Welt der Musik

Musiker mit Herz und Hirn - Zum 50. Todestag von David Oistrach

Dienstag, 29. Oktober 2024, 23:00 bis 00:00 Uhr

Ein Porträtbild von dem Geiger David Oistrach. © picture-alliance / KPA
David Oistrach

"Glücklicherweise oder leider kann ich nicht ohne Musik leben." Das sagte David Oistrach in einem Interview wenige Monate vor seinem Tod. Musik gab ihm Kraft, sie war sein Lebenselixier. Nur so konnte er wahrscheinlich sein immenses Arbeitspensum bewältigen. Die unzähligen Konzerte als Solist, Kammermusiker und Dirigent - in Ost und West -, die Schallplatten-Aufnahmen, seinen Unterricht als Professor am Konservatorium in Moskau.

Er liebte nicht nur die Musik

Er sei eher Musiker als Geiger, betonte David Oistrach oft. Seine Kunst verstand er als "Dienst". Seine Bestimmung als Künstler sei, den Menschen die reiche Welt der Musik nahezubringen. Als Mensch und Künstler war er bescheiden, eher zurückhaltend, ohne Starallüren. Er war nicht sehr groß, ein wenig rundlich. Er liebte Katzen, Fußball und Fotografie. Und er spielte mit Leidenschaft Schach. Auf dem Podium fesselte er mit seinem Charisma, seiner Ausdruckskraft, seiner makellosen Technik, seiner zwingenden Virtuosität.

Niemals ohne Geige

Seine Kindheit - so erinnerte sich der am 30. September 1908 in Odessa geborene David Oistrach - konnte er sich nicht ohne Geige vorstellen. Und auch später begann der Tag von "King David" - wie Oistrach von einigen Kollegen genannte wurde - zuerst mit dem Geigespielen. Dennoch war David Oistrach - wie sein Sohn Igor, selbst Geiger, berichtet - kein Wunderkind. Sein Talent konnte in Ruhe reifen. Er wuchs in einem musikalischen Milieu auf. Sein Vater war Buchhändler, aber auch Amateurgeiger, seine Mutter sang im Chor. Mit drei Jahren erhielt David Oistrach seine erste Geige, mit fünf wurde er Schüler von Pjotr Stoliarski, einem der renommiertesten Geigenpädagogen in der damaligen Sowjetunion, der sein einziger Lehrer blieb.

Internationaler Durchbruch in Brüssel

In den Wirren des ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution von 1917 und später im kommunistischen Sowjet-Russland wurde und blieb die Kunst immer mehr ein Zufluchtsort für den Ausnahmegeiger. Schon in frühen Kritiken in seiner Heimatstadt Odessa war von David Oistrachs weittragendem Geigenton zu lesen, von seinem technisch makellosen Spiel. Komponisten wie Alexander Glasunow oder Sergei Prokofjew schätzten den jungen Künstler. Der Aufstieg begann mit dem Gewinn einiger nationaler Wettbewerbe ab 1930, beim Wieniawski-Wettbewerb 1935 in Warschau erreichte Oistrach einen zweiten Preis und 1937 beim Ysaÿe-Wettbewerb in Brüssel den ersten Preis. Das war der Durchbruch zu einer internationalen Karriere. Sie wurde durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges unterbrochen und kam erst einige Jahre nach dem Krieg wieder in Gang.

Legendäres Debüt in den USA

Denkwürdig war Oistrachs Debüt in der New Yorker Carnegie Hall am 20. November 1955. Am selben Tag traten morgens, mittags, abends drei Geiger von Weltrang auf. Mischa Elman, Oistrach und Nathan Milstein spielten in ihren Konzerten die Teufelstriller-Sonate von Giuseppe Tartini. Oistrach "siegte" und wurde ein paar Tage später bei einem zweiten Konzert triumphal gefeiert. Es saßen so legendäre Künstler wie die Geiger Fritz Kreisler, oder Isaac Stern im Publikum, der Dirigent Pierre Monteux oder die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. Oistrach galt fortan nicht nur als einer der genialsten Geiger, sondern auch als einer der größten Musiker des 20. Jahrhunderts. Er trat nicht nur als Solist auf, sondern er arbeitete mit so bedeutenden Kollegen wie Yehudi Menuhin, Swjatoslaw Richter, Mstislaw Rostropowitsch, Jewgenij Mrawinskij, Herbert von Karajan und vielen anderen zusammen. Als Lehrer wurde und blieb er Vorbild für viele jüngere Geiger. Zu seinen Schülern zählten etwa Leonid Kogan, Oleg Kagan oder Gidon Kremer. Als Dirigent leitete Oistrach neben den berühmten russischen Orchestern auch etwa die Berliner Philharmoniker.

Ein Doppelleben zugunsten der Musik

Oistrach faszinierte zwar auch als Virtuose durch sein brillantes Spiel, doch vielmehr noch durch die Wärme und Fülle seines Tones, seinen Lyrismus, die Klarheit seiner Artikulation und vor allem durch seine so anrührende Musikalität. Dies konnte sich Oistrach zeitlebens bewahren, was um so mehr zu bewundern ist, da er - anders als andere russische Musiker, etwa der Cellist Mstislaw Rostropowitsch - keine Kritik an dem sowjet-kommunistischen System übte. Dass er Mitglied der KPdSU war, wird heute allgemein als eine "Frage des Überlebens" interpretiert. Andernfalls hätte er als Künstler nicht auftreten können. Oistrach selbst sagte einmal, dass er der Sowjetunion auch seinen künstlerischen Werdegang verdanke. Er führte - ähnlich wie der Komponist Dmitri Schostakowitsch - eine Art Doppelleben. Er nahm die Unmenschlichkeit des totalitären Systems in Kauf, zog sich in die Welt der Musik zurück, und leistete als Künstler Überragendes.

Ausbeutung auf Kosten der Gesundheit

Die Sowjetunion schmückte sich mit dem Ruhm des Solisten, Kammermusikers, Dirigenten und Lehrers und beutete sein künstlerisches Potenzial gnadenlos aus. Kaum ein Musiker gab mehr Konzerte, spielte mehr Schallplatten ein als Oistrach. Dies ging nicht zuletzt auf Kosten von Oistrachs Gesundheit. Er hatte mehrere Herzinfarkte. Nach dem dritten Infarkt schien er sich erholt zu haben, doch er starb nach einem Konzert mit dem Concertgebouw Orkest in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 1974 in Amsterdam. Oistrach wurde 66 Jahre alt.

Eine Sendung von Elisabeth Richter.

 

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