Crack in Hamburg: "Suche immer noch den gleichen Kick wie damals"

Stand: 02.10.2023 06:00 Uhr

Am Hamburger Hauptbahnhof versammeln sich Tag und Nacht teils Hunderte Drogenabhängige. Sie sind süchtig nach Heroin und Crack. Die Droge hat auch für Yilmaz alles zerstört. Er hat keine Wohnung, keine Familie. Wie konnte es so weit kommen?

von Angela Fussy

Zum ersten Mal hat Yilmaz als 17-Jähriger Drogen genommen. Aus Spaß rauchte er damals mit Kumpels Heroin - und hat mit den Drogen nie wieder aufgehört. "Ich war plötzlich ein ganz anderer Mensch. Es war warm und ich fühlte mich einfach top. Als wäre ich einen halben Meter über der Erde und die gesamte Welt gehört mir."

Aus jugendlichem Leichtsinn wird schnell bitterer Ernst. "Ich konnte nachts nicht schlafen, habe mich dauernd übergeben, bin auf der Erde rumgekrochen. Ich hatte Durchfall und meine Knochen haben geschmerzt", erinnert sich der heute 50-Jährige. Mit einem Kumpel raucht er dann wieder ein paar Mal Heroin. "Dann ging es mir besser. Dann wusste ich, was Abhängigkeit ist."

Heroin-Konsum im Griff, doch gegen Crack gibt es kein Medikament

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Seinen Heroin-Konsum hat er dank ärztlicher Hilfe im Griff. An einer Substitutionsambulanz abseits des Zentrums startet sein Tag. Yilmaz trinkt Polamidon und ersetzt damit das Heroin. "Das Problem ist, wenn man das nicht einnimmt, gehen nachher die Knochenschmerzen los", sagt Yilmaz. "Man friert, man schwitzt, man ist völlig auf Heroin fixiert."

Crack, genannt "Stein", nimmt er weiter. Crack ist rauchbares, gestrecktes Kokain und deshalb vergleichsweise billig. Es dominiert seit den 1980er-Jahren die Drogenszene in Hamburg. Gegen diese Sucht gibt es kein Medikament. Für Crack gibt Yilmaz fast sein ganzes Geld aus. Nach mehr als 30 Jahren Sucht, sagt Yilmaz, suche er "immer noch den gleichen Kick, den ich damals hatte. Finde ich nicht." Heute ist er abgemagert, grau - und lebt auf der Straße. Er ist in einem Obdachlosenheim für drogenabhängige Männer in Hamburg-Altona untergekommen.

Verhältnis zur Familie zerbricht - Hilfe bietet das "Drob Inn"

Das Verhältnis zu den Eltern ist am Konsum zerbrochen. "Ich hab' meine Mutter, meine Eltern, die ich liebe über alles, manchmal fünf, sechs Jahre nicht gesehen. Und das alles nur wegen diesem Scheißzeug." Durch Crack sei alles den Bach runtergegangen. "Dann ging's nur noch: Knast, Drob, Knast, Drob. Rein raus, rein raus."

Der neue Vorplatz vom Drob-Inn in Hamburg. © Screenshot
Am "Drob Inn" nahe des Hauptbahnhofs erhalten die Abhängigen Hilfe und medizinische Versorgung.

Mit "Drob" meint Yilmaz das "Drob Inn" - eine Hilfeeinrichtung am Hamburger Hauptbahnhof, an der sich viele Süchtige treffen. Manchmal sind es Hunderte. Der Konsum hinterlässt Spuren. "Keiner von denen lässt mal die Pfeife ein paar Minuten stehen und lässt sich verarzten. Dann sieht das so aus, dass sie nach einer Zeit ein Bein verlieren, dann das andere Bein. So krass ist dieses scheiß Crack."

Im "Drob Inn" gibt es saubere Spritzen, Essen, Beratung, Medikamente. "Unser Anliegen ist natürlich, dass Menschen, die drogenabhängig sind, diese Phase ihres Lebens möglichst gesund überleben", sagt Christine Tügel, Vorständin des "Drob Inn". "Dabei unterstützen wir durch unsere niedrigschwelligen Hilfen. Aber wir wollen ihnen auch Möglichkeiten aufzeigen, wie man aus diesem Kreislauf der Sucht einen Ausstieg finden kann."

Szene wird zunehmend brutaler: "Leute stechen sich gegenseitig ab"

Das "Drob Inn" war lange Yilmaz' Zuhause, aber er hat zunehmend Angst. "Es ist nicht mehr so wie früher. Da gehen so viele Leute auf die anderen los. Die Leute stechen sich gegenseitig ab - für ein Feuerzeug oder zwei Euro."

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Das merken auch Passanten: Es wird immer brutaler, es werden immer mehr Leute. Während Corona durften sich die Suchtkranken nur hier versammeln. Und sie sind geblieben. Die Inflation hat ihre Situation noch verschärft. "24 Stunden an sieben Tagen die Woche leben diese Menschen auf der Straße, unter der Bedingung, dass sie suchtkrank sind", sagt "Drob Inn"-Vorständin Tügel. "Das führt natürlich nicht zu einer Verbesserung ihres Gesundheitszustandes und ihres Allgemeinzustandes. Und das ist auch das, was die Menschen wahrnehmen: dass die Verelendung zugenommen hat."

Verwahrlost, pöbelnd, bettelnd: Abhängige schrecken Anwohner und Touristen

Die vielen Abhängigen mitten im Zentrum - bettelnd, pöbelnd, verwahrlost -, für viele Anwohner und Touristen zunehmend befremdlich und beängstigend. Warum also wandern die Hilfsangebote nicht an den Stadtrand? "Wir sind ja mit unserer Hilfeeinrichtung hierhergekommen, weil die Menschen schon da waren", sagt Tügel. Wenn man die Menschen sehe und in welcher körperlichen Verfassung sie sind, dann wisse man auch, dass sie keine weiten Wege gehen werden. "Dann geht es darum, sie dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten."

Yilmaz' größter Wunsch: clean werden

Wenn er etwas Geld hat, kauft Yilmaz sich "Stein". Aber nicht während unseres Gesprächs - aus Scham. Er will auch kein Crack rauchen, obwohl er sonst alle zehn Minuten einen Zug nimmt. Sein größter Wunsch: clean werden. Mit der ganzen Szene nichts mehr zu tun haben. Aber er hat wenig Hoffnung.

"Man muss diesen Schritt selbstständig machen. Egal, wie oft man zu mir sagt: 'Yilmaz, lass es, lass es, lass es!' Wenn es hier oben nicht klick macht, bringt das alles nichts."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 02.10.2023 | 07:22 Uhr

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