Islamdebatte: Junge Muslime suchen den Dialog
Die Debatte um den Islam in Deutschland geht weiter. Dabei sehen sich viele Muslime als Deutsche – egal ob sie nun türkische, syrische oder philippinische Wurzeln haben. Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jugendorganisation haben nun eine bundesweite Aktion gestartet: Sie wollen in den Innenstädten mit Passanten ins Gespräch kommen und Fragen über ihren Glauben beantworten.
An der Rolltreppe zu einem großen Kieler Einkaufszentrum verteilt Naim Ahmad Einladungen zu einem Vortrag in der Moschee. "Wir sind alle Deutschland" steht auf dem weißen T-Shirt, das er übergezogen hat. Der 30-jährige erklärt, warum: "Weil ich finde, dass ich als Muslim zu Deutschland gehöre und ich möchte, dass die Bevölkerung auch über den Islam Bescheid weiß. Deswegen stehe ich hier und verteile die Information."
Die Reaktionen? Durchweg positiv, sagt Naim Ahmad. Viele lächeln freundlich zurück, manche gehen einfach nur vorbei. Gegenüber steht Navid mit seinem Plakat: "Ich bin ein Muslim. Haben Sie etwas auf dem Herzen?" Die erste Frau, die stehen bleibt, hat ein Kompliment für die Jungs: "Ich finde es fantastisch, wie viele Muslime mit Diskriminierung umgehen. Diese alltägliche Diskriminierung, so Kleinigkeiten vielleicht, dass man im Bus schräg angeguckt wird oder dass man sich nicht daneben setzt - das bedarf ja einer inneren Haltung."
Gespräche und Begegnungen gegen Vorurteile
Auch wenn Navid nichts über den Islam zu erzählen braucht, freut das den Studenten: "So etwas bestärkt einen auch." Rafiq Ahmad, der im Aktions-T-Shirt neben ihm steht, ist Jugendgruppenleiter der Ahmadiyya Muslim Jamaat Kiel, einer Reformgemeinde innerhalb des Islam. Der nächsten Frau, die fragend das Plakat betrachtet, erklärt Rafiq, dass der Satz von Innen- und Heimatminister Seehofer `Der Islam gehört nicht zu Deutschland` sie dazu motiviert hat.
"Hab‘ ich noch gar nicht gehört, also das erschreckt mich jetzt aber sehr", sagt die Passantin. Wir machen diese Kampagne, erklärt Rafiq, weil wir nicht seiner Meinung sind. Er ist in Deutschland geboren, lebt hier und fühlt sich als Teil der Gesellschaft: "Wir möchten heute mit Menschen ins Gespräch kommen. Und wenn kritische Fragen da sind oder Vorurteile, dass wir versuchen, sie abzubauen."
Die Frau sieht das ganz differenziert: "Ich meine, dass Vorurteile und Ängste da sind, das ist vielleicht auch verständlich aufgrund dieser ganzen Terroranschläge. Aber das sollte man deutlich auseinanderhalten. Was mich sehr erschreckt - dass die Politik so etwas sagt. Ich hab’s wirklich nicht gehört, deswegen bin ich jetzt ganz entsetzt, dass der (Seehofer) so etwas äußert."
Wenn er selbst kein Muslim wäre, räumt Rafiq dagegen ein, dann würde er wahrscheinlich auch Angst haben vor dem Islam, wenn er sehe, was sogenannte Muslime in der Welt machten, also die radikalen Muslime in Syrien und in Irak. Stimmt zwar, meint die Passantin, warnt aber davor, das zu verallgemeinern: "Man kann ja nicht alle über einen Kamm scheren, das geht gar nicht."
Die Angst vor dem Islam nehmen
Eine andere Frau erzählt von einem Gespräch mit einem Mann, der nicht damit klar kam, dass es in Deutschland den Islam gebe: "Wie kann man jetzt älteren Menschen die Angst davor nehmen?" Rafiq bezieht das aber gar nicht aufs Alter. Ihr Plakat, das Gesprächsangebot und auch Informationsabende sollen jeden aufklären, der dem Islam skeptisch gegenübersteht. "Wenn die Leute die Ängste haben, dann werden sie doch nicht hierherkommen und sagen, ich habe ein Problem damit", erklärt ein weiterer Passant. Und hat ein junger Mann mit Kopfhörern um den Hals Zweifel an der Aktion, die er im Prinzip gut findet? "Deutschland ist ein multikultureller Staat. Deswegen finde ich dieses allgemeine Problem mit Rassismus, egal ob’s jetzt gegen Hautfarben oder Religionen ist, absolut unnötig."
Kaum kritische Kommentare
Die Trennung von Religion und Staat ist für die Ahmaddiyya-Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit, sagt Rafiq. Nur: "Viele Muslime, die Deutschland als ihre Heimat sehen, fühlen sich nicht akzeptiert, wenn gesagt wird, der Islam gehört nicht zu Deutschland, ihre Religion gehört nicht hierhin." Eine Passantin kann das nachvollziehen: "Ich kann auch gar nicht sagen, wie unfair und fies ich das finde, dass da solche Aussagen getätigt werden." Mit ihrer Meinung scheint sie nicht allein zu sein. Abwehr, kritische oder böse Kommentare gab es auch drüben an der Rolltreppe heute nicht. Wie es lief? Naim lächelt: "Bisher ganz gut. Ab und zu haben wir vielleicht ein Kopfschütteln gesehen, aber in der Regel nehmen die Leute das gerne an."
Im einsetzenden Nieselregen bekommen die jungen Männer von der Ahmadiyya-Jugend zum Schluss noch ein Feedback von einer Frau, das der Aussage von Horst Seehofer komplett entgegensteht: "Menschen, die hier leben und sich nichts zu Schulden kommen lassen, sollen sich nicht dafür entschuldigen, dass sie Muslime, Juden oder Christen sind oder dass sie an gar keinen Gott glauben. Für mich gehört ihr zu Deutschland."