Gefährlich: Verpestete Luft in norddeutschen Städten
Hildesheim, Oldenburg, Hamburg, Norderstedt, Kiel haben etwas gemeinsam. In allen Städten ist die Luft dreckiger als erlaubt. Die Liste der norddeutschen Städte mit erhöhten Grenzwerten lässt sich noch fortführen. Das sollte eigentlich alarmieren. Experten warnen schon länger eindringlich vor den gesundheitlichen Gefahren.
Tendenz abnehmend - aber nicht ausreichend
Studien belegen, dass Stickoxid in der Luft die Sterblichkeitsrate erhöht. Beim Blick auf die Ergebnisse der offiziellen Messstellen in allen Städten hätten die Behörden allerdings schon vor einigen Jahren ins Grübeln kommen können. Denn Seit 2010 gilt der Grenzwert von 40 Mikrogramm (µ) pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Doch dieser Wert, der erstmals in im Jahr 1999 in einer EU-Direktive festgelegt (1999/30/EC) wurde, wird bis heute in vielen norddeutschen Städten nicht eingehalten.
In den vergangenen Jahren blieben die NO2-Werte an den Messstellen in der Regel konstant, mit leicht abnehmender Tendenz. "Es ist nicht so, dass das jetzt vom Himmel gefallen ist. Es war vielen Institutionen bekannt, man wusste, dass die Konzentrationen konstant sind und war sich auch schon seit längerem darüber bewusst, dass die Verursacher hauptsächlich Pkw sind", meint Denis Pöhler, Umweltphysiker von der Universität Heidelberg, der sich mit der Messung von Stickstoffdioxid beschäftigt.
Ursache Diesel-Pkw ist seit langem bekannt
Eigentlich ist auch schon länger klar, dass bei den Pkw vor allem Dieselautos für den Ausstoß des Luftschadstoffs Stickstoffdioxid (NO2) verantwortlich sind. Nur ist jenem Diesel lange ein anderes Image verpasst worden. Zuverlässig, verbrauchsarm und umweltfreundlich. Die Kunden kauften gerne. Die Folge: In den vergangenen Jahren bis 2016 hat der Absatz von Fahrzeugen mit dem Selbstzünder in Deutschland einen enormen Boom erlebt. Deutschlandweit wurden im Jahr 2016 26 Prozent mehr Pkw mit Dieselantrieb zugelassen als sechs Jahre zuvor. Der Absatz von Benzinfahrzeugen legte im gleichen Zeitraum nur um rund vier Prozent zu. Lange haben diese Zahlen niemanden zum Handeln angeregt.
Vor dem VW-Dieselskandal beschäftigte sich die breite Öffentlichkeit kaum mit den möglichen Folgen dieser Entwicklung. Der Geschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, weist zwar darauf hin, dass der Städtetag schon früh auf diese Thema hingewiesen habe, allerdings eher bei den Behörden und nicht öffentlich. "Medial haben wir das nicht in dem Ausmaß getan. Da haben Sie Recht". Somit war vielen Dieselkäufern auch lange nicht klar, dass Sie möglicherweise künftig in viele Städte nicht mehr reinfahren können.
Erfolgreiche Klagen nach Übergangsfrist
Auch viele norddeutsche Städte hatten zunächst von einer Übergangsfrist Gebrauch gemacht. Statt im Jahr 2010 mussten Sie die Grenzwerte erst ab 2015 einhalten. Doch vor knapp zwei Jahren lief diese Frist aus und noch immer waren vielerorts die Werte zu hoch. Seitdem kann allerdings juristisch gegen die betroffenen Städte vorgegangen werden.
Vor allem die Deutsche Umwelthilfe nutzt diese Möglichkeit und hat bei Verwaltungsgerichten in Düsseldorf und Stuttgart bereits wegweisende Urteile erwirkt. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wurden jeweils dazu verurteilt die Luftreinhaltepläne für die beiden Städte so zu verschärfen, dass der NO2-Grenzwert schnellstmöglich eingehalten werden muss.
Vor allem das Stuttgarter Urteil hat es in sich. Es zwingt die Behörden dazu ab 1.1.2018 Fahrverbote zu verhängen, wenn der Grenzwert überschritten wird. Beide Urteile müssen nun vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in letzter Instanz entschieden werden - Anfang 2018 wird damit gerechnet.
Städte in der Zwickmühle
In vielen norddeutschen Städten zittern die Bürgermeister nun davor, dass künftig in ihrer Stadt ähnliches ansteht, wie in Stuttgart. "Wir können es nicht ausschließen, dass es zu Fahrverboten kommt", meint Helmut Dedy. Überall würden nun die Luftreinhaltepläne überarbeitet, aber ob das reiche, könne er nicht sagen. Laut Dedy steckten die Städte in einer Zwickmühle. "Wir haben auf der einen Seite die Notwendigkeit, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Grenzwerte - das ist ein Grundrecht. Auf der anderen Seite wollen wir die Städte nicht lahmlegen, wir wollen natürlich dafür sorgen, dass weiterhin die Logistik funktioniert, dass Menschen in die Städte fahren können und zwischen diesen beiden Punkten, da müssen wir den Ausgleich finden. Das ist nicht ohne." Dieses Dilemma scheint unlösbar. Ohne Fahrverbote scheint es aus heutiger Sicht nicht zu gehen.
Häufung von Atemwegsproblemen
Stickoxide, zu denen auch Stickstoffdioxid gehört, sorgen im Gemisch mit anderen Luftschadstoffen wie Feinstaubpartikeln oder Ozon für eine gesundheitsschädigende Wirkung beim Menschen. "Typischerweise bei den Stickoxiden ist die Häufung von Atemwegsproblemen", erklärt der Mediziner Prof. Nino Künzli, stellvertretender Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health Instituts (Swiss TPH) in Basel.
Er mahnt, dass die Politik dafür sorgen müsse, dass die Luft sauberer werde. Er ist zuversichtlich, dass das auch gelingt. Denn in den vergangenen Jahrzehnten sei bei der Luftqualität bereits viel erreicht worden. Noch ist das - mit Blick auf die vielen Grenzwertüberschreitungen - offenkundig zu wenig. Aber es zeigt: Es fehlt nicht am Weg, es fehlt eher am Willen.