Sandra Hüller: Mit beiden Beinen auf dem Boden
"Anatomie eines Falls" mit Hauptdarstellerin Sandra Hüller bekam bei den Filmfestspielen in Cannes die "Goldene Palme". Der Film von Justine Triet kommt nun in unsere Kinos.
Das Bild ging um die Welt: Regisseurin Triet drückt ihrer Hauptdarstellerin bei der Preisverleihung in Cannes einen Kuss auf die Schläfe, und die: strahlt einfach nur. "Das war ein sehr glücklicher Moment, wo sich ganz viele Fügungen ausgezahlt haben und wo wir alle zusammen, ja, sehr glücklich waren."
Hüller ist ein bisschen müde. Gerade war sie noch in den USA, am Vorabend hat sie in Bochum auf der Bühne gestanden, jetzt gibt sie in Berlin Interviews. Und lächelt, zieht das Tuch ein wenig fester um die Schultern, die klaren blauen Augen blicken abwartend. Die Schauspielerin hält nicht viel von großem Tamtam.
Der "Star von Cannes" - mit solchen Zuschreibungen fremdelt sie: "Ich habe damit wirklich nichts zu tun, wirklich nicht. Die Dinge, die dort stattfinden, das ist einfach ganz konkret: 'Passen mir die Kleider?', 'Schaffe ich es, von dem einen Interviewtermin zum nächsten', 'Scheint heute die Sonne, oder müssen wir einen Schirm einpacken?' Das ist so praktisch irgendwie."
Sandra Hüller: Privatleben bleibt privat
Nur wenigen gelingt es, für die Öffentlichkeit so strikt zwischen Beruf- und Privatleben zu trennen wie der 45-Jährigen. Sie lebt in Leipzig, hat ein Kind, mehr ist selbst für Hartnäckige nicht herauszufinden. "Natürlich geht kaum jemanden, mit dem ich nicht persönlich verbunden bin, an, was in meinem Leben passiert. Und trotzdem gibt es so Graubereiche wie eben beim Spiel, wo eben alles miteinander vermischt wird. Aber auch da könnte ich jetzt niemals aufdröseln, was was ist, was woher kommt, welcher Impuls… kann man alles machen, geht mir aber zu weit."
Hüller braucht Freiraum für ihre Figuren
Hochkonzentriert und höflich antwortet die Schauspielerin. Auch den Figuren, die sie spielt, bringt sie diesen Respekt entgegen. Oft sind die schwer zu durchschauen, wie in "Anatomie eines Falls", aber in jedem Moment überzeugend. Kein Wunder, dass Hüller die Arbeit mit Triet schätzt oder mit dem Theaterregisseur Johan Simons, die beide ihrem jeweiligen Ensemble viel Freiraum lassen.
Wegen Simons fährt sie seit Jahren immer wieder von Leipzig nach Bochum: "Er wartet sozusagen, bis die Sachen aus den Leuten herauswachsen. Deswegen sind die Abende oft auch so dicht, und die Spielenden lieben die so, weil es immer ihre eigenen sind. Sie sind nie Erfüllende von der Vision von jemand anderem. Simons schafft einen Raum - und so macht das Justine auch -, in dem sich jede und jeder sicher fühlt und Lust hat, etwas auszuprobieren." Im Spiel mit den anderen findet Hüller ihre Figur.
Dreharbeiten in Auschwitz "sehr bewegend"
Meistens erfolgt die Entscheidung für oder gegen ein Projekt schnell und aus dem Bauch heraus. Bedenkzeit bat sie sich aus, als Jonathan Glazer fragte, ob sie sich vorstellen könne, Hedwig Höß zu spielen, die Frau von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Konzentrationslagers in Auschwitz. Sein ebenfalls in Cannes ausgezeichneter Film "The Zone of Interest" kommt im Februar in die deutschen Kinos.
Gedreht wurde am Originalschauplatz in Auschwitz. Das sei, sagt Hüller, für sie als deutscher Mensch, sehr bewegend gewesen: "Das ist ein ganz anderes Feld und auf eine bestimme Art und Weise auch privat, weil das meine ganz eigenen Gedanken und Gefühle sind. Die will nicht so richtig vermischen mit dem, was ich da als Schauspielerin gemacht habe. Das hat irgendwie nichts miteinander zu tun."
Über ihre Empfindungen sprechen möchte sie nicht, das sei "privat". Hier ist sie wieder, die freundlich mit einem Lächeln gezogene Grenze, die unbedingt zu respektieren ist. So lässt die Schauspielerin nicht nur ihren Figuren ein Geheimnis. Daraus entstehen Fantasien und Geschichten.