"Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR": Ausstellung in Berlin
Seit mittlerweile 22 Jahren vermittelt das Jüdische Museum Berlin die Geschichte der Juden in Deutschland - 33 Jahre nach dem Ende der DDR gibt es nun erstmals eine umfassende Schau zum Judentum in Ostdeutschland.
Anna Seghers und Lea Grundig, Thomas Brasch und André Herzberg - Künstlerinnen und Künstler, die viele Jahre in der DDR gelebt und gearbeitet haben. Was sie alle eint, sie sind Juden, wie auch der Gründer der Rockband "Stern-Combo-Meißen" Martin Schreier. Zu DDR-Zeiten sei er mit dem Jüdisch-Sein in der Öffentlichkeit oder in den Medien allerdings nicht hausieren gegangen, sagt er. "Meine Eltern hatten mir übermittelt, man sollte vorsichtig sein. Aber ich habe daraus nie einen Hehl gemacht. Und mein gesamter Freundeskreis wusste, dass ich jüdisch bin. Und ich komme ja aus einer kleinen Stadt, Meißen, die hatte 60.000 Einwohner. Dort wusste jeder, dass unsere Familie jüdisch ist, weil wir der einzige jüdische Familie in Meißen waren."
Eltern standen zum "Jüdischsein"
1964 gegründet, gehört "Stern-Combo-Meißen" zu den ältesten deutschen Rockbands - mit dem inzwischen 75-jährigen Martin Schreier von Beginn an. Die jüdische Tradition oder auch Religion mit dem kommunistischen Hintergrund habe nicht im Vordergrund gestanden. "Aber das Jüdischsein im Allgemeinen wurde meinem Bruder und mir schon als Kinder immer klargemacht und positiv vermittelt. Schon mit fünf, sechs Jahren wusste ich schon über die jüdische Geschichte viel Bescheid, weil die Eltern, dazu gestanden haben, obwohl sie Kommunisten waren, und sie haben das natürlich uns so übermittelt."
Viele wollten ein neues, besseres Deutschland aufbauen
So wie die Eltern von Martin Schreier waren vielen Juden in der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR Kommunisten und wollten ein anderes, ein besseres Deutschland aufbauen. Auch die Eltern der 1953 in Neustrelitz geborenen Ruth Zadek. "Meine Eltern haben ja in Schwerin gelebt und sind sozusagen dann versetzt worden: Schwerin, Neubrandenburg, Neustrelitz. Meine Eltern, die waren in erster Linie Kommunisten oder Sozialisten, wie man es auch immer benennen will." Das sei für die Eltern das Allerwichtigste gewesen, erzählt sie. "Natürlich, es gab immer die Erinnerung an die Familie. Ich trage einen Namen, Ruth, und meine Schwester heißt Hanna, und Hanna und Ruth sind Zwillinge, die mit 19 Jahren umgebracht worden sind. Das ist natürlich eine Bürde. In Erinnerung an die Cousinen meines Vaters sind wir Hanna und Ruth benannt worden."
Zeitzeugen erzählen von ihren Erlebnissen
Ruth Zadek arbeitet seit vielen Jahren als bildende Künstlerin und lebt seit ihrer Ausreise 1981 aus der DDR in Nürnberg. Sie ist eine von elf Jüdinnen und Juden, die Erlebnisse aus ihren jüdischen Familien erzählen - in Videos und an Audiostationen in der Ausstellung "Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR". Zu diesen Zeitzeugen gehört auch der Rockmusiker Martin Schreier.
Erste umfassende Schau zum Judentum in DDR
Seit mittlerweile 22 Jahren vermittelt das Jüdische Museum Berlin die Geschichte der Juden in Deutschland - 33 Jahre nach dem Ende der DDR gibt es nun erstmals eine umfassende Schau zum Judentum in Ostdeutschland. Zu spät? Tamara Lewinsky ist eine von drei Kuratorinnen der Ausstellung: "Ich würde sagen nicht so spät, sondern genau richtig, weil sich wirklich gezeigt hat, dass wir eine historische Distanz mittlerweile haben zu dieser Zeit. Und es gibt neue Sichtweisen. Es ist nicht mehr eine Schwarz-Weiß-Diskussion zwischen Ost und West. Es ist auch eine andere Generation, die über diese Fragen nachdenkt. Und trotzdem ist es noch nah genug, um unsere Zeitzeugen dabei zu haben, sie zu befragen und die materielle Kultur dieser Zeit einzusammeln."
Zwischen verordnetem Antifaschismus und vorhandenem Antisemitismus
Die Sonderschau präsentiert einen Überblick zwischen religiösem Alltag und kommunistischer Staatstreue in der DDR, zwischen verordnetem Antifaschismus und vorhandenem Antisemitismus - mit Schwerpunkt auf die größte Gemeinde in Ost-Berlin. Jüdischen Gemeinden existierten zudem in sieben weiteren Städten, darunter in Schwerin für die Juden der drei Nordbezirke. Zu sehen auf einem historischen Foto.
Mehrere Frauen und Männer sitzen an einer gedeckten Tafel, prosten sich zu und schauen in die Fotokamera. Was wie eine Familienfeier aussieht, ist ein besonderes Zeitdokument: Die Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde Mecklenburg feiern 1956 in Schwerin das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana.
Die Geschichte der kleineren Gemeinden wird in der Ausstellung allerdings nur angerissen, sie sind unterrepräsentiert.
Viele Objekte von privaten Stiftern
Viele im Jüdischen Museum ausgestellte Objekte stammen von privaten Stiftern, blicken auf besondere Ereignisse zurück, so Tamara Lewinsky. "Eine Geschichte ist zum Beispiel ein Reisekoffer, der gleich im ersten Raum steht, so eine massive Reisetruhe. Und die erzählt die Geschichte von der Rückkehr eines Emigranten- Ehepaars, das war Familie Zimmering. Und oben auf der Truhe sind noch die Destinationen der Reise aufgeschrieben mit dem Zielort Berlin."
Ausgestellt sind auch ein Paar Ski, die das jüdische Ehepaar Kussy Anfang 1953 aus Angst vor antisemitischen Repressionen auf der Flucht aus Dresden, getarnt als Skiurlaub, in den Westen mitnahm, und das nun aus Amerika wieder zurück in Deutschland ist. Dinge, die ein Bild der Zeit zeichnen.
"Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR": Ausstellung in Berlin
Das Jüdische Museum in Berlin präsentiert erstmals eine umfassende Schau zum Judentum in der DDR. Es verspricht neue Sichtweisen.
- Datum:
- Ende:
- Ort:
-
Jüdisches Museum Berlin
Lindenstraße 9-14
10969 Berlin
- Öffnungszeiten:
- Täglich von 10 bis 19 Uhr