Sendedatum: 07.03.2014 15:20 Uhr

Eine Frage von Leben und Tod

von Stefanie Groth

Algeriens Frauen leben unter dem Druck einer patriarchalen Gesellschaft. Das Familiengesetz hat sie jahrzehntelang benachteiligt. War das auch der Grund, warum Sie vor 14 Jahren nach Paris ins Exil flohen?

Straßenkämpfe in Algerien. © dpa - Picture Alliance
1992 wurde das neue Staatsoberhaupt Algeriens, Mohamed Boudiaf, ermordet. Daraufhin entbrannte ein brutaler Bürgerkrieg.

Rayhana: Als ich im Jahr 2000 ging, hatte sich die Lage zugespitzt. Das waren terroristische Zustände. Die Zeit wird nicht umsonst das "schwarze Jahrzehnt" genannt. Ich arbeitete bereits als Schauspielerin und Autorin, war relativ bekannt. Mein Leben war in großer Gefahr. Ich wusste, ich muss fliehen, als der Regisseur, mit dem ich am Theater zusammengearbeitet hatte, einfach ermordet wurde. Für mich war das eine Frage von Leben oder Tod.

Haben Sie in Frankreich die Freiheit gefunden, die Sie suchten?

Rayhana: Für mich ist es eine Freiheit, zu schreiben ohne mich selbst zensieren zu müssen. In Algerien habe ich mich selbst zensiert. Ich wollte etwas schreiben, aber wusste, das kannst du so nicht sagen. Das ist das, was mir in Frankreich gefällt. Ich kann schreiben, was und mich ausdrücken, wie ich will. Schreiben ist für mich nicht nur Freiheit, es hat auch etwas Militantes, Kämpferisches. Natürlich auch etwas Künstlerisches. Aber für mich ist Schreiben meine Art und Weise, für die Dinge zu kämpfen, an die ich glaube.

Doch für diesen Kampf hätten Sie ausgerechnet in Paris fast mit Ihrem Leben bezahlt. 2010 wurde Ihr Stück "In meinem Alter rauch ich immer noch heimlich" unter Ihrer Mitwirkung uraufgeführt. Sie waren gerade auf dem Weg zum Theater, als zwei Männer Sie mitten auf der Straße anhielten, beschimpften, dann mit Benzin überschütteten und anzünden wollten. Sie konnten fliehen. Als ich das gelesen habe, war ich sprachlos. Ich konnte es kaum glauben.

Die Sendung zum Nachhören
Mikrofon im NDR Kultur Sendestudio © NDR Online Foto: Mathias Heller
4 Min

"Schreiben ist mehr als nur Freiheit"

Rayhana ist eine algerische Autorin, die vor islamistischer Gewalt nach Frankreich floh. Bekannt wurde sie durch einen Benzinanschlag, den Fundamentalisten in Paris auf sie verübten. 4 Min

Rayhana: Ich versichere Ihnen, ich auch nicht. Ich verstehe das einfach nicht. Jedes Mal, wenn ich daran denke - Ich hatte Algerien verlassen, ich hatte es verlassen, ich war in Paris. Für mich war das, ja, das war Freiheit. Ich hätte dieses Stück ja niemals in Algerien auf die Bühne bringen können, das hätte niemand akzeptiert. Aber, was soll ich sagen? Ich verstehe es selbst nicht, was mir da passiert ist, ganz ehrlich. Das übersteigt mein Vorstellungsvermögen.

Sie haben sich trotzdem nie einschüchtern lassen, nie aufgehört, sich durch Ihre Arbeit als Autorin und Schauspielerin zu Wort zu melden und den vielen Frauen, die benachteiligt oder unterdrückt werden, in Ihren Stücken eine Stimme zu geben. Was treibt Sie an?

Rayhana: Ich glaube an die Liebe. Und ich bin der festen Überzeugung, wirkliche Liebe zwischen Mann und Frau kann nur existieren, wenn beide gleichgestellt sind, gesellschaftlich und rechtlich.

Mittlerweile wurde in Algerien eine gesetzliche Frauenquote erkämpft. Hat sich die Gesellschaft zugunsten der Frauen gewandelt seit Ihrer Flucht?

Rayhana: Ja, ein bisschen besser ist es, sicherlich. Aber es geht mir in meiner Arbeit ja nicht nur um Algerien. Auch in Frankreich ist häusliche Gewalt an Frauen ein Problem, durch alle sozialen Schichten, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Häusliche Gewalt, religiöse Gewalt, Macho-Gehabe gegenüber Frauen ist überall zu finden, auch in Deutschland, da bin ich mir sicher. Und in Algerien gibt es zwar Frauen, die sich widersetzen, aber noch nicht genug. Wir sind noch nicht da angekommen wo wir hin müssen. Die Frau ist noch immer das "schwächste Glied der Gesellschaft".

Ihr Stück "In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich" wird jetzt erstmals als Radio-Hörspiel auf Deutsch produziert. Wie finden Sie das?

Hörspiel-Produktion "In meinen Alter rauche ich immer noch heimlich" mit Alice Dwyer, Marion Breckwoldt, Marlen Diekhoff, Maria Magdalena Wardzinska, Julia Jäger, Nina Petri, Fjodor Olev, Angelika Bender.  Foto: Diane Hoffmann
Das Team der Hörspielproduktion von NDR Kultur: Alice Dwyer, Marion Breckwoldt, Marlen Diekhoff, Maria Magdalena Wardzinska, Julia Jäger, Nina Petri, Fjodor Olev, Angelika Bender (v.l.n.r.).

Rayhana: Das ist wunderbar, ich bin sehr glücklich darüber, dass die Stimmen dieser Frauen jetzt auch auf Deutsch gehört werden können. Vor allem, weil ich das Stück nicht nur für algerische, arabische oder muslimische Frauen geschrieben habe. Ich spreche vielmehr universelle Probleme an, die nicht nur Frauen in muslimischen Kulturkreisen betreffen, sondern Frauen weltweit.

Das Interview führte Stefanie Groth, NDR Kultur.

Übersicht
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 07.03.2014 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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