Doppelte Eröffnung im Industriedenkmal: "Kulturmühle" Parchim
Wo einst Getreide zu Mehl verarbeitet wurde, präsentiert sich das Industriedenkmal jetzt als Kulturmühle - mit einem neuen Theater und einem neuen Museum. Sie wurde heute mit einem Festakt eröffnet.
Rund 600 Objekte sind im neuen Museum in der Kulturmühle Parchim auf zwei Etagen verteilt. Für Antonia Krüger, die stellvertretende Leiterin hatte es erst einmal Priorität, mit der Architektur des Industriedenkmals umzugehen. "Wir haben zwei Ebenen, die wir befüllen konnten mit Objekten. Und wir haben mit ganz neuen Erzählsträngen zu tun. Denn wir können nicht nur horizontal, sondern auch vertikal in der Ausstellung erzählen. Wir haben Durchbrüche in der Ausstellung, sodass wir tatsächlich auch über die Ebenen hinweg erzählen können."
Etwas Neues anzufangen bedeutet auch immer, das alte zu verlassen, sagt Krüger. "Wir mussten erst einmal den alten Sammlungsbestand wissenschaftlich erforschen. Und dann ging es darum, die Prioritäten zu setzen für eine neue Ausstellung. Das hat die Aufgabe eigentlich so spannungsvoll gemacht."
Sonderschauen zu Kunst, Wissenschaft und Geschichte
Der Rundgang durch das Museum beginnt oben in der vierten Etage und danach geht es nach unten. Neben der Dauerausstellung haben die Mitarbeiter um Museumsleiter Benjamin Kryl auch sehr viel Platz für Sonderausstellungen: "Wir können mit 300 Quadratmeter bis auf 500 Quadratmeter hier Sonderausstellungen organisieren, um dieses Haus neben dieser tollen Dauerausstellung auch immer wieder mit neuen Akzenten, mit neuen Reizen zu bespielen." Dort soll es dann neben der Stadtgeschichte auch um andere geschichtliche und auch künstlerische und wissenschaftliche Themen gehen. So sind bereits für Ende Juni die zehnte Kunstschau der Stadt Parchim und für den Herbst eine Ausstellung zum Thema Wald geplant.
Direktflug Parchim-Mallorca
In der Dauerausstellung können die Besucherinnen und Besucher Dinge entdecken, die vielleicht auf den ersten Blick nicht spektakulär sind, aber kleine Geschichten aus Parchim erzählen, freut sich Kryl. "Zum Beispiel mag ich ganz gerne ein Ticket, das sieht sehr unscheinbar aus, aber es wurde in den Neunzigern hier herausgegeben." Ein Flugticket, um von Parchim nach Mallorca zu fliegen - ein Direktflug. "Das ist erstmal zum Schmunzeln, aber es erzählt auch so viel Stadtgeschichte und so viel an Wünschen und Hoffnungen und Ideen und Leidenschaften. Und vielleicht auch, dass das alltägliche Scheitern, dass sich aber immer wieder weiterentwickelt und auch so eine Stadt ausmacht, mit allen Höhen und Tiefen." 1998 gab es diese Direktflugmöglichkeit. Von Parchim heben aber schon lange keine Urlaubsflieger mehr ab, auch der Reiseanbieter existiert nicht mehr.
Objekte aus vielen Jahrhunderten
Fünf bis sechs Jahrhunderte älter als das Flugticket ist eines der ausgestellten Objekte, das Antonia Krüger besonders gefällt: "Zu meinen Lieblingsstücken gehört eine Leihgabe aus der Georgenkirche Parchims, und zwar die Eichentruhe." Es ist eine massive Eichentruhe, die auch zeitweise als Stadtkasse genutzt worden ist für wichtige Dokumente oder einen Staatsschatz. "Sie ist aus einem Stamm geschlagen. Und es lohnt sich auf jeden Fall, diese anzuschauen mit handgeschmiedeten Metallbeschlägen."
Viel zu entdecken: Von Kinderspielzeug bis zur historischen Kutsche
Kinderspielzeug und ein Rollfilmautomat, ein Wartburg der Deutschen Volkspolizei sowie Informationen über die Parchimer Tabak-Fabrik Carl Pingel - es gibt jede Menge zu entdecken. So auch eine historische Kutsche, erzählt Kryl. "Das ist diese Kutsche, mit der hier in Parchim ab zirka 1900 die Menschen zu den größeren Friedhöfen am Stadtrand hingebracht wurden. Die Kutschen sind dann sehr schnell von Autos abgelöst worden. Daher sind auch nicht viele dieser Kutschen in einem solch guten Zustand erhalten geblieben. In dem Sinne ist das unser kleiner Ferrari." Diesen kleinen Ferrari kann der Museumsleiter nun präsentieren, wenn das neue Museum erstmals seine Türen öffnet in der Kulturmühle Parchim.
Das Theater: "Ein Traum, was hier entstanden ist"
Ebenso schwärmt der Theaterintendant Thomas Ott-Albrecht kurz vor der ersten Premiere im neuen Parchimer Theater - einem Neubau neben der ehemaligen Mühle. "Es ist alles ganz anders geworden, als ich es mir vorgestellt habe. Aber, es ist viel besser geworden. Es ist einfach ein Traum, was hier entstanden ist."
Für Ott-Albrecht ist 2023 ein Jubiläumsjahr - seit genau 20 Jahren leitet er das Theater in Parchim: "Wir kommen ja aus Verhältnissen der ständigen Improvisation. Wir mussten immer Kompromisse schließen und Einschränkungen hinnehmen. Hier ist tatsächlich auf der Grundlage neuester Anforderungen, auch an den Arbeitsplatz, Raum geschaffen worden, in dem man sich wirklich aufhalten kann."
Theater mit modernster Technik
Für den Technischen Leiter des Hauses, Maxim Paul Krüger, ist der Umzug ein Quantensprung vom analogen Zeitalter ins Digitale. "Wir haben hier die neueste, modernste Technik drin. Wir sind fähig, so viele Dinge hier drin zu erschaffen, rein technisch gesehen. Es ist nicht ansatzweise zu beschreiben, was das für einen Sprung ist, auch für die Techniker und für die Mitarbeiter."
Und die Parchimer Bühne kann vor allem eines, betont Krüger. "Wir können komplett einen Weg nach draußen erschaffen. Das ist quasi so in einem normalen Haus gar nicht möglich. Wir öffnen die Tore, der Schauspieler könnte episch nach draußen auf unseren Hof hinten rausgehen und auch wieder reinkommen." Das habe kein anderes Theater, schwärmt der Techniker. "Wir könnten unseren Hof mitbespielen, dass auch die Zuschauer das sehen."
Schweriner Inszenierungen in Parchim
Der neue Theatersaal verfügt über 150 Zuschauerplätze, die Bühne hat die gleiche Maße wie die Spielstätte M*Halle in Schwerin, so dass künftig auch viel einfacher Schweriner Inszenierungen auch in Parchim präsentiert werden können, freut sich Ott-Albrecht.
"Da sind wir erfahren. Wir haben in der Vergangenheit sehr viel mit Gastspielen gearbeitet und hatten auch schon selbstverständlich Schweriner Inszenierungen bei uns im alten Haus. Das war natürlich sehr viel schwieriger, weil die Möglichkeiten, dort Bühnenbilder hinzustellen oder nur anzufahren und irgendwie zu transportieren, ganz andere waren, als hier. Hier fährt man hinten an die Rampe an, lädt aus, fährt es auf die Bühne, kann aufbauen, einleuchten und dann kann es im Prinzip losgehen." Thomas Otto-Albrecht war bis 2016 Intendant des Mecklenburgischen Landestheaters, seitdem ist er Intendant des Jungen Staatstheaters Parchim als eine Sparte des Mecklenburgischen Staatstheaters.
"Wer nicht kommt, verpasst etwas!"
Die neue Parchimer Bühne könne sich nicht nur in Deutschland, sondern in Europa sehen lassen, freut sich der Kaufmännische Geschäftsführer des Sechs-Sparten-Hauses, Christian Schwandt. "Die Aura dieses neuen Baus ist für mich auch ein völlig neues Erlebnis in Mecklenburg-Vorpommern. Ich kenne 300 bis 400 Theater in Europa und das, womit man es am ehesten vergleichen kann, sind Städte wie Luzern oder Solothurn oder Grenoble." Dort sind Theater an Flüsse oder an einen See gebaut und sind trotzdem sehr zentral, erklärt Schwandt. "Ich glaube, dass dieser neue Theaterbau in der Kulturmühle eine große Ausstrahlung in der Region haben wird. Und derjenige, der nicht kommt und sich das anguckt, der verpasst wirklich etwas."
Mit dem Schauspiel "Tiere im Theater" beginnt am Sonnabend, 20. Mai der Spielbetrieb in Parchim. Das Interesse scheint groß zu sein, denn von den geplanten 13 Vorstellungen im Mai und Juni sind bereits jetzt neun ausverkauft.