Welt der Musik
Sonntag, 31. März 2024, 18:00 bis
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"... man muss von einer Art des ästhetischen oder artistischen Terrorismus befangen oder für Beethoven bis zur Verblendung gewonnen seyn …". Da schien ein Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung Leipzig wohl etwas ratlos gewesen zu sein, als er Beethovens Violinsonaten zum ersten Mal unter die Lupe nahm. Zu solchen drastischen Worten greifen Kritiker nicht alle Tage. Und Kritiker waren damals zur Beethoven-Zeit musikalisch ziemlich gebildete Leute. Spotify oder YouTube gab es natürlich noch nicht. Die nahmen sich die Noten zur Hand, setzten sich ans Klavier und spielten die neu veröffentlichten Stücke selber durch. Was Beethovens Violinsonaten anging, so müssen die so neu und ungewöhnlich für Kenner, Liebhaber und Kritiker gewesen sein, dass sie anscheinend ziemlich verwirrt, ja ratlos waren. "Es ist unleugbar, Herr van Beethoven geht einen eigenen Gang; aber was ist das für ein bizarrer mühseliger Gang! Gelehrt, gelehrt und immerfort gelehrt und keine Natur, kein Gesang!" Das war in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung Leipzig war im Juni 1799 zu lesen. Gerade hatte Beethoven seine ersten drei Violinsonaten Op. 12 veröffentlicht. "... ein Ekelthun gegen gewöhnliche Verbindung, ein Anhäufen von Schwierigkeit auf Schwierigkeit, dass man alle Geduld und Freude dabey verliert."
Dénes Várjon: "Seine Musik ist vom ersten Moment an so stark und markant."
Beethovens Sonaten für Klavier und Violine entstanden in weniger als 15 Jahren, die ersten neun Werke sogar in nur fünf/sechs Jahren, zwischen 1797 und 1803, die letzte Sonate stammt aus dem Jahr 1812. Mit ihnen begibt sich der Komponist auf eine Reise. Er knüpft an die Tradition an, löst sich aber auch von ihr und erfindet visionäre Klangwelten. "Das exemplarische Beispiel für die Reise, die Beethoven unternommen hat im Laufe seines Lebens, sind die Klaviersonaten. Die Geigen-Sonaten, klar, wir haben nicht die ganz frühen, nicht die ganz späten, aber trotzdem ist es doch signifikant für seine Entwicklung als Komponist." Die Geigerin Antje Weithaas, gebürtig aus Guben in Brandenburg, wollte schon lange alle zehn Violinsonaten von Beethoven aufnehmen. Sie ist eine international renommierte Solistin und Kammermusikerin sowie eine gefragte Violinpädagogin. Sie hat einer Professur an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Ihr Repertoire ist breit gefächert, vom Barock bis in unsere Zeit. Doch Beethovens Sonaten für Klavier und Violine haben einen besonderen Stellenwert. "Diese zutiefste Menschlichkeit, die aus dieser Musik spricht, und in jeder Sonate, in jedem Stück von Beethoven, das ich kenne, gibt es einen unglaublich berührenden Moment. Immer!"
Mit dem ungarischen Pianisten Dénes Várjon als Klavierpartner hat Antje Weithaas einen der vielseitigsten und sensibelsten Pianisten unserer Zeit gefunden. Er ist gleichermaßen als Solist in Konzerten und Kammermusik auf den Podien der Welt unterwegs, er unterrichtet. Dénes Várjon hat seine musikalischen Prägungen von so großen ungarischen Musikern erfahren wie dem Komponisten György Kurtág, dem Geiger und Dirigenten Sándor Vegh sowie den Pianisten Ferenc Rados und András Schiff. "Kein Komponist hat für mich so viele Facetten wie Beethoven", sagt Dénes Várjon. "Jedes seiner Werke hat ein sehr persönliches ‚Gesicht‘. Auch Werke aus derselben Schaffensperiode empfinde ich als sehr verschieden. So ist Beethoven für mich einer der aufregendsten Komponisten. Schauen Sie nur sein Op. 1/Nr.1 an, das Klaviertrio in Es-Dur, nur die ersten beiden Takte: Für mich beginnt hier wirklich eine neue Zeit. Das ist ein Statement: Beethoven sagt einfach: ‚Ich bin hier, hört zu!‘ Seine Musik ist vom ersten Moment an so stark und markant."
Von Tradition zu visionären Klangwelten
Genauso ist es mit den Violinsonaten. Seit 1797 arbeitete Beethoven etwa alle zwei bis drei Jahre arbeitete Beethoven an weiteren Violinsonaten: Um 1800 an den Sonaten Op. 23 und 24 F-Dur, dann 1802 an den drei Sonaten Op. 30 und auch bereits an der legendärsten und bekanntesten snam der "Kreutzer-Sonate" Op. 47, und schließlich der "Nachzügler" 1812, die zehnte und letzte Sonate Op. 96. Jedes Mal entwickelte er seinen Kompositionsstil weiter. Antje Weithaas: "Der größte Sprung ist natürlich von Op. 12 zu Op. 96. Diese letzte Sonate ist für mich wirklich ein Ausblick in die Zukunft der Musikgeschichte." Da traut man passagenweise seinen Ohren nicht, das klingt romantisch und sogar manchmal nach Impressionismus.
So radikal Beethoven war, an eine alte Tradition hat er sich bis zu seiner letzten Violinsonate gehalten. Wurden die Werke gedruckt, wurde immer zuerst das Klavier genannt: "Sonaten für Clavicembalo oder Forte-Piano mit einer Violine". Bei älteren Sonaten von Mozart zum Beispiel gab es tatsächlich Werke, wo das Klavier dominierte, wo man sogar zum Teil die Violine weglassen konnte. Bei Beethoven steht zwar "Klavier und Violine", aber die Violine weglassen, das ging gar nicht. Dialog und Austausch der beiden Instrumente seien bei ihm ein kompositorisches Prinzip, sagt der Pianist Dénes Várjon: "Es wäre in jeder Hinsicht lächerlich und falsch, etwa zu sagen, die Violinsonaten wären wie ein Klavierkonzert mit ein bisschen Violine. Oder, das Klavier würde "nur" begleiten. Das macht mich verrückt. Es ist wirklich komplett gleichberechtigt zwischen den Instrumenten, wir kommunizieren non stop. Das musikalische Material ist fantastisch kompakt, wir machen diese Reise immer zusammen. Da ist eine absolute Balance."
Beide Künstler, der Pianist Dénes Várjon und die Geigerin Antje Weithaas, sind bei Beethoven Violinsonaten immer wieder begeistert und erstaunt von den Kontrasten. Schon bei den ersten drei Sonaten Op. 12 ist jede unglaublich unterschiedlich, die erste und dritte dramatischer, die mittlere lyrisch. Ebenso die zwei Sonaten Op. 23 und 24, gleichzeitig entstanden. Die erste in a-Moll hochdramatisch, schon fast wie die "Kreutzer-Sonate", die zweite in F-Dur lyrisch. So geht es weiter in den drei Sonate Op. 30: Lyrik in der ersten Sonate, Dramatik in der zweiten, Humor in der dritten.
Äußeres Drama und innere Poesie
Der Höhepunkt von Beethoven Sonaten-Zyklus ist natürlich die berühmte "Kreutzer-Sonate" Op. 47, gewidmet dem französischen Geiger Rodolphe Kreutzer, der sie aber nie gespielt hat, er soll sie für "äußerst unverständlich" gehalten haben. Fast vierzig (!) Minuten dauert das Stück. Antje Weithaas: "Das hört man einen ununterbrochenen Kampf im ersten Satz, der auch nicht gelöst wird. Es gibt viele versöhnliche Momente, Versuche, es zu lösen, es wird aber nicht gelöst. Das ist ein Suchen, letztendlich ist die Urzelle des gesamten Stücks ist die kleine Sekunde, und daraus macht Beethoven so ein Werk." Dénes Várjon ist fasziniert von Beethovens Phantasie und Gestaltungskraft: "Die Reise, die Beethoven von den ersten Sonaten Op. 12 bis zur letzten Sonate Op. 96 unternimmt, ist riesig. Die erste Sonate kommt aus einem sehr gesunden Lebensgefühl voller Liebe. Die Sforzati etwa zeigen die Fülle der inneren Energie, das ist für mich eine sehr geerdete Musik." Auch in der letzten Sonate von 1812 hört Dénes Várjon eine Naturverbundenheit, doch ganz anderer Art: "Es ist viel subtiler. Das Thema am Anfang des Finales von Op. 96 könnte ein Kinderlied sein, es ist sehr schlicht, fast naiv. Aber was er damit macht, wie er damit arbeitet! Aus dem denkbar einfachsten Material entsteht ein sehr komplexes und auch sehr spirituelles Stück, die Transformation in eine ‚ars poetica', eine innere poetische Kunst."
Eine Sendung von Elisabeth Richter.