorgehen schon jetzt. Tatsächlich sind die rechtlichen Hürden für die Beschlagnahme von Gegenständen gering. Auch Fachjuristen gehen davon aus, dass die Polizei den Amokläufer frühzeitig hätte entwaffnen können. Das weiß auch Gladiator. "Es fehlte nicht an rechtlichen Möglichkeiten, stattdessen hat der Innensenator es versäumt, seine Mitarbeiter so aufzustellen, dass sie mit Hinweisen auf gefährliche Personen ordentlich umgehen können", erklärte der CDU-Politiker.

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Polizeipräsident Meyer: "Wir stehen nicht vor dem Nichts"

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer wies bei NDR 90,3 daraufhin, dass es bereits eine Risikoeinschätzung im LKA gebe, die lediglich zu einem Kompetenzzentrum ausgebaut werden soll. "Wir stehen nicht vor dem Nichts", sagte der Polizeichef. "Nur, Ausschreibungen dauern nun einmal. Wir hoffen, dass wir bald die Leute haben werden." Die Waffenbehörde sei bereits um die versprochenen sechs Stellen aufgestockt worden, dabei seien drei von intern hinzugekommen und drei werden noch gesucht. "Trotzdem unterstützen wir die Außenkontrollen, wo wir können. Es tut sich einiges in dem Bereich", erklärte Meyer.

Der NDR hat die Innenbehörde mit den Vorhaltungen konfrontiert. Die Behörde sah sich jedoch nicht in der Lage, innerhalb der eingeräumten Frist alle Fragen zu beantworten. Das bezieht sich vor allem auf den Vorwurf, die Sicherheitsbehörden hätten den Amokläufer frühzeitig entwaffnen können.

Die Behörde gab an, dass das geplante Kompetenzzentrum für Risikobewertung sich derzeit im Aufbau befinde und bundesweit einzigartig sei. Planung von Struktur und Aufgaben sowie Personalrekrutierung würden "schnellstmöglich erfolgen".

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