Lena Bodewein © Lena Bodewein

NachGedacht: Von gallischen Dörfern in Indonesien

Stand: 27.10.2023 15:48 Uhr

Die Welt steht zurzeit noch mehr auf dem Kopf als sonst. Und weil das auch manchmal ganz schön schmerzt, auch in der Seele, versucht Lena Bodewein, Tröstliches von der anderen Seite der Welt zu erzählen.

von Lena Bodewein

Kurz vorm Äquator, zehneinhalbtausend Kilometer weit weg: In Singapur vertrete ich gerade die Hörfunkkorrespondentin. Finde ich auch deshalb gut, da ich immer das Loblied des Perspektivwechsels singe. Das kann aber manchmal auch unangenehm sein. Beispielsweise: Während andere Länder ikonische Gebäude in israelischem Blau-weiß anstrahlen, berichte ich von muslimischen Ländern wie Indonesien und Malaysia, wo Israel-Flaggen verbrannt werden.

Rugby: brutal aber fair

Doch es gibt auch gute Dinge zu berichten, unerwartet, aber gut: zum Beispiel von Rugby, einem Sport, der so brutal scheint, aber so fair ist. Männer mit Statur von Kleiderschränken legen eine atemberaubende Schnelligkeit und vor allem Koordination an den Tag, der Schauspieler Richard Burton nannte es eine Kombination aus Ballett, Oper und grausamem Selbstmord. Schiedsrichter werden mit Respekt behandelt – es dürfen sowieso nur die Mannschaftskapitäne mit ihnen reden; gelungene Aktionen des Gegners werden auch beklatscht, denn ein toller Spielzug bleibt ein toller Spielzug, den man gerne sieht. Und besonders gerne morgen, denn dann ist Finale der Rugby WM.

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Ein israelischer Soldat zeigt das Victory-Zeichen von einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen aus, der sich im Süden Israels auf die Grenze zum Gazastreifen zubewegt © Ohad Zwigenberg/AP/dpa

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Indonesien: "ein bisschen wie bei Asterix"

Und ähnlich unerwartet zeigen sich die Hausfrauen auf der Insel Rempang. Man fühlt sich ein bisschen wie bei Asterix: Ganz Indonesien wird von chinesischen Investoren besetzt. Ganz Indonesien? Nein, ein kleines Dorf leistet dem großen Geld Widerstand … Es ist nämlich tatsächlich so, dass China für seine so genannte neue Seidenstraße, die Belt and Road Initiative, sehr viel Geld in sehr vielen Ländern auf fast allen Kontinenten investiert. Häfen baut, Eisenbahnen, Fabriken, Staudämme, neue Dörfer für alle alten, die diesen ganzen Bauten weichen müssen. Nun gab es im Juli einen neuen Beschluss zwischen China und Indonesien über eine große Investition, riesige Glasfabrik, Industriepark, alles soll auf der Insel Rempang entstehen.

Großmütter blockieren Straßen auf Rempang

Dorfbewohner, die seit Generationen dort zum Beispiel als Fischer ihren Lebensunterhalt aus dem Meer holen, sollen umgesiedelt werden, ins Landesinnere. Doch da sitzen Fischer ja eher auf dem Trockenen. Auch deshalb begehrt dieses Dorf auf. Anstatt umgesiedelt und ausgebootet zu werden, sind vor allem die Hausfrauen auf die Straße gegangen, Kaffeeverkäuferinnen, Großmütter, eine 105-Jährige sogar. Wortwörtlich auf die Straße: Sie blockieren den Verkehr, stellen sich vor die Autos, lassen keinen durch. Sie legen sich an mit den Römern, pardon, den Chinesen bzw. denen, die sie für die chinesische Investition umsiedeln wollen. Und sie zeigen Stärke, auch ohne Zaubertrank. Plötzlich hat das kleine Dorf große Aufmerksamkeit. Der Präsident hat die Umsiedlungsfrist erst einmal verschoben, die Medien berichten. Und vielleicht muss die 105-Jährige nicht mehr umziehen, sondern kann ihr Lebensende in dem kleinen Dorf fristen, bis sie auf dem Friedhof begraben wird, auf dem schon ihre Ahnen liegen.

"Öfter mal ein gallisches Dorf sein"

Gallische Dörfer können sich häufiger finden, als man denkt. Ich fand vorgestern einen hinduistischen Tempel. Dort wurde mit einer lauten, bunten Zeremonie, mit Blumen und Statuen der siegreiche zehnte Tag begangen, es wird gefeiert, dass Gott Rama den Dämonenkönig Ravana besiegt hat. Es gilt als guter Tag, um etwas Neues zu beginnen, zu lernen, auszuprobieren. Könnten wir ja auch machen. Zum Beispiel probieren, öfter mal ein gallisches Dorf zu sein.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 27.10.2023 | 10:20 Uhr

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