Kommentar: Tödliche Messerattacke offenbart Schwächen des Systems
Der tödliche Messerangriff in einem Regionalzug bei Brokstedt hat für eine Debatte über den Hamburger Strafvollzug geführt. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) muss die Arbeit ihrer Behörde rechtfertigen. Der Fall ist aber kompliziert und zeigt generelle Schwächen des Systems. Frauke Reinig kommentiert.
Hinter all den Vorwürfen, die jetzt im Raum stehen, steht doch vor allem ein Gedanke: Hätte diese furchtbare Tat verhindert werden können? Eine leichte Antwort gibt es da nicht. Unabhängig vom offensichtlichen Kommunikations-Chaos zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein zeichnet sich inzwischen ab, dass sich die Hamburger Justizbehörde an Recht und Gesetz gehalten hat. Einen Skandal, der die angeschlagene Justizsenatorin stürzt, gibt es hier wohl nicht. Das macht die Sache aber nicht besser.
Messerattacke offenbart Schwachstelle des Systems
An diesem Fall zeigt sich, wie lückenhaft das System ist. Ein drogensüchtiger, psychisch angeschlagener Mann, mit mehreren Gewalttaten auf dem Konto, keinem sicheren Aufenthaltsstatus und keinerlei Arbeitsmöglichkeit wurde letztlich in die Obdachlosigkeit entlassen - und das war rechtlich völlig korrekt. Da brauche ich aber keine Expertin zu sein, um zu wissen, dass das keine gute Idee ist. Ibrahim A. hat nach seiner Entlassung zwar noch ein Perspektivgespräch wahrgenommen - aber mal ehrlich: Eine echte Perspektive konnte ihm hier keiner bieten.
Mehr Abschiebungen sind nicht hilfreich
Das entschuldigt seine Tat in keinster Weise, bringt uns aber zurück zu der Frage, ob und wie sie hätte verhindert werden können. Denn durch diese Lücken des Hilfesystems fällt ja nicht nur Ibrahim A. Reden wir etwa über Obdachlose in der Hamburger Innenstadt, betrifft das vor allem osteuropäische Menschen, die hier fast gar keine Hilfen bekommen - weil sie keinen Anspruch auf staatliche Leistungen haben. Der laute Ruf nach mehr Abschiebungen ist da nicht hilfreich.
Perspektivlosigkeit: Potenzielle Gefahr für die Gesellschaft
Auch bei Ibrahim A. wäre das schwer machbar gewesen und schon gar nicht schnell gegangen. Bisher kümmern sich vor allem Initiativen und private Hilfsorganisationen um die, die sonst durch alle Raster fallen. Das ist nicht genug. Menschen am Rande unserer Gesellschaft arm und perspektivlos allein zu lassen, halte ich nicht nur für moralisch falsch, sondern auch für potenziell gefährlich.