NachGedacht: Chinesische Ballonfahrt - Das Netz der Spionage
Es hätte so schön sein können: Eine Ballonfahrt als eine harmlose Unternehmung, ein Forschungsprojekt. Doch dann überschreitet der Ballon eine Staatsgrenze …
Wie weit gehen Irrungen und Wirrungen? Jetzt mal nicht im amourösen Zwischenmenschlichen wie bei Theodor Fontane. Nein, wie weit können Wirrungen oder Verirrungen im ganz normalen, vor allem politischen Alltäglichen gehen? Wie folgenreich sind sie, wenn es - wie jüngst - um schwebende, grenzüberschreitende Ballonfahrten geht?
Man muss sich das vorstellen: Da schaut man zum Himmel und sieht etwas undefinierbar Großes, ein rundes weißes Gebilde, erkennbar am Horizont. Was ist das, werden Menschen sich gefragt haben im US-Bundesstaat Montana. Kein einfacher Luftballon, kein Ballon, der zum Himmel hochfahren kann, kein Luftschiff mit dickem Werbebanner. Das Ding da oben in der Luft schien merkwürdig riesig, über 60 Meter hoch. Ein solches Riesen-Etwas wurde zunächst gesichtet, es wurde überlegt, die bewährte Arbeitsgruppe, der Krisenstab einberufen.
Riesendrama um einen Riesenballon: Wie alles kam
Aber der Reihe nach: Der Ballon flog sanft und leise über die Meere, vorbei an Alaska, über Kanada und erreichte US-amerikanischen Luftraum. Ab jetzt wurde die Luftfahrt amtlich, die Presse berichtete. Inzwischen verdichteten sich Informationen und Spekulationen: China hatte den Ballon auf die Reise geschickt, er habe sich verflogen, verirrt. China beeilte sich zu erklären, dass der Ballon abgeflogen sei, um wissenschaftliche Daten zur Wetterbeobachtung zu sammeln. Alles andere, etwa Spionagevermutungen, sei hitzige Stimmungsmache, so die chinesische Seite. In den USA fragt man sich weiter: Warum flog der Ballon unangemeldet? Warum nicht vorher ein Signal: "Hallo USA! Wir fliegen mit einem Riesenballon und sammeln harmlose Infos für meteorologische Zwecke." Man hätte sich vielleicht gewundert ob der Größe, man wäre aber vorgewarnt gewesen und hätte womöglich kein größeres Tamtam gemacht. Stattdessen: Unvorbereitete Grenzüberschreitung, mitten im globalen Krisenklima, zumal das Verhältnis zwischen Washington und Peking ohnehin nicht spannungsfrei ist. Wirtschaftliche Konkurrenz, der Streit um Taiwan und so weiter, und so weiter.
Ausgerechnet jetzt: Die Welt in Alarm
Joe Biden schritt als Oberbefehlshaber zur Tat: Der Ballon wurde, als er das Festland verlassen hatte, über dem Ozean erst von Kampfflugzeugen umzingelt, dann abgeschossen. Sieglos fiel das Riesending in sich zusammen. Knall, aus, Ballon kaputt, Operation beendet? Von wegen. Gerade in politischen Befindlichkeiten ist das Nervenkostüm dünnhäutig. China ist sauer und beleidigt. Die USA fühlen sich düpiert, weil ungefragt Grenzen überschritten wurden. Die Welt in Alarm, auch die Nato will ein Muster erkennen: China späht aus, nicht nur die USA, längst auch Europa. Das Überwachungsnetz ist groß und weltweit gespannt. Was den jüngsten Vorfall in den USA betrifft, wird der Sache gerade buchstäblich auf den Grund gegangen. Auf dem Boden des Atlantischen Ozeans wird nach Fundstücken getaucht. Sie werden darüber entscheiden, ob Joe Biden sich mit der Aktion vor den Chinesen blamiert hat oder ob sich sein Befehl mit konfliktintensivem Spähwerkzeug begründen lässt.
Weitreichende Folgen für Präsident Biden
Biden braucht Punkte und Pokale: Wird er eine weitere Präsidentschaft wagen? Diese Frage schwebt über ganz Amerika. Kein Wort darüber in seiner Rede zur Lage der Nation dieser Woche. Dafür aber das klare Statement: "Made in America". Eine Rhetorik, die an seinen überhitzten republikanischen Vorgänger erinnert. Auch gut vorstellbar als Schriftzug für Ballonfahrten jeder Art am amerikanischen Himmel.