Flüchtlinge helfen traumatisierten Flüchtlingen
Viele Flüchtlinge in Deutschland müssen mit schlimmen Erlebnissen in ihrem Heimatland oder nach einer Flucht fertig werden. Einige sind sogar traumatisiert. Psychologische Unterstützung zu finden, fällt den meisten nicht leicht: Es gibt zu wenige Therapieplätze und zu wenige Dolmetscher. Die humanitäre Organisation IPSO (International Psychosocial Organisation) bildet jetzt Flüchtlinge selbst zu psychosozialen Beratern aus. Schon in wenigen Wochen sollen in Hamburg 24 Flüchtlinge mit der Ausbildung beginnen. Was es mit dem Projekt auf sich hat, zeigen wir in der Reihe "NDR Info Perspektiven".
Der 33-jährigen Manal aus Syrien ist es wichtig, zu betonen, dass sie nicht besser ist als deutsche Kollegen. Auf die Empathie komme es in diesem Beruf an, sagt sie, und da findet sie die Deutschen sehr beeindruckend. Sie selbst kann sich allerdings nicht nur hineinversetzen in die Menschen, mit denen sie spricht - sie teilt viele ihrer Erlebnisse. "Nach allem, was in Syrien passiert ist, und was ich selber dort gesehen habe, weiß ich: Wir haben alle viele Ängste mitgebracht: Angst vor anderen, vor Autoritäten, vor uns selbst." Aber das müsse überwunden werden, weiß Manal heute: "Wer Angst hat, steckt fest und kann nicht mehr weitermachen. Ich will anderen Flüchtlingen helfen, das zu erkennen, damit sie ihr Leben in die Hand nehmen können."
Manal kam Ende 2014 nach Deutschland. Sie hatte in Damaskus eigentlich in der IT-Branche gearbeitet und zuletzt auch humanitäre Hilfe organisiert. Menschen wie sie sind es, die jetzt bei IPSO (International Psychosocial Organisation) als psychosoziale Berater ausgebildet werden. Die deutsche IPSO-Gründerin und Psychoanalytikerin Inge Missmahl sagt, IPSo sei eine Ergänzung zu bestehenden Angeboten: "Wir siedeln uns an zwischen Sozialarbeit und kurativer Medizin. Wir machen keine Behandlung, wir machen keine Diagnose, keine Therapie."
Idee stammt aus Afghanistan
Eigentlich entstand die Idee für IPSO in Afghanistan. Dort bildet die Organisation seit fast zehn Jahren Afghanen als Berater für ihre eigenen Landsleute aus, finanziert vom Auswärtigen Amt und der EU. Und das mit Erfolg: Nach IPSO-Angaben sind es jährlich rund 50.000 Menschen, die das Hilfs-Angebot annehmen. Inzwischen übrigens nicht nur in Afghanistan, sondern beispielsweise auch in China, Haiti oder der Ostukraine.
Inge Missmahl sagt, mit Beginn der Flüchtlingskrise sei es naheliegend gewesen, die Entwicklungshilfe nach Deutschland zu re-importieren. "Wir haben uns gefragt: Warum wenden wir das, was wir dort gelernt haben, nicht auf die Situation hier an?" Seit dem vergangenen Sommer bildet IPSO in Deutschland Flüchtlinge aus, um anderen Flüchtlingen zu helfen. Finanziert wird die Arbeit von IPSO in Deutschland momentan noch vor allem durch kleinere Stiftungen, Sponsoren und Spenden.
Ein Jahr lang werden die Flüchtlinge auf Deutsch und Englisch geschult, und können schon nach drei Monaten Intensiv-Ausbildung in den Flüchtlingsunterkünften arbeiten - immer unterstützt und mit wöchentlicher Supervision durch Psychologen von IPSO. Inge Missmahl sagt, es sei wichtig, dass die Flüchtlinge zunächst viel über sich selbst erfahren. "Sonst ist man nachher nicht in der Lage, anderen Menschen zu helfen, die ähnliche Erfahrungen wie man selbst durchgemacht haben. Wenn man nicht unterscheiden kann, was ist meine Erfahrung und was die des anderen, identifiziert man sich zu schnell mit dem Leid des anderen."
Klienten erzählen von Alpträumen und Gewalt
Das Vertrauen zwischen IPSO-Berater und Flüchtling ist schnell hergestellt, denn es gibt weder eine Sprachbarriere noch eine kulturelle. Die Klienten erzählen dann von Alpträumen, Erinnerungen an Gewalterfahrungen, vom Gefühl, die Familie im Stich gelassen zu haben, weil sie sie doch nicht so schnell nachholen können wie erwartet, von Hilflosigkeit. Manal sagt, es sei gar nicht so kompliziert für sie, in Kontakt zu treten. „Manchmal reicht es aus, zu fragen: Wie geht es Dir?" Schließlich wünschten sich viele Flüchtlinge einfach jemanden, mit dem sie sprechen könnten. "Und dann höre ich zu, baue eine Verbindung auf. Vor allem aber helfe ich dabei, zu erkennen, wo ihre Ressourcen sind, und dass sie selber etwas tun können." Ein häufiges Problem - gerade bei den geflüchteten Männern - sei der Verlust der sozialen Rolle: Als Vater, als Sohn, als Bruder haben demnach sie ihre Aufgaben verloren. Das Gefühl des Versagens führe dann zu Frust, zu innerem Rückzug, bei manchen zu Aggressionen. Oft helfe dann das Gespräch, ein anderer Blickwinkel, eine neue Perspektive auf ihre Situation.
Berater mit Vorbildfunktion
Aber: Die Berater sind auch dazu ausgebildet, zu erkennen, wenn sie Hilfe dazu holen müssen. Wenn beispielsweise Suizidgedanken im Spiel sind, Drogen, oder sie jemanden überhaupt nicht mehr erreichen können. IPSO-Gründerin Missmahl sagt, "wir sind auch eine wirkungsvolle Maßnahme zur De-Radikalisierung. Denn was natürlich angeboten wird über radikale Ausrichtungen, das ist ja Wirksamkeit und Sinn. Die versuchen in eine Lücke zu stoßen, die sich bei den Menschen auftut." Wenn die Menschen aber wieder einen eigenen Sinn in ihrem Leben finden könnten, seien sie nicht mehr so empfänglich, so Missmahl.
Die Flüchtlings-Berater sind - wenn es gut läuft - für viele ihrer Klienten auch Vorbilder. Sie zeigen ihnen durch ihre eigene Arbeit, was man in Deutschland schaffen kann. So wie Manal, die durch ihre Arbeit einen neuen Sinn gefunden hat. "Ich kann jetzt etwas beitragen und anderen Flüchtlingen helfen." Man müsse im Leben immer eine Mischung aus Geben und Nehmen haben, findet sie. "Sonst ist man ein Niemand. Für mich ist Ausbildung und dieser Job bei IPSO ein großes Glück."