Ein älterer Mann liegt in einem Bett © picture-alliance / Christian Ender Foto: Christian Ender
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AUDIO: Sterbehilfe: Ein Tabu für Muslime? (5 Min)

Sterbehilfe: Ein Tabu für Muslime?

Stand: 07.07.2023 12:16 Uhr

Nachdem am Donnerstag zwei Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag erhalten haben, geht die Debatte um eine gesetzliche Regelung des assistierten Suizids weiter. Was sagt die islamische Lehre zur Selbsttötung, wie steht muslimische Community dazu und welche Meinungen gibt es zur Sterbehilfe?

von Brigitte Lehnhoff

Sich selbst zu töten, gilt im Islam als Sünde. Gott schenkt das Leben, der Mensch darf es daher nicht beenden. So ist die verbreitete Auffassung. Tatsächlich aber lasse sich aus dem Koran kein eindeutiges Suizidverbot ableiten, sagt Hadil Lababidi. Die Wissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg arbeitet zu medizinethischen Fragen im Islam: "In Sure vier, Vers 29 heißt es nämlich übersetzt entweder: 'Tötet euch nicht selbst', oder wenn man es auch anders übersetzen würde: 'Tötet euch nicht gegenseitig'. Man kann es also als Suizidverbot verstehen, aber auch als Verbot, andere Menschen zu töten. Es ist also kein eindeutiges Suizidverbot."

Hadil Lababidi © Georg Pöhlein Foto: Georg Pöhlein
Die Wissenschaftlerin Hadil Lababidi beschäftigt sich mit medizinethischen Fragen im Islam.

Auch aus anderen maßgeblichen Quellen lasse sich solch ein Verbot nicht ableiten. Die meisten muslimischen Gelehrten akzeptierten trotzdem keinerlei Rechtfertigungsgründe für Selbsttötung, auch nicht eine schwere Krankheit: "Dann könnten auch Gründe wie beispielsweise Perspektivlosigkeit aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit als Grund vorgeschoben werden. Sie möchten mit diesem kategorischen Suizidverbot verhindern, dass Menschen ohne jeden Grund sich das Leben nehmen."

Suizide in islamisch geprägten Gesellschaften nehmen zu

Dennoch gibt es Muslime, die anders denken und handeln. Nicht nur in den westeuropäischen säkularisierten Staaten. Auch in islamisch geprägten Gesellschaften wie etwa der ägyptischen. Berichten zufolge nehmen sich dort immer mehr Menschen das Leben, aus Hilflosigkeit und Frustration.

Hülya Häseler © NDR
Seit ihr Neffe im Wachkoma liegt, hat sich Hülya Häselers Meinung zum Thema Sterbehilfe geändert.

"Ich glaube, da muss man erstmal in die Situation kommen, um das für sich entscheiden zu können oder zu wollen", sagt Hülya Häseler aus Hannover. Die 55-Jährige ist in solch eine Entscheidungssituation gekommen. Ihr Neffe Hakan Bicici, ehemals Profifußballer bei Hannover 96, liegt seit zehn Jahren im Wachkoma. "Meine Auffassung dazu hat sich nach dem Unfall meines Neffen sehr verändert, als ich mich das erste Mal mit einer Patientenverfügung auseinandergesetzt habe. Und wenn ich mich da schon dazu entscheide, keine lebenserhaltende Maßnahmen zu wollen, könnte ich mir auch vorstellen, wenn ich ganz schwer krebskrank wäre und überhaupt keine Aussichten mehr hätte, sondern nur noch Schmerzen und da einfach nur noch liegen würde, ohne ein bisschen Freude am Leben, dass ich diese begleitete Sterbehilfe in Anspruch nehmen würde."

Thema Sterbehilfe: "Hier wird etwas missverstanden"

Was Sterbehilfe eigentlich meint, ist aber vielen Muslimen hierzulande gar nicht klar, beobachtet die Medizinethikerin Hadil Lababidi. Bereits die passive Sterbehilfe, das sogenannte Sterbenlassen, werde als ärztlich assistierter Suizid angesehen. "Hier wird etwas missverstanden: dass der Verzicht auf aussichtslose Behandlung zum Tod führen würde und nicht die zugrunde liegende Erkrankung. Deshalb fordern womöglich viele Angehörige eine maximale Behandlung in Fällen, die aussichtslos sind und das Leiden mitunter verstärken würden."

Die 34-jährige Wissenschaftlerin hat den Arbeitskreis Medizinethik und Islam mitbegründet. Weil sie in der muslimischen Community generell einen Diskurs über medizinethische Fragen vermisst, auch bei manchen Ärztinnen und Ärzten. Diese müssten zum Beispiel diskutieren, was Fürsorgepflicht eigentlich heißt. Alle intensivmedizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen und den Körper zu erhalten, weil dieser das Eigentum Gottes ist? "Wo ist da die Grenze? Gerade in der Sterbephase, wenn wirklich alle medizinischen Maßnahmen aussichtslos sind, gilt es ja nicht mehr, das Leben zu erhalten, sondern loszulassen und Gott walten zu lassen."

Noch viel Diskussionsbedarf bei Muslimen

Auch Hülya Häseler sieht in ihren türkischen und interkulturellen Netzwerken Diskussionsbedarf: "Das Thema Sterbehilfe hatten wir leider noch gar nicht. Ich finde es aber einen ganz wichtigen Aspekt, darüber mal zu sprechen, wie andere aus unserer Community das für sich entscheiden würden oder das mit ihrem Glauben vereinbaren könnten."

Sterbehilfe - eine Debatte, die bei Muslimen noch am Anfang steht.

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