Stand: 29.08.2017 00:00 Uhr

Nazim: Alltag eines abgelehnten Asylbewerbers

Nazim ist aus Kabul geflüchtet, weil seine Familie dort von den Taliban bedroht wurde. Nun versucht er, sich in Deutschland ein Leben in Sicherheit aufzubauen. Seit Oktober 2015 lebt der Fußballfan in Hamburg. Inzwischen ist sein Asylantrag abgelehnt worden. Lesen Sie hier, wie es Nazim in Norddeutschland ergeht.


28.08.2017 - Hamburg

Nazims bester Freund

Masud und Nazim  Foto: Bettina Less
Masud und Nazim sind beste Freunde. Masud kam als Erwachsener nach Hamburg.

Nazims bester Freund Masud erlebt einiges in Deutschland anders als der 18-Jährige. Die beiden kennen sich aus der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Elektronikmarkt, in dem Nazim nur die ersten sechs Monate verbracht hat. Masud lebte dort fast zwei Jahre. Nun wohnt er in einem Flüchtlings-Containerdorf. "Es ist nicht viel besser in dem Containerdorf, ich hätte gerne endlich ein Zuhause mit mehr Ruhe, ein richtig normales Leben. Lernen, arbeiten, mein eigenes Essen kochen, von meinem eigenen Geld leben. Momentan habe ich das Gefühl, nichts geht vorwärts."

Nazim darf, weil er als Minderjähriger eingereist ist, seit einem Jahr zur Berufsschule gehen. Sein letztes Zeugnis war in Ordnung, in Mathematik und Englisch hatte er aber nur eine drei und will sich da im neuen Schuljahr mehr anstrengen. Die anderen Jugendlichen in seiner Unterkunft seien nachts oft laut, beschwert Nazim sich. "Aber wenn ich nicht schlafen kann, kann ich nicht gut lernen, und wenn ich keinen guten Abschluss mache, kann ich keine Ausbildung machen. Und ohne Ausbildung habe ich ja keine Zukunft. Das macht mir Sorgen."

Angst vor Abschiebung?

Nazims und Masuds Asylantrag wurde vor Monaten abgelehnt, beide haben dagegen geklagt und seitdem nichts vom Gericht gehört. Dass die Bundesregierung reguläre Abschiebungen nach Afghanistan bis auf weiteres aussetzt, beurteilen sie unterschiedlich. Nazim sagt auf Deutsch: "Ich  hab schon gehört. Aber die Deutschen sagen einen Tag: Ja, wir schicken die Afghanen nach Afghanistan. Und einen Tag: Nein. Und ich bin nicht so sicher über die."

Masud sieht es optimistischer. "In den vergangenen zwei Jahren kam alle paar Wochen eine neue schlechte Nachricht. Mich hat das total resignieren lassen, ich konnte mich gar nicht mehr aufraffen, etwas zu tun, habe auch überhaupt kein Deutsch gelernt. Aber jetzt habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich wieder Hoffnung und ich möchte etwas machen.

Deutsch als Schlüssel

Zum Deutschkurs hat sich Masud gerade angemeldet, in wenigen Tagen geht es los. "Ich möchte auch mehr Kontakte haben. Ich bin einsam ohne Deutschkenntnisse. Neulich habe ich mich in einem großen Park verlaufen, und ich konnte niemanden nach dem Weg fragen. Das war ein blödes Gefühl." Nazim lächelt über die Geschichte seines Freundes. Er hat ihn schon häufiger gedrängt, endlich Deutsch zu lernen. Er selbst könnte mittlerweile locker nach dem Weg fragen. Manchmal versteht er allerdings auch Dinge, die er lieber nicht verstanden hätte. "Neulich hat mich eine Frau auf der Straße angeschrien, "Ihr lebt hier nur von unserem Geld, tragt Kleidung, die wir bezahlt haben, und esst Essen, das wir bezahlt haben! Nichts tut ihr dafür! Nichts! Dabei will ich das ja gar nicht. Ich will ja meine Ausbildung machen, dann arbeiten und auch mit Steuern alles zurückzahlen."

Drei Monate ist der Vorfall jetzt her, aber Nazim denkt immer noch darüber nach. Das Gefühl, dass er nur als Ausländer wahrgenommen wird, oder auch "nur" als irgendein Afghane, das hat er häufiger gehabt in letzter Zeit. "Ich möchte so gerne in eine andere Wohnung ziehen. Neulich hatte ich mit zwei Freunden eine gefunden, und die war auch nicht zu teuer, aber der Mann bei der Behörde hat gesagt, das gehe nicht, sobald er wusste, dass wir Afghanen sind. Als Syrer oder Eritreer hätte ich die Wohnung bestimmt bekommen. Die werden viel besser behandelt."


14.06.2017 - Hamburg

Warten - und weiterleben

Nazim hilft einer älteren Dame beim Essen  Foto: Bettina Less
Nazim hofft auf eine Ausbildung als Pflegekraft.

Mitte Januar, vor fast fünf Monaten, wurde Nazims Asylantrag abgelehnt. Zur Begründung hieß es damals, es gebe für ihn in Kabul keine konkrete Bedrohung. Nazims Argument, dass die Arbeit seiner Brüder bei der Polizei die Familie zur Zielscheibe der Taliban macht, ließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht gelten. Wie hoffnungslos Nazims Situation in Deutschland eigentlich aussieht, versucht der Junge im Alltag zu verdrängen.

Derzeit arbeitet er. Das Praktikum als Pflegehelfer im Pflegeheim Gast- und Krankenhaus in Hamburg macht ihm Spaß, sagt er auf Deutsch. "Es gefällt mir sehr. Meine Kollegen sind sehr nett. Deutsch ist ein bisschen schwierig; wenn mein Kollege schnell redet, ich sage immer: Sprechen Sie ein bisschen langsam. Aber die Arbeit ist leicht, nicht so schwer." Dort hilft er Demenzkranken beim Essen, wäscht und pflegt sie. Nazims Ausbilder Klaus Grimberger sagt, dass er noch besser Deutsch lernen muss. Ansonsten habe er aber viel gelernt in den vergangenen drei Monaten. Er gilt als fleißig und ist bei allen beliebt. "Nazim ist ein sehr ruhiger Mensch, der sehr höflich und sehr respektvoll mit den Bewohnern umgeht, und ich denke mal - Mitarbeiter spüren ja auch, ob es jemand ehrlich meint. Empathie hat er, und er wäre für den Beruf definitiv geeignet." Nazim hofft auf eine Ausbildung. Damit dürfte er in Deutschland bleiben.

Unklar, wie es weitergeht

Nazim steht im Krankenhaus-Flur  Foto: Bettina Less
Derzeit läuft Nazims Klage gegen seine Ablehnung als Flüchtling.

Doch derzeit ist seine Zukunft noch ungewiss, die Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags ist noch nicht entschieden. Bei einem der jüngsten Anschläge der Taliban in Kabul ist ein entfernter Verwandter von Nazim ums Leben gekommen. Er macht sich Sorgen um seine Familie. Dass die Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan fürs Erste ausgesetzt hat, beruhigt ihn kaum. "Mal heißt es Abschiebung ja, dann Abschiebung nein - weil es jetzt diesen einen Anschlag gegeben hat. Aber in Afghanistan gibt es doch jeden Tag Anschläge! Wir haben dort Krieg, seit vierzig Jahren. Ich verstehe nicht, wann die Politiker wie entscheiden. Das Hin und Her macht mich eher hoffnungslos", erklärt er seine Gefühle auf Dari. Eine Ausbildung bleibt die große Hoffnung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Nazim im kommenden Jahr seinen Schulabschluss schafft - und dass er nicht doch noch vorher abgeschoben wird.


29.01.2017 - Hamburg

Antrag abgelehnt

Nazim steht vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. © NDR Foto: Bettina Less
Erst vor wenigen Wochen hatte Nazim sein Interview bei der Behörde.

Die Entscheidung über Nazims Asylantrag kam schneller als erwartet. "Vor ein paar Tagen bin ich von der Schule nach Hause gekommen. Dann habe ich den Brief gelesen. Im ersten Moment war ich so geschockt, dass ich die Begründung gar nicht angeguckt habe. Erst am Tag danach habe ich sehr viel geweint." Nazims Asylantrag wurde abgelehnt - er wurde zur Ausreise aufgefordert. Nazim hat Widerspruch gegen den Bescheid eingereicht und muss nun warten, wie dieser entschieden wird. In der Zeit darf er in Deutschland bleiben. Seiner Mutter hat er bisher noch nicht von der Ablehnung erzählt. Sie würde sich zu viele Sorgen machen, denkt er.

Zwar wurde die Ausreise von Afghanen bisher selten erzwungen, aber Nazim hat von den jüngsten Sammelabschiebungen aus Hamburg nach Afghanistan gehört. Und er hat viel darüber nachgedacht, ob er bei der nächsten dabei sein könnte. "Ich hatte nie Probleme mit der Polizei. Ich mache hier alles so, wie man es soll: Ich gehe zur Schule, ich spiele im Fußballverein, ich lerne Deutsch. Ich hoffe, sie schicken mich nicht nach Hause."

Nazim will trotzdem weiter in der Berufsschule lernen und sich für ein Praktikum im Krankenhaus bewerben. Den Lebenslauf hat er schon fertig. Der junge Mann sagt, er müsse sich jetzt noch mehr auf seinen Alltag konzentrieren - anders halte er die Situation auch gar nicht aus. "Die Chancen sind schlecht. Aber meine Hoffnungen groß!"


02.12.2016 - Hamburg

Endlich konnte Nazim seinen Asylantrag stellen

Ein Junge lacht in die Kamera. © NDR Foto: Bettina Less
Nazim ist optimistisch. Er hofft auf eine Zukunft in Deutschland.

Nazim hat nach gut einem Jahr in Deutschland endlich seinen Asylantrag stellen können. Der Termin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei gut gelaufen, erzählt er NDR Info Reporterin Bettina Less beim jüngsten Treffen: "Das Interview war nicht so schwierig. Sie haben mich gefragt, von wo ich geflohen bin und warum, wie es meiner Familie geht und welche Fluchtroute ich genommen habe. Das konnte ich alles beantworten." Nazim hatte ein Schreiben der Schule dabei und von seinem Fußballverein, um zu zeigen, dass er sich hier Mühe gibt. "Ich glaube, es ist ganz gut gelaufen und ich habe vielleicht eine Chance."

Wann die Entscheidung über seine Zukunft in Deutschland fällt, weiß Nazim nicht. Einige seiner afghanischen Freunde warten schon seit drei Monaten, es kann aber auch erheblich länger dauern. Nazim will die Sorgen beiseite wischen. Er erzählt lieber von der neuen Entwicklung in seinem Fußballverein, wo er nun richtig dazugehört: "Ich habe jetzt einen Spielerpass und das Mannschaftstrikot, und ich darf auch am Wochenende bei Turnieren mitspielen! Am Wochenende habe ich ein Tor geschossen!"

Fast nichts ist bei Nazim im Moment zu spüren von der Verzweiflung, die ihn noch im vergangenen März erlebte. Damals war er - nach fünf Monaten Nichtstun in der Massenunterkunft - völlig mutlos. Er bereute es bereits, dass er überhaupt nach Deutschland gekommen war.

Seit Frühjahr wohnt er in einer neuen Unterkunft für junge Erwachsene, seit dem Sommer geht er zur Berufsschule. Sein Blick ist nach vorne gerichtet: Im kommenden März will er ein Praktikum im Krankenhaus machen. Gerne würde er als später als Krankenpfleger arbeiten, denn so könne er anderen helfen.


12.10.2016 - Hamburg

Unsichere Zukunft macht Nazim zu schaffen

Nazim © NDR Foto: Bettina Less
Nazim hofft, dass er bald endlich einen Asylantrag stellen kann.

Bei einem Treffen mit NDR Info Reporterin Bettina Less erzählt Nazim von seinen Zukunftssorgen. Obwohl er inzwischen 18 Jahre alt ist, darf er noch in einer Wohngruppe für minderjährige Flüchtlinge leben. "Darüber bin ich froh. Ich habe dort Betreuer, die mir bei Problemen helfen. Ich weiß gar nicht, wie ich das alleine machen würde." Allerdings leidet er unter der Unsicherheit, dass er nicht weiß, ob er in Deutschland bleiben kann. Seine Chancen dafür schätzt der junge Afghane auf 50 Prozent. Momentan kann er nur warten, bis endlich die Einladung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommt. "Ich hätte so gerne endlich einen Termin für den Asylantrag. Aber es kommt kein Brief, keine Nachricht, gar nichts", erzählt er. "Ich mache mir große Sorgen darüber, wie es weitergeht."

Das Rückführungsabkommen zwischen Deutschland und Afghanistan macht den jungen Afghanen traurig. Und auch von der internationalen Geberkonferenz und den zugesagten Milliardenhilfen für den Aufbau des Landes verspricht er sich wenig. "Das sind nur Unterschriften auf einem Papier. Das bedeutet nichts. Das Geld aus Deutschland wird von korrupten Politikern in Afghanistan eingesteckt, dem Land und den Menschen wird es nicht helfen", sagt er. "Afghanistan wird niemals ein Ort sein, an dem man in Frieden leben kann. Ich hoffe, dass ich nicht dahin zurück muss."


14.09.2016 - Hamburg

Nazim geht zur Schule

Nazim sitzt am Tisch in seiner Klasse  Foto: Bettina Less
Nazim geht in eine berufsbildende Schule.

Nazim darf nach elf Monaten immer noch keinen Asylantrag stellen und weiß weiterhin nicht, ob er eine Zukunft in Deutschland hat. Immerhin hat ihm die Behörde kürzlich mitgeteilt, dass sie seinen Pass geprüft hat, für echt hält und ihn somit als minderjährigen Flüchtling anerkennt - fünf Monate, nachdem der Pass eingezogen wurde und drei Wochen vor seinem 18. Geburtstag. Zurück bekommen hat er den Pass allerdings noch nicht.

Nun sind die Sommerferien vorbei und der junge Afghane besucht eine Ausbildungs-Vorbereitungsklasse an einer berufsbildenden Schule, gemeinsam mit anderen Flüchtlingen. "Ich bin so froh, dass die Schule wieder angefangen hat. Die Ferien waren schrecklich langweilig", sagt er. Ein Jahr lang soll Nazim hier fit gemacht werden für ein Praktikum und vielleicht sogar einen Ausbildungsplatz - wenn er denn so lange bleiben darf. Was ein Praktikum oder eine Ausbildung überhaupt ist, davon hat er im Moment nur eine vage Vorstellung. "Ich weiß noch nicht genau, was ich da machen könnte, aber habe auch noch Zeit, zu überlegen. Im Moment würde ich am liebsten Zahnarzt werden." Nazim freut sich, dass er auch als volljähriger Flüchtling weiter zur Schule gehen kann. Außerdem ist er erleichtert, dass er in eine Wohnung mit anderen Flüchtlingen ziehen durfte. Und wohl auch künftig nicht zurück in eine Massenunterkunft muss.


01.08.2016 - Hamburg

Sommerferien - wie schade!

Der 17 Jahre alte Nazim aus Afghanistan steht auf einer Straße und hält sein Fahrrad fest. Er trägt ein schwarzes Shirt, Jeans und Sandalen. © Florian Hemminger Foto: Florian Hemminger
Nazim hofft, dass die langweiligen Sommerferien bald vorüber sind.

Knapp zwei Wochen ist Nazim zur Schule gegangen, dann begannen die Sommerferien. "Ich kann ja verstehen, dass sich manche darüber freuen. Aber ich hatte schon so lange Ferien - ich brauche das wirklich nicht! Viel lieber hätte ich weiter gelernt", sagt der 17-Jährige. Nun geht er solange dreimal pro Woche zum Deutschkurs. Weil er nicht schwimmen kann, traut er sich nicht ins Freibad, wie andere Jugendliche in seinem Alter. Dafür bastelt er an dem Fahrrad, das ihm sein Helfer geschenkt hat, und liest eine Menge Nachrichten im Internet.

"Dass ein Attentäter bei den Anschlägen in Deutschland Afghane gewesen sein soll, beschämt mich sehr. Das wirft ein schlimmes Licht auf alle Flüchtlinge, und die Bleibe-Perspektiven für alle Afghanen wird bestimmt noch schlechter", fürchtet er. Nun hofft Nazim, dass er endlich einen Vormund bekommt, der ihm hilft, endlich den Asylantrag zu stellen. Und er freut sich auf das Ende der Sommerferien.


08.06.2016 - Hamburg

Voller Freude

Nazim aus Afghanistan beim Interview in einem Park in Hamburg. © NDR Info Foto: Bettina Less
Nazim freut sich, dass er nun etwas zur Ruhe kommen kann - und dass er endlich in die Schule gehen kann.

Nazim war lange nicht mehr so glücklich wie in den vergangenen Tagen. Nach mehr als einem halben Jahr in der Massenunterkunft ist der junge Afghane endlich umgezogen. Das wurde möglich, da er die lange erwarteten Kopien seiner Ausweispapiere vorlegen konnte und die Behörden in Hamburg nun davon ausgehen, dass er wirklich erst 17 Jahre alt ist. Sie haben ihn als minderjährigen unbegleiteten Flüchtling anerkannt.

Als Nazim sich mit NDR Info Reporterin Bettina Less trifft, strahlt er: Im Gebäude der Kinder- und Jugendhilfe, in einer ruhigen Wohngegend, hat er zwei Nächte alleine in einem eigenen Zimmer geschlafen: "Ich entscheide selbst, wann ich lerne, wann ich das Licht ausmache, wann ich schlafe. Hier kann ich richtig zur Ruhe kommen." Die nächsten Schritte: ein Umzug in eine Wohngruppe, das Stellen eines Asylantrags - und endlich in Deutschland zur Schule gehen! "Ich freue mich wirklich so sehr", sagt er.


18.05.2016 - Hamburg

Deutsch üben im Park

Nazim aus Afghanistan sitzt im Park. © NDR Info Foto: Bettina Less
Nazim nimmt sein Deutschbuch gern mit in den Park.

Nazim sitzt auf einer Bank im Volkspark Hamburg-Altona, die Unterlagen seines Deutschkurses auf dem Schoß. "Ich habe ein paar Mal Leute nach dem Weg gefragt. Ich verstehe dann nicht immer ganz genau, was sie mir antworten, aber mit Händen und Füßen klappt es irgendwie", sagt er. Seinen Kurs hat Nazim mittlerweile abgeschlossen. Nun würde er sehr gerne gleich den nächsten machen. Dafür müsste er allerdings eine Schule finden, die noch einen Platz frei hat und ihn kostenlos aufnimmt. Denn afghanische Flüchtlinge bekommen, anders als Syrer, vor ihrer Anerkennung keinen Sprachkurs von den Behörden bezahlt.

Und es gibt ein weiteres Problem: Die meisten Schulen nehmen nur Schüler an, die einen gültigen Pass vorlegen können. Doch Nazims Reisepass ist seit Mitte März beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wann Nazim ihn zurückbekommt, kann ihm niemand sagen. Der 17-Jährige ist trotzdem noch motiviert, Deutsch zu lernen. Um dem Lärm in seiner Unterkunft zu entgehen, will er jetzt häufiger im Park Deutsch üben. Obwohl die Dinge für Nazim nicht gerade gut gelaufen sind, wirkt er in letzter Zeit zufriedener. "Ich habe beschlossen, die Dinge positiv zu sehen und das Beste zu hoffen."


05.04.2016 - Hamburg

Nazim schließt Freundschaft

Immer weiter warten: So sah das Leben des Flüchtlings Nazim in Deutschland bislang aus. Doch jetzt gibt es einen Lichtblick: Nazim hat einen neuen Freund gefunden. Der Hamburger Florian Hemminger trifft sich regelmäßig mit dem jungen Afghanen - gemeinsam spielen sie zum Beispiel Frisbee. Zusammengebracht hat die beiden ein Beitrag von NDR Info. "Ich war auf dem Weg zur Arbeit und war in dem Moment einfach so gerührt von dem Beitrag über Nazim, dass ich kurzerhand überlegt hatte, ein Treffen zu arrangieren, um zu helfen." Es blieb nicht bei einem Treffen. Aus dem Sportlehrer und dem jungen Mann sind mittlerweile gute Freunde geworden.

 


23.03.2016 - Hamburg

Ein lang ersehnter Termin für den Asylantrag

Nazim steht vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. © NDR Foto: Bettina Less
Nazim hat seinen langersehnten Termin beim Bundesamt für Migration.

Nazim hat endlich den lange erwarteten Termin, um seinen Asylantrag beim Bundesamt für Migration in Hamburg zu stellen. Zumindest steht das so auf der Vorladung, die er seit fast einem halben Jahr hütet wie einen Schatz. Seinen Pass und afghanischen Personalausweis hat Nazim vor zehn Tagen per Post aus Afghanistan bekommen. Daraus geht hervor, dass er 17 Jahre alt und damit minderjährig ist. Doch in seinen vorläufigen Dokumenten steht, dass er schon volljährig ist. "Als ich nach Deutschland eingereist bin, haben mir die Behörden nicht geglaubt, dass ich erst 17 bin - weil ich keine Dokumente bei mir hatte. Sie haben einfach aufgeschrieben, dass ich schon volljährig bin", sagt Nazim. Für ihn bedeutet das jetzt, dass er keinen gültigen Asylantrag stellen kann. Denn als Minderjähriger braucht er dafür einen Vormund.

Nun muss Nazims Geburtsdatum in den Akten korrigiert werden. Bevor das passiert, schickt das Bundesamt für Migration seinen Pass aus Hamburg nach Nürnberg - um zu überprüfen, ob er echt ist. Wenn das der Fall ist und Nazim damit als minderjähriger Flüchtling anerkannt wird, bekommt er einen Vormund, eine neue Unterkunft und dürfte zur Schule gehen. Wie lange das Bundesamt für Migration allerdings für die Prüfung benötigt, weiß niemand. Vielleicht Wochen, Monate oder ein halbes Jahr. "Es ist schwierig für mich, nicht die Hoffnung aufzugeben", sagt Nazim.


14.03.2016 - Hamburg

Ausweispapiere offenbaren neues Alter

Nazim guckt auf sein Smartphone. © NDR Foto: Bettina Less
Beim Gespräch im Bundesamt für Migration wird Nazims Alter ein wichtiges Thema sein.

Nazims Termin beim Bundesamt für Migration rückt näher. Dort wird auch sein Alter Thema sein. Zur Vorbereitung wendet er sich an die kirchliche Beratungsstelle Fluchtpunkt. Beim Gespräch mit Rechtsanwältin Anna-Lena Büchler und einer Dolmetscherin zeigt er sein afghanisches Ausweispapier Takera und seinen Reisepass. Er hat sich die Dokumente vor wenigen Tagen schicken lassen, weil er Angst hatte, sie auf seiner Flucht zu verlieren. Daraus geht hervor, dass er 17 Jahre alt ist. Bislang hatten ihn die Behörden als 18-Jährigen geführt. Nun müsse das Bundesamt das Alter eigentlich korrigieren, sagt Rechtsanwältin Büchler, aber: "Es ist sehr schwierig, das Datum noch mal ändern zu lassen." Sie glaube aber, dass es wegen der Papiere möglich sein werde. Falls das Amt die Papiere akzeptiert, ändert sich für Nazim vieles: Dann betreut ihn ein gesetzlicher Vormund, er muss zur Schule gehen und kommt in eine Wohngemeinschaft mit anderen Jugendlichen. Ob er letzten Endes Asyl erhält, hängt davon ab, ob die Behörden das von ihm geschilderte Schicksal und die Bedrohung durch die Taliban glauben. Bei Afghanen werde derzeit besonders genau hingeschaut, sagt Anwältin Büchler. Ihre Chancen seien im vergangenen Jahr gesunken.


02.03.2016 - Hamburg

Nazim denkt an die Flüchtlinge an der Grenze

Seit fast fünf Monaten lebt Nazim nun schon in der Flüchtlingsunterkunft. Seinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat er in zwei Wochen, dann stellt er seinen Asylantrag. Seit einiger Zeit denkt er wieder häufiger an seine Flucht nach Deutschland über die sogenannte Balkan-Route, die jetzt für Afghanen versperrt ist. Die Nachrichten von der griechisch-mazedonischen Grenze, mit Tausenden gestrandeten Flüchtlingen, machen ihm große Sorgen.


16.02.2016 - Hamburg

Sorgen um die Familie

Wenn Nazim Ruhe hat, denkt er oft an seine Familie in Afghanistan. Er hat nur wenige Fotos von ihr auf seinem Handy, denn sein Gepäck habe er im Mittelmeer ins Wasser schmeißen müssen, erzählt er. Seine Eltern und Brüder würden von den Taliban und Clans bedroht; eine Flucht sei für sie aber viel zu teuer. Nazim hofft, dass er seine Eltern und Brüder irgendwann wiedersehen wird. Das ist sein größter Wunsch.


14.02.2016 - Hamburg

Hamburg kennenlernen

Nazim hat seit Anfang Februar ein sogenanntes Mobilitätsticket. Das ist eine Monatskarte, die alle Flüchtlinge in den Hamburger Erstaufnahmen verpflichtend kaufen müssen. Das Ticket erlaubt ihm, in der Hansestadt alle öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen.


28.01.2016

Endlich Deutschkurs, endlich etwas Sinnvolles zu tun

Nazim ist froh. Endlich darf er an einem Deutschkurs teilnehmen. Eine Hamburger Schule ermöglicht dem jungen Afghanen den Unterricht - obwohl sie an ihm nichts verdient.


19.01.2016 - Hamburg

Nachdenkliche Stimmung in der Flüchtlingsunterkunft

Audio
Nazim aus Afghanistan steht mit seinen Freunden auf einem Parkplatz. © NDR Info Foto: Bettina Less
3 Min

Nazim: Nachdenken über Übergriffe von Köln

Der Flüchtling Nazim und seine Freunde haben von den sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln und Hamburg in der Silvesternacht gehört. Wie denken die Afghanen darüber? 3 Min

Nazim und seine Freunde Quais und Masud haben von den Übergriffen in Köln und Hamburg in der Silvesternacht gehört und gelesen. "Wir sprechen ganz viel darüber, weil auch Flüchtlinge verdächtigt werden. Die Täter müssen unbedingt ganz schnell verhaftet und hart bestraft werden, weil sie das ja sonst vielleicht wieder machen", sagt Nazim. Die beiden Freunde sehen es genauso wie der Afghane. Natürlich sei hier vieles anders, sagt auch Nazim. So hatte der junge Mann beispielsweise noch nie die Haare einer erwachsenen Frau gesehen, bis er Kabul im Sommer verließ. "Frauen in Afghanistan tragen ein Kopftuch oder einen Ganzkörperschleier, viele auch eine Burka", sagt er. "Das war am Anfang ziemlich ungewohnt für mich, dass Frauen hier ganz anders aussehen. Aber ich finde es okay. In keinem Fall gibt einem die Kleidung einer Frau das Recht, sie ohne Respekt zu behandeln."

Dass Deutschland so ein freies, friedliches und geordnetes Land sei, gefalle ihm gut, sagt Nazim. Er hofft, dass es so bleibt. "Ich habe gehört, dass viele Leute jetzt gegen Flüchtlinge protestieren, weil sie denken, dass alle schlecht sind, und dass es zu viele sind. Ich habe Angst, dass deswegen vielleicht auch weniger von uns Asyl bekommen und mehr abgeschoben werden." Seinen eigenen Asylantrag kann er erst Ende März stellen, dann hat er seinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Je länger die Wartezeit dauert, desto mehr Sorgen macht er sich um seine Zukunft.


7.01. 2016 - Hamburg

Ein Leben im Elektronikmarkt

Nazim weiß immer noch nicht, ob er in Hamburg bleiben darf oder Deutschland wieder verlassen muss. Immer noch wohnt er in einer Halle mit mehreren Hundert Menschen. Immer noch langweilt er sich tagsüber oft, denn einen Deutschkurs bekommt er als Afghane nicht finanziert. Es komme öfter zum Streit in der Unterkunft, erzählt er. Meist, weil es einigen zu laut sei. Und Nazim hat Angst, dass jemand seinen wertvollsten Besitz klaut: sein Handy. "Wenn ich den Akku aufladen muss, warte ich neben der Steckdose. Auch nachts habe ich es immer am Körper. Irgendjemand klaut hier Handys; das passiert ganz oft. Wir wissen aber nicht, wer es ist."


23.12.2015 - Hamburg

Auf dem Fußballplatz die Sorgen vergessen

Endlich wieder Fußball spielen - Nazim trainiert jetzt dreimal die Woche mit anderen Flüchtlingen auf dem Fußballplatz des SV West-Eimsbüttel.


05.11.2015 - Hamburg

Aktiv gegen die Langeweile

In der Unterkunft gibt es wenig zu tun außer: Warten, warten, warten. Nazims Asylantrag soll vermutlich im März bearbeitet werden. Um etwas gegen die Langeweile zu tun, werden einige Flüchtlinge aktiv: Sie fragen beim SV West-Eimsbüttel, ob sie den Fußballplatz des Vereins nutzen dürfen. Der Vereinsvorstand hat nichts dagegen.


Oktober 2015 - Hamburg

Endlich in Hamburg

Nazim sagt, seine Flucht führte ihn über den Iran, die Türkei, Mazedonien, Österreich und München bis nach Hamburg. In der Hansestadt angekommen zu sein - darüber sei er sehr froh, sagt er. Nach der Registrierung lebt er mit etwa 450 weiteren Flüchtlingen in einem früheren Elektronikmarkt neben der Autobahnauffahrt Hamburg-Stellingen. "Ich finde es okay hier", sagt er. Doch er nutzt jede Gelegenheit, um aus der Halle herauszukommen.


Sommer 2015 - Kabul

In Kabul ein Leben in Angst

Nazim und zwei Fußballkameraden in Afghanistan © Privat Foto: Privat
Ein Bild aus besseren Tagen: Bevor die Taliban Nazim und seine Familie bedrohten, spielte er gern Fußball.

Nazim erzählt: Er lebt mit seinen Eltern in Afghanistans Hauptstadt Kabul. Sein liebstes Hobby ist Fußballspielen. Er hat großes Talent, ist Mannschaftskapitän und Mittelstürmer. Doch dann beginnen die Taliban, die Familie zu bedrohen. Der Grund: Nazims Bruder, ein Polizeioffizier, hat einen Drogenhändler der Taliban ins Gefängnis gebracht. Es gibt Morddrohungen gegen die Familie. Die Taliban lauern dem jungen Mann beim Fußballspielen auf. Wegen der immer heftigeren Drohungen wollen Nazims Eltern nicht mehr, dass er die Wohnung verlässt. Wenig später trifft die Familie die Entscheidung: Wenigstens einer von ihnen soll in Sicherheit sein. Die Wahl fällt auf Nazim, den jüngsten von insgesamt sieben Geschwistern. Der Vater verkauft die Wohnung, um einen Schlepper zu bezahlen.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Blogs wurde Nazim als 18-Jähriger bezeichnet. Dies lag daran, dass er bei seiner Einreise nach Deutschland keine Papiere dabei hatte und zunächst von den Behörden als volljährig eingestuft wurde. Erst im Juni 2016 konnte er sein tatsächliches Alter von 17 Jahren nachweisen und ist seitdem als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling anerkannt. Die Redaktion hat die Blogeinträge entsprechend angepasst.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 29.08.2017 | 06:20 Uhr

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