Welt der Musik
Dienstag, 21. Januar 2025, 23:00 bis
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Heutzutage werden von Warschau bis Wien glanzvolle Bälle mit einer Polonaise eröffnet. In Wien sind es die Debütanten, die zum Klang von Carl Michael Ziehrers "Fächerpolonaise" in den Saal einziehen - vom Zuckerbäckerball bis zum berühmten Opernball. In Polen feiern vor dem Abitur die Gymnasiasten den Abschlss ihrer Schulzeit mit einem Ball, genannt "Studiówka". Dazu erklingt die Filmmusik zu "Pan Tadeusz" des zeitgenössischen Komponisten Wojicech Kilar.
Die Polonaise - Weltkulturerbe der UNESCO
Seit das zur UNO gehörende UNESCO-Komitee Ende 2023 die Eintragung der Polonaise in die Liste immaterieller Weltkulturgüter beschloß, hat das begehrte UNESCO-Siegel den polnischen Nationaltanz wieder ins internationale Rampenlicht gerückt. Den Aufnahmeantrag hatte Joanna Cicha Kuczyńska für das polnische Kulturministerium vorbereitet. Sie ist selbst in einer Tanzgruppe aktiv und eröffnet mit ihrem Ensemble Bälle und andere festliche Veranstaltungen. So lautet ihr Kommentar zur Entscheidung des UNESCO-Komitees:
"Es war ein großes Fest für uns Polen. Nicht nur für die professionellen Tänzer und die Amateurtanzgruppen, sondern für alle Polen jeden Alters, ob sie nun hier oder im Ausland leben. Die Polonaise ist ein Symbol für unsere Kultur. Sehr oft ist die Figur ein Kreis, der zeigt, dass wir in diesem Tanz gleich sind."
"Maestoso alla Polacca"
Der Dirigent Adam Szaba hielt in Warschau einen Konzertvortrag zu Kilars Polonaise: "Wojciech Kilar überschrieb die Partitur der Polonaise mit 'Maestoso alla Polacca', das bedeutet 'majestätisch auf polnische Art'. Wir brauchen den Polen nicht zu erklären, wie die Polonaise zu spielen ist. Sie darf nicht zu schnell und nicht zu langsam gespielt werden, damit sie perfekt in den Rhythmus paßt, zum Polonaisen-Schritt."
Der Choreograf und Tanzlehrer Mariusz Źwierko erklärt die Schrittfolge: "Der erste Schritt ist ein langer Schritt. Dabei darf man sich nicht beugen. Und dann Schritt Schritt. So entsteht diese Flüssigkeit beim Tanzen: lang, kurz, kurz, lang, kurz, kurz. Und darauf muss man achten, wenn man die Polonaise tanzt. Man hat Blickkontakt mit der Partnerin aber auch mit anderen Paaren. Das ist eine Art Gespräch zwischen den Tänzern, aber auch mit dem Publikum, weil normalerweise nicht alle tanzen. Es gibt auch Leute, die den Tanz nur beobachten. Und man versucht den Kontakt immer mit dem Partner, mit der Partnerin, mit den Tänzern und mit dem ganzen Saal zu behalten."
Um die Wende zum 20. Jahrhundert kursierte die Schrift "Der Wohlanstand" von J. V Samsreither, der sich mit der korrekten Ausübung der Polonaise befasst:
"Die Polonaise besteht im Marschieren. Die Schritte sollen jedoch nicht militärisch stramm, sondern leicht, graziös, gravitätisch ausgeführt werden. Besonders ist darauf Acht zu geben, dass man die von dem Leiter gegebenen Anweisungen genau befolgt und nicht durch Unaufmerksamkeit die Ordnung störe, wodurch leicht Unordnung in die mit vielem Fleiß kombinierten Figuren gebracht wird. Man führe die Dame an der Hand und nicht am Arm, weil dadurch manche Figur unmöglich wird und die Polonaise ihren Charakter als graziösen Tanz verliert und mehr einem gemütlichen Spaziergange gleichkommt. Dem Verabschieden oder Wiederzusammentreffen zwischen Dame und Herr muss immer eine Verbeugung voraufgehen. Alle Figuren werden an derselben Stelle des Saales begonnen, vorzugsweise wählt man hierzu die Breitseite, und wenn sich an dieser Seite das Orchester befindet, beginnt man die Figuren vor demselben."
Die Entstehung der Polonaise
Die polnische Musikhistorikerin Danuta Gwizdalanka spricht über die Ursprünge der Polonaise: "Sie stammt wohl mindestens aus dem 16. Jahrhundert, denn damals wurden wahrscheinlich schon ähnliche Tänze auf dem Dorf getanzt. Die Polonaise, wie wir sie kennen, hat wahrscheinlich nur wenig mit dieser ländlichen Variante gemein. Die einzige Gemeinsamkeit war wohl nur ein choreografisches Element: eine Art Prozessionstanz"
Der Bauerntanz Chodzony - das Schreiten - stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein Zeitzeuge schildert die Balleröffnung 1574 im Krakauer Schloß, als der Franzose Heinrich von Valois zum ersten Wahlkönig Polens gekrönt wurde: "Eine lange Schlange begann sich vor dem König zu bewegen, wobei die Tänzer, die Tänzerinnen an den Händen führten, und jedes Paar, das vor dem Thron vorbeiging, verneigte sich tief vor der Majestät."
Die erste stilisierte Polonaise "Dans Le Goût Polonois" hat François Couperin der Tochter des polnischen Exilkönigs Stanisław Leszczyński gewidmet. Der "unbekannte Tanz" aus Krakau erhielt in Frankreich den Namen "Polonaise", also Polnischer Tanz. Er machte bald in ganz Europa Furore.
Der Siegeszug der Polonaise seit dem Barock
Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der sächsische Kurfürst August der Starke zum polnischen König gewählt. Der tanzte in Dresden und Warschau mit Vorliebe die Polonaise. Auch der Thomaskantor Johann Sebastian Bach war mit polnischen Tänzen vertraut. Bach schrieb seiner Frau Anna Magdalena mehrere Polonaisen in ihr Notenbuch. Auch seinen Sohn Carl Philipp Emanuel erfasste das Polonaisen-Fieber, wie später auch Vater und Sohn Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Carl Maria von Weber.
"Es lobt ein jeder das, was ihn kann erfreun.
Nun bringt ein Polnisch Lied die gantze Welt zum springen. So brauch ich keine Müh den Schluß heraus zu bringen: Die Polnische Music muss nicht vom Holtze seyn."
Die Polonaise in der russischen Musik
Im späten 18. Jahrhundert, als die benachbarten Großmächte Russland, Österreich und Preußen ihren polnischen Nachbarn von der Landkarte tilgten, überlebte die Polonaise und war bei russischen Herrschern besonders beliebt, wie die Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka berichtet:
"Zar Alexander der Erste war sehr angetan von der Polonaise. Denn eines ist wichtig: Zu Beginn einer Polonaise ist die Aufstellung der Paare an die soziale Hierarchie gebunden. Der Zar und seine Gattin, Zarin Elisabeth, führten die Tänzer an. Außerdem zog die Stadt St. Petersburg Musiker aus ganz Europa an, also auch viele polnische Komponisten. Die machten die Polonaise populär, und sie wurde zum Gestaltungselement in vielen russischen Opern."
So geriet Russland in einen regelrechten Polonaisenrausch. Wenige Jahre nach dem gescheiterten Aufstand Polens gegen die russische Fremdherrschaft begann Michael Glinka mit der Arbeit an seiner Oper Ein Leben für den Zaren und markierte damit den Beginn der russischen Operngeschichte: Am Anfang des 2. Akts feiern die polnischen Gegner auf einem Ball im Warschauer Schloss mit einer glanzvollen Polonaise ihren Sieg über Russland. Ein trügerischer Triumph! Denn wie man weiß, ging die Sache für Polen übel aus.
Der Russe Nikolaj Rimski-Korsakov läßt seine Oper Pan Wojewoda in Polen spielen und baut natürlich dort polnische Rhythmen ein: "Außerdem hat mich Fréderic Chopin inspiriert, bei der Bildung von Melodien und in der Harmonik. Das nationale polnische Element in der Chopinschen Musik, die ich über alles liebe, hat mich von jeher begeistert. Mit meiner "polnischen" Oper wollte ich nun dieser Begeisterung meinen Tribut zollen." Rimski-Korsakov hat die Oper Boris Godunow seines Zeitgenossen Modest Mussorgski neu orchestriert. In der Fassung von 1872 krönt den sogenannten Polenakt natürlich eine Polonaise. Mussorgski und Rimski-Korsakow gehörten zum sogenannten "Mächtigen Häuflein" Petersburger Komponisten, die sich gegen den geschliffenen, westlich inspirierten Stil etwa eines Peter Tschaikowski auflehnten. Dessen Polonaise aus der Oper Eugen Onegin wurde ein weltberühmter Hit.
Polnische Musiker im französischen Exil
"Im 19. Jahrhundert spülte eine Welle der Emigration die geistige Elite Polens vor allem nach Paris, darunter Aristokraten, Künstler, Intellektuelle. Quasi als Kompensation der verlorenen Wurzeln wuchs das Interesse an der Volkskunst. "Man begann die Vergangenheit zu verklären und alles Volkstümliche zu idealisieren. Und so glaubte man viele Generationen lang, daß zahlreiche Elemente unserer Kultur auf dem Lande erfunden, dann übernommen und kunstvoll weiterentwickelt wurden."
Die Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka zieht diese These in Zweifel.
Eine Sendung von Hildburg Heider.