Nachgedacht: Jill Biden und die politische Symbolkraft des Weiß
Jill Biden erscheint auf dem Cover der aktuellen Ausgabe der amerikanischen "Vogue" im weißen Mantelkleid. Sie will Zuversicht vermitteln. Ob sie ihm und Amerika damit tatsächlich einen Gefallen tut, fragt sich Claudia Christophersen in ihrer Kolumne.
Weiß hat politische Signalwirkung. Wir erinnern uns: Kamala Harris trug Weiß bei einem ihrer ersten Auftritte als designierte Vizepräsidentin im November 2020: Weiße Bluse, weißer Hosenanzug. Harris strahlte Optimismus und Zuversicht aus, war die erste Frau in diesem hohen Amt, verkörperte damals Neuanfang, Umbruch, Wende.
Vier Jahre später, wenige Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen, ist es also die Gattin des Präsidenten, die mit weißem Outfit auf einem der weltweit auflagenstärksten Modemagazine etwas in Bewegung setzen möchte. Aufrecht, mit gerader Haltung steht sie, sinniert in die Ferne. Worüber sie nachdenkt, schreibt die Titelzeile: "Wir entscheiden unsere Zukunft".
Gerüchteküche auf Höchsttemperatur
Dass das Cover keine Modebotschaft für weiße Tuxedo-Kleider ist, dürfte klar sein, auch die First Lady ist mitten im Wahlkampf. Wer aber ist das "Wir"? Das hier über wessen Zukunft entscheiden soll? Eine Nation, die US-Amerikaner, die Leserinnen der Vogue oder das Paar: Jill und Joe Biden? Die Frau des Präsidenten, sie steht seit Jahrzehnten unverbrüchlich an der Seite ihres Mannes.
Gerade noch hat sie den Gatten nach dem missglückten TV-Desaster Ende Juni von der Bühne geführt und ihn wie die Lehrerin, die sie ja ist, dafür gelobt, dass er alle Fakten kannte. Sie setzt alles daran, sein politisches Überleben zu retten. Der ganzen Welt wurde an diesem 27. Juni vor Augen geführt: Hier läuft etwas in die verkehrte Richtung.
Ein Präsident an der Spitze der Supermacht, der kraftlos spricht, sich nicht auf das Ende seiner Sätze konzentrieren kann, der den Faden verliert. Allerallerspätestens seit diesem verpatzten Fernsehduell mit Herausforderer Donald Trump wird jeder Schritt Bidens genau beobachtet, gerade in diesen Tagen auf dem Nato-Gipfel in Washington: Macht er Fehler, packt der 81-jährige den Wahlkampf? Ist Biden noch auf der Höhe seiner kognitiven Gesundheit? Die Gerüchteküche brodelt auf Höchsttemperatur.
Alte weiße Männer, die an der Macht kleben
Was für ein irritierendes, verstörendes Bild gibt das einstige Land der unbegrenzten Möglichkeiten in diesem Wahljahr 2024 ab? Alte weiße Männer, auch Trump ist mit seinen 78 kein Jungspund mehr, die an der Macht kleben, die Welt regieren wollen und zugleich der ewigen Jugend hinterherfiebern? Den Traum vom "Jungbrunnen", von "Verjüngung" haben schon die alten Griechen geträumt. Heute steht die sogenannte Langlebigkeitsforschung in den Startlöchern, bastelt daran, Organe zu verjüngen, Alterungsprozesse nicht nur aufzuhalten, sondern rückgängig zu machen. Bei Labormäusen klappt das alles schon ganz gut. Das Thema ist also keine Utopie mehr, die in weiter ferner Zukunft liegt.
In Würde altern
"Wir werden jung sein" heißt der jüngste Roman von Maxim Leo. Ein für die Menschheit verlockender Gedanke, der in seiner praktischen Umsetzung, das dekliniert Leo an seinen Protagonisten durch, beklemmend ist: Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich verjüngt, die nicht stirbt? Die Bevölkerung würde explodieren, Arbeitsmärkte und Rentensysteme kollabieren. Leben würde gelebt in einer endlosen Wiederholungsschleife?
Vielleicht dann doch lieber alt werden, wissen, dass das Leben endlich ist, die Zeit sinnvoll genutzt werden muss? Wie das gehen kann, welche Einstellung wir zum Alter mit Schwung und Verve haben könnten, das erzählt Elke Heidenreich in ihrem Bestseller-Essay über das "Altern". Vielleicht eine empfehlenswerte Lektüre auch für die beiden Herren jenseits des Atlantiks?
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