"Brot am Haken": Einfache Hilfe für Bedürftige
Nicht wissen, ob das Geld für die Miete reicht, Urlaub undenkbar und am Ende des Monats nicht wissen, ob noch genug Geld für Essen da ist: Trotz rekordverdächtig niedriger Arbeitslosigkeit und sehr gute Konjunktur sind in Deutschland Millionen Menschen von Armut bedroht. Die "NDR Info Perspektiven" berichten nicht nur über die aktuellen Zahlen, sondern auch über das Projekt "Brot am Haken" in Hamburg, das versucht, Menschen etwas zu geben, die auf jeden Cent schauen müssen.
Jeder sechste Mensch, der in Deutschland lebt, ist arm oder von Armut bedroht. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Insgesamt sind das rund 13 Millionen Menschen. Aber was heißt eigentlich arm, beziehungsweise von Armut gefährdet? Konkret erst mal, dass die Person weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat - also weniger als rund tausend Euro netto im Monat.
Und das hat Folgen: Menschen, die arm sind, müssen auf jeden Euro achten. Frisches Fleisch, Milch, Obst, Gemüse und sogar Brot werden schnell zu Luxusgütern. Der Bundesverband der Tafeln sagt, dass dadurch wiederum die Gefahr von Mangelernährung steige. Die Menschen seien anfälliger für Krankheiten, soziale Einsamkeit oder Suchtprobleme. Das betrifft auch nicht nur Arbeitslose. Sie machen zwar die größte Gruppe aus, aber auch Alleinerziehende, Rentner und Menschen mit niedriger Bildung rutschen schneller und deutlich häufiger in die Armut ab.
Die Perspektive
Armut ist in Deutschland also bei Weitem nicht nur auf der Straße sichtbar. Armut gibt es vor allem auch da, wo es eben nicht auffällt, wo Menschen versuchen, den Eindruck zu verhindern, dass sie bedürftig sind. In Hamburg hatte der Besitzer einer kleinen Bäckerei deswegen eine Idee: Kunden können bei ihm zwei Brote, Brötchen oder süße Teilchen kaufen - eines nimmt der Kunde mit, das andere kann eine bedürftige Person später abholen. "Brot am Haken" heißt das Ganze. Daraus soll in Hamburg jetzt noch etwas Größeres werden.
Es geht familiär zu in der kleinen Bäckerei im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Sören Özer steht an einem kleinen Kaffeetisch, schaut in den hell beleuchteten Raum und grüßt die Kunden. Er ist mittlerweile in Rente, trotzdem aber noch mehrmals pro Woche in seiner ehemaligen Bäckerei. Seine Kunden sind ihm ans Herz gewachsen. Und sein Nachfolger führt seine Idee fort - die Idee vom "Brot am Haken".
"Das hat uns weh getan"
Özer kam 1971 aus der Türkei nach Deutschland, nach dem Jahrtausend-Wechsel eröffnete er zusammen mit seiner Frau die kleine Bäckerei. Eine Sache fiel ihm seitdem beim Verkauf immer wieder auf: "Wir haben gesehen, dass viele Kunden Rentner sind. Manche haben ihre Pfennige gezählt, damit sie ein Brötchen kaufen können. Das hat uns weh getan." Als Reaktion rief das Bäcker-Ehepaar die Aktion "Brot am Haken" ins Leben: "Ich bin zum Baumarkt, habe ein Brett gekauft. Zwei Haken reingedreht, einen Zettel geschrieben. So hat das angefangen."
Viele Bedürftige trauen sich nicht, die Spenden anzunehmen
Während Özer erzählt, kassiert der neue Besitzer der Bäckerei "Wandsbäcker" einen Kunden ab, druckt anschließend den Kassenbon aus und hängt ihn an den Haken. Drei Brötchen mehr hängen jetzt dran. Drei Brötchen für jemanden, der bedürftig ist und sich darüber freut.
Fünf bis sechs Mal am Tag spenden Kunden Brot, Brötchen oder Kaffee. So auch Werner, er ist seit Jahren Stammkunde im "Wandsbäcker". Er findet die Idee mit dem "Brot am Haken" eine tolle Sache: "Was einige Leute an Rente haben, 700 oder 800 Euro, das schon irgendwo traurig. Sie arbeiten das ganze Leben lang. Hier kriegen sie dann wenigstens noch einen Kaffee."
Zu wenig gespendete Brötchen oder Kaffee gibt es im "Wandsbäcker" nie. Das Problem ist viel eher, dass sich viele Bedürftige nicht trauen, die Spenden anzunehmen.
Manche Kunden reagieren distanziert
Kurz nachdem Stammkunde Werner die Bäckerei verlassen hat, kommt ein junger Mann auf das Geschäft zu. Er hat den Türgriff schon in der Hand, blickt auf das Brett am Haken, schaut durchs Fenster einmal quer durch die Bäckerei, zögert, dreht um und verschwindet wieder. Ein Verhalten, das Özer vor allem am Anfang oft beobachtet hat: "Viele haben das auch nicht angenommen, sie haben sich ein bisschen distanziert. Und diejenigen, die die Spenden nehmen wollten, sind vor der Tür erst mal hin und her gelaufen. Erst wenn niemand im Laden war, sind sie reingekommen."
Andere Bäckereien von der Aktion überzeugen
Özer hat viel mit den Menschen gesprochen, hat ihnen die Brote am Haken angeboten. Langsam hätten dann immer mehr Menschen ihre Hemmungen verloren. Seine Idee funktionierte, und die Reaktionen waren positiv. Schwierig wurde es nur, als er versuchte, andere Bäckereien von der Aktion zu überzeugen: "Einige haben gesagt: Dieses Gesindel wollen wir in unserem Laden nicht haben. Gesindel? Das sind Arbeitslose, das sind Rentner, die Deutschland aufgebaut haben, die heute mit 400 Euro zu Hause leben. Eine von ihnen ist gerade weg. Sie hat 400 Euro. Miete, Essen - da bleibt doch nichts mehr über."
Verein "Brot am Haken Hamburg" soll gegründet werden
Die Idee vom "Brot am Haken" in der kleinen Bäckerei im Stadtteil Wandsbek läuft jetzt seit gut zehn Jahren. Und sie soll Nachahmer finden: Etwa zehn Kilometer entfernt vom "Wandsbäcker" in Hamburg sitzen mehrere junge ehemalige Designstudenten in einem großen Altbau-Büro zusammen. Sie sind gerade dabei, den Verein "Brot am Haken Hamburg" zu gründen. Was Özer angefangen hat, das wollen sie mit ihm zusammen in der Stadt größer machen, die Idee professionalisieren und verbreiten.
Die Vereinsmitglieder wollen jetzt in die Geschäfte gehen und akquirieren. Aus ihrer Sicht können alle mitmachen - Frisöre, Bäcker, Supermärkte -, wie Vereinsgründer Thilo Schinkel sagt: "Wir schicken ihnen so ein Starter-Paket zu. Da ist das Hakenbrett drin, das dann individualisierbar ist mit der bestimmten Kategorie - also beim Bäcker dann Kaffee, Brötchen, beim Frisör ist es der Haarschnitt." Mit einem kleinen Aufkleber auf der Schaufensterscheibe signalisieren die Geschäfte dann: "Wir machen mit!"
Eine "Win-win-win"-Situation
Genau wie Bäcker Özer ist auch Vereinsgründer Schinkel von der Grundidee von "Brot am Haken" überzeugt. Es sei eine "Win-Win-Win"-Situation, wie sie sagen: Der Spender tut etwas Gutes, dem Bedürftigen wird geholfen - und das Geschäft macht mehr Umsatz. Und so unterstützt Özer die Idee der Designstudenten: "Diese junge Leute, die können sich ja kümmern, die haben Zeit und neue Ideen. Dass sie das weitermachen, das freut mich."
Nur eines ist ihm dabei wichtig: In seinem ehemaligen Laden soll das ursprüngliche Brett mit Haken hängen bleiben, das er damals im Baumarkt gekauft und zusammengebaut hat, als er die Idee für "Brot am Haken" hatte.