NachGedacht: Gut, dass es alte Männer gibt
Über alte weiße Männer zu sprechen ist langweilig. Der ewig gleiche Streit ist vorprogrammiert. Also sprechen wir einfach mal nur - über alte Männer.
Ja doch, wir müssen über alte Männer sprechen. Nicht über ihr Fehlverhalten. Nicht über ihr Verhältnis zu Frauen. Nicht über das Schreckensthema "alte weiße Männer", das so herrlich fetzt, weil es die Welt so wundersam schlicht in gut und doof zu sortieren hilft.
Nein, es geht um alte Menschen, die zufällig Männer sind. Und ich sag's lieber gleich: Sie kommen ziemlich gut weg. Ich finde das Alten-Bashing unklug. So unklug wie Jugend-Bashing. Ich habe das schon so gesehen, ganz ehrlich, als ich noch jung und knackig war: Verjüngung ist kein Wert an sich. So wenig wie Altwerden und Erfahrung. Es kommt auf den Einzelfall an.
Der alte Biden und der Uralt-Jüngling Trump
Zum Beispiel Joe Biden, 80. Klar, mit dem Sprint ins Rampenlicht ist es schwierig geworden, die Reden lodern nicht mehr rebellisch und die komische Sonnenbrille macht auch keinen Jungspund mehr aus ihm. Aber er hat den Job bisher gar nicht so schlecht gemacht. Und wer hätte bessere Chancen als er, den Uralt-Jüngling Trump erneut von der Macht fernzuhalten? Natürlich wäre es besser, die Demokraten hätten eine Person aufgebaut, die ihre Zukunft noch vor sich hat. Sie haben es aber versäumt. Also doch wieder der Alte. In diesem Fall - weil er muss.
Harry Belafonte: Entertainer und Bürgerrechtler
Anders Harry Belafonte. Nichts an dem, was er war, wurde er, weil er musste. Seine Zeit war eine, in der sich ein Junge aus dem afroamerikanischen Ghetto schwer genug damit tat, ein großer Entertainer zu werden. Dass er sogar Bürgerrechtler wurde und sich jahrzehntelang engagierte, mit allem, was er geworden war und an Ruhm in die Waagschale werfen konnte: Er hätte das nicht gemusst. 36 Jahre lang Botschafter des Kinderhilfswerks UNICEF! Er erreichte die Jungen mit neuer Kraft, als er schon sehr alt war. Weil er sich für sie interessierte und sie ihn glaubwürdig fanden. Biblische 96 war er, als er am Dienstag starb.
Den letzten und stärksten Impuls, über alte Männer zu sprechen, habe ich aber in Leipzig bekommen. Dort wurde am Mittwoch die Buchmesse eröffnet. Im fünften Grußwort kam Charme ins Spiel, Hintersinn und Witz. Das war, als Alexander Van der Bellen, 79 Jahre alt und Österreichs Bundespräsident, sich einfach mal herausnahm, öffentlich nachzudenken über Literatur und Sprache. Das Denken geriet ihm zu lang und hob sich doch angenehm ab von all der Endlich-wieder-Buchmesse-Fröhlichkeit, die sich seltsam mischte mit rhetorisch ausgeleierten Appellen gegen Putins Krieg.
Herbert Blomstedt: Ein schwebender Göttervogel
Und dann! Der Auftritt von Herbert Blomstedt. Nach seinem Sturz im letzten Jahr wurde er von einer Geigerin behutsam zum Dirigentenpult geführt. 95 Jahre Zerbrechlichkeit in diesem zart gewordenen Körper, den man bei angehaltenem Atem auf seinem Weg begleitete. Niemand, der nicht Respekt empfunden hätte für die Eleganz einer Alterswürde, die nichts vorgibt, was nicht ist. Und wie er dann dirigierend auf dem Stuhl saß, wie er flog mit der Musik, ein schwebender Göttervogel am strahlenden Himmel der Nacht! Wie filigran, fein und transparent, hervorgebracht mit nichts als den Fingern und diesem hellwachen Geist und bezwingender Menschenfreundlichkeit so jugendfrisch wie am ersten Tag sein Schubert zum Leuchten kam! Schubert, der so unvollendet-vollendet mit 31 Jahren starb.
Es wurde einem ganz pathetisch zumute, denn alt und jung wurden eins und wurden reine Menschlichkeit in einer Musik über allen Worten. Es war zum Niederknien. So sehr, dass am Ende im Saal alle standen. Für Schubert, gestorben mit 31. Für Herbert Blomstedt, bald 96. Für eine Utopie, die plötzlich fast erreichbar wirkte: Eine Welt ohne Gegensätze, versöhnt in der Schönheit der Menschlichkeit.