NachGedacht: In der Ukraine tobt nicht der einzige Krieg
Am 24. Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Schrecklich genug - doch das ist nicht alles. Wir leben in Zeiten des Krieges. Nicht erst seit einem Jahr. Und nicht nur in Europa.
Während wir auf den 24. Februar vorausschauen, Filme, Bücher, zahllose Veröffentlichungen den Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine referieren und analysieren, hat Myanmar gerade den zweiten Jahrestag des Militärputsches erlebt. Am 1. Februar 2021 hatte in dem südostasiatischen Land die Armee unter General Min Aung Hlaing die rechtmäßige Regierung unter Aung San Suu Kyi abgesetzt, die Friedensnobelpreisträgerin und andere Politiker ins Gefängnis gesperrt, Demonstrationen gegen den Putsch niedergeknüppelt und niedergeschossen, Kinder ermordet, Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, das Land ins Chaos gestürzt. Wer nicht fliehen kann, muss Gewalt, Mangel, Hunger aushalten - die Wirtschaft ist am Boden, die medizinische Versorgung nicht vorhanden oder nur für Anhänger der Militärjunta zu haben.
Doch das sind nicht viele: Das Land steht gemeinsam gegen das Militär auf.Hier leben 135 ethnische Gruppierungen, die noch nie eins waren, doch der Widerstand eint sie, sie kämpfen im Dschungel und in den Städten, sie greifen zu Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg, bauen selbst Bomben und Fronten, denn Hilfe von außen kommt nicht. Ihren Kampf für Demokratie führen die Menschen in Myanmar allein. Und mit allem, was sie haben. Zum Jahrestag des Putsches war das - Schweigen. Millionenfach. Das ganze Land in einem Streik der Stille, mit menschenleeren Straßen und geschlossenen Geschäften. In Myanmar ist Schweigen eine Waffe, doch von unserer Seite wird viel zu viel geschwiegen.
Zwei Jahre Bürgerkrieg in Myanmar: Thoughts and prayers, vielen Dank
Seit zehn Jahren machte das südostasiatische Land seine ersten Schritte in eine noch junge Demokratie, dann riss ein größenwahnsinniger General die Macht in dem 50-Millionen-Einwohner-Staat an sich, löste einen blutigen Bürgerkrieg aus; und was tat der Rest der Welt? Reagierte empört und entsetzt, aber das war's. Ähnlich zahnlos wie die hohlen Worte von US-Politikern, wenn bei einem weiteren Amoklauf Dutzende Menschen gestorben sind - "unsere Gedanken und Gebete sind bei den Angehörigen". Thoughts and prayers, vielen Dank.
Zum Jahrestag schauen wir vielleicht noch einmal betroffen hin. Aber mehr nicht. Das ist die Gefahr von Jahrestagen, sie werden mehr - und nichts ändert sich. Zwei Jahre Myanmar, acht Jahre Jemen, zwölf Jahre Syrien... wir dürfen uns nicht dran gewöhnen.
Kämpfen durch Schweigen
Wir müssen immer hinschauen - egal, wie weit weg die Konflikte scheinen, "irgendwo hinten unten auf dem Globus". Nein, sie haben immer mit uns zu tun, in unserer verwobenen Welt voller Allianzen, voller politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Wirtschaftliche Abhängigkeiten, die uns manchmal lieber wegschauen lassen. Nach der Annexion der Krim und dem Beginn der Kampfhandlungen im Donbass zum Beispiel. Jahrelang hatten Beobachterinnen und Beobachter schon gesagt: Hier ist Krieg, und er kann größer werden. Aber das war in unserer Wahrnehmung noch unter ferner liefen, wie Dauerkonflikte in Syrien, Äthiopien, Kongo, Myanmar... Hier wie dort müssen wir hinschauen, um nicht hinterher sagen zu müssen: Oh, damit hatten wir gar nicht gerechnet. Denn spätestens die Konsequenzen gehen uns an: Wir spüren die Energiekrise, wir nehmen flüchtende Menschen auf, wir fordern Panzerlieferungen, damit die Ukraine die Demokratie verteidigen kann.
Auch die Menschen in Myanmar kämpfen gemeinsam gegen eine grausame Junta für die Demokratie - seit zwei Jahren. Sie kämpfen auch durch Schweigen. Und wenn ein ganzes Land schweigt, schweigen muss, dann dürfen wir, die wir unsere Stimme erheben können, das nicht tun. Wir dürfen nicht schweigen.