von Walli Müller

Keine private Geschichte im Iran, die nicht gleich wieder politisch ist. Allein, dass Mahin, die weibliche Hauptfigur, im Film ohne Hijab auftritt, ist im Iran ein absoluter Regelverstoß! Aber wie sonst den realen Alltag einer Frau zeigen, die in ihren vier Wänden nun mal das Kopftuch ablegt?

Blick hinter verschlossene Türen im Iran

"Wir haben beschlossen, die roten Linien zu überschreiten", sagen Maryam Moghaddam und Behtasch Sanaeeha, die Regie geführt haben und es damit auch dem westlichen Publikum ermöglichen, einmal hinter verschlossene Türen im Iran zu blicken. Siehe da: Auch hier sitzen Freundinnen zum fröhlichen Tratsch um den Küchentisch versammelt und reden über… ja, Männer!

"Also, wenn Du wie eine alte Frau mit gesenktem Blick herumläufst, siehst Du natürlich auch nicht, wer rechts und links neben Dir steht. Mahin sag ich seit 30 Jahren, sie soll aufhören, allein herumzusitzen und sich einen Freund suchen." - "Sie will nicht hören." - "Ein Mann ist zu nichts zu gebrauchen. Er sitzt nur da und kommandiert einen herum. Und wir putzen und kochen die ganze Zeit." Filmzitat

Frau trifft Mann - ein Tabubruch

Mahin ist 70 Jahre alt und lebt seit 30 Jahren als Witwe allein in ihrem Haus. Das bedeutet ein großes Stück Unabhängigkeit in einem Land, das Frauen bis heute rechtlich Vätern oder Ehemännern unterstellt. Der Preis dafür ist Einsamkeit. Der Einkauf, die Fernseh-Soap, kurze Video-Telefonate mit der Tochter im Ausland - mehr Abwechslung gibt es nicht im Alltag.

Bis Mahin sich eines Tages die Nägel lackiert, etwas Rouge aufträgt und beschließt, den Blick nicht länger zu senken, sollte ihr ein sympathischer Mann begegnen. Tatsächlich entdeckt sie einen - am Nachbartisch im Rentner-Lokal.

"Faramarz, warum setzt Du Dich nicht zu uns? Dir scheint es ja richtig gut zu gehen, wenn Du es Dir leisten kannst, jeden Tag essen zu gehen." - "Leider hab ich keine andere Wahl, wisst Ihr? Ihr habt alle Ehefrauen und jeden Tag ein köstliches Mittagessen auf dem Tisch." Filmzitat

Mahin lädt Taxifahrer zu sich nach Hause ein

Ein Mann, allein wie sie! Was hat Mahin schon zu verlieren? Sie bucht Faramarz, der Taxifahrer ist, für die Rückfahrt und wagt auf dem Weg etwas Ungeheuerliches: Sie lädt ihn zu sich nach Hause ein! Der Mann ist nicht schockiert, sondern freut sich. Und weil Mahin nun schon dabei ist, bricht sie gleich noch ein paar Regeln …

"Vor langer Zeit hat ein Freund mir den hier mal gegeben. Ich hab ihn lange aufbewahrt. Magst Du etwas davon?" - Was ist das?" - "Wein." - "Ach wirklich? Ich hatte seit Jahren keinen Wein mehr." - "Vielleicht solltest Du dann lieber keinen trinken?" - Nein, nein, schenk uns ein Glas ein! Ich bin zu alt, um mir Sorgen zu machen." Filmzitat

Eine zauberhafte Liebesgeschichte bahnt sich an

Der Beginn eines wunderschönen Abends, den man mit den beiden nun - gefühlt - in Echtzeit verbringen und in vollen Zügen genießen darf. Sie essen, lachen, reden zusammen - über die Beschwerden des Alters, aber auch die Freiheit, die es mit sich bringt und die Mahin und Faramarz an diesem Abend endlich einmal auskosten wollen.

"Als ich heute Morgen aufgewacht bin, wollte ich eigentlich gar nicht zur Arbeit gehen. Irgendwie hatte ich so unsägliche Gedanken wie: was für ein trostloses Leben! Ich hab im Traum nicht daran gedacht, dass ich heute noch Deine Dolmi kosten darf. Weißt Du, ich bin froh, dass ich zur Arbeit gegangen bin. Ich hätte Dich sonst nicht getroffen." - Da geb ich Dir Recht. Was für ein Glücksfall, dass ich im Restaurant war!" Filmzitat

Was die zwei machen, ist - wenn es nicht verboten ist - ganz sicher nicht erlaubt. Aber was soll ihnen die Sittenpolizei schon antun? "Sie könnten uns zwangverheiraten!", sagt Faramarz im Film lachend. Was für eine zauberhafte Liebesgeschichte sich da anbahnt!

Ausreiseverbot für das Regio-Duo

Nur leider kann das iranische Regime es nicht so sehen: Das Film-Material wurde konfisziert, dem Regie-Duo die Ausreise nach Frankreich verboten, wo sich zum Glück schon eine Kopie befand. So konnte "Ein kleines Stück vom Kuchen" in Paris fertiggestellt werden, während Moghaddam und Sanaeeha bis heute ohne Pässe in Teheran festsitzen und auf ihr Urteil warten.

Sie riskieren, wie ihre Darsteller, viel für einen Film, der gar keine Tabus brechen, sondern nur private Realität im Iran abbilden will. Das ist das wahre Drama hinter dieser zutiefst berührenden Tragikomödie.

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