Psychologin Anne Otto über die Beziehungen zu Eltern
Die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern nimmt im Leben verschiedene Phasen ein, mal ist die Bindung enger und mal nimmt der Kontakt ab - was dennoch bleibt, ist eine innerliche Verbundenheit, sagt Psychologin Anne Otto.
Anne Otto ist zertifizierte Psychodramatherapeutin und in Bonn geboren, heute lebt sie mit ihrer Familie in Hamburg. Sie schreibt Sachbücher und regelmäßig Artikel für Magazine wie 'Spiegel', 'Psychologie Heute', 'Brigitte' und 'Flow'. Sie entwickelt außerdem Online- und Video-Coachingformate und berät Klientinnen und Klienten in eigener Coaching-Praxis in Hamburg. Ein Thema, mit dem sie sich häufig beschäftigt, ist die Familie und die Beziehungen von Eltern und ihren Kindern, selbst wenn sie schon erwachsen sind.
Ich bin in den 70er Jahren geboren und ich dachte, dass man in diesem Lebensalter, indem wir jetzt sind, verstärkt mit älteren Eltern zu tun hat und die Beziehung auch noch mal neu definiert. Es ist ja eine Beziehung, aus der man nicht rauskommt, selbst wenn, wie Sie auch schreiben, manchmal ein harter Schnitt erfolgt, wenn Funkstille herrscht, wenn man sich in gewisser Weise auch lossagt von seinen Eltern. Diese Beziehung bleibt immer bestehen.
Anne Otto: Egal, was man tut, selbst wenn man den Kontakt bricht, es bleibt eine innerliche Verbundenheit. Ich glaube, das ist mal der Minimalkonsens zu sagen, mit diesen inneren Eltern sich auseinanderzusetzen oder zu denen eine Beziehung zu finden, das ist unheimlich wichtig.
Anne Otto, Sie sind Psychologin, Psychotherapeutin und Journalistin. Seit 2002 arbeiten Sie selbständig, unter anderem für den 'Spiegel' und 'Psychologie heute'. In Ihrem letzten Buch haben Sie sich mit den psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus nachgespürt. Im neuen Buch gehen Sie der Frage nach: Für immer Kind - wie man mit den eigenen alten Eltern eine erwachsene Beziehung entwickelt. Ich will ein kleines Stückchen aus dem Vorwort vorlesen, da beschreiben Sie eine Szene, bei der sofort klar wird, worum es hier eigentlich geht:
Neulich im Supermarkt in der Schlange an der Fleischtheke, steht eine Greisin mit Rollator, neben ihr zwei gestylte Endfünfziger. Während die alte Dame mit der Verkäuferin tratscht, weist sie mit großer Geste auf ihre Begleitung. "Kennen Sie eigentlich meine Kinder? Sie besuchen mich heute aus München." Ein verlegenes "Hallo" auf Seiten der Erwachsenen in Kostüm und Anzug. Beide schauen auf ihre Schuhspitzen. Doch die Verkäuferin strahlt: "Ja sowas, wie schön, wie reizend." Fehlt nur noch, dass sie den Kindern eine Scheibe Fleischwurst über die Theke reicht. Die Szene ist ebenso alltäglich wie seltsam.
Das ist in der Tat auch die Beziehung zu den Eltern - alltäglich und mitunter seltsam. Das kann man schon so sagen, oder?
Otto: Ja, auf jeden Fall. Es ist manchmal dieses Befremden, was einen als erwachsener Mensch manchmal packt, wenn man mal wieder seine Eltern besucht. Das geht ja im Prinzip schon los, wenn man aus dem Haus ist und 25 Jahre alt ist, oder studiert - es ist oft immer noch so, dass die Eltern einen auch mit bestimmten Sätzen kriegen können. Es gibt auch oft immer wieder die gleichen Konstellationen. Und man fühlt sich dort, obwohl man sich im Leben sonst ganz gut durchschlägt, vielleicht oft auch klein und hilflos. So geht es sehr vielen Leuten, mit denen ich spreche, auch Freunden.
Es ist auch faszinierend, wenn man das betrachtet, dass man im Alltag, im Job, in allen Lebensbereichen als erwachsen gilt, sich als erwachsen sieht und auch so handelt und Entscheidungen trifft. Bei den Eltern wird man dann aber wieder zum Kind. Wie man aus solchen Situationen, in kleinen Schritten, rausfinden kann, beschreiben Sie in Ihrem Buch an vielen Beispielen. Es ist ein Spiel aus Nähe und Distanz - also es ist ganz wichtig, sich ab einem gewissen Zeitpunkt auch mal aktiv zu distanzieren. Wie kann das denn gelingen, ohne große Konflikte heraufzubeschwören?
Otto: In der Entwicklungspsychologie hat man früher gedacht es gibt nur drei Lebensalter: Kindheit, Erwachsensein und Alter. In den letzten Jahrzehnten wurde das sehr differenziert, und es gibt im Prinzip für jede Phase des Lebens Entwicklungsaufgaben, die dann auch wieder damit zu tun haben, wie stimmig es ist, eine bestimmte Distanz zu den Eltern zu haben. Das wirkt immer so ein bisschen wie vorgezeichnete Schablonen, aber ich sehe das eher als einen psychologischen Weg, auf den man sich machen kann. Da ist es klar, dass man mit 20 Jahren ausziehen und weg möchte, möglichst auch weg von den Eltern. Therapeutinnen, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass es heute gar nicht mehr so üblich ist, ganz früh auszuziehen. Wichtig ist vor allem, mal eine Zeit gehabt zu haben, wo man im Ausland war oder in einer anderen Stadt gelebt hat. Das sollte dann schon diese nötige Distanz, dieses nötige erste Erwachsenwerden regeln, so dass das dann funktioniert. In späteren Phasen, ist es auch ganz typisch, dass es mal eine Weile gibt, wo Eltern und Kinder gar nicht so viel miteinander zu tun haben. Oft sind das diese mittleren Phasen - die Kinder sind in ihren Berufen und kommen an und erst wenn die wieder eigene Kinder kriegen, dann kommt wieder die erste Annäherung.
Das Gespräch führte Martina Kothe.