Abraham - Stammvater und Gottsucher
Die Geschichten von Abraham, seiner Frau Sara und seinem Sohn Isaak sind im kollektiven Gedächtnis von Juden und Christen fest verankert. Und auch im Islam spielt Abraham eine zentrale Rolle für die Identität der Muslime: Als Prophet, Freund Gottes und Urahn der Stammfamilie, zu der neben Sara und Isaak auch die Sklavin Hagar und deren Sohn Ismael gehören, den Abraham mit Hagar gezeugt hat. Sein Grab in der Abraham-Moschee in Hebron wird von vielen Muslimen verehrt. Welche Rolle kann dieser gemeinsame Stammvater für den interreligiösen Dialog spielen?
Abraham - der Glaubensstarke, der bereit ist, seinen Sohn zu opfern und von Gott in letzter Sekunde gerettet wird. Für Juden, Christen und Muslime gilt er als Garant für grenzenloses Gottvertrauen. Doch wem gehört dieser Urahn, den jede der drei großen Weltreligionen für sich reklamiert? "Da heißt es im Koran, dass Abraham weder ein Jude noch ein Christ war, sondern ein Muslim und ein Hanif", erläutert der islamische Theologe Samet Er. "Muslim bedeutet nicht im heutigen Sinne Islam-Anhänger, sondern ein Gottergebener. Und Hanif in dem Sinne ein Gottsuchender."
Für den Religionspädagogen und Gefängnisseelsorger ist Abraham auch eine Symbolfigur für den interreligiösen Dialog: "Er war jemand, der einen reinen Glauben besaß und eben ein Gottergebener war."
Unterschiedliche Ansprüche und Glaubenstraditionen
Ein vorbildlicher Diener Gottes, dessen Glaube aufs Äußerste herausgefordert wird. Abraham als Stammvater, dessen Söhne Isaak und Ismael zwei verschiedene Mütter haben. Ismael zeugt er mit der Sklavin Hagar, Isaak mit seiner Ehefrau Sara, die lange kinderlos geblieben war. Eine komplizierte Familiengeschichte also, die nicht frei ist von Konflikten: "Man spricht ja auch von zwei Stammlinien, nämlich Abraham, Hagar und Ismael und Abraham, Sarah und Isaak", stellt der Religionspädagoge klar. "Aber letztlich habe ich einen interreligiösen Blick darauf und meine, das war eine Familie. Daher sollte man heute von der Stammfamilie sprechen, nämlich von der Stammlinie Abraham, Hagar, Sarah, Isaak und Ismael."
Zwei Brüder, zwei Mütter - daraus haben sich, so Samet Er, in den drei großen Weltreligionen unterschiedliche Ansprüche und Glaubenstraditionen entwickelt: "Das ist heute auch so zu verstehen, dass die Religionen untereinander auch Konflikte haben können, theologische Konflikte, gesellschaftliche Konflikte. Das ist normal und gut so, wichtig ist aber auch, sich trotzdem als Religionsfamilie im Sinne der Stammfamilie von Abraham zu verstehen und so nach vorne zu schauen."
Abraham - Integrationsfigur in einer multireligiösen Gesellschaft
Streit und Misstrauen - auch das kommt in den besten Familien vor. Und doch könnte Abraham zum wechselseitigen Verstehen beitragen: als Integrationsfigur in einer multireligiösen Gesellschaft. Zu den Pionieren des interreligiösen Dialogs gehört der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel. Seit vielen Jahren weist der emeritierte Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Universität Tübingen auf die Rolle Abrahams als Brückenbauer hin: "Jede Religion hat ihren eigenen Tunnelblick gepflegt. Nein, es geht darum, das Verbindende genauso stark zu machen."
Abraham als gemeinsames Glaubensvorbild - so gesehen ließen sich die Geschichten von ihm und seiner verzweigten Familie als dramaturgische Klammer für eine neue Erinnerungs- und Erzählkultur verstehen, als "abrahamische Ökumene": "Aber was wären wir ohne dieses Hoffnungssymbol, das ja auch schon in der Bibel berichtet wird, die beiden Söhne Abrahams, Isaak und Ismael, versammeln sich am Grabe ihres Vaters Abraham", sagt Karl-Josef Kuschel. "Wir leben doch von solchen Narrativen der Hoffnung, um dem kalten Zynismus etwas entgegensetzen zu können."
Weltfrieden gibt es nur mit den Religionen
Der Tübinger Theologe und Vorsitzende des "Abrahamischen Forums" in Deutschland ist überzeugt: "Weltfrieden gibt es nicht ohne die Religionen und Weltfrieden gibt es nicht gegen die Religionen, sondern den gibt es nur mit den Religionen, wenn sie eine konstruktive Rolle spielen."
Miteinander leben - mit Blick auf das Anderssein der Anderen, aber auch auf das Gemeinsame. In der Nachbarschaft, im Stadtteil, in der Schule. Im Geiste Abrahams könne man, so Samet Er, die Gemeinsamkeiten sehr stark hervorheben. "Weil eben Abraham die einzige Person ist, die das Judentum, das Christentum und den Islam so stark vereint wie kein anderer Mensch und kein anderer Prophet."
Der junge islamische Theologe weiß aber auch, dass dieser Prozess Zeit braucht, Offenheit und Geduld: "Das bedeutet wiederum, dass man sich gegenseitig kennenlernt, und auchzusammen kommt und nicht nur übereinander spricht, oder voneinander spricht, sondern gemeinsam versucht, für diese Gesellschaft etwas zu tun."