Teilnehmer einer Demonstration verbrennen eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern © picture alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.
Teilnehmer einer Demonstration verbrennen eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern © picture alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.
Teilnehmer einer Demonstration verbrennen eine selbstgemalte Fahne mit einem Davidstern © picture alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.
AUDIO: Muslimischer Antisemitismus: Wie bedrohlich ist diese Judenfeindschaft? (5 Min)

Muslimischer Antisemitismus: Wie bedrohlich ist diese Judenfeindschaft?

Stand: 14.06.2023 12:22 Uhr

Judenfeindliche Hassrufe bei einer Palästinenserdemo in Berlin, Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in Deutschland durch Muslime - immer wieder wird vor einem gefährlichen, islamisch motivierten Antisemitismus gewarnt. Doch wie bedrohlich ist diese Judenfeindschaft?

von Michael Hollenbach

"Ich weigere mich vehement den Antisemitismus in Deutschland den arabischen Migranten in die Schuhe zu schieben. Multikulti gab es im Nahen Osten viel, viel früher", sagt Yazid Shammout. Der in Beirut geborene Unternehmer ist Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde in Hannover und setzt sich seit Jahren für einen engen Dialog zwischen den Mitgliedern seiner und der jüdischen Gemeinde ein. Aber er betont: "Antisemitismus ist keine arabische Erfindung, das ist eine europäische Erfindung."

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Nur zwei Prozent der antisemitischen Delikte haben islamistischen Hintergrund

Das sieht auch Sina Arnold so. Die Ethnologin arbeitet am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Sie kritisiert eine zu starke Fokussierung auf den Antisemitismus der Migrantinnen und Migranten: "Zu behaupten, das sei der Antisemitismus der anderen, ist gefährlich für den Zusammenhalt in einer diversen Gesellschaft. Damit löst man das Problem nicht."

So sind nach der polizeilichen Kriminalstatistik von 2021 84 Prozent der antisemitischen Delikte von Menschen mit rechtsextremistischem Hintergrund begangen worden. Ein islamistischer Hintergrund lag bei zwei Prozent der Täter vor. Eine andere Studie geht davon aus, dass knapp zehn Prozent der Taten einem antiisraelitischen Antisemitismus zugeordnet werden können.

Sina Arnold © Ruthe Zuntz Foto: Ruthe Zuntz
Sina Arnold arbeitet am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

Sina Arnold hat sämtliche Studien ausgewertet, die sich mit der Frage des importierten Antisemitismus befassen: "Man kann sehen, dass beim sekundären Antisemitismus, also bei Formen, die sich auf Schuld- und Erinnerungsabwehr, auf den Holocaust beziehen, dass dort die Einstellungswerte bei Muslim*innen niedriger sind. Tendenziell höher sind sie bei Israel-bezogenem Antisemitismus, wo judenfeindliche Stereotype auf den jüdischen Staat übertragen werden."

Antisemitismus unter den deutschen Muslimen unterschiedlich ausgeprägt

Beim Antisemitismus unter Migrant*innen sei entscheidend, aus welcher Region sie stammen. So sei in Syrien ein von Diktator Assad gegen den angeblichen "Erzfeind Israel" verordneter Antisemitismus für die Gesellschaft prägend. "Es ist auch interessant, dass die erhöhten Zustimmungswerte nicht mit Religion zusammenhängen", sagt Sina Arnold. "Es ist nicht ein muslimisches Phänomen, sondern man kann auch sehen, dass Christinnen und Christen in den entsprechenden Ländern höhere antisemitische Einstellungswerte haben."

Außerdem sei der Antisemitismus auch unter den in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen unterschiedlich ausgeprägt: "Da gibt es unterschiedliche Zustimmung bei Schiiten und Sunniten, und bei den Aleviten sagen nur zwei Prozent, sie nehmen das Judentum als Bedrohung wahr - da haben wir höhere Zustimmungswerte bei Katholiken und Protestanten. Da muss man schauen, über welche Muslime man eigentlich redet."

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Yazid Shammout setzt auf Kontakt zwischen Muslimen und Juden

Und ein weiterer Aspekt ist wichtig: Wie lange die Menschen schon in Deutschland leben: "Nichts ist festgeschrieben. Jemand, der hierher kommt, kann bestimmte Haltungen haben, und die ändern sich. Wir haben auch herausgefunden, dass es zum Beispiel damit zu tun hat, dass hier eine Konfrontation mit der Geschichte der Shoah stattfindet."

Yazid Shammout © Yazid Shammout
Yazid Shammout setzt sich für einen engen Dialog zwischen Muslimen und Juden ein.

So seien viele muslimische Migranten in Deutschland zum ersten Mal mit jüdischen Menschen in Kontakt gekommen. Auf diesen Kontakt setzt auch Yazid Shammout. Vor allem die jüngeren Mitglieder der palästinensischen Gemeinde in Hannover haben bereits mehrere Aktionen gemeinsam mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde unternommen: beispielsweise eine Demo gegen Neonazis, ebenso wie gemeinsam im Drachenboot zu paddeln bei einer Regatta auf dem Maschsee. "Wir haben uns auf die Gemeinsamkeiten konzentriert", sagt Shammout. "Wir haben Differenzen, und die werden wir nicht überbrücken können. Aber wir konzentrieren uns auf das halbvolle Glas."

Natürlich kritisiere auch er die Politik der jetzigen israelischen Regierung, sagt Yazid Shammout. Aber das trübe nicht sein Verhältnis zu den jüdischen Freunden in Hannover. Letzte gemeinsame Aktion: die Renovierung eines Hauses für Geflüchtete aus der Ukraine. "Es war unglaublich, wie selbstverständlich junge Mitglieder der beiden Gemeinden zusammen die Betten zusammengeschraubt und die Wände tapeziert haben, damit die ukrainischen Flüchtlinge da schnell einziehen konnten. Wenn man das sieht, dann freut sich mein Herz."

Vielleicht die beste Form, jeglichem Antisemitismus entgegenzuwirken.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 16.06.2023 | 15:20 Uhr

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