Notre Dame im Wiederaufbau: "Es ist eine Lebenserfahrung"
Am 15. April jährt sich der Brand in der Kathedrale von Notre Dame zum 5. Mal. Nun steht fest: Am 8. Dezember sollen sich die Türen des Wahrzeichens in Paris wieder öffnen. Ein Ortsbesuch.
Der hölzerne Spitzturm schält sich bleiverkleidet aus dem Gerüst. Seit Mitte März wird die Wunde im Kirchendach geschlossen. Im Inneren werden Bodenfliesen verlegt. Gewölbe und Fresken, Glasfenster und Orgelpfeifen sind restauriert und gereinigt. Eine Sprinkleranlage soll künftig Brände verhindern. Über allem schwebt in 96 Metern Höhe der neue goldene Wetterhahn mit Reliquien im Bauch und der Liste all jener, die den Wiederaufbau stemmen.
Darunter Léonard Laforest, kurzes schwarzes Haar, Sicherheitsschuhe und erst 19 Jahre alt. Als jüngster Zimmerer durfte er Anfang des Jahres den Richtkranz auf der Turmspitze hissen. Denn Léonard stammt wie seine Kollegen aus einer besonderen Werkstatt - aus den 1760 gegründeten Ateliers Perrault gut 300 Kilometer südwestlich an der Loire gelegen: "Ich musste noch alles lernen: Holz zuschneiden, Kanten schlagen, Verbindungen herstellen, ein Tragwerk zimmern, ein Dach aufschlagen. Es ist beeindruckend. Auf einer Baustelle dieser Größe bin ich ganz klein. Dass ich hier seit meinem 1. Lehrjahr eintauchen kann, das war ein Schock." Jeden Tag sage ihm eine innere Stimme: Was Du tust, ist wunderbar. "Ich habe alle Etappen miterlebt, den Anfang und nun das Ende", sagt der junge Zimmerer. "Das ist supertoll. Alles ist komplettiert."
Notre Dame: Jahrhundert-Baustelle im Herzen von Paris
Ganz nach Wunsch des Präsidenten. Exakt ein Jahr vor der Wiedereröffnung hatte Emmanuel Macron auf der Baustelle erklärt: "Seit April 2019 wirkt die ganze Nation am Wiederaufbau mit. Und jeden 15. April waren wir hier und sahen, wie fortschreitet, was unmöglich erschien. Außergewöhnlich! Und wir halten den Zeitplan ein. Es ist ein großartiges Bild von Hoffnung, von einem Frankreich, das wiederaufbauen kann." Über 2.000 Menschen wirken mit: Steinmetze, Gemälderestauratoren, Dachdecker, Brandschutztechniker, Heizungsmonteure, Elektriker, Tischler. Über 250 Firmen sind dabei: Darunter 45 Sägewerke, drei Orgelbaumanufakturen, Konkurrenten, die nun zusammen arbeiten.
Es gab über 130 öffentliche Ausschreibungen. Auch einige Firmen aus Deutschland oder Großbritannien wirken mit. Eine Jahrhundert-Baustelle, bestätigt Chefarchitekt Philippe Villeneuve im französischen Fernsehen: "Es ist das erste Mal, dass wir eine Kathedrale außerhalb eines Krieges restaurieren. Es ist eine pharaonische Baustelle, weil alle Teile des Bauwerks betroffen sind. Und wir haben nur einen sehr kurzen Zeitrahmen." Heißt auch: Die Archäologen hätten vielleicht lieber länger gegraben, Umweltschützer lieber länger über den Bleibelag debattiert und Kunsthistoriker länger über die Auswechslung von sechs Fenstern durch moderne. Doch es musste voran gehen.
Niemand muss motiviert werden
Baucontainer stehen in einer Seitengasse, im Gewerkehaus dahinter wimmelt es. Die Unterbringung spartanisch. Doch hier wurde nicht gestreikt, wie jüngst am Eiffelturm. Hier musste niemand motiviert werden. Vielleicht, weil sie sich in die Geschichte einschreiben wollen, so wie Zimmerer Pierre Voiron, der Chor und Apsis neugebaut hat: "Nachdem ich in Deutschland studiert hatte, bin ich zurück nach Frankreich und hab mich auf alte Methoden des Bebeilens der Hölzer per Hand mit der Axt spezialisiert und somit hatte ich das Glück mitzuwirken. Es ist eine Lebenserfahrung."
Grundsätzlich bekommen Handwerker im Denkmalschutz in Frankreich mehrere Hundert Euro mehr Lohn. Ihre Arbeit hat in Notre Dame Dimensionen, die schwindlig machen. Allein für den Dachstuhl von Kirchenschiff und Chor wurden 1.300 technische Zeichnungen angefertigt. Und die Finanzierung? Der staatliche Baustellenleiter Philippe Jost: "Über 340.000 Spender aus 150 Ländern haben rund 850 Millionen Euro gegeben - darunter große Mäzene, aber auch Kinder. In wenigen Stunden war der Wiederaufbau finanziert. Sie alle sind Notre Dame verbunden, weil die Kathedrale eine Seele hat. Vor allen Kunst-Handwerkern ziehe ich meinen Hut."
Anspruch auf Weltzentrum des Kunsthandwerks
Notre Dame generiert Nachwuchs, fördert Frankreichs Anspruch, Weltzentrum des Kunsthandwerks zu werden. Und so erinnert sich der Lehrmeister des Jüngsten unter den Zimmerern aus dem Loire-Tal, Mathieu Gornouvel an den Moment, als sein Schützling den Richtkranz aufzog: "Er war sehr angespannt, er hat uns ja alle repräsentiert. Wir haben hohe Forderungen an uns selbst gestellt, weil wir Qualität und Zeitplan einhalten wollten. Und nun sind wir stolz, stolz auf ewig."