Ein großes Kreuz hängt im katholischen Dom Osnabrück. © picture alliance/dpa | Friso Gentsch Foto: Friso Gentsch
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AUDIO: Komplex und kantig - Über einen schwierigen Feiertag (20 Min)

Karfreitag: Ringen um die Deutung des Todes am Kreuz

Stand: 29.03.2024 06:00 Uhr

Der Karfreitag ist ein sperriger Feiertag, so sperrig wie ein Stein vor einem Felsengrab, ein Tag, der aber auch vielen Christinnen und Christen heute fremd geworden ist. Dabei ist das einst grausame Geschehen auf Golgotha auf brennende Weise aktuell.

Der Karfreitag erzählt von einer Gewaltgeschichte. Es ist ein stiller Feiertag, aber zugleich voll von schreiender Ungerechtigkeit. Der Theologe, Priester und Mystik-Experte Gotthard Fuchs spürt der Bedeutung des Karfreitags, dessen Botschaft und auch Widersprüchlichkeit seit Langem nach.

Mit Blick auf den Karfreitag gibt es vor allem zwei Deutungen. Die erste, früh entwickelte und dann vor allem im Mittelalter theologisch intensivierte Auffassung lautet: Gott brauchte ein notwendiges Sühneopfer, um sich überhaupt mit den Menschen versöhnen zu können. Jesus stirbt für eine Menschheit, die durch den Sündenfall Adams im Paradies schuldig geworden ist. Die zweite lautet: Im Tod am Kreuz stirbt Gott als Mensch, um nah bei den Menschen zu sein und so seine unbegrenzte Liebe den Menschen gegenüber konkret zum Ausdruck zu bringen.

Gotthard Fuchs, dieses jahrhundertealte Ringen um die Deutung des Todes am Kreuz, zeigt das auch heute noch ein Vermittlungsproblem der Kirchen der eigenen Heilsgeschichte gegenüber?

Gotthard Fuchs: Das ist immer wieder ein Riesenproblem. Und die beiden Deutungen, die Sie nennen, sind hier auch sehr zeitbedingt und deshalb auch zu relativieren. Allein die Frage "Was hat das Leiden Jesu mit Gott zu tun? ist ja heute neu zu buchstabieren. Ich wähle deshalb mal ein Beispiel aus der Gegenwart: Was ist mit dem Schicksal von Alexej Nawalny? Von ihm wissen wir ja jetzt, dass er sich sehr entschieden als Christ verstanden hat. Also da ist ein Mensch, der sich verausgabt für Gerechtigkeit und Frieden, der deshalb fürchterlich leiden muss, der dann auch sterben muss. Das Ganze ist ein Unrecht der Extraklasse. Das ist himmelschreiend!

Wie gehen wir damit um? Also gut, wenn ich von dem Geheimnis, das wir Gott nennen, ausgehe, dann muss ich fragen: Wie hängt das damit zusammen? Und eine rote Linie ist dabei völlig klar: Ein Gott, der das Leiden der Menschen will oder sogar Sühne fordert, der ist abzulehnen. Diese alte Vorstellung, dass Gott Sühne braucht, die stammt aus dem Mittelalter, aus der Zeit eines Feudalsystems. Jedenfalls ist es in dieser Erzählform heute absolut missverständlich, als wäre da ein beleidigter Gott, der irgendwie Sühne fordert! Das sind Projektionen von damals. Aber heutzutage muss klar sein, wenn ich gerade als Christ "Gott" sage, dann meine ich einen Gott, der das Leiden nicht will.

Bei der Suche nach einer Definition, für was der Karfreitag heute stehen könnte, würden Sie da mitgehen und sagen, der Karfreitag steht für das Wahrnehmen von Gewalt, in die wir auch unverschuldet in unserem Leben geraten können, die wir auch erleiden müssen? Aber eben auch für das Wahrnehmen von Gewalt, die wir Mitmenschen zufügen, direkt oder indirekt?

Fuchs: Meine Kurzformel wäre, der christliche Glaube an Gott ist Gewaltanschauung. Hier wird nicht weggeguckt. Hier wird ganz desillusionierend hingesehen, wer wir Menschen sind. Wir sind alle Söhne und Töchter Kains. Der Schriftsteller Max Frisch hat mal vor Jahren in seinem Tagebuch wunderbare Fragen zur Gewissenserforschung formuliert und eine Frage lautet: Gesetzt den Fall, Sie haben bislang noch keinen Menschen umgebracht. Womit erklären Sie sich das? Das finde ich toll, weil es genau in diese Blase der Wohlanständigkeit und des guten Willens hineinsticht, mit der man am grünen Tisch darüber reden kann: Was ist Gewalt und was nicht? Wo sind denn meine Gewaltanteile?

Die Karfreitagsliturgie ist da zum Beispiel eine wunderbare Liturgie. Die Frommen treten vor, sie verehren das Kreuz, sie schauen auf den Gekreuzigten. Sie schauen auf den, den sie durchbohrt haben. Das heißt, sie outen sich mit ihrem Gewaltpotenzial als Sünder. Und damit fängt die Verwandlung in Richtung Frieden an - dass wir nicht in erster Linie etwas von anderen erwarten, sondern dass wir selbst mit unseren Täteranteilen und Täterinnenanteilen anders umgehen.

Gotthard Fuchs, noch einmal zusammenfassend gefragt: Was gibt mit Blick auf den Karfreitag Anlass zur Hoffnung in diesen verrückten Zeiten?

Fuchs: Heute wird viel von Resilienz gesprochen, von innerer Widerstandskraft, also von einem Bezugspunkt meiner Hoffnung. Wenn ich das zusammenbuchstabieren darf mit der Jesus-Geschichte, mit der Geschichte der Glaubenden, mit der Geschichte der Widerständler in der Geschichte, die immer auf das Gute gehofft haben und dafür sogar oft ihre Haut zu Markte getragen haben; wenn ich also diesen ganzen Pool sehe, dass es eben doch schöpferisch vorangeht und nicht das Böse das letzte Wort hat, sondern das Gute, dann ist der Karfreitag und dann ist Ostern ein gigantisches Movens.

Christen sagen mit Blick auf ihre Zeitrechnungen nicht zufällig "nach Christi Geburt", das heißt aber auch nach Christi Auferstehung, und so können wir anders auf die Welt schauen. Es gilt, das Unrecht zu bekämpfen, dem Bösen zu widerstehen und stattdessen das Gute zu fördern und sich an ihm zu erfreuen. Wir sollen uns einsetzen, ohne Angst davor zu haben vielleicht verlorenzugehen, ohne Angst vor dem Tod. Und diese Angst ist vielleicht der größte Feind, der uns so im Hier und Jetzt lähmt, die prallen Möglichkeiten des Guten zu nutzen.

Das Gespräch führte Florian Breitmeier

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