Im Würgegriff der Discokugel: Bilderbuch
"Machin", "Schick Schock", "Willkommen im Dschungel" - die Band Bilderbuch bringt lässigsten Wiener Schmäh in deutsche Radios und gilt deshalb als Retter des Austropop. Gerade spielen Bilderbuch die letzten Konzerte ihrer Magic Life Tour im Hamburger Docks.
Es ist noch nicht allzu lange her, da galt das E-Gitarrensolo im Pop als groteskes Unding aus der düsteren Vergangenheit der Rockmusik. Machistisches Zur-Schau-Gestelle der eigenen Virtuosität? Bloß nicht. Und dann? Betrat Michael Krammer von Bilderbuch im zerrissenen T-Shirt-Rest die Bühne, stellte sich ins grelle Gegenlicht und legte los. Wie am Montag wieder, beim vorletzten Deutschlandkonzert der österreichischen Band im Hamburger Club Docks auf der Reeperbahn. Da wird gegniedelt und gejault, gepost und verführt, als sei Eddie Van Halen gerade 20 geworden. Und das Publikum? Liegt zu Füßen.
Die Macht der Virtuosität
Nicht nur Krammers Gitarrenspiel - die ganze Inszenierung der aktuellen "Magic Life"-Tour lebt davon, dass sich vier hochbegabte Wiener in ihrer Überlegenheit feiern. Als bestens funktionierendes Ensemble, als Kaleidoskop unendlich vieler Musikversatzstücke aus den vergangenen Jahrzehnten Popmusik. Die Vier erfrischen Rockklischees mit Funkrhythmen, ergehen sich mit der nicht gerade zierlichen Backroundsängerin in Gospel-Jubel um dann wieder ätzende 80er-Synthesizersalven in den Raum zu schießen. Bilderbuch montieren derart viele Referenzen in ihren Arrangements, dass es einem in den Ohren saust. So nicken die bebrillten Mittvierziger-Musikafficianados hinten im Publikum genauso glücklich wie die Teenagermädchen ganz vorn am Wellenbrecher. Die sind vielleicht wirklich nur hinter Frontman Maurice Ernsts Hintern her? Gerade das ist das Schöne am virtuosen Referenzpop: Jeder entschlüsselt sich sein persönliches Bild aus den tausend Teilen.
Ironie auf Rezept
Wie fühlt man sich als Mitt- bis Endzwanziger nach vier Jahren im europäischen Pop-Olymp, nach unzähligen Festivalshows und ausverkauften Tourneen? Lauert da nicht die Überroutine? Ist Maurice Ernsts Präsenz nicht etwas weniger unmittelbar geworden in den Jahren? All das fragt man sich, um dann zu erleben, dass doch noch alle Dämme brechen. Wieder gelingt es Bilderbuch wie einem Hypnosemeister, sich die 1.500 Besucher im ausverkauften Docks gefügig zu machen. Ein Rezept dabei: das selbstironische Spiel mit dem eigenen Popstartum. Warum hängen da Hunderte weiße Sneakers von der Bühne? "Weil wir es uns leisten können!" "Sneakers4free!" heißt der Song vom aktuellen Album "Magic Live", in dem Bilderbuch ihr Leben als Rollenmodelle auf die Schippe nehmen. Trendsetter, denen die großen Modefirmen ihre Kollektionen hinterherwerfen. "Alles nur ein Spiel und wir machen hier die Regeln!" Bilderbuch wirken wie normale Typen, die einen Heidenspaß daran haben, mal auf Superstar zu machen. Gerade diese Brechung ist es, die den Sog erzeugt, der Bilderbuch unwiderstehlich macht. Nach zwei Stunden Poptheater unter Hochdruck, nach der puren Lust an Pomp und Quatsch und Glitzer aus der Discokugel weiß man, dass hier eine der besten Bands Europas gespielt hat.