Ein Mikrofon steht im Vordergrund, dahinter ein Mann, der in ein anderes Mikrofon spricht © imago

Junge Muslime im Dichterwettstreit: Poetry-Slam im Islam

Stand: 15.11.2024 06:00 Uhr

Im Rahmen der Islamwochen in Hamburg sind junge Menschen zu einem sogenannten Dichterwettstreit zusammengekommen. Religiöse Überzeugungen und die persönliche Spiritualität in Versform auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen, hat in islamischen Kulturen eine lange Geschichte.

von Bita Schafi-Neya

Schon im arabischen Mittelalter spielte Poesie eine zentrale Rolle, sei es als Ausdruck der Spiritualität, als soziales und politisches Sprachrohr, oder als Möglichkeit, Gefühle und Gedanken zu kommunizieren. Auch im Koran sind poetische Elemente zu finden. Und viele islamische Gelehrte wie Rumi und Hafiz haben durch ihre beeindruckende poetische Tradition bis heute Menschen weltweit inspiriert. Der moderne Poetry-Slam hingegen ist ein relativ neues Konzept, das in den 1980er-Jahren in den USA entstanden ist.

Poetry-Slam als Seelsorge

Die Stuhlreihen im Schrödersaal des CVJM sind gut gefüllt, das Publikum wartet gespannt. Zwischen Kopftüchern und Baseballcaps, Kaffeebechern und Notizbüchern herrscht eine aufgeregte Stimmung. Die Bühne ist schlicht: ein Mikrofon, ein kleines Pult. Zuerst tritt Teilnehmer Peer Petersen auf die Bühne und rezitiert aus dem Koran. Der 18-Jährige ist zum Islam konvertiert. In seinen Texten beschreibt er unter anderem die Einsamkeit, die ihn in der Mehrheitsgesellschaft beschleicht, seit er ein Muslim ist: "Für mich ist das quasi auch Seelsorge. Ich kann da alles frei rauslassen, was mich irgendwie tiefer beschäftigt und wo ich vielleicht nicht einfach so drüber reden kann. Erstmal ist da immer so eine kleine Nervosität dabei, aber ich fühle mich während und nach dem Vortragen eigentlich immer ziemlich erleichtert, weil ich mir quasi das von der Seele reden konnte, was mich beschäftigt hat. Gleichzeitig versuche ich, Zuhörer und Zuhörerinnen irgendwie abzuholen und durch diesen Text zu begleiten."

Viele der jungen Dichter sprechen über ihre Rolle als Muslime in einer Gesellschaft, in der sie sich oft missverstanden fühlen. Dabei werden die Texte nicht einfach gelesen, sondern performt, also mit Stimme und Rhythmus vorgetragen. In der jetzigen Zeit sei es besonders wichtig, sich etwas vorurteilsfreier zu begegnen und nicht zu schnell eine Meinung aufgrund bestimmter Aspekte zu bilden, betont Peer Petersen: "Poetry-Slams bieten zum einen Leuten eine Möglichkeit, sich und andere besser kennenzulernen und Meinungen passiv und gleichzeitig interaktiv auszutauschen. Das heißt, ich verpacke meine Ansicht oder das Thema, was ich behandeln möchte, und kann es anderen dann sehr viel komfortabler präsentieren."

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Mit Poesie die Liebe zum Islam ausdrücken

Beim Poetry-Slam präsentieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre selbstverfassten Texte vor Publikum, das am Ende über den Gewinner entscheidet. Mit dem Vortragen der literarischen Texte haben die jungen Muslime eine zeitgemäße Form gefunden, ihre Befindlichkeiten auszudrücken, erzählt Organisatorin Yağmur Topçu: "Es gibt verschiedene Menschen, die ihre Liebe zum Islam auch gerne mit Poesie ausdrücken. Der Islam an sich ist eine sehr poetische Religion. Arabisch-sprechende Menschen können viel besser als ich erklären, dass der Koran wie ein sehr langes Gedicht wirkt mit den ganzen Assoziationen und ähnlichem. Und so haben die Jugendlichen dieses Ventil auch für sich selbst entdeckt."

Texte über Wertschätzung und Offenheit

Als nächstes steht Reyhan Çarmulu auf der Bühne. Ruhig, fast zurückhaltend trägt die 23-Jährige ihren selbstgeschriebenen Text vor. Andere Texte handeln von der Liebe zu Propheten oder wie man andere Menschen etwas mehr wertschätzen und ihnen mit Offenheit und Liebe begegnen kann. Denn in der jetzigen Zeit sei es besonders wichtig, sich gegenseitig etwas vorurteilsfreier zu begegnen, betont Reyhan Çarmulu: "Kunst und Kultur - dadurch überleben Zivilisationen, das verbindet Menschen und das schafft Frieden, Gemeinschaft und Freude. Ein Teil davon zu sein, macht mich einfach glücklich, verbindet mich mit anderen Menschen und ist aus meiner Sicht auch ein positiver Beitrag zur Gesellschaft. Deshalb mache ich es und deshalb hoffe ich auch, dass es weiterhin gemacht wird, auch von Menschen, die nach mir kommen."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 15.11.2024 | 15:20 Uhr

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