"Joan Baez - I Am A Noise": Ein Porträt wie eine Therapiesitzung
Mit großer Offenheit zieht Joan Baez in diesem Film Bilanz. Die amerikanische Musikerin gewährte Zugang zu ihrem beeindruckenden Privatarchiv und gibt Auskunft über ihre "inneren Dämonen".
Sie ist eine lebende Legende, eine Ikone der politischen Protestbewegung: Die amerikanische Musikerin, Bürgerrechtlerin und Aktivistin Joan Baez hat 2018 mit einer Abschiedstour der Bühne den Rücken gekehrt. Zu diesem Zeitpunkt entstand die Idee, eine Dokumentation über sie zu drehen.
Joan Baez: Die "Queen of Folk"
Ihr glockenklarer Sopran ist etwas in die Jahre gekommen, aber die mittlerweile 82-jährige "Queen of Folk" hat immer noch Freude am Singen, wie unter anderem beim Unterricht mit ihrer Gesangstrainerin zu sehen ist.
"Es macht mir Spaß zu singen. Wenn ich deprimiert bin, singe ich, um mich davon zu überzeugen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Ich nehme einfach meine Gitarre und brülle alles raus." Das sagte Joan Baez allerdings schon, als sie noch am Anfang ihrer Karriere stand. Als Gebrüll würde wohl kaum jemand ihren Gesang bezeichnen, aber die Kraft und Ausdrucksstärke, die hinter den Auftritten und Aktionen dieser Frau steht, ist vielleicht schon mit dem Gebaren einer siegesgewissen Löwin zu vergleichen.
Schmerzhafte Beziehung zu Bob Dylan
Ihr politisches Engagement gegen den Vietnamkrieg und die Rassentrennung in den 1960er-Jahren machte sie weltweit berühmt. Ebenso wie ihr Auftritt beim legendären Woodstock-Festival und ihre Liebesbeziehung zu Bob Dylan, einer anderen Legende und Stimme ihrer Generation.
Sie förderte dessen Karriere und eine Zeit lang traten sie gemeinsam auf. Aber da waren zwei schnell eine zu viel auf der Bühne, wie sie sich erinnert: "Als Bob immer berühmter wurde, hat er sich verändert und sich ziemlich schnell von uns allen abgewendet."
Es war eine intensive, schmerzhafte Beziehung, die in Entfremdung endete, so viel ist klar, wenn sie zugibt, Dylan habe ihr wohl das Herz gebrochen.
Joan Baez über ihre inneren Dämonen
Mit einer der Regisseurinnen, Karen O´Connor, ist Joan Baez seit Jahrzehnten befreundet. Sie brachte die Künstlerin dazu, in das Projekt einzuwilligen, und dieser Freundschaft ist sicher ein großer Teil der Offenheit geschuldet, mit der Joan Baez in diesem Film Bilanz zieht. Denn die Künstlerin gewährte Zugang zu ihrem beeindruckenden Privatarchiv und gibt Auskunft über ihre "inneren Dämonen". Schonungslos spricht sie über ihre Ängste und Depressionen, ihre Sehnsucht nach Ruhm und Anerkennung, Drogen und Psychotherapie, konfrontiert sich und das Publikum mit schmerzhaften Erinnerungen.
Gewöhnungsbedürftiges "Soul-Searching"
Aus Gesprächen, Tagebuchtexten, deren persönliche Illustrationen teilweise auch noch animiert werden, Archivbildern, Aufnahmen alter Audiokassetten und Backstage-Momenten von der Abschiedstour entsteht ein enorm materialreiches Porträt, das manchmal selber den Charakter einer Therapiesitzung annimmt. Und in der Tat ist die Stimme von Baez' langjährigem Therapeuten manchmal zu hören, unter anderem mit Entspannungsanleitungen, über deren Relevanz in einer Dokumentation sich streiten lässt. Das ist gewöhnungsbedürftig, hat etwas von "Soul-Searching" und ist nicht jedermanns Sache.
Joan Baez - I Am A Noise
- Genre:
- Dokumentarfilm | Musical
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Joan Baez, Bill Clinton, Hillary Clinton u.a.
- Regie:
- Miri Navasky, Karen O'Connor, Maeve O'Boyle
- Länge:
- 113 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 28. Dezember