Stand: 10.06.2022 09:15 Uhr

Die 'Weltsprache' des hansischen Wirtschaftsraumes (Mittelalter)

Das bedeutet: damals, im Mittelalter, als Plattdeutsch die "Weltsprache" des hansischen Wirtschaftsraumes war, als eine bürgerliche Schriftlichkeit in Platt sich durchsetzte, als Recht und Gesetz auf Platt festgehalten und gesprochen wurden, als nach der Erfindung der "Schwarzen Kunst", der Buchdruckerei, Bestseller in niederdeutscher Sprache gedruckt wurden.

Und es bedeutet zugleich, dass das Plattdeutsche nach der Jahrhunderte währenden Blütezeit wieder verfiel. Klagen über diesen Niedergang gab es zuhauf. Davon zeugt etwa die akademische Arbeit von Bernhard Raupach, der zum Ende dieser Periode 1704 über die "unbillige Verachtung der plattdeutschen Sprache" schrieb. Die Bedeutung des Begriffes "Plattdeutsch" ist nicht einfach mit "Sprache des platten Landes" zu übersetzen. Vielmehr ist "Plattdeutsch" die Sprache, in der man etwas "deutlich, verständlich, frei heraus" sagt.

Der früheste Beleg für die Benutzung dieses Wortes findet sich 1524, als in Delft ein Neues Testament "in goede platten duytsche" erscheint. In der Wissenschaft von der niederdeutschen Sprache hat sich seit Jacob Grimm der Begriff "Mittelniederdeutsch" als Oberbegriff für mehrere verwandte, regionale Schreibsprachen dieser Zeit durchgesetzt. Bedacht werden muss dabei, dass die Verbreitungsgebiete des gesprochenen und geschriebenen Niederdeutsch nicht dieselben sind.

Wann wurde mittelniederdeutsch gesprochen?

Zeitlich umfasst das Mittelniederdeutsche die mittlere, vom 13. bis zum 16./17. Jahrhundert andauernde Sprachperiode des Niederdeutschen. Damals bezeichnete man diese Sprache auch als düdesch, (nedder-)sassesch oder nedderlendesch. Geschrieben wurde diese Sprache mehr oder weniger einheitlich - einen Duden zum Nachschlagen wie heute gab es natürlich nicht. Es ist die Zeit der aufkommenden Städte. Zu unterscheiden sind eine Frühzeit bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts, eine klassische Epoche etwa zwischen 1350 und 1550 sowie die sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts erstreckende Spätzeit, eine Phase des Niederganges des Niederdeutschen - und zugleich des wachsenden Streites um seinen Wert.

Der Geltungsbereich und damit auch die Blütezeit des Mittelniederdeutschen war wesentlich bestimmt von dem wirtschaftlichen Einfluss und der politischen Vorherrschaft des norddeutschen Hansebundes von circa 1350 bis 1550. Für diesen Zeitraum galt die niederdeutsche Sprache der Hansekaufleute rund um Ost- und Nordsee als die gültige Schriftsprache. Das Mittelniederdeutsche diente in dieser seiner mittleren Phase als Sprache des Rechts, des Handels und der Diplomatie, und es erreichte den Status einer Kultursprache von Weltrang.

Vom 16. Jahrhundert an drängte dann aber das Hochdeutsche immer stärker von Süden nach Norden. Die Fürsten und die städtischen Kontore, überhaupt die gehobenen Sozialschichten, waren die ersten, die das Hochdeutsche übernahmen, allerdings zunächst nur für den schriftlichen Verkehr. Dieser Schreibsprachenwechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen hat seine Gründe in der Veränderung politischer und wirtschaftlicher Gegebenheiten: Wesentliche Ursachen waren der Verlust der wirtschaftlichen und politischen Macht der Hanse, der landesherrliche Ausbau der Territorien und der Einfluß der Reformation, verstärkt noch durch die Erfindung des Buchdrucks. Das Ergebnis dieser Entwicklung war, dass der gesamte öffentliche Sprachgebrauch fortan hochdeutsch war - der ursprünglich rein niederdeutsche Norden wurde zweisprachig. Wer etwas auf sich hielt, konnte zwar Plattdeutsch, bevorzugte aber das Hochdeutsche und sprach platt nur noch in der Familie und Nachbarschaft. Im übrigen blieb Plattdeutsch die Sprache der 'kleinen Leute'.

Wer sprach mittelniederdeutsch?

In Norddeutschland eigentlich jeder, und das auch zu fast jeder Gelegenheit. Aber: Bereits der Wanderprediger Berthold von Regensburg bemerkte in der Mitte des 13. Jahrhunderts, "daz manic niderlender ist, der sich der oberlender sprâche an nimet".

Zwar waren Hoch- und Plattdeutsch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation an sich gleichberechtigt. Und man konnte auch von der einen Sprache leicht in die andere übersetzen. Beispielsweise heißt es in einem "Schryfftspiegel ... des neuwen stylums", 1527 in Köln bei Gervais Kruffter gedruckt, dass men ... tussen eynem Beyeren und Sassen eyn tolmetsch, also einer Übersetzung, bedürfe. Exemplarisch dokumentierte auch der Greifswalder Bürgermeister Vicke Bole 1528 das Sprachverhalten. Denn der verfiel häufig ins Hochdeutsche, wenn er sich einen angetrunken hatte. Trotzdem: Zum Ende der Blütezeit der Hanse empfanden die Menschen im stadtbürgerlich geprägten Norden ihre Sprache als minderwertig gegenüber der höfischen Kultur des hochdeutschen Südens. Dabei konnten sie hier in ihrer Heimat mit dem angestammten Niederdeutsch sehr viel mehr anfangen als mit dem Hochdeutschen. Das verstanden ja nur wenige. Dennoch dichteten viele in Niederdeutschland gebürtige Epiker und Minnesänger lieber in der mittelhochdeutschen Dichtersprache. Ein hübsches Beispiel für den endgültigen Wechsel zur hochdeutschen Schriftsprache lieferte schließlich der Schreib- und Rechenmeister Hermann Grothusen. Der nannte sich nämlich seit 1643 Grothausen.

Wo wurde mittelniederdeutsch gesprochen?

Die Sprache der Siedlerströme, die sich seit etwa 1100 über Mecklenburg und Pommern bis in das Baltikum bewegten, war das Mittelniederdeutsche.

An den dialektalen Eigenarten in den überlieferten Quellen kann man bis heute ablesen, woher die Siedler kamen, die da bis weit in den Osten Europas vorstießen: aus den Niederlanden, aus West- und Ostfalen, aus Niedersachsen und Holstein. Von etwa 1120 bis 1550 war das Mittelniederdeutsche die beherrschende und bestimmende Handelssprache des deutschen Nordens und, zumindest in der Schriftform, damit der nordeuropäischen Region rund um Ost- und Nordsee. Das Niederdeutsche erstreckte sich damals etwa über dieses Gebiet: Nach Norden dehnte sich das Mittelniederdeutsche auf Kosten des Friesischen und Süderjütischen aus. Es war zeitweise auch die vorherrschende Sprache des dänischen und schwedischen Handels und der Verwaltung. Im Osten grenzte es an das Slawische. Im Süden stellte weiterhin das Hochdeutsche die Sprachscheide dar; nach Westen hin, zum Mittelniederländischen, gab es keine eindeutige Grenze. Insgesamt hat sich der Geltungsbereich des Mittelniederdeutschen in dieser Zeit nach Norden, Osten und Nordwesten hin stark gegenüber dem Altsächsischen erweitert, nicht allerdings nach Südwesten und Südosten. In sich war das Mittelniederdeutsche in folgende Regionen gegliedert: Westfälisch, Ostfälisch, Elbostfälisch, Nordniederdeutsch sowie Süd- und Mittelmärkisch.

Was ist an mittelniederdeutschen Texten überliefert?

Am Beginn dieser Überlieferungsperiode steht das wohl berühmteste Rechtsbuch des deutschen Sprachgebietes, der Sachsenspiegel (Spegel der Sassen, 1220 - 1224) von Eike von Repgow. Es ist das Land- und Lehnsrecht der Sachsen. Dieser Prosatext ist niederdeutsch geschrieben, weil der Inhalt "den lüten al gemeine", das heißt, dem breiten, nicht lateinkundigen Publikum, bekannt gemacht werden sollte. Überhaupt wurde die Laiensprache, also das vertraute Niederdeutsch, im Zusammenhang mit dem Emporkommen des niederen Adels und des Bürgertums in den Städten jetzt aufgewertet. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts urkundeten deshalb die fürstlichen Kanzleien in Norddeutschland nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern in niederdeutscher; die Städte folgten ihnen darin bald.

Den Schwerpunkt der mittelniederdeutschen Überlieferung bilden das weltliche und geistliche Gebrauchsschrifttum. Seit etwa 1460 breitete sich die Kunst der prenterie, der Buchdruck, durch Wanderdrucker rasch aus. Bis 1500 spricht man von der Wiegendruck- oder Inkunabelzeit. Erzählstoffe, die bekannt und beliebt waren, wurden unter die Presse genommen, weil das wirtschaftlichen Erfolg versprach. Der Anteil der in der Volkssprache gedruckten Bücher betrug etwa 20 Prozent. Von den rund 3.000 deutschsprachigen Titeln bis 1500 waren wiederum gut zehn Prozent niederdeutsch.

Die Zahl derer, die überhaupt lesen konnten, war denkbar gering. Insgesamt war weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung im 15. Jahrhundert in der Lage, Texte zu lesen. Für die, die nicht lesen konnten, wurde in Gemeinschaft vorgelesen, hinzu kam das Betrachten der Bilder. So schreibt Sebastian Brant in seinem mit vielen Holzschnitten illustrierten Narrenschiff:

"Der Bildnis hab ich har gemacht, Wer yeman der die gschrift veracht, Oder villicht die nit kund lesen, Der siecht im Molen wol syn wesen."

Zudem waren Bücher, selbst Einblattdrucke, recht teuer. Beispielsweise hätte man anstatt des Vocabularius des Reuchlin, der 1482 in Basel erschien und 2 Gulden 80 kostete, wahlweise 95 Kilo Rindfleisch, 84 Kilo Schweinefleisch, 56 Kilo Kalbfleisch, 14 Lämmer, 40 Hühner oder 2.550 Eier kaufen können. Überhaupt wurde ein Buch nach Gutenbergs Erfindung in nicht mehr als durchschnittlich 300 bis 500 Exemplaren gedruckt. Bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts sind dann aber Auflagen von rund 1.000 Stück nicht mehr ungewöhnlich. Dem Anspruch nach war diese Literatur für das gehobene Bürgertum gedacht, also für die städtische, wohlhabende Oberschicht, die ein Bedürfnis nach Bildung und literarischer Erbauung hatte.

Für die weltliche niederdeutsche Literatur sind einige Werke von Rang zu nennen, etwa der Reynke de Vos, der eine Bearbeitung von Reinaerts Historie aus dem Mittelniederländischen darstellt. Besonders eine Druckerei ist hervorzuheben: die nach ihrem Druckerzeichen, drei Mohnköpfen, benannte Mohnkopf-Druckerei. Heute wissen wir, dass sich dahinter wohl ein Kollektiv von Männern aus dem Umfeld des franziskanischen Katharinenklosters in Lübeck verbarg. Aus der Druckerei des Hans van Ghetelen ging jedenfalls eine Anzahl der bekanntesten mittelniederdeutschen Werke hervor, unter anderem der Lübecker Totentanz von 1489 (Des dodes dantz) sowie das Narrenschiff (Dat narren schyp), 1497, die älteste Bearbeitung von Sebastian Brants hochdeutschem Narrenschiff. Gemeinsam war allen diesen Werken ein erbauend-belehrender Ton und Zweck.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Guten Morgen Schleswig-Holstein | 11.02.2017 | 07:10 Uhr

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