NachGedacht: Beethoven und die Wulff-Wulff-Wulffs
Neben all den vielen entsetzlichen Nachrichten fallen zwei Meldungen besonders positiv auf. Die eine handelt von Locken. Die andere von einer Serien-Ehe. Ulrich Kühn denkt nach.
Als es losging mit dieser Kolumne, hatte ich eine Arbeitshypothese. Sie war knackig-kurz und passte in einen Vier-Wort-Satz: Diese Welt ist verrückt.
Jahre sind vergangen. Ich habe mich mit aller Kraft bemüht, die Hypothese zu falsifizieren. Das gehört sich so, auch wenn sich weltweit kein Kolumnist darum schert: Eigene Vorurteile müssen widerlegt werden. Ich wollte mir kein Anzeichen dafür entgehen lassen, dass die Welt doch nicht verrückt ist - und scheiterte jahrelang. Heute endlich darf ich sagen: Die Welt ist wohl doch normal. Quod erat demonstrandum.
Der Beweis ist leicht. Wir brauchen nur eine Locke und das heilige Institut der Ehe. Die Locke entnehmen wir dem Haupt eines Komponisten-Giganten. Ludwig van Beethoven war am Ende nicht nur taub, er blieb auch bis zuletzt leidenschaftlicher Lockenträger. So entstand nach seinem Tod ein Hype um seine Strähnen, den die Wissenschaft nun genutzt hat.
Aufregung um Beethovens Genom
Sie haben es mitbekommen: Ludwigs haarige Hinterlassenschaft hat einem forschenden Team dazu gedient, sein Genom zu entschlüsseln. So wissen wir jetzt nicht nur, dass Beethoven, der gerne Wein trank, an einer Lebersache gestorben sein soll und überhaupt eine traurige Krankheitsgeschichte durchs Leben trug. Wir müssen uns auch fragen, ob seine Herkunft eine andere war, als die Biografen glaubten. "Brisante Genanalyse", raunte die "FAZ", die sogar die Titelseite für Ludwigs Löckchen freimachte. "Beethoven war gar kein Beethoven", so die verkürzte Erkenntnis nach Betrachtung des Y-Chromosoms: Ein Ludwig-Ahn väterlicherseits hatte demnach ein außereheliches Verhältnis. Ei, ei, ei, man stelle sich vor! ""Die Zeit"" kleidete ihr bürgerliches Entsetzen in die Horrorfrage: "Ludwig van Müller?"
Man könnte sich nun seinerseits fragen: Ist Beethovens Werk nicht Beethovens Werk, auch wenn seinem sogenannten Stammbaum irgendwann ein Müller-Ast aufgepfropft wurde? Ich würde sagen: Klar. Doch darüber lässt sich streiten. Eines steht aber fest: Die bereits verrückte Welt ist mit diesem Einblick in Beethovens Identität derart gründlich zurückgerückt worden, dass alles am rechten Platz ist. Folge: Welt tendiert zu normal. Teil eins der Beweisführung.
Die Ehe der Wulffs, Teil drei
Teil zwei hängt damit eng zusammen. Es geht, wie erwähnt, um das heilige Institut der Ehe. Ob Bettina Wulff, als sie einst ihr Buch über ihre Zeit als First Lady schrieb und darin erzählte, mit der Zeitschrift "Cicero" gesagt, "wie patschig der spätere Bundespräsident sie anbaggerte" - ob sie ahnte, dass sie diesen Patschigen sogar dreimal heiraten würde? Und doch geschehen Dinge im Leben… Wer bin ich, mag sie sich gefragt haben und zur Antwort gelangt sein: Ehefrau, Ex-Frau, zwei Wörter, ein Klang. Ähnlich vielleicht Christian Wulffs Gedanke, Ehemann, Ex-Mann, das fließt ineinander, und wenn es schon zweimal ging, warum dann kein drittes Mal?
In einer nur verrückten Welt gäbe es etwas so Rührendes nicht. Dreimal denselben Menschen zu heiraten: Das zeugt von Liebes-Beständigkeit höherer Ordnung, das bekräftigt mit höchstem Nachdruck die Norm, als die eine Ehe früher galt: Ja, wir tun’s wieder und wieder, wir sind die Wulff-Wulff-Wulffs! Das ist nicht Verrücktheit, das ist Entrückung, ist eherne Norm in Potenz.
Tja. Gäbe es in der Welt nur entschlüsselte Locken und entzückende Tripel-Ehen, es wäre auch wieder nicht normal. Dass aber neben all dem Verrückten Platz bleibt fürs Auslesen alter Haare und für rührende Heirats-Scheidungsketten: Das verrückt das Verrückte zur Normalität. Und diese Erkenntnis stimmt irgendwie fröhlich inmitten all des brüllenden Wahnsinns.